Das unberechenbare Volk

2. Juli 2016

Noch am Tage des Referendums in Großbritannien glaubte man aufgrund der Umfragen und der politischen Analysen, dass das Pro-EU-Lager zwar knapp, aber doch obsiegen würde. Anderntags war dann alles anders. Mit solider Mehrheit sprachen sich die Briten für den Brexit aus. Und die EU-Nomenklatura in Brüssel fragte erstaunt: Ja, dürfen sie denn das?
Und so passiert es immer wieder, dass die Demokratie den Herrschenden auf den Kopf fällt. Das unbotmäßige Volk wagt es, anders abzustimmen, als die Mächtigen voraussagen und verlangen. Da heißt es dann fl ugs, dass man zum Opfer populistischer Hetze oder Polemik geworden sei. Und die unverfrorensten Stimmen aus den herrschenden Kreisen meinen gar, dass es eben gewisse Themen gäbe, über die das Volk gar nicht abstimmen dürfe. Der EU-Austritt Großbritanniens sei genau eine solche Angelegenheit gewesen, und nun müssten das die Briten bitter bereuen.
Überhaupt gab es ja im Bereich der EU die merkwürdigsten Verhaltensweisen im Hinblick auf Referenden. Bei den Volksentscheiden über die geplante EU-Verfassung etwa ließ man so lange und häufi g abstimmen, bis das Ergebnis im Sinne der Brüsseler Pseudo-Eliten passte. Wir erinnern uns an die irischen Referenden. Nun scheint man ganz beleidigt zu sein, dass dies in England nicht ebenso möglich ist.
Dann gibt es dann natürlich Themenbereiche, über die man, wie gesagt, gar nicht mehr abstimmen darf. Diese betreffen die grundlegenden Rechte von Menschen und Bürgern, etwa, ob Schwule heiraten oder Kinder adoptieren dürfen – das wird bereits als eine Art Menschenrecht hingestellt, über das sich jedes Referendum selbstverständlich verbietet. Überhaupt heißt es, eine Mehrheit dürfe eine Minderheit nicht schlechter stellen. Ganz so, als wäre es bei einer demokratischen Abstimmung nicht gang und gäbe, dass eben die Mehrheit bestimmt, was die Gemeinschaft und damit auch die Minderheit zu tun und zu lassen hat.
Demokratie ist ein schönes Wort für Sonntagsreden, sie ist ein Vehikel für den eigenen Machterhalt, aber sie darf um Gottes Willen nicht so weit ausarten, dass das Volk wirklich damit erreicht, was es will. Insgeheim denken diese politisch korrekten Machteliten, dass das Volk dumm, ungebildet und einer Mitentscheidung nicht fähig bzw. nicht würdig sei. Die Arroganz einer Oligarchie, die längst zur Ochlokratie, zur Lumpenherrschaft, geworden ist, droht die Demokratie in Europa zu zerstören. Auch aus diesem Grunde muss man die Entscheidung der Briten durchaus verstehen und respektieren. Wenn schon eine Oligarchie herrscht, dann wenigstens die eigene und nicht jene aus Brüssel.