Unter ­slawischen Brüdern

23. Februar 2022

Über das unselige Erbe des Pan­slawismus

Die slawische Welt zwischen Warschau und Wladiwostok, zwischen Murmansk und Banja Luka umfasst einerseits den größten Flächenstaat des Planeten, Russland nämlich, andererseits eine Fülle von kleineren Nationen zwischen Baltikum und Balkan, die sich immer wieder als Krisenherde, als Bereiche potenzieller Konflikte in der jüngeren europäischen Geschichte und in der Gegenwart erwiesen haben. Politische Stabilität gab es in dieser Großregion nur in Zeiten, in denen übernationale Imperien das Feld beherrschten. Ob es im alten Europa das zaristische Russland einerseits und andererseits Preußendeutschland und die Habsburger Monarchie waren oder nach 1945 die Sowjetunion und Tito-Jugoslawien: Nur durch die Unterdrückung der nationalen Egoismen und Souveränitätsbestrebungen war da zwischenzeitlich solche Stabilität gewährleistet.
Stets, wenn Hegemonialmächte entsprechend geschwächt waren, traten die nationalen Antagonisten in dieser slawischen Welt massiv hervor. Insbesondere im südslawischen Bereich, auf dem Balkan, zeigte sich dies nach dem Zusammenbruch des zentralistisch geführten Tito-Jugoslawien: Serben gegen Kroaten, Orthodoxe gegen Katholiken und alle gemeinsam gegen die muslimischen Bosniaken und die albanischen Kosovaren. Das sind Konflikte, die über Generationen immer wieder hervorbrechen, allzumal dann, wenn es keine übergeordnete Zentralgewalt gibt, wie es seinerzeit die Habsburger Monarchie oder eben danach Tito-Jugoslawien war. Und auch im Nordosten Europas gab es immer wieder Konflikte zwischen den katholischen Polen und den orthodoxen Ukrainern und Russen, aber auch in der nachmaligen Tschechoslowakei zwischen Tschechen und Slowaken, was letztlich zum Auseinanderbrechen des Staates führte.
Dabei war die Idee des Panslawismus, die ihren Höhepunkt im 19. Jahrhundert fand, eine, die von der Einigkeit der slawischen Völker ausging. Unter der Patronanz von „Mütterchen Russland“ sollte hier ein geopolitisch und machtpolitisch dominanter Faktor entstehen, dessen Schutzherr der Zar in St. Petersburg war. Katholische Völker wie die Polen, die Tschechen und die Slowaken, aber auf dem Balkan auch die Slowenen und Kroaten waren von dieser Idee in geringerem Maße fasziniert. Die Weißrussen, die Ukrainer aber und auf dem Balkan wohl auch die Bulgaren und die Serben neigten wohl auch wegen ihrer Zugehörigkeit zur von Moskau dominierten Orthodoxie eher zu diesem panslawistischen Großraum-Träumen. Dennoch bewies die Idee des Panslawismus in den großen militärischen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts ihre Strahlkraft. Die Tschechen als habsburgische Untertanen erlagen diesen panslawistischen Verlockungen im hohen Maße. So lief das Prager Hausregiment bereits in den ersten Kriegstagen mehr oder minder geschlossen zur russischen Armee über. Und in der frühen Phase der Sowjetunion waren es wohl auch panslawistische Ideen, die Weißrussen und Ukrainer dazu bewegten, sich dem Kreml zu unterwerfen.
Der Sieg der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg über die Deutschen ermöglichte es dem Kreml und der KPdSU, ihre Herrschaft über den gesamten slawischen Bereich in Europa auszudehnen, mit Ausnahme des Balkans, dessen slawische Völker im ebenso kommunistischen Tito-Jugoslawien leben mussten. Die Bulgaren, Tschechen und Slowaken und die Polen, natürlich auch die Ukrainer und die Weißrussen waren Teil des Warschauer Pakts und somit des sowjetischen Imperiums. Wenn der heutige Kreml-Herr Wladimir Putin den Zusammenbruch der Sowjetunion und die Auflösung des Warschauer Pakts als die größte geopolitische Katastrophe des vergangenen Jahrhunderts bezeichnet, so ist dieser aus Moskauer Sicht gewiss verständlich und diese Auflösung bedeutete auch das Ende der panslawistischen Konzeption, da sich die Polen, Tschechen und Slowaken sofort in Richtung EU und NATO orientierten. Von den baltischen Staaten, die ja von nichtslawischen Völkern dominiert sind, war dies gewissermaßen selbstverständlich anzunehmen, für Polen, Tschechen, Slowaken und Bulgaren bedeutete es aber auch des Ende der panslawischen Solidarität. Und auf dem Balkan war nach der Auflösung Tito-Jugoslawiens ohnedies der Zug in Richtung Westen, in Richtung Europäische Union abgefahren. Kroaten und Slowenen wurden sehr rasch Mitglied der EU, Serbien und Montenegro, Mazedonien, Kosovo und Bosnien befinden sich im Warteraum, wobei insbesondere in Belgrad die Verbindung mit Moskau noch immer eine unterschwellige Achse darstellt.
Als in Folge von Perestroika und Glasnost die Sowjetunion implodierte, die Auflösung des Warschauer Pakts erfolgte und die Wiedervereinigung zwischen Bundesrepublik und „DDR“ möglich wurde, gab es zweifellos informelle Zusagen, dass das westliche Verteidigungsbündnis nicht in den Bereich der ehemaligen Sowjetunion vorstoßen werde. Zähneknirschend musste der Kreml zwar hinnehmen, dass die baltischen Staaten, Polen, Tschechien und die Slowakei und Bulgarien dem westlichen Verteidigungsbündnis beitraten, ebenso wie der Europäischen Union, wenn dies aber in der Folge auch für die Ukraine angedacht wurde, war das für Wladimir Putin nicht mehr hinnehmbar. Als sich die Ukraine im Zuge der orangen Revolution 2004/05 von Moskau emanzipierte, verlor der Kreml jenes geopolitische Vorfeld, das ihm gemeinsam mit Weißrussland noch so etwas wie eine sichere Distanz zur NATO zu gewährleisten schien. Der von Moskau sicherlich mehr oder minder geschürte Konflikt in der Ostukraine mit ihren neun Millionen ethnischen Russen war die Folge dieser Abwendung Kiews von Moskau und nun scheint der Kreml-Herrscher Putin gewillt zu sein, Russland nicht nur wieder zur weltweiten Großmacht zu machen, sondern eben auch zur klaren Hegemonialmacht im Bereich der slawischen Nationen. Da sind insbesondere Weißrussland und die Ukraine mit ihrer eng verwandten Bevölkerung ein zentrales Objekt der Begierde für Moskau.
Und auch im Bereich der Südslawen auf dem Balkan wird sich ein nach neuer internationaler Stärke strebendes Russland nicht davon abhalten lassen, seine Einflusssphäre abzustecken. Mit Serbien und Montenegro gibt es immer noch zwei Staaten, die sich Russland und der Orthodoxie verbunden fühlen. Dieses geopolitische Machtstreben Russlands kollidiert auf dem Balkan allerdings mit neo-osmanischen Ambitionen, die naturgemäß von der Türkei des Recep Tayyip Erdogan gestützt werden. Und es kollidiert auch mit den Islamisierungs-Tendenzen im Kosovo und in Bosnien, die nicht zuletzt von den Golfstaaten finanziert werden. Dann gibt es natürlich noch die NATO-Staaten Kroatien und Slowenien, sowie die Tatsache, dass Serbien selbst ein Beitrittswerber für die Europäische Union ist. All diese Faktoren schaffen auf dem Balkan ein Konglomerat von Konfliktlinien, die sich gegebenenfalls jedenfalls verstärken könnten. Zwar zeichnet sich gegenwärtig kein neuer Balkankrieg ab, die Aversionen aber zwischen den Balkanvölkern sind ungebrochen und Verbrechen der jüngeren Geschichte, wie jenes von Srebrenica, sind längst nicht aufgearbeitet. Die beiden Balkan-Autokraten Milosevic und Tudjman sind zwar tot und Geschichte und allgemein herrschen einigermaßen demokratische Zustände. Die Bosnienfrage ist aber längst noch lange nicht gelöst, der Kosovo nach wie vor ein Pulverfass und Montenegro und Mazedonien sind auch noch keine stabilen Staaten. Das Erbe des Panslawismus auf dem Balkan besteht also darin, dass sich die Serben als deklassierte und diskriminierte Nation fühlen, dass eine Reihe von Krisenstaaten existieren und die Antagonismen zwischen katholischen und orthodoxen Slawen unverändert fortbestehen. Präziser müsste man also sagen, statt Panslawismus gibt es auf dem Balkan ungelöste innerslawische Konflikte.
Ähnlich ist es im nordöstlichen Bereich Europas, wo nur noch die Weißrussen gewillt scheinen, die Hegemonie des Kremls anzuerkennen. In Konfliktregionen wie der Ostukraine, Kaukasus und in Transnistrien werden die russischen Machtansprüche auf Dauer wohl kaum zu verhindern sein. Gesamtslawische Solidarität aber, wie sie einst vom Panslawismus eingefordert wurde, existiert längst nicht mehr.


Unsere Pseudoneutralität

23. Februar 2022

Da weilt unser Außenminister, der Herr von Schallenberg, in Kiew, um den verängstigten Ukrainern Mut zuzusprechen. Gemeinsam mit seiner bundesdeutschen Kollegin Baerbock und dem EU-Außenbeauftragten Borrell versichert er mit schmeichelweicher Stimme, dass Österreich im Falle einer russischen Offensive die schärfsten Sanktionsmaßnahmen mittragen werde. Und der Herr Bundeskanzler erklärt währenddessen in Wien, dass Österreich noch nie neutral gewesen sei, wenn es um den Frieden gehe.
Dabei bleibt die Logik einigermaßen auf der Strecke, da Neutralität ja nur im Falle von Auseinandersetzungen kriegerischer oder diplomatischer Natur einen Sinn gibt. Zweifellos ist richtig, dass unser Land längst nicht mehr neutral ist. Bereits vor 30 Jahren in einem der Irakkriege erlaubte die damalige große Koalition Überflüge von NATO-Flugzeugen über unser Territorium und den Transport von schweren Waffen. Und spätestens seit dem EU-Beitritt müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass europäische Solidarität wichtiger wäre also unsere angeblich immerwährende Neutralität. Dass Bundesheersoldaten auf der Seite der NATO in Afghanistan standen – ein kleines Kontingent zwar, aber immerhin – und dass das Bundesheer unter NATO-Kommando am Balkan tätig war, ist dann nur noch wenig überraschend. Und so spielt die immerwährende Neutralität in unserem Land im aktuellen Konflikt zwischen Russland und der NATO offenbar überhaupt keine Rolle mehr. Wenn Österreich noch im Kalten Krieg als neutraler Staat Treffpunkt für die mächtigsten Politiker der damaligen Welt, für den US-Präsidenten Kennedy und den sowjetischen KPdSU-Generalsekretär Chruschtschow war, ist es heute allenfalls ein minimaler Faktor im Rahmen der EU, die ja selbst kaum ein Gewicht hat bei der Schlichtung des gegenwärtigen Konflikts. Da spielen nur der US-Präsident Biden und der Großrusse Wladimir Putin eine Rolle. Und wenn sich diese treffen, dann wird es wohl kaum im nicht mehr neutralen Österreich sein.Überhaupt ist die Idee, dass unser Land als neutraler Staat in der Mitte Europas eine Vermittlerrolle in solchen Konflikten spielen oder zumindest ein neutraler Treffpunkt für Gespräche sein könnte, völlig verschwunden. Auch ist keinerlei Bemühen seitens unserer Regierung feststellbar, die Problemlage aus dem Blickwinkel beider Konfliktparteien zu sehen. Da wird zwar die territoriale Integrität der Ukraine beschworen, dass es aber auch legitime russische Interessen geben könnte, wird völlig missachtet. Das neutrale Österreich könnte etwa darauf hinweisen, dass es in der Ost­ukraine bis zu neun Millionen ethnische Russen gibt, für die der Kreml legitimerweise die Schutzmacht ist, und man könnte darauf aufmerksam machen, dass es in den baltischen Staaten bis zu 40 Prozent russische Bevölkerung gibt, die nach wie vor in der ach so demokratischen EU eingeschränkte Bürgerrechte haben. Österreich könnte auch darauf hinweisen, dass es ein „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ gibt und man in umstrittenen Gebieten, wie etwa der Ostukraine, doch unter internationaler Aufsicht Plebiszite durchführen könnte, um die Frage, wohin das Territorium nach dem Willen der Bevölkerungsmehrheit solle, zu klären.
Aber derlei Überlegungen werden in Wiener Regierungskreisen in keiner Weise erwogen. Man hat sich von der immerwährenden Neutralität längst verabschiedet und beschwört diese allenfalls in Sonntagsreden. Zwar hat man bislang vermieden, offiziell einem Militärbündnis beizutreten, de facto aber marschiert man mehr oder weniger unkritisch mit in den Reihen der NATO-Staaten.
Denn eines ist klar, eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik gibt es nach wie vor nicht, und die vor langen Jahren angedachte Europäisierung des Nordatlantikpaktes hat niemals stattgefunden. Dieser ist nach wie vor der verlängerte Arm der US-Amerikaner und das vorgeblich immerwährend neutrale Österreich ist somit nicht mehr und nicht weniger als ein zwar wenig bedeutender, aber doch eindeutiger Erfüllungsgehilfe der Politik dieses Militärbündnisses. Und so erweist sich die immerwährende Neutralität, die angeblich ein unverzichtbarer Bestandteil der österreichischen Identität in der Zweiten Republik geworden ist, längst als heuchlerische Konstruktion, die in den politischen Realitäten weitestgehend bedeutungslos geworden ist.


Der Ulrichsberg, Stephan Tauschitz und die Heuchler

10. Februar 2022

Da wird ein einstiger Jungstar der Kärntner Volkspartei zum Chef des Verfassungsschutzes des südlichsten Bundeslandes bestellt, und schon riechen die Gralshüter der Political Correctness Lunte: Der Mann habe doch vor gut eineinhalb Jahrzehnten beim jährlichen Ulrichsbergtreffen Grußworte von sich gegeben. Damit habe er sich zweifellos mit einem Treffen von alten und neuen Nazis solidarisiert, wo er nunmehr doch gerade diese Szene professionell zu überwachen habe. Wahrlich ein Unding.
Verschwiegen wird von den politischen Tugendwächtern unserer Tage, die da, wie im aktuellen Falle, zumeist im grünen Mäntelchen auftreten, dass Tauschitz‘ Grußworte damals in einer Reihe von Auftritten aller möglichen Parteienvertreter standen. Nicht nur der seinerzeitige Landeshauptmann Jörg Haider frequentierte das Ulrichsbergtreffen, nein, natürlich auch führende Köpfe der Kärntner SPÖ und der Kärntner ÖVP.
Rudolf Gallob etwa, langjähriger Weggefährte des SPÖ-Landeshauptmanns Leopold Wagner, war Präsident dieser Ulrichsberggemeinschaft, und ebenso Klagenfurts ÖVP-Bürgermeister Leopold Guggenberger.
Und verschwiegen wird natürlich auch, dass eben diese Ulrichsberggemeinschaft als Teil der sogenannten Kärntner Heimatverbände über Jahrzehnte ein akzeptiertes Heimkehrertreffen auf dem Mons Carantanus organisierte. Ein Treffen, bei dem nicht nur der Überlebenden des Weltkriegs auf deutscher Seite gedacht wurde, sondern vielmehr ein Treffen, bei dem auch Abordnungen von Veteranen anderer Nationen beteiligt waren. Und ob da auch unbelehrbare Nostalgiker und finstere Reaktionäre teilnahmen, spielte seinerzeit eine untergeordnete Rolle. Das Land Kärnten, vertreten durch seine Spitzenrepräsentanten, das Bundesheer und Traditionsträger der verschiedensten Art trugen das Ulrichsbergtreffen. Und verständlicherweise galt es für Politiker jeglicher Couleur als durchaus angebracht, dort auch aufzutreten.
So eben auch der heutige Chef des Verfassungsschutzes von Kärnten. Ändern sollte sich dies erst in den Jahren nach 2009.
So erscheinen die Angriffe auf den neu bestellten Kärntner Verfassungsschutz-Chef also als Ausfluss einer heuchlerischen Moral, die politische Verhaltensweisen der Vergangenheit nach heutigen Maßstäben beurteilt. Im Gegensatz dazu ist allerdings im Lichte jüngster Erkenntnisse der Bestellungsmodus des Herrn Tauschitz näherer Betrachtung wert. Dass der zweifellos kompetente und qualifizierte Exekutivbeamte der einzige Bewerber für den Posten war – ein zweiter Wiener Bewerber hatte angeblich zurückgezogen –, gibt doch zu denken. War die Besetzung dieses Spitzenpostens etwa Frucht eines jener „sideletter“, die gegenwärtig heftig diskutiert werden? Welche Rolle spielte dabei das Innenministerium, das bis vor kurzen von Karl Nehammer geleitet wurde? Und gab es da Absprachen in Kreisen der Kärntner Regierungskoalition? Diese Fragen wären im Hinblick auf den neuen Verfassungsschutzchef Kärntens wesentlich interessanter als seine einstigen Grußworte auf dem Ulrichsberg.


Von Postenschachern und Parteibuchwirtschaft

2. Februar 2022

Wie hieß es in den Zeiten der alten großen Koalition und des rot–schwarzen Proporzes so treffend: In der verstaatlichten Industrie gibt es jeweils drei Direktoren, einen schwarzen, einen roten, und einen, der die Arbeit macht. Und tatsächlich war die alte Parteibuchwirtschaft des rot–schwarzen Proporzsystems ein Krebs im politischen System der Zweiten Republik, welches zurecht von oppositionellen Gruppierungen, wie etwa den Freiheitlichen unter Jörg Haider und Strache oder den von links außen kommenden Grünen, kritisiert und bekämpft wurde. Postenschacher, Freunderlwirtschaft und die Besetzung von Spitzenpositionen nach Parteibuch-Präferenzen müssten abgeschafft werden, wichtige Funktionen im Staat und in der Wirtschaft müssten vielmehr ausgeschrieben und nach objektiven Kriterien ausschließlich nach Kompetenz und Fähigkeiten besetzt werden.
Soweit, so fromm. Dass nun just die beiden genannten politischen Bewegungen, die rechts stehenden Freiheitlichen und die von weit links kommenden Grünen durch die Veröffentlichung der so genannten „sideletter“, welche es zu den Koalitionsabkommen zwischen Türkis–Blau und danach zwischen Türkis–Grün gibt, desavouiert werden, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Wenn die Freiheitlichen zuerst schon unter Norbert Steger, dann unter Jörg Haider sowie zu guter Letzt unter HC Strache jahrelang gegen die Parteibuchwirtschaft der alten großen Koalition zwischen SPÖ und ÖVP getrommelt hatten, um dann danach – kaum dass sie selbst in den Ministerien und der Regierung saßen – flugs den alten Proporz zu einem Proporz unter der Einbeziehung von Blau machen wollten, war dies schon ein Sündenfall. Besonders großen Erfolg hatten sie damit allerdings nicht. Von der Ära Norbert Stegers und der damaligen rot–blauen Koalition blieben allenfalls einige Sektionschefs noch für Jahre in den Ministerien, die indessen längst auf dem Altenteil oder verstorben sind. Von der schwarz–blauen Koalition und deren schwarz–orangen Nachfolger sind eigentlich nur mehr Strafprozesse in Erinnerung, wie sie gegen den einstigen Star im Finanzministerium Karl-Heinz Grasser geführt werden. Und jene Postenbesetzungen, die im „sideletter“ der Regierungsbildung von 2017 von der Strache-FPÖ durchgesetzt wurden, sind auch schon Geschichte. Dies deshalb, da die Grünen, die der FPÖ als Koalitionspartner der Volkspartei nachgefolgt sind, sofort nach Amtsantritt gnadenlos, konsequent und beinhart umgefärbt haben und alle blauen Restposten, und seien sie noch so kompetent gewesen, eliminiert haben. Alles, was Norbert Hofer zum Beispiel als Infrastrukturminister an Personalentscheidungen im freiheitlichen Sinne gesetzt hatte, wurde von Gewessler ebenso flugs wie knallhart eliminiert.
Und damit sind wir schon beim zweiten „sideletter“. Da sichern die Grünen den Türkisen Dinge zu, die vor Regierungsantritt für alle Linksgrüne als absoluter Sündenfall gegolten hätten, etwa das Kopftuchverbot für Lehrerinnen. Und dafür gewährt die türkise Familie der grünen Gang den einen oder anderen schönen Spitzenposten. So soll etwa der Wahlkampfleiter des ach so überparteilichen Herrn Bundespräsidenten Lothar Lockl Kuratoriumsvorsitzender im ORF werden. Er, der gegenwärtig sein Dasein als „Berater des Bundespräsidenten“ fristet – wie viel verdient man da? – ist natürlich ein ausgewiesener Medienexperte und seine Bestellung wäre natürlich keinerlei Postenschacher, so zumindest die grüne Lesart. Und die Zustimmung der Grünen zum Kopftuchverbot ist laut Kogler schlicht und einfach „ein Nullum“, weil dies der Verfassungsgerichtshof ohnedies gekippt hätte. Mit diesem Versuch den türkis–grünen „side letter“ zu verniedlichen, erweist sich Schmähführer Kogler als veritabler Lügenbeutel, weil er sagt, er hätte mit diesem „Nullum“ nur Rücksicht auf die „Psychologie der ÖVP“ nehmen wollen.
So ist also Postenschacher gewissermaßen eine Usance der österreichischen Innenpolitik. Eine Usance, die es nicht nur in Zeiten des rot–schwarzen Proporzes gegeben hat. Und natürlich sind solche Absprachen über Postenbesetzung und Ähnliches, die geheim, jenseits der offiziellen Koalitionsverträge getroffen werden, keineswegs ungesetzlich. Vielmehr sind sie schlicht üblich und auch notwendig, wie uns gegenwärtig der eine oder andere Wortspender mitteilt.
Da muss allerdings schon gesagt werden, dass es gesetzliche Vorgaben für die Besetzung von Spitzenposten wie die Notwendigkeit von Ausschreibungen und der Objektivierung gibt. Es mag zwar legitim sein, Persönlichkeiten des eigenen Vertrauens in jene Positionen zu hieven, die die Politik beziehungsweise die Regierung besetzen kann, dass aber die Betreffenden über entsprechende Fähigkeiten und die notwendige Kompetenz verfügen müssen. Diese kann man im Hinblick auf Postenbesetzungen von 2017 Persönlichkeiten wie den Eisenbahn-Spitzenmanager Arnold Schiefer oder dem gegenwärtigen Nationalbankgouverneur Holzmann, der zuvor immerhin Direktor bei der Weltbank war, kaum absprechen. Beide wurden von den Freiheitlichen nominiert. Ob man gleiches von einem Wahlkampfleiter der Präsidentschaftswahl im Hinblick auf die Führung des ORFs sagen kann, darf dagegen bezweifelt werden.


Die ­vermaledeite toxische ­Männlichkeit

2. Februar 2022

Über Machos, Verbalerotiker und Weicheier – ein Abgesang auf die Männlichkeit

Noch vor einer Generation hieß es, „ein Indianer kennt keinen Schmerz“, wenn Knaben einander hierzulande bei Raufereien einander irgendwelche Verletzungen zufügten. Noch eine Generation vorher beschwor man Jungen, die „hart wie Kruppstahl, flink wie Windhunde“ und dergleichen mehr sein sollten. Zu Kaisers Zeiten sang man „aufs Pferd Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd, in die Freiheit gezogen, im Felde, da ist der Mann noch was wert, da wird das Herz noch gelobt“. Schon die alten Lateiner wussten „pueri pueri sunt“. („Buben sind Buben“).
Doch die Zeit, in der Buben Buben sein durften und Männer Männer sein sollten, entschlossen, tapfer und hart, diese Zeiten sind längst vorbei. Die gesellschaftliche Entwicklung der letzten fünf Jahrzehnte, wohl in der Nachfolge der 68er-Revolte und des linken Aufbruchs, hat Schritt für Schritt ein völlig anderes Männerbild erzeugt. Und das nicht nur in unseren Breiten, sondern wohl in allen westlichen Industriestaaten, begonnen von den USA über Westeuropa bis hin in den postkommunistischen Osten unseres Kontinents.
Gewissermaßen als Kehrseite des Feminismus wurden die herkömmlichen Bilder von Männlichkeit und Mannesmut schrittweise stigmatisiert, ja sogar kriminalisiert. Betrachten wir uns die Entwicklung anhand der fünf Lebensstadien, welche der Mann üblicherweise zu durchleben beziehungsweise zu durchleiden hatte: am Beispiel des Knaben, des Jünglings, des jungen Vaters, des reifen Mannes und des Greises.
Es begann damit, dass Buben nicht mehr raufen durften. Wilde Spiele oder gar Kriegsspiele wurden verpönt, statt Lagerfeuerromantik gab es die Montessori-Schule und Mamas Liebling durfte das Lockenköpfchen unbeschnitten zur Schau stellen.
Der Jüngling, im rustikalen alpenländischen Bereich eher als Halbstarker anzutreffen, welcher dereinst seine spätpubertäre Unsicherheit mit Großspurerei und Kraftmeierei zu überspielen suchte, der sich vielleicht als James Dean-Verschnitt stilisierte oder wie der junge Hardy Krüger zur Fremdenlegion wollte, war spätestens mit Beginn der 70er Jahre primär von der Sorge erfüllt, wie er seine Wehrdienst-Untauglichkeit nachweisen könnte. Und da, wo früher bei der Landjugend oder bei der örtlichen Feuerwehr Unmengen an Bier vertilgt wurde, entdeckte man plötzlich die Kifferei und der eine oder andere kam mit oder ohne Nachhilfe darauf, dass schwul sein eigentlich recht chic sein kann.
Der junge Mann nunmehr, von dem es einst hieß, er strebe nach Verantwortung, suche seinen Platz im Leben, in der Berufswelt und wolle eine Familie gründen, um Frau und Kind ein Heim zu schaffen, dieser junge Mann pflegt heute sein zweites Postgraduate-Studium in den USA zu machen, ist möglicherweise bereits Investmentbanker oder zumindest einer der neuen Väter, der sein einziges, in vitro gezeugtes Kind im Papa-Monat betreut, frustriert darüber, dass er es nicht zu stillen vermag.
Der reife Mann dann, der früher am Höhepunkt seiner Karriere zu stehen hatte oder zumindest durch langjährige Arbeit bescheidenen Wohlstand für sich und seien Familie erkämpft hatte, dieser reife Mann befindet sich heute nach seiner zweiten Scheidung im Burn-out oder im Sabbatical-Jahr Unkraut jätend in einem israelischen Kibbuz. Bestenfalls zelebriert er seine Midlife-crisis, enttäuscht ob seinen schwachen Handicaps am Golfplatz und der allzu geringen Unterstützung seiner Freunde vom Lions Club bei der Bewerbung um den Posten eines Abteilungsleiters.
Der alte Mann schließlich, der Greis, der einst vom Kreise seiner Kinder und Kindeskinder geliebt und bewundert seine Lebenserfahrung weitergeben durfte, dieser betagte Mann ist heute als typisches Beispiel eines „weißen alten Mannes“ Ziel von Häme und Hass. Er und seinesgleichen seien schuld am Elend der Menschheit, an der Klimakatastrophe und der Miss­achtung der Menschenrechte in den Krisengebieten des Planeten.
Doch Ironie beiseite: Tatsächlich hat sich das Männerbild und das Bild, das sich die Männer von sich selbst machen, seit den 70er Jahren so massiv geändert wie nie zuvor seit der Jungsteinzeit. Vielleicht hat davor ja in vorhistorischen Perioden das Matriarchat geherrscht. Das Patriachat jedenfalls, das mit der Ausnahme von irgendwelchen Naturvölkern weitgehend die Menschheitsgeschichte seit Jahrtausenden bestimmt, wurde in diesen letzten Jahrzehnten gründlich und wohl endgültig abgeräumt. Die Rolle des Mannes als Familienvorstand, als Beschützer und Ernährer seiner Familie, gilt heute als atavistisches, zu überwindendes Relikt aus dunklen Zeiten.
Die Attitüde des Frauenhelden, des Casanovas, dem die Damenwelt schmachtend zu Füßen liegt, oder auch des Dr. Faustus, der das verführte Gretchen schmählich im Stiche lässt, diese Rolle ist der Lächerlichkeit preisgegeben. Der Macho gilt in der westlichen Welt als einigermaßen primitive Jammergestalt. Restbestände des früheren Machismo gibt es vielleicht noch für den „Latin Lover“ und für die als primitiv geltende Maskulinität, wie sie vielleicht noch in der islamischen Welt die Regel ist.
Die politisch korrekte Beziehung des modernen Mannes der emanzipierten Frauen gegenüber setzt für den sexuellen Bereich gewissermaßen schon einen vorhergehenden Notariatsakt voraus. Einst als rustikales Brauchtum geltende Verhaltensweisen wie Po-Tätscheln sind heute in eben jenem Maße geächtet wie Sexualmorde. Anzügliche Witze, ja sogar das, was man einst als Kompliment gegenüber Frauen verstanden hat, wird heute als massive sexuelle Belästigung, wenn nicht gar als Schändung gebrandmarkt. Testosterongesteuerte junge Männer und deren Verhaltensweisen bis hin zum sogenannten „Antanzen“ werden jedoch im Falle von minderjährigen Schutzsuchenden speziell aus dem islamischen Kulturkreisen als sozialadäquat betrachtet.
Nur noch im Kreise schlichter Gemüter können sich Restbestände von Machos in Form von Verbalerotik ausleben, wobei das Internet eine Überfülle von sexualisierten Inhalten bietet, die in einer zunehmend asexuellen Männerwelt vereinsamenden Ausgleich bietet.
Das Idealbild des neuen Mannes ist damit jenes des klassischen „softies“ geworden, der metrosexuell oder „divers“ sein Inneres möglichst augenfällig nach außen zu kehren hat, dieser neue Mann verabscheut natürlich jegliche Gewalt, ist aber andererseits natürlich sportlich gestählt.
Sein heißes Begehren gilt dem Klimaschutz, sein Engagement der „Black Lives Matter“-Bewegung und sein Weltbild ist natürlich „woke“. Er schwankt zwischen dem Erwerb eines Elektroautos und dem Modell von Car-Sharing, und wenn ihn primitive Zeitgenossen Sitzpinkler, Warmduscher oder dergleichen nennen, fühlt er sich in seinem Engagement gegen Rechts nur bestätigt.
Dieser neue Mann wird sich naturgemäß gegen Anmache seiner Frau oder Freundin etwa durch antanzende muslimische Jugendliche natürlich nicht zur Wehr setzten, da dies ja rassistisch wäre. Und seine einstige Teilnahme an Randale-Aktionen des Schwarzen Blocks hat er längst als Jugendtorheit verdrängt, ist er doch seit Jahr und Tag Gemeinderat der Grünen.
Und sollte sich da oder dort versteckt noch der eine oder andere Vertreter der alten Männlichkeit finden, einer, dessen Lebensziel es ist, seine Familie bestmöglich zu versorgen, der der Wehrpflicht genügt hat und dem das Leistungsprinzip im beruflichen Leben und in der Zivilgesellschaft am Herzen liegt, einer, der seine Söhne noch Buben sein lässt, der seine Vorväter nicht vergessen hat, dem sein Vaterland am Herzen liegt, der seine Heimat liebt und der Mut, Treue und Wahrhaftigkeit für selbstverständlich hält, einem solchen Exemplar antiquierter Männlichkeit sei ins Stammbuch geschrieben: Deine Zeit ist vorbei – oder?