Putin darf nicht siegen ­– verlieren schon gar nicht!

Nicht nur vom ukrainischen Präsidenten Selenski hören wir es pausenlos, nein, auch von westlichen Staatsmännern und politischen Beobachtern: Die Russen, konkret Wladimir Putin, dürfen nicht siegen, die Ukraine wird diesen Krieg gewinnen und jeder Zentimeter des ehemaligen ukrainischen Staatsgebiets zurückerobern; den Donbass natürlich und selbstverständlich auch die Krim.
Wie das gehen soll, lassen diese Apologeten des ukrainischen Sieges uns nicht so genau wissen. Dass dazu jedenfalls schwere westliche Waffen und womöglich auch die Lufthoheit über der Ukraine notwendig sein werden, steht außer Zweifel. Und dass man dazu einen Angriffskrieg gegen Russland wird führen müssen, das die Krim seit Jahren als eigenes Staatsgebiet betrachtet, steht außer Zweifel. Da stellt sich nun die Frage, wie denn eine wirkliche militärische Niederlage Russlands aussehen könnte. Wäre eine solche denkbar, ohne dass der Kreml zu ultimativen militärischen Aktionen, etwa zum Einsatz von Massenvernichtungswaffen greift? Westliche Stimmen der Mäßigung und der Vernunft lassen uns immer wieder wissen, dass eine Atommacht wie Russland schlicht und einfach nicht verlieren kann! Nicht verlieren, ohne dass sie ihre letzten waffentechnischen Ressourcen, und das sind nun einmal Atomwaffen, einsetzen würde.
Genau diese Überlegungen sind es aber die einzig und allein einen Verhandlungsprozess als Lösungsmöglichkeit übriglassen. Einen Verhandlungsprozess, der möglicherweise in absehbarer Zeit keineswegs zu einem wirklichen Frieden führen könnte. Allerdings wäre ein eingefrorener Krieg besser als ein heißer militärischer Krieg, der weiter Tausende Menschenleben und größtmögliche Zerstörung des Landes zeitigen müsste.
Vorläufig ist Putin militärisch ja im Vorteil. Den Donbass dürfte er bald völlig in der Hand haben und es stellt sich nur die Frage, wie weit er die Schwarzmeerküste einschließlich der Großstadt Odessa bis hin nach Transnistrien unter seine Herrschaft bringt beziehungsweise ob er dies überhaupt will. Dieser militärische Teilerfolg der russischen Armee ändert allerdings nichts an der internationalen Isolierung Russlands und an der durch den russischen Angriffskrieg verursachten Stärkung des Nordatlantikpakts. Auch wenn Erdogan die NATO-Erweiterung gegenwärtig noch blockiert, dürften Schweden und Finnland über kurz oder lang integrierte Mitglieder des westlichen Verteidigungsbündnisses werden. Das ist für Russland gewiss kein Erfolg, da sich der Kreml dadurch zunehmend eingekreist fühlen muss. Der Schlüssel für eine wirkliche Friedenslösung liegt paradoxerweise gegenwärtig in Peking. Die EU-Europäer sind allzu sehr am Gängelband Washingtons, um hier noch als Mittler im Konflikt aufzutreten, sie sind Partei auf Seiten der Ukraine. Und deren Forderung nach einem raschen EU-Beitritt beziehungsweise kurzfristig nach weiteren Milliardenzahlungen und der Lieferung von schweren Waffen heizt den Konflikt natürlich an und bringt die Europäer in stetig wachsendem Maße in eine schwierige Position.
Die Russen dürfen also nicht siegen, so lautet das westliche Dogma, sie können aber auch nicht verlieren, so besagt es die pragmatische Vernunft, die einen Weltkrieg oder einen Nuklearkrieg verhindern will. Realpolitisch könnte dies bedeuten, dass die Russen militärisch zwar ihre strategischen Ziele im Osten und im Süden der Ukraine erreichen, dass sie aber politisch durch ihre Isolierung gewissermaßen die Verlierer der Auseinandersetzung sind.
Dass die Ukraine dabei der Hauptverlierer dieses Konfliktes ist, steht außer Zweifel. Unzählige Menschenleben und die großflächige Zerstörung des Landes und der Städte sind die Folge. Damit sind wir bei den Europäern, die natürlich ebenso Verlierer des Konfliktes sind: Nicht nur dass sie den Wiederaufbau weitgehend bezahlen werden müssen, wobei die amerikanischen Konzerne die großen Geschäfte machen. Zuerst haben sie schon die Geschäfte mit den Waffen gemacht, nun werden sie auch die Geschäfte mit dem Wiederaufbau machen. Nein, die Europäer sind auch deshalb Verlierer, die sie durch den Ukraine-Krieg wieder zunehmend in die sicherheitspolitische Abhängigkeit der USA gezwungen werden und weltpolitisch maximal als Trittbrettfahrer wahrgenommen werden.

3 Responses to Putin darf nicht siegen ­– verlieren schon gar nicht!

  1. […] Putin darf nicht siegen ­– verlieren schon gar nicht! […]

  2. […] Edito­rial: Putin darf nicht siegen ­– verlieren schon gar nicht! ­Seite 6–7 […]

  3. […] Editorial: Putin darf nicht siegen ­– verlieren schon gar nicht! ­Seite 6–7 […]

Hinterlasse einen Kommentar