Metapolitische Überlegungen zur Hofburg-Wahl
Das nationalliberale Lager, die freiheitliche Gesinnungsgemeinschaft, und in ihrem Gefolge deren politische Repräsentanz, also zuerst der Verband der Unabhängigen und dann die Freiheitliche Partei Österreichs, sie waren so etwas wie die Zuspätgekommen der Zweiten Republik, Stiefkinder der aus den Ruinen des Zweiten Weltkriegs wiedererstanden Republik. Belastet mit der allzu einseitig ihnen zugeordneten Hypothek des Nationalsozialismus und der NS-Ideologie, ausgegrenzt und diffamiert war dieses Lager, waren die betreffenden Parteien doch immer Teile der politischen Landschaft der Alpenrepublik. Sie schafften es, so etwas wie semi-etablierte Parteien zu werden mit einem Fixplatz im parlamentarischen Geschehen, weitgehender Repräsentanz in allen Bundesländern und Mitwirkung in vielen Gemeindestuben des Landes. Diese merkwürdige Zwitterstellung ermöglichte einerseits Fundamentalopposition und die politische Vereinnahmung des Protests gegen Regierung und Herrschende.
Auf der anderen Seite war dadurch ein wirklicher Ausschluss aus dem Verfassungsbogen (Copyright Andreas Khol) oder gar die Kriminalisierung beziehungsweise Parteienverbote so gut wie unmöglich. Eine wirkliche Volleinbeziehung in das politische System der Zweiten Republik aber war nie möglich, obwohl es zweimal, einmal in einer rot-blauen Koalition und einmal in einer schwarz-blauen Koalition versucht wurde.
Die letztgültige Emanzipation dieses politischen Lagers und der von ihr getragenen Partei scheint erst nun, im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, zu gelingen, da die Freiheitlichen zur stärksten politischen Kraft des Landes aufzusteigen scheinen. Zu einer Partei, die dadurch sui generis Regierungsanspruch erhebt und – wie in diesen Tagen – auch den Anspruch auf das höchste Staatsamt, den Sitz in der Hofburg nämlich.
Dies mag nun einerseits die Frucht jahrzehntelanger Arbeit und großen politischen Beharrungsvermögens sein, wobei die Freiheitlichen sich von einer nationalliberalen Honoratiorenpartei zu einer Art plebiszitärer Volkspartei neuen Typ entwickelt haben, die alle Schichten der Bevölkerung, alle Generationen und alle Berufsstände anzusprechen vermag. Es mag auch an der politischen Qualität des Führungspersonals liegen, das über alle Brüche und Zäsuren hinweg, Parteispaltungen, Wahlniederlagen und darauffolgende Neuorientierung auf Linie blieb.
Letztlich aber liegt der Erfolg der letzten Jahre wohl daran, dass die etablierten politischen Kräfte, die in der Nachkriegszeit ans Ruder kamen, sich schlicht und einfach überlebt haben und nun nicht in der Lage sind, den großen Herausforderungen des neuen Jahrhunderts Paroli zu bieten. Globalisierung, Europäisierung, Massenmigration, die Erosion der gewachsenen Sozialsysteme und ganz allgemein der Beginn eines zunehmend chaotischer werdenden Zeitalters überfordern die herkömmlichen Polit-Eliten. Quer durch Europa, aber auch in den anderen westlichen Industriestaaten sind es somit plebiszitäre Emanzipationsbewegungen – von ihren Gegner zumeist als „rechtspopulistisch“ gescholten – die hier als Systemalternativen auftreten.
Gerade die Freiheitlichen als österreichischer Sonderfall, mit ihrem Charakter als semi-etablierte Partei haben hier idealtypisch die Chance ergriffen, eine fundamentaloppositionelle Systemalternative darzustellen, die sich den Dogmen der neuen Zivilreligion der Political Correctness widersetzt. Gleichzeitig aber verfügt sie über gefestigte, landesweite Strukturen und im Kern über eigene politische Eliten aus dem traditionellen nationalliberalen Lager, was für ideologische Konsistenz und personelle Kontinuität sorgt. Sie ist daher nicht nur in der Lage, daraus resultierende Wahlkämpfe erfolgreich zu führen, sondern auch entsprechende staatstragende Verantwortung zu übernehmen. Ihr zweimaliges Scheitern, in den bereits zitierten Varianten einer rot-blauen und einer schwarz-blauen Koalition, lag weniger im eigenen Unvermögen begründet, als vielmehr in der relativen Schwäche der Partei. Erst jetzt, da sie aus eigener Kraft zumindest ein Drittel der Wähler auf sich zu vereinen vermag, und somit ohne sie keine verfassungsändernde Mehrheit im Lande mehr möglich ist, könnte sie die Stärke haben, um auf Dauer auch Regierungsarbeit zu tragen und zu dominieren. Das fehlende strukturelle Hinterland, das die alten Parteien in den Restbeständen des Kammerstaates hatten, und das fehlende mediale Hinterland wird man künftighin in gewissen Ansätzen noch schaffen müssen, beziehungsweise – was die Medien betrifft – verstärkte Aktivitäten in den sozialen Medien, also im Bereich der Internet-Medien setzen müssen. Diesbezüglich sind die Freiheitlichen des Heinz-Christian Straches ohnedies schon höchst erfolgreich und aktiv.
In der Tat dürfte der Aufstieg der FPÖ zur stimmenstärksten Partei im Lande bis hin zur kommenden Nationalratswahl kaum zu verhindern sein. Und ob der freiheitliche Kandidat für das höchste Staatsamt (in wenigen Tagen nach Verfassen dieses Textes) tatsächlich eine Mehrheit der österreichischen Wähler hinter sich zu versammeln vermag und in die Hofburg einzieht, wird man sehen. Tatsache ist jedenfalls, dass er trotz des Gegenwinds aller etablierten Medien, aller etablierten Parteien und der gesamten Zivilgesellschaft, von den Gewerkschaften bis hin zu den Kirchen, von der Kunstszene bis hin zur Wissenschaft, rund die Hälfte aller österreichischen Wählerstimmen erlangen kann.
So gesehen ist insbesondere die Wahl für das Amt des Bundespräsidenten von hohem symbolischem Wert. Auch wenn das höchste Staatsamt in Österreich längst nicht mit ähnlichen Vollmachten ausgestattet ist wie etwa in Frankreich oder in den USA, wäre die Wahl eines aus dem Kreise der Freiheitlichen stammenden Bundespräsidenten dennoch nicht nur für Österreich eine Sensation, sondern wohl auch weltweit für alle Medien. Und es würde zweifellos beweisen, dass die Emanzipation dieses Lagers gelungen ist und dass die FPÖ längst absolut in der Mitte der Gesellschaft der Alpenrepublik angekommen ist.
Möglicherweise aber ist diese Jahrhundertchance auch eine der letzten Chancen. Man darf nicht vergessen, dass es eine Schwäche der FPÖ ist, auch etabliert zu sein. Und im Falle von noch katastrophaleren Entwicklungen und vor allem im Falle, dass es ihr nicht gelingt, diesen mit radikalen Lösungen zu Leibe zu rücken, könnte sie dann sehr wohl auch den Unwillen der Wähler ernten. Überdies ist das gegenwärtig so erfolgreiche Führungspersonal der Partei nunmehr auch schon langgedient und der Schmelz der unmittelbaren Jugend und der Zauber des ist längst politischer Routine gewichen.
Dazu kommt ein demographisches und strukturelles Problem, dass nämlich die Zusammensetzung der Wahlbevölkerung durch die Massenmigration so rasch und dramatisch verändert wird, dass möglicherweise in etlichen Jahren, spätestens aber wohl innerhalb einer Generation, ein Wahlerfolg einer Partei der autochthonen Bevölkerung, die sich der historisch gewachsenen Identität von Land und Volk verschrieben hat, kaum mehr möglich sein wird. In einzelnen Wiener Bezirken ist diese Situation bereits heute gegeben und es stellt sich die Frage, ob in der Bundeshauptstadt, wo in vier und neun Jahren die nächsten Wahlgängen planmäßig anfallen müssten, freiheitliche Wahlsiege rein mathematisch noch denkbar sind.
Zwar wird es möglich sein, integrationsfähige und integrationswillige Zuwanderer, etwa aus dem Bereich des christlich-abendländisch orientierten Balkans, auch für eine Partei zu gewinnen, die der angestammten Identität des Landes verpflichtet ist. Allein darauf aber werden sich Wahlerfolge in der Zukunft nicht begründen lassen. Und der demographische Schwund der autochthonen Bevölkerung, der Geburtenrückgang und die Überalterung der angestammten Österreicher scheinen gegenwärtig durch nichts aufzuhalten zu sein.
Darüber hinaus kommt ein gewisser Gewöhnungseffekt im Hinblick auf die „Segnungen“ der neuen multikulturellen und multiethnischen Gesellschaft, die unser Land seit der Massenmigration prägt. Zwar liest man tagtäglich von Kriminalität, von Gewaltverbrechen und auch von Terroranschlägen, die nur im Umfeld der Migration möglich geworden sind. Eine gewisse Abstumpfung des Medienkonsumenten ist aber auch diesbezüglich gegeben. Möglicherweise erfasst die Menschen diesbezüglich eine Art Fatalismus, so nach dem althergebrachten österreichischen Motto „da kann man halt nichts machen“.
All diese Faktoren könnten dazu führen, dass der Zenit des freiheitlichen Aufstiegs und der Wahlerfolge der Partei irgendwann einmal, früher oder später, überschritten sein wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Erfolg bei Nationalratswahlen mit rund einem Drittel der Wählerstimmen und ein Einzug in die Hofburg die Höhepunkte dieses politischen Aufstiegs darstellen, ist relativ hoch. Umso mehr wird es notwendig sein, diese Erfolge zu nutzen und in politische Maßnahmen umzusetzen, deren Ziel man verkürzt als „Rettung Österreichs“ bezeichnen kann.
Wenn die Freiheitlichen unter Jörg Haider zu Beginn des 21. Jahrhunderts unter dem Motto „Österreich neu regieren“ in eine Koalition gegangen sind, so wird es die Strache-FPÖ wohl unter dem Motto „Österreich retten“ tun müssen. Längst sind Land und Leute nämlich im Notwehrmodus und die historische Legitimation der freiheitlichen Erfolge wird nur gegeben sein, wenn die FPÖ die politische Verantwortung im Sinne der Lösung dieser vitalen Probleme von Land und Volk zu nützen vermag. Letztlich geht es um die Erhaltung der nationalkulturellen Identität der autochthonen Österreicher und die Erhaltung und den Ausbau der heimischen Sozialsysteme, sowie die Erhaltung und sinnvolle Weiterentwicklung unserer Kulturlandschaft und auch unseres materiellen Wohlstandes. All dies wird nur bei Erhaltung beziehungsweise Wiedergewinnung einer relativen Souveränität der Republik möglich sein und nicht ohne Widerstandsmaßnahmen gegen europäischen Zentralismus und Globalisierung vonstatten gehen können.
Der Stopp der Massenzuwanderung und die Repatriierung illegaler Zuwanderer, aber auch die Integration von integrationsfähigen und integrationswilligen Einwanderern wird nur ein Teil einer künftigen volkserhaltenden Politik sein. Eine Familienpolitik im Sinne von generationenübergreifender Solidarität und des Muts zu eigenen Kindern wird ein weiterer wichtiger Bereich sein. Der Wiederaufbau eines tragfähigen ökonomischen Mittelstandes, einer Bildungspolitik, die diesen Namen verdient, und einer Förderung von Kunst und Wissenschaft, die die Republik wieder europaweit und weltweit an die Spitze der Entwicklung bringen sollte, werden ebenso vonnöten sein.
Dies alles bedeutet gewaltige Herausforderungen für ein kleines Land und für eine Partei, die sich als Alternative zum abgewirtschafteten Politsystem der Altparteien versteht. Die Chance besteht jetzt. Ob der Wähler den Freiheitlichen ermöglichen wird, sie zu ergreifen, wird sich zeigen. Wahlen zu gewinnen ist allerdings nur eine Sache, dann mit diesen Erfolgen wirkliche Reformpolitik zu betreiben eine andere. Dazu gehört Überzeugung, Mut und viel politische Fortune.