Eine Nation schafft sich ab

22. Oktober 2020

Gedanken zum österreichischen Nationalfeiertag

Wenn Österreich am 26. Oktober alljährlich seinen Nationalfeiertag begeht, ist dies der Tatsache geschuldet, dass gesamtgesellschaftlich weitgehend die Existenz einer eigenständig österreichischen Nation akzeptiert wird. Dies ist bekanntlich erst seit wenigen Jahrzehnten der Fall. Wenn es in der Habsburger Monarchie völlig unbestritten hieß, dass das Gebiet der heutigen Republik Österreich das Territorium der deutschen Erblande des Kaiserhauses sei, wenn es in der Ersten Republik noch ebenso unbestritten hieß, Österreich verstehe sich als der „bessere Deutsche Staat“, so entwickelte man nach der Niederlage Hitler-Deutschlands und der Wiederbegründung der Republik im Jahre 1945 zunehmend die Vorstellung, dass Österreich eine ethnisch und kulturell eigenständige Nation sein solle und müsse.
Da argumentiert man, dass man ethnisch in Folge der alten Monarchie so etwas wie ein Mischvolk sei und dass auch die Kultur unverwechselbare eigene Züge träge, die uns von der deutschen Kulturnation abtrennen würden. Ebenso hieß es sarkastisch: „Was uns von den Deutschen trennt, ist die gemeinsame Sprache“, wobei man tatsächlich versuchte, ein eigenständiges österreichisches Deutsch zu entwickeln. Insgesamt jedenfalls setzte man, von der alten Herder’schen Konzeption der Sprach- und Kulturnation abgehend, auf das Konzept einer eigenständigen Staatsnation. Und während der 26. Oktober ursprünglich als „Tag der Fahne“, dann als „Staatsfeiertag“ gefeiert wurde, ist er nunmehr – weitestgehend unbestritten – seit Jahrzehnten eben unser Nationalfeiertag.
Kaum begründet und allgemein akzeptiert, scheint sich diese Nation aber nunmehr auch schon wieder abzuschaffen. Und dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Einerseits natürlich die Europäisierung. Wer von den „Vereinigten Staaten von Europa“ träumt, überdies gar von einem europäischen Nationalbewusstsein, ist implizit bereit, ein eigenes separates Nationalbewusstsein preiszugeben. Das steht außer Frage. Die ökonomische Globalisierung und die weltweite Kommunikation und Mobilität führen zusätzlich dazu, dass sich regionales Sonderbewusstsein relativiert, wenn nicht gar wieder auflöst. Ein kleinstaatliches Nationalbewusstsein, wie es seit 1945 im Zuge der Konstituierung der österreichischen Nation propagiert wurde, hat dem gegenüber verständlicherweise eine zunehmend schwache Prägekraft.
Auch der bereits seit den Fünfzigerjahren stets steigende intensive ökonomische Austausch zuerst mit der Bundesrepublik Deutschland und dann, nach 1989/90, mit dem wiedervereinigten Deutschland führte dazu, dass die Konstituierung einer eigenen österreichischen Nation als Antagonismus zur alten deutschen Volks- und Kulturnation zunehmend schwierig wurde. Die menschlichen Querverbindungen durch Österreicher, die in Deutschland leben und arbeiten und umgekehrt, sowie der intensive mediale Kontakt führten dazu, dass eine ethnisch und insbesondere kulturell eigenständige österreichische Nation zunehmend unrealistisch und unrealisierbar wurde. Intensive gegenseitige Arbeitsmigration und ein nach ökonomischen Notwendigkeiten geformter Medien-Markt bedingen die weitgehende Kongruenz einer gerne zitierten Österreichischen Kulturnation mit der gesamten „German speaking world“.
Abgesehen von diesen Faktoren ist es aber die Massenmigration aus dem nichteuropäischen Bereich, welche die junge österreichische Nation in den letzten Jahrzehnten zunehmend infrage stellt. Erst jüngst wieder bei der Wiener Landtags- und Gemeinderatswahl wurde deutlich, dass tendenziell nahezu die Hälfte der Wohnbevölkerung der österreichischen Bundeshauptstadt mit nichtdeutscher Muttersprache sich keineswegs als Angehörige einer österreichischen Kulturnation empfinden kann. Dies ist sogar nach den Kriterien der viel beschworenen Integration für weite Bereiche der Zuwanderer-Population denkunmöglich.
Beispielsweise können sich auch noch so gut integrierte Türken – und auch solche mit guten Sprachkenntnissen und österreichischer Staatsbürgerschaft – wohl kaum als Angehörige der österreichischen Nation fühlen. Gerade sie empfinden sich weitestgehend nach wie vor als nationalstolze Osmanen.
Und ähnlich dürfte es sich bei den meisten anderen Zuwanderungspopulationen verhalten. Ausnahme davon sind allenfalls jene Migrantengruppen, die aus dem benachbarten Bereich Österreichs stammen, die ehemals zu Habsburger Monarchie gehörten: Serben, Kroaten, Slowenen, Ungarn, Tschechien und Slowaken dürften sich weit schneller integrieren, ja assimilieren und könnten sich somit sehr wohl als integrierte Teile einer österreichischen Staatsnation empfinden – trotz ihrer andersnationalen Wurzeln.
Wer nun argumentieren wollte, dass gerade die österreichische Nation als Frucht des alten kakanischen Völkergemischs eine Zuwanderungsnation durch Integration verschiedenster Völkerschaften aus aller Welt sein könnte, übersieht, dass die meisten Zuwendungspopulationen ihre National­sitten und Gebräuche, ihre Wurzeln und ihre Sprache keineswegs aufgeben wollen, sondern weit eher dazu neigen, Parallelgesellschaften zu bilden, um sich solcherart gewissermaßen als neue Volksgruppen innerhalb des österreichischen Staatsgefühles zu konstituieren.
Diese Zuwanderungs-Communities – und davon gibt es dutzende, mit jeweils mehr als etwa 10.000 Menschen – haben jedes andere Interesse, nur nicht jenes, sich in eine österreichische Volks- und Kulturnation zu integrieren. Österreichische Staatsbürger sein, das österreichische Sozialsystem zu nutzen, das natürlich ja! Aber einen Assimilationsprozess durchzumachen, um wirklich integrierter Bestandteil einer österreichischen Kulturnation zu sein – dieses Interesse besteht mit Gewissheit in nur höchst geringem Maße.
Wenn also die autochthonen Österreicher durch weitere Massenzuwanderung und weit größeren Kinderreichtum der Zuwanderungspolulationen in wenigen Generationen zur Minderheit im eigenen Lande zu werden drohen, könnte sich eine eigenständige österreichische Nation als eher kurzlebiges Konstrukt erweisen, das in einem multikulturellen, multiethnischen und multichaotischen Europa, in einer destabilisierten Konfliktgesellschaft obsolet wäre.
Staatsbürgerliche Loyalität beziehungsweise auch Respekt von Zuwanderern ohne Staatsbürgerschaft, könnte die Republik sehr wohl von der gesamten Wohnbevölkerung verlangen. Mögen sich die autochthonen Österreicher in ihrer großen Mehrheit einer österreichischen Nation zugehörig fühlen, ein kleiner Teil von ihr vielleicht noch der alten deutschen Kulturnation, so sollte diese Loyalität und dieser Respekt auch von den Menschen mit Migrationshintergrund eingefordert werden. Die Hoffnung, dass dieser früher oder später ein integrierter Bestandteil einer österreichischen Kulturnation wird, kann daneben bestehen bleiben, allerdings dürfte dies einen länger andauernden Zeithorizont erfordern. „Nation-Building“ ist nämlich ein Prozess, der nicht von heute auf morgen vonstatten geht. Und diese politische, aus Opportunität­ geborene Idee einer österreichischen Nation, als Abkopplung von der deutschen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Zusammenbruchs des Deutschen Reiches, ist wohl selbst noch so wenig gefestigt und historisch noch so wenig gesichert, dass die zusätzliche Integration von Menschen mit Migrationshintergrund aus dem außereuropäischen Bereich überaus schwierig sein dürfte.
Ob also eine österreichische Nation Mitte dieses Jahrhunderts noch existent sein wird, ist alles andere als gewiss.


USA – eine Wahl, die uns alle angeht

22. Oktober 2020

In wenigen Tagen wählen die US-Amerikaner ihren neuen Präsidenten. Und obwohl der demokratische Kandidat Joe Biden in den Umfragen vorne liegt, wagen es die Politexperten nicht vorherzusagen, wer gewinnen wird. Wir in Europa haben diesbezüglich eine relativ einseitige Wahrnehmung. Unsere Mainstreammedien hängen zumeist am Tropf von linksliberalen amerikanischen Medienunternehmungen, wie der „Washington Post“ oder der „New York Times“. Und diese neigen dazu, alles, was Trump von sich gibt und was er tut, negativ zu interpretieren und zu kommentieren. Demgemäß ist dann die Berichterstattung der europäischen Medien, beziehungsweise auch der innerhalb Österreichs.
Dabei wird übersehen, dass Trump mit seinem Slogan „America First“ insbesondere im ländlichen Amerika über eine gewaltige Anhängerschaft verfügt. Und Dreiviertel der republikanischen Wähler sind den Evangelikalen zuzuordnen und diese fundamentalistischen Christen, insbesondere im flachen Land und im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten, sind unerschütterliche Anhänger des gegenwärtigen Präsidenten.
Wer Trump ausschließlich nach seinen skurrilen Medienauftritten, nach seinen einigermaßen grotesken Meldungen auf Twitter beurteilt, irrt sich gewaltig. Zwar ist Milliardär – und der Beruf des Milliardärs scheint den Charakter der Menschen generell zu verderben – nach europäischen Maßstäben verhaltensauffällig. Er und seine Leute scheinen aber doch nach einem klaren ideologischen Muster vorzugehen. Allein die jüngste Bestellung der neuen Höchstrichterin Amy Coney Barrett, einer geradezu fanatischen Katholikin und Abtreibungsgegnerin, Mutter von sieben Kindern, beweist dies. Und sein Motto „America First“ hat sich in den Wirtschaftsdaten der USA auch durchaus positiv niedergeschlagen. Zwar sind diese durch die coronabedingten ökonomischen Folgen im Moment auch schwer unter Druck. Insgesamt aber hat Trump den amerikanischen Unternehmen durchaus Aufwind beschert. Und was seine Außenpolitik betrifft, so war von Anfang an klar, dass er mit diesem Motto „America First“ nicht europäische Interessen im Auge haben würde. Gegenüber der Europäischen Union und insbesondere gegen Deutschland hat Trump immer eine Linie eingeschlagen, die keineswegs als freundlich bezeichnet werden kann. Dies, obwohl er gerade wieder jüngst am Tag der Deutsch-Amerikaner sein eignes deutschamerikanisches Erbe betonte und die Verdienste der Einwanderer in die USA lobte.
Entgegen ursprünglich anders gerichteten Vermutungen brach Trump jedenfalls keinen US-amerikanischen Krieg vom Zaun. Ihm, dem man aufgrund seinen skurrilen Verhaltens zugetraut hätte, dass er leichterdings den ominösen roten Knopf drücken könnte, muss man attestieren, dass er globalen Mitbewerbern wie China und Russland eine zwar entschiedene Haltung einnahm, letztlich aber den Frieden wahrte. Und gegenüber Sorgenkindern der internationalen Politik, wie etwa Nordkorea, ließ er durchaus Verhandlungsgeschick und friedensstiftende Initiativen erkennen.
Insbesondere seine Politik im Nahen Osten war doch einigermaßen von Erfolg gekrönt. Dass es nunmehr möglich erscheint, dass Israel mit den Golfstaaten zu einem friedlichen Auskommen gelangt – mittelfristig sogar mit Saudi-Arabien – ist denn doch ein Erfolg der Diplomatie der Trump-Administration. Und das primäre Sorgenkind im Nahen Osten, nämlich Syrien und der dortige Bürgerkrieg, sind eher der verfehlten Politik seines Vorgängers Barack Obama zuzurechnen und nicht politischen Fehlern Trumps.
Dennoch dürften auch konservative Europäer, auch hier in Österreich, ein unbehagliches Gefühl im Falle einer Wiederwahl Trumps haben. Allzu unberechenbar, allzu skurril in seinen Auftritten, allzu polemisch in seinen persönlichen Attacken gegenüber seinen politischen Gegnern, scheint der bisherige US-Präsident zu sein. Ob sein demokratischer Gegner im Falle einer Präsidentschaft allein aufgrund seines hohen Alters ein besserer Präsident wäre, darf allerdings auch bezweifelt werden. Bei Joe Biden könnte indessen seine Vize-Präsidentin als erste farbige Frau zum Zug kommen. Aber all das ist ungewiss. Und ungewiss ist auch, ob weiter eine zukünftige Regierung Trump II oder eine Biden-Regierung, weltpolitisch positiv im Hinblick positiv auf Europa oder die europäische Union wirken wird. Aber es ist eben so, wie Otto von Bismarck vor 150 Jahren feststellt: „Nationen haben keine Freunde, sie haben Interessen.“ Und das US-amerikanische Interesse ist nun mal nicht jedes der Europäer. So gesehen war Donald Trump vielleicht nur ehrlicher, als viele seiner Vorgänger, die auch in Europa, wie John F. Kennedy, Bill Clinten oder Barack Obama als Lichtgestalten galten.


Ein schleichender „Lockdown“?

15. Oktober 2020

Die Freiheit wird schrittweise eingeschränkt, nur als „Lockdown“ werden diese Maßnahmen nicht bezeichnet

Österreich befindet sich längst in der zweiten Welle der Corona-Pandemie, ließ uns der Bundeskanzler jüngst wissen. Sein Gesundheitsminister allerdings beteuerte entgegen anderslautenden Gerüchten, dass es keinen zweiten Lockdown für das Land geben könne. Das könne er „sich nicht vorstellen“. Und aus Kreisen der Wirtschaft vernehmen wir in Anbetracht der diversen Horrormeldungen über Firmenzusammenbrüche und Massenentlassungen von Arbeitskräften, dass das Land einen zweiten Lockdown wirtschaftlich nicht überleben könnte.
Die täglichen Meldungen indessen, die wir aus dem Staatsfunk vernehmen, die Schlagzeilen in den Mainstream-Medien schüren die einschlägige Sorge in der Bevölkerung. Immer neue Rekordzahlen an Infizierten und auch – zumindest leicht –
steigende Zahlen im Bereich der Hospitalisierten und der belegten Intensivbetten. Längst sind es mehr als zur Zeit des Höhepunkts der ersten Coronawelle im März und April dieses Jahres. Längst hören wir eben solche Horrormeldungen auch aus den Nachbarstaaten und dem übrigen europäischen Bereich. In Frankreich und Spanien wurden die Hauptstädten zerniert, in Tschechien und der Slowakei der Notstand ausgerufen und andere Länder, wie etwa Israel, sind längst im neuerlichen Lockdown. Reisewarnungen werden ausgesprochen, und diesmal nicht von Österreich im Hinblick auf andere Staaten, sondern umgekehrt: von Nachbarstaaten gegenüber Österreich. Den Wintertourismus hat man in Tirol und Vorarlberg wohl bereits abgeschrieben, da dieser ohne bundesdeutsche Gäste kaum vorstellbar ist. Und allenthalben fürchtet man neue Grenzschließungen.
In Österreich selbst hat sich die sommerliche Euphorie, wonach man glaubte, die Coronakrise überwunden zu haben und gut daraus hervorgegangen zu sein, längst verflüchtigt. Eher verwirrende Maßnahmen der Bundesregierung schüren neben den angstschürenden Medienmeldungen zusätzlich Verunsicherung. Nach der im Frühjahr propagierten Corona-App des Roten Kreuzes ist die von der Regierung eingeführte Corona-Ampel der zweite Flop in der Seuchenbekämpfungs-Politik. Ob die Ampel grün, gelb, orange oder rot ist, ob sie länderweise oder bezirksweise gilt, oder auch nur in einzelnen Tälern, ob sie für Schulen gilt, für Kunstinstitutionen und Sportstätten, kein Mensch kennt sich diesbezüglich mehr aus und die Menschen interessieren sich dafür auch kaum mehr.
Dennoch werden die Corona-Maßnahmen der Regierung ständig verschärft. In der Bundeshauptstadt Wien, die sich scheinbar zu einem Hotspot der Seuche entwickelt hat, wurden die Maßnahmen im Bereich der Gastronomie bereits drastisch verschärft. Vorgezogene Sperrstunden, Maskenpflicht, Registrierungspflicht für die Gäste schaffen ein Klima, dass die Freude am Konsum merklich bremsen dürfte. Ein wirkliches Anspringen der Wirtschaft und des Handels findet also durch die in erster Linie psychologisch wirksamen Maßnahmen der Regierung kaum statt. Und all diese Verschärfungen werden nach und nach je nach Infektionslage wohl auch in den anderen Bundesländern um sich greifen. Und auch wenn es keine Ausgangsverbote gibt, wenn Geschäfte und Lokale zumindest beschränkt noch offenbleiben, wenn die Schulen noch nicht generell geschlossen werden, bahnt sich offenbar schleichend auf diesem Wege ein neuer Lockdown an. Apropos Schulen: Man denkt ja ernsthaft daran, die heuer erstmals eingeführten Herbstferien gleich um eine Woche zu verlängern und das in einer Zeit, in der der Schulbetrieb dank diverser Schließungen einzelner Schulen und einzelner Klassen und der damit verbundenen Quarantäne von Lehrkräften ohnedies reduziert ist, ebenso reduziert wie der Betrieb an den Universitäten. Dort will man das vielgepriesene E-Learning, das in Wahrheit nur sehr begrenzt funktioniert, offenbar weitgehend beibehalten. Und was die soziale und ökonomische Situation betrifft, so scheint die wahre Krise erst zu beginnen. Die jüngsten Massenentlassungen und der breitflächige Jobverlust in vielen Bereichen der Industrie – man denke an Swarovski, man denke an MAN in Steyr und an das Hotel Sacher in Wien, etc. – scheint erst der Anfang zu sein. Die ohnedies schon überproportional hohe Arbeitslosigkeit im Lande dürfte sich im Zuge des Winters, wenn die Kurzarbeit ausläuft, noch weiter auf ein Maß steigern, das wir in der Zweiten Republik bislang noch nicht kannten.
Der nunmehr prognostizierte dramatische Einbruch des Bruttoinlandsprodukts muss zweifellos auf Grund des weitgehenden Ausfalls der touristischen Wintersaison noch weiter ansteigen. Und die sprunghaft zugenommene Staatsverschuldung – ein Phänomen, das über Österreich weit hinausgeht – wird sich kurz- und mittelfristig wohl auch auswirken. Abzuwarten bleibt, wie weit es zu inflationären Entwicklungen kommt und die Kaufkraft der österreichischen Transferleistungen, der Arbeitslosengelder also, der Pensionen sowie auch der Gehälter dramatisch sinkt. Erst dann, wenn die Arbeitslosigkeit breitflächig spürbar ist, der Einkommensverlust dramatisch wird, werden die Österreicher und Österreicherinnen die Krise also wirklich am eigenen Leib verspüren.
Was Ausgangs- und und Reisebeschränkungen betrifft, so werden diese vielleicht nicht in dem Maße kommen, wie wir sie im März und April erleben mussten. Allein die Lust, mit Maske in den Straßen zu flanieren und sich in jeder Gaststätte registrieren zu lassen und peinlich auf größtmöglichen Abstand zu seinen Mitmenschen zu achten, dürften enden wollend sein. Und Auslandsreisen werden aufgrund der diversen Reisewarnungen und der Notwendigkeit, sich danach testen zu lassen oder in Quarantäne zu gehen, ohnedies drastisch eingeschränkt werden.
So scheint also ein schleichender Lockdown auf uns zuzukommen, der allerdings von der verantwortlichen Politik ganz sicher nicht als solcher bezeichnet werden wird. Seine Auswirkungen auf unser individuelles Leben als Bürger, die Einschränkungen unserer Grundrechte werden ähnlich sein, wie wir sie in den Frühjahrstagen erleben mussten. Und die katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen werden uns auch nichts erspart bleiben. Daran werden die Message-Control der Bundesregierung und die Schönfärberei des grünen Gesundheitsministers kaum
etwas ändern.


Blaue Kapitalflucht

15. Oktober 2020

Das eigentliche Kapital einer politischen Bewegung, die sich als nonkonformistisch und fundamental systemkritisch versteht, ist völlig zweifelsfrei das Vertrauen ihrer Anhänger und ihrer potentiellen Wähler. Das Vertrauen darin, dass eben diese Bewegung oder politische Partei in zentralen Überlebensfragen des Gemeinwesens wirklich anders agiert und anders ist als die etablierten politischen Kräfte. Im Falle der österreichischen Freiheitlichen bestand das im Zuge ihres Aufstiegs in der Ära Haider und danach in der Ära Strache das Vertrauen eines guten Drittels der Österreicher darin, dass sie gegen Parteibuchwirtschaft und Nepotismus auftreten würden, dass sie für politische Sauberkeit und gegen Korruption eintreten würden und dass sie grundsätzlich für die Interessen der autochthonen Österreicher, gegen Massenzuwanderung und linke Multi-Kulti-Illusionen wären. Dieses Vertrauen wurde durch Ibiza und die Folgeereignisse um Straches Spesenskandal grundsätzlich erschüttert. Auch die Rolle des Anwalts der autochthonen Österreicher gegen Massenzuwanderung wurde den Freiheitlichen von der türkisen Truppe abgenommen.
Politische Kapitalflucht großen Stils also, dieser Vertrauensverlust der vormaligen freiheitlichen Wähler. Dies wurde bei der Wiener Wahl in diesen Tagen in geradezu brutaler Art und Weise bewiesen. Der Absturz in der Wählergunst von 31 Prozent auf kaum acht Prozent ist der eindeutige­ Beweis dafür.
Dabei muss sine ira et studio gesagt werden, dass der freiheitliche Spitzenkandidat Dominik Nepp wahrscheinlich noch Schlimmeres durch seinen durchaus gelungenen Wahlkampf verhindert hat. Ohne ihn wären es vielleicht noch zwei, drei Prozent weniger geworden, wodurch das Team HC womöglich gleich gelegen und womöglich in den Landtag gekommen wäre. Aber all das ist bereits Vergangenheitsbewältigung! Nun stellt sich vielmehr die Frage, wie es künftighin weitergehen soll. Die Aussage des Bundesparteiobmannes Norbert Hofer, dass man nunmehr die Talsohle erreicht habe und es ab nun nur mehr aufwärts gehen könnte, ist diesbezüglich auch nur als einigermaßen banaler Zweckoptimismus zu bezeichnen. Von selbst nämlich und automatisch wird es keineswegs aufwärts gehen. Dazu bedarf es vielmehr massiver Anstrengungen und intensiver Arbeit, wie das der junge Generalsekretär Schnedlitz am Wahlabend im ORF erläuterte. Und es wird mittelfristig ganz ohne Zweifel auch einer inhaltlichen Neuorientierung und einer personellen Neuaufstellung bedürfen.
Was die Inhalte betrifft, so hat sich in Wien gezeigt, dass es zu wenig ist, eine Einthemen-Partei zu sein. Natürlich hat man vor fünf Jahren, am Höhepunkt der Flüchtlingskrise, mit dem Migrationsthema massiv bei den Wählern gepunktet. Wie leicht einem ein solches Thema allerdings von der politischen Konkurrenz abgenommen werden kann, hat der politische Erfolg der türkisen Truppe um Sebastian Kurz bewiesen. Zweifellos wird es nicht notwendig sein, das Rad neu zu erfinden. Die Freiheitlichen müssen sich vielmehr nur auf ihre Grundwerte besinnen. Als Erben der großen nationalliberalen Bewegung sind sie national im Sinne des eigenen Volkes, der eigenen Kultur und patriotisch im Hinblick auf unsere Republik. Und liberal müssen sie sein als Hüter der Grund- und Freiheitsrechte, des freien Wortes und der Meinungsfreiheit und dazu kommt die nationale Solidarität, also das soziale Eintreten für die Bürger des eigenen Gemeinwesens.
Die Vergangenheit der Freiheitlichen war die einer nationalliberalen Bewegung. Die Zukunft kann nur eine Freiheitspartei sein, die nationale Identität, nationale Souveränität und nationale Solidarität vertritt.
Und das an den tagespolitischen Notwendigkeiten herauszuformen und glaubwürdig zu vertreten, wird harter Arbeit bedürfen und das auch über lange Zeiträume. Das Bohren harter Bretter ist laut Max Weber bekanntlich das Wesen
jeder erfolgreichen Politik.
Und was das Personelle betrifft, so wird die Generation 50 plus, die in der Ära Strache politisch gewachsen sind, nicht umhin können, engagierten Jungen eine Chance zu geben, um sie mittelfristig auch für Führungsaufgaben aufzubauen. Sie müssen Gelegenheit haben, menschlich und politisch zu wachsen.
Das betrifft keineswegs nur den jeweiligen Bekanntheitsgrad, sondern vor allem die weltanschauliche Verwurzelung und Tiefe.
Die blaue Kapitalflucht, der breitflächige Vertrauensverlust der Wähler, wie wir ihn bei der jüngsten Wiener Wahl feststellen mussten, muss aber nicht
irreversibel sein.
Der größte Teil der freiheitlichen Wiener Wähler ist in den Nichtwählerbereich gegangen, hat also keineswegs den Weg zurück zur SPÖ genommen oder über die Versprechungen von Sebastian Kurz zur ÖVP gefunden. Dieser Bereich ist mittelfristig für die Freiheitlichen wieder ansprechbar. Ihm muss die Vertrauensarbeit der Partei gelten.


Was ­feiert Kärnten eigentlich?

7. Oktober 2020

100 Jahre Volksabstimmung

Was Kärnten eigentlich feiere? Kuriose Frage. Ist doch klar, die Erhaltung der Landeseinheit im Verbund mit Österreich durch einen direktdemokratischen Akt, eben das Plebiszit vom 10. Oktober 1920. Und wenn es keinen großen Landesfestzug wie in den vergangenen Jahrzehnten gibt und, coronabedingt, keine großen Publikumsfeiern, so doch eine Festsitzung der Landesregierung im Klagenfurter Wappensaal, Kranzniederlegungen in Annabichl und bei den Gräbern der wichtigsten Akteure jener Jahre, bei denen von Landesverweser Arthur Lemisch, vom Landeskommandanten Ludwig Hülgerth und vom Historiker Martin Wutte.
So schön, so gut. Verschämt verschwiegen wird dabei allerdings, aufgrund welcher politisch-ideologischer Haltungen vor 100 Jahren der Kampf um diese Landeseinheit und das darauffolgende Plebiszit zustande kam. Von welchen Motiven und Hoffnungen die wichtigsten damaligen Akteure getrieben wurden. Die erinnerungspolitische Gratwanderung, die Kärnten diesbezüglich in unseren Tagen beschreitet, wird bei einem Exponenten von Abwehrkampf und Volksabstimmung deutlich, nämlich bei Hans Steinacher. Wenn eben dieser Tage rund um das 100-jährige Jubiläum auf einem Abstimmungsdenkmal, dass der gemeinsamen „Heimat Kärnten“ gewidmet ist, auch eine Gedenktafel gestiftet ist, erheben sich sofort heftige Proteste: Man könne einem der sichtbarsten Nazis Kärntens doch kein Denkmal setzen. Steinacher sei ein „völkischer Ideologe“ gewesen, gewissermaßen ein rechter Berufsrevolutionär, der zwischen Kärnten und dem Burgenland, dem Rheinland und Oberschlesien in alle Nachkriegs-Grenzkonflikte jener Jahre verwickelt gewesen sei. Möglicherweise sei er sogar in politische Morde verwickelt gewesen, auf jeden Fall dann in der Folge einer gewesen, der als „Reichsführer“ im Verein für das „Deutschtum im Ausland“ für sich in Anspruch genommen hat, „dem Führer treu gedient“ zu haben.
All diese Anwürfe sind nicht von der Hand zu weisen. Relativiert werden sie allenfalls dadurch, dass eben dieser Hans Steinacher bereits 1937 bei den NS-Größen in Berlin in Ungnade fiel, weil er sich gegen den Verzicht auf Südtirol wandte, und dass er 1942 bei der Aussiedlung der Kärntner Slowenen energisch in Berlin dagegen protestiert hatte. Und das all in Zeiten, als Widerstand gegen die Nazis doch wenig aussichtsreich erschien.
Aber abgesehen vom Abwehrkämpfer und Organisator der Volksabstimmung Steinacher gilt es auch, die anderen Exponenten Kärntens aus jenen Tagen in Augenschein zu nehmen. Und da erweist sich, dass das, was man Steinacher vorwirft, nämlich ein völkisch denkender Deutschnationaler gewesen zu sein, auf nahezu alle politisch Denkenden des damaligen Kärntens zutrifft: Der Landesverweser Arthur Lemisch, Burschenschafter und langjähriger deutschnationaler Reichsratsabgeordneter, war zwar ein gutbürgerlicher Politiker der älteren Generation, der in der Folge mit den aufkommenden Nazis wenig am Hut hatte. Der nachmalige Kärntner Landeshauptmann und Vizekanzler der Ersten Republik, Vinzenz Schumy, gehörte dem deutschnationalen Landbund an und war zweifellos ideologisch auf derselben Linie wie Lemisch, auch wenn er sich ab 1934 mit dem klerikalen Ständestaat arrangierte und nach 1945 für die ÖVP antrat. Und sogar die Sozialdemokraten, die damals in Kärnten tätig waren, waren Mitglieder der „Sozialdemokratischen Deutschen Arbeiterpartei“, einer Partei, die insbesondere in den Jahren 1918/1919, geführt von Karl Renner und Otto Bauer, am vehementesten für den Anschluss der jungen Republik Deutsch-Österreich an das Deutsche Reich eintrat.
Und was die jüngere Generation der Kärntner Kämpfer im Abwehrkampf und für die Volksabstimmung betrifft, nämlich Hans Steinacher, Karl Fritz oder Alois Maier-Kaibitsch – samt und sonders pulvergeschwärzte, gediente Offiziere des Ersten Weltkriegs –, so waren sie vom gleichen deutschnationaler Geist beseelt, nur radikaler halt als die ältere Generation. Viele von ihnen wurden in den Jahren und Jahrzehnten nach dem Plebiszit Sympathisanten, Mitläufer oder gar wesentliche Akteure des Nationalsozialismus -– allen voran Maier-Kaibitsch, der im Wesentlichen für die Aussiedlung der Kärntner Slowenen verantwortlich zeichnete. Und zumeist waren sie auch überzeugte Deutschnationale mit massiver antislawischer
Haltung.
Das heißt also, dass für die damaligen Zeitgenossen der Kärntner Abwehrkampf zumeist sehr wohl ein Kampf um das „Deutschtum“ im Kärntner Grenzland war und das Eintreten für die Landeseinheit im Verbund mit der jungen Republik Deutschösterreich sehr wohl auch ein Kampf für die gesamtdeutsche Republik war, für die damals eigentlich alle wesentlichen politischen Kräfte, nicht nur in Kärnten, sondern auch im Wiener Parlament, eintraten. Steinachers Aussage in seinem 1942 erschienen Erinnerungsbuch an Abwehrkampf und Volksabstimmung, wonach man „Österreich nicht sagen wollte, Deutschland nicht sagen durfte, also habe man Kärnten gesagt“, ist insofern verständlich, als man damals „Österreich“ noch primär mit Habsburg identifizierte und „Deutschland“ von den Siegermächten im Vertrag von Saint Germainja verboten wurde. Und richtig ist zweifellos, dass der damalige Landespatriotismus und insbesondere auch die Pro-Kärntnen-Haltung weiter Teile der slawischstämmigen Bevölkerung, die sich eben nationalslowenischen Zielen verweigerte, es ermöglichte, um dann in der Volksabstimmung vom 10. Oktober ein
pro-österreichisches Ergebnis zu erlangen.
Wenn heute aber diese politisch-ideologischen Werthaltungen der damaligen politischen und militärischen Akteure stigmatisiert, ja kriminalisiert, im harmlosesten Falle verschwiegen werden, dies im Falle von Hans Steinacher – zumindest von linker und radikalslowenischer Seite – geschieht, stellt sich zu Recht die Frage: Was feiert Kärnten heute? Den Triumph des Deutschnationalismus gegen die damaligen südslawischen Einigungsbestrebungen? Oder etwa die direkt-demokratische Legalisierung der Zwangsgermanisierung der slawischen Bevölkerung in Unterkärnten?
Mit Sicherheit nicht! Vielmehr ist es die Erhaltung der historisch gewachsenen territorialen Landeseinheit und eines Gemeinwesens, das ein ebenso historisch gewachsenes multiethnisches Zusammenleben von deutscher Mehrheitsbevölkerung und slowenischer Minderheit samt einem entsprechenden schwebenden Volkstum ermöglicht hat. Und was die ideologischen Haltungen und politischen Motive der damaligen Kärntner Akteure betrifft, wird man sie in historischer Wahrhaftigkeit und intellektueller Redlichkeit eben als dominanten Teil des damaligen Zeitgeistes betrachten müssen. Sie alle waren Kärntner Kinder ihrer Zeit, geprägt vom damaligen Zeitgeist und ihre jeweilige Biographie war geprägt von den Irrungen und Wirrungen der Zeit, die sie durchleben mussten – auch deren häufige Nähe zum Nationalsozialismus.
Wenn heute im Geiste der Kärntner Konsensgruppe die Kämpfe in Kärnten im Jahre 1918/1919 dergestalt uminterpretiert werden, dass beide Seiten im guten Glauben „für ihre Heimat“ kämpften – sowohl die Kärntner Abwehrkämpfer als auch die slowenischen „Kämpfer um die Nordgrenze“ – ist dies ein Schritt in diese Richtung. Und das gemeinsame Opfergedenken, dass die Exponenten dieser Kärntner Konsensgruppe, Josef Feldner vom Kärntner Heimatdienst und Marjan Sturm vom Slowenischen Zentralverband, Jahr und Tag organisieren, ist der schlagende Beweis dafür, dass hier längst eine Historisierung der „Kärntner Frage“ vonstatten geht. Eine Historisierung eben, die es erlauben sollte, die damaligen Akteure eben als Kinder ihrer Zeit und ihres Zeitgeists zu betrachten, und das auf beiden Seiten des Konflikts. Eine Historisierung aber auch, die es uns erlaubt, die damaligen Ereignisse historisch wahrhaftig zu sehen und ihre positiven Ergebnisse ohne die Arroganz „der späten Geburt“ bloß aus unserer heutigen Sicht zu interpretieren. So gesehen kann Kärnten dieses
100-Jahr-Jubiläum mit Fug und Recht feiern.


Triumph für das Rote Wien?

7. Oktober 2020

Von Meinungsumfragen soll jeder halten, was er will. Dennoch wird schon einiges dran sein, wenn wir dieser Tage vernehmen, dass die Wiener Sozialdemokraten tendenziell in Richtung absolute Mehrheit marschieren. Und wenn dies auch übertrieben sein mag, steht doch fest, dass der amtierende Bürgermeister und SPÖ-Chef Michael Ludwig die Wiener Wahl am Sonntag
gewinnen wird.
Nun mag dies daran liegen, dass in Zeiten der Krise – und wenn es in Österreich eine Coronakrise gibt, dann ist sie vor allem in Wien situiert – die Menschen sich um die Regierenden scharen. Diese scheinen am ehesten Sicherheit zu vermitteln, ihnen traut man zu, die Probleme zu lösen. Experimente wie Regierungs- oder Parteienwechsel und neue Persönlichkeiten an der Spitze sind in solchen Zeiten wenig gefragt.
Der Wiener Bürgermeister, den die Ikone der heimischen Schwulenszene, der Organisator des verblichenen Live Balls vor Jahr und Tag als „verschlafenes Schnitzelgesicht“ – oder war es eine andere noble Apostrophierung – bezeichnete, hat aber auch einen wirklich guten Wahlkampf gefühlt: ruhig und gelassen, bürgernahe und doch mit großer Entschiedenheit hat er seinen Wählern den Eindruck vermittelt, dass die Stadt in der Vergangenheit und auch in der näheren Zukunft in guten Händen wäre. Das auf gegnerischen Wahlplakaten häufig herbei geschriebene Ende des Roten Wiens dürfte somit der Wunschtraum der türkisen, blauen, pinken und grünen
Spindoktoren bleiben.
Das Abschneiden aller anderen Parteien bleibt Begleitmusik. Zwar hat auch Dominik Nepp, der neue Wiener FPÖ-Chef, im Wahlkampf eine gute Figur gemacht: ruhig, gelassen, kompetent, aber auch konsequent in der Vertretung seiner politischen Ansichten und Forderungen, weiß er, dass er das schwere Los zu tragen hat, eine politische Niederlage zu verantworten, die sich gewaschen haben dürfte. Als Vertreter einer Partei, die sich seit den Ereignissen von Ibiza in einer Abwärtsspirale befindet, weiß er, dass die 31 Prozent der letzten Landtags- und Gemeinderatswahlen nicht zu halten sind. Die Frage für Nepp ist eher, ob er zweistellig bleibt und wie sehr die Abspaltung des vormaligen blauen Parteichefs ihm schaden wird. Gewiss ist allerdings, dass die Wiener Blauen auch nach dem 11. Oktober eine nicht zu überhörende Opposition und eine konsequente Stimme in Sachen Migrations­problematik bleiben werden.
Was den blässlichen Kurz-Intimus, den amtierenden Finanzminister Blümel betrifft, kann er natürlich nur gewinnen. Mit einer Ausgangslage von kaum neun Prozent landete die Wiener ÖVP bekanntlich bei den letzten Wiener Landtags- und Gemeinderatswahlen auf einem historischen Tiefpunkt. Diesen zu überbieten, wird nicht schwer sein. Ob sich die Übernahme vormals freiheitlicher Themen lohnen wird, bleibt abzuwarten.
Ob die Grünen den Bonus ihrer Themenführerschaft in Sachen Klimakrise in einen Wahlerfolg ummünzen können, oder ob sie viel mehr unter Führung einer radikalen-linken Gailtalerin einen Denkzettel verpasst bekommen für ihre schikanöse Kommunalpolitik und ihre paternalistische Coronapolitik auf Bundesebene, wird sich ebenfalls zeigen. Die türkise Truppe, die Grünen und die pinken NEOS sind im Grunde nur insofern ein politischer Faktor für Wien, als sie für den mutmaßlichen Wahlsieger Michael Ludwig zur Auswahl als Koalitionspartner zur Verfügung stehen. Spannend bleibt also eigentlich nur die Frage, welche Braut sich der Bürgermeister ins Rathaus holen wird und natürlich auch die Frage, wohin die vormals 31 Prozent FPÖ-Wähler wandern werden.
Gehen wirklich viele von ihnen zurück zur SPÖ, die sie in den Zeiten vor Haider und Strache zum Teil gewählt haben? Werden manche auf die xenophobe Verbalerotik der türkisen Kurz-Adepten hereinfallen? Gehen gar viele in den Nichtwählerbereich? Oder werden sie doch der FPÖ des Dominik Nepp die Treue halten? Eine politische Quantite negligeable wird Straches Obskurrantentruppe bleiben, ob knapp unter oder knapp über fünf Prozent.
Fest steht jedenfalls, dass das Rote Wien mit all seinen Vorzügen, aber auch all seinen Schwachstellen weiter bestehen bleibt. Der Ära der nationalliberalen Bürgermeister der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der prägenden Figur Cajetan Felders, danach bekanntlich die christlichsoziale Ära rund um Karl Lueger und dann mit der Gründung der Republik das Rote Wien, all dies ist Geschichte. Mit der nationalliberalen Ära wurde Wien zur Weltstadt: Die Hochquellenwasserleitung wurde errichtet, der Zentralfriedhof, es kam zur Donauregulierung, zum Bau des neugotischen Rathauses. In der christlichsozialen Ära unter Karl Lueger erreichte Wien um 1900 seine höchste kulturelle Blüte. Und das Rote Wien vermochte ein sozialpolitisches Modell von Weltrang zu etablieren. Mit den Unterbrechungen in der schwarzen Diktatur in den dreißiger Jahren und dem NS-Terrorregime konnte dieses Rote Wien eine Weltstadt mit der höchsten Lebensqualität verwalten. Ob dies allerdings wirklich nur der sozialdemokratischen Politik und nicht zuallererst dem Fleiß, der Disziplin und der Kreativität seiner Bürger zu verdanken ist, darf auch gefragt werden. Und diese Bürger bestimmen letztlich am 11. Oktober, wie es für die österreichische Bundeshauptstadt weitergehen wird.


Die neurotische Nation

1. Oktober 2020

Deutschland, 30 Jahre ­nach der Wiedervereinigung

Die Deutschen, Europas großes Volk der kontinentalen Mitte, 1000 Jahre Träger des abendländischen Reichsgedankens, staatlich zerrissen, kleindeutsch vereint im 19. Jahrhundert als die „zu spät gekommene Nation“, Quasi-Hegemonialmacht in Form des zweiten Deutschen Reichs, niedergerungen von globalen Koalitionen in zwei Weltkriegen, mit dem unauslöschbaren Makel – gewissermaßen eine weltgeschichtliche Erbsünde – des Holocaust behaftet, geteilt durch die Supermächte im Kalten­ Krieg, kleindeutsch wiedervereint, nunmehr
führende Macht in der Europäischen Union.
Dieses Deutschland konnte stets nur als Kulturnation begriffen werden. Die Herkunft seines Namens bezieht sich auf die Volkssprache thiutisk, deutsch sein hieß also, diese Volkssprache zu sprechen und diese Kulturnation existiert bis zum heutigen Tag in der „German speaking Word“ weit über die Grenzen der kleindeutsch wiedervereinten Bundesrepublik hinaus. Bis Österreich und Südtirol, bis in die Schweiz und in das Elsass, bis Eupen-Malmedy und Jütland, bis zu den deutschen Restvolksgruppen in Schlesien, in Böhmen, in der Zips, in Ungarn und am Balkan und natürlich auch in den Weiten Russ­lands und Kasachstans. Ob aber diese Kulturnation und ihr vor 30 Jahren kleindeutsch wiedervereinter Kernbereich, die Bundesrepublik Deutschland nämlich, den Anspruch, eine Nation zu sein, überhaupt noch erfüllen, bedarf näherer Betrachtung.
Das Volk – Die autochthonen Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland sind ein Volk im demographischen Niedergang. Vor 30 Jahren, als die alte Bundesrepublik Deutschland mit der Deutschen Demokratischen Republik vereint wurde, gab es an die 80 Millionen Bewohner, wovon nicht ganz sechs Millionen Ausländer beziehungsweise Menschen mit Migrationshintergrund waren, und sich etwa 74 Millionen Menschen nach den ius sanguinis, wie es laut Grundgesetz Gültigkeit hat, als autochthone Deutsche bezeichnen konnten.
Heute, 30 Jahre später, gibt es etwas mehr als 83 Millionen Einwohner der Bundesrepublik, wovon amtlichen Zahlen zufolge etwa 21 Millionen Migrationshintergrund haben, das heißt nicht mehr und nicht weniger, als dass die autochthonen Deutschen mit derzeit 66 Millionen Köpfen in diesen drei Jahrzehnten um nahezu zehn Millionen Menschen geschrumpft sind. Dies resultiert aus der dramatisch gesunkenen Geburtenrate und der Überalterung jener Bundesrepublikaner, die sich in unseren Tagen als „Biodeutsche“ verhöhnen lassen müssen. Eine Geburtenrate von kaum 1,5 Kindern pro Frau aus diesem Kreise der „indigenen Deutschen“ steht einer weit höheren Geburtenrate der Menschen mit Migrationshintergrund gegenüber.
Und so ist das heutige Deutschland ein multiethnisch geprägtes Land, wo es nahezu fünf Millionen Menschen türkischer Herkunft gibt, gut zweieinhalb Millionen Polen, aber auch etwa 1,2 Millionen Syrer und immerhin nahezu 1,5 Millionen Rumänen. Polen und Rumänien beweisen, dass die Bundesrepublik auch innerhalb der EU über große Anziehungskraft für Migranten verfügt. Während die europäischen Zuwanderer, allzumal wenn sie Christen sind, sich relativ leicht und auch im kürzeren Zeitrahmen integrieren, wenn nicht gar assimilieren können, ist dies bei den Muslimen aus den arabischen Bereich und aus Anatolien nur sehr schwer möglich. Ebenso schwer dürfte es für die Viertelmillion Menschen aus Afghanistan sein, oder für die nahezu 800.000 Schwarzafrikaner, die sich in Deutschland aufhalten. Letztere Gruppe dürfte sich in den kommenden Jahren noch massiv verstärken, da sich von den gegenwärtig 1,2 Milliarden Schwarzafrikanern dem Vernehmen nach ein erheblicheren Prozentsatz in Richtung Europa und da speziell nach Deutschland aufmachen würden, sobald es möglich ist.
Deutschland hatte im Jahr 1950 in der Bundesrepublik also etwa 50 Millionen Einwohner und in der „DDR“ 18 Millionen. Durch den skizzierten Schrumpfungsprozess gibt es in der Bundesrepublik Deutschland heute weniger autochthone Deutsche als vor 70 Jahren.
Die Kultur – Einst galten die Deutschen als „das Volk der Dichter und Denker“. Die deutsche Klassik, Goethe, Schiller, Lessing, der deutsche Idealismus, Kant, Schopenhauer, Hegel, sie kennzeichneten diese Kulturnation, einen Hort der schönen Künste und der Philosophie. Mit dem Entstehen des Bismarckschen Deutschen Reiches als de facto stärkste Macht Europas änderte sich dieses Bild. Nun hieß es, die Deutschen seien Träger von Militarismus und aggressivem Chauvinismus, würden gewissermaßen freudig Bürger eines harten Obrigkeitsstaats sein und dieses Bild spitzte sich natürlich dann im Dritten Reich, in der Zeit der NS-Despotie, entsprechend zu. Dass bereits in der Ära Bismarcks sozialstaatliche Mechanismen entwickelt wurden, die ihresgleichen in Europa suchten, und dass die sich daraus entwickelnde Ideologie der Volksgemeinschaft einen ökonomischen und sozial enorm leistungsfähigen Volkskörper zeitigte, war die Kehrseite dieses Obrigkeitsstaats. Die Verbrechen des Nationalsozialismus als Gipfelpunkt eines unseligen deutschen Sonderwegs bleiben für die Deutschen auf Dauer die schwere Hypothek ihrer Geschichte.
Nach 1945, umerzogen im Westen nach US-amerikanischen Propagandavorstellungen und entrechtet im Osten nach sowjetischen Dogmen, entwickelten sich die Bürger der Bundesrepublik Deutschland zu den leidenschaftlichsten Vertretern der westlichen Wertegemeinschaft und jene der Deutschen Demokratischen Republik zu den effizientesten Vertretern eines proletarischen Patriotismus. Dass daraus nach der kleinendeutschen Wiedervereinigung des Jahres 1990 sowohl eine reife Demokratie als auch ein saturierter Mitgliedstaat der Europäischen Union ohne hegemoniale Machtansprüche werden konnte, war zweifellos ein Segen der deutschen Geschichte.
Der schleichende Linksruck aber, der die bundesdeutsche Gesellschaft in den letzten 30 Jahren erfasste, initiiert zweifellos durch den neulinken „Marsch durch die Institutionen“, verschob das politische Wertegefüge radikal. Wenn heute die bundesdeutsche Gesellschaft alle politisch-ideologischen Modetorheiten der globalisierten Welt – ausgehend zumeist von den USA – über die Sozialen Medien blitzschnell übernimmt und mitmacht, ist dies nicht zuletzt eine Folge dieses Linksrucks. Bewegungen wie „Me too“, „Fridays for Future“ oder nunmehr „Black Lives Matter“ finden immer zuallererst in Deutschland die vehementesten Nachahmer, und ökologisierte Politik, Klima und Umweltschutz als Zivilreligion hat in Deutschland zweifellos mehr und leidenschaftlichere Anhänger als in allen anderen europäischen Ländern. Dies mag daran liegen, dass die Deutschen traditionell als naturverbundenes, dem „deutschen Wald“ verbundenes Volk galten. Dies nicht erst seit der deutschen Romantik des 19. Jahrhunderts, sondern wohl bereits aus ihrer germanischen Vorzeit heraus. Auch in der Blut- und Boden-Ideologie des National­sozialismus mag eine der subkutanen Wurzeln für diese
spezifisch deutsche Öko-Religiosität existieren.
Was aber die Erben des Volkes der „Dichter und Denker“ betrifft, so hat sich in den letzten 30 Jahren in der Bundesrepublik keineswegs alles zum Besseren gewendet. Zwar haben gut 50 Prozent der Deutschen Abitur – mit einem leichten Überhang der Frauen – und 30 Prozent der Deutschen zwischen 25 und 64 Jahren sind Akademiker, die Spitzenleistungen in der Wissenschaft aber sind im weltweiten Vergleich eher zurückgegangen. Seit dem Jahre 1901 haben die Deutschen 84 Nobelpreise abgeräumt, in den 30 Jahren seit 1990 waren es aber nur mehr 17, davon zwei in Literatur, drei in Chemie, fünf in Physik, sechs in Medizin und einer in Wirtschaftswissenschaften. Dennoch wird die Bundesrepublik Deutschland im weltweiten Vergleich als die „innovativste Nation der Welt“ gesehen und die Bundesrepublik Deutschland als EU-Mitgliedsland ist zweifellos gemeinsam mit Frankreich die Führungsnation dieses europäischen Staatenverbunds.
Innere Sicherheit, eine effiziente Verwaltung, ein einigermaßen ausgeglichenes politisches System – trotz des zuvor skizzierten Linksrucks – kennzeichnen das Land. Bei den letzten Bundestagswahlen des Jahres 2017 haben mit 32,9 Prozent für die CDU/CSU, 12,6 Prozent für die Alternative für Deutschland und 10,7 Prozent für die Freidemokraten nahezu 55 Prozent der bundesdeutschen Wähler eher konservativ bis rechts gewählt. Mit 20,5  Prozent für die SPD, 9,2 Prozent für die Linke und 8,2 Prozent für die Grünen waren es nur gut 40 Prozent der Bundesdeutschen, die Links gewählt haben. Im medialen Meinungsprozess und im gesamtgesellschaftlichen Gesamtdiskurs allerdings haben die Linken klar das Sagen. Dies mag an der „Sozialdemokratisierung“, wie sie die Christdemokraten unter Angela Merkel durchgemacht haben, liegen, oder eben auch an der kulturellen Hegemonie, die die neue Linke seit dem Jahr 1968 insbesondere in der
Bundesrepublik zu erkämpfen vermochte.
Nur mehr 27 Prozent der Bundesdeutschen sind römisch-katholisch, 24 Prozent Lutheraner und immerhin fünf Prozent Moslems. Religiosität spielt also auch im neuen Deutschland nur mehr eine
untergeordnete Rolle.
Die Wirtschaft – Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 3.344 Milliarden Euro ist die Bundesrepublik Deutschland die größte Volkswirtschaft der Europäischen Union. Der langjährige Exportweltmeister ist zwar im Jahre 2019 mit Exporten im Wert von
1,48 Billionen US-Dollar nur mehr an dritter Stelle hinter China (2,5 Billionen US-Dollar) und den USA (1,65 Billionen US-Dollar). In der Relation aber zur Bevölkerungsanzahl und zur Größe des Landes
hängen die Deutschen die Chinesen und
US-Amerikaner locker ab.
Wirtschaftlich war die deutsche Nachkriegsgeschichte zweifellos eine Erfolgsgeschichte. Sogar die Demontage der Industrie im besetzten Nachkriegsdeutschland erwies sich als ökonomischer Vorteil für die Deutschen. Sie führte nämlich zu einer schnellen Modernisierung der deutschen Industrie, was bei den Siegermächten, insbesondere bei den Briten und Franzosen, nicht der Fall war. Und dann kam bekanntlich der Marshallplan, der insbesondere in Deutschland den Start in das Wirtschaftswunder der Fünfzigerjahre ermöglichte. Die kleindeutsche Wiedervereinigung von 1990 und die EU-Osterweiterung des Jahres 2004 öffneten für die bundesdeutsche Wirtschaft überdies neue Märkte in Osteuropa. Insgesamt muss gesagt werden, dass Deutschland als Exportnation von der Globalisierung und dem Abbau von Handelsschranken überaus profitierte. Zwar waren und sind die Deutschen, sowohl innerhalb der Europäischen Union als auch weltweit, die globalen Zahlmeister, wenn es darum geht, Hilfe zu leisten. Interessanterweise aber verstand es die bundesdeutsche Wirtschaft immer, aus diesen überaus großen Leistungen, die sie zu erbringen hatte, Gewinne zu schöpfen.
Die wichtigste Sparte der Exportnation Deutschland ist zweifellos der Bau von Kraftfahrzeugen, sprich die Autoindustrie. Deutschland ist der weltweit führende Autoproduzent, wobei die Nobelmarken Mercedes, BMW und Audi global konkurrenzlos sind. Im Jahre 2018 arbeiteten in etwa 850.000 Deutsche in der Automobilindustrie, die Coronakrise allerdings zeigte, wie anfällig diese deutsche Automobilindustrie ist. Zweifellos wird es aber der „innovativsten Nation der Welt“ gelingen, auch diese Krise zu überwinden und neue Wege, etwas hin zum E-Antrieb oder zum Wasserstoffantrieb für die Automobile der Zukunft zu beschreiten. Wenn die Westdeutschen bis zur Jahrtausendwende ihre Identität und ihren Nationalstolz zumeist aus der Stärke ihrer Währung, der Deutschen Mark, zogen, ist es jetzt ihre Leistungsfähigkeit der
Exportindustrie.
Alles in allem müssen die Bundesdeutschen unserer Tage der Tatsache ins Gesicht sehen, dass sie zwar Bürger der stärksten Nation der Europäischen Union sind, Träger einer immens leistungsfähigen Exportwirtschaft und Bewohner eines Landes, das sich durch Frieden, Freiheit und Wohlstand auszeichnet. Eines Landes aber, dessen autochthone Bewohner durch Nachwuchsmangel und Überalterung sich im demographischen Rückzug befinden, und die durch die Hypotheken ihrer Geschichte und massive Fremdbestimmung schwer neurotisiert sind. Überdies können sie nicht über die Tatsache hinwegsehen, dass durch die massive Zuwanderung der letzten Jahre und Jahrzehnte ein multiethnischer Staat entstanden ist, der zunehmend die historisch gewachsene Kultur und die zivilisatorischen Standards des Landes und seiner Bewohner in Frage stellt. Und was ihre wirtschaftliche Existenz betrifft, so ist diese durch die coronabedingt ins Haus stehenden Verwerfungen höchst gefährdet. Als Exportnation ist die Bundesrepublik auf eine funktionierende Globalisierung angewiesen. Wenn diese zumindest partiell zusammenbricht, könnte ein guter Teil der deutschen
Exportwirtschaft dem Untergang geweiht sein.
Ob künftige Generationen einer multikulturellen Bevölkerung – in Erhaltung der traditionellen deutschen Sekundärtugenden – die bisher vorhandene Leistungsfähigkeit dieser deutschen Wirtschaft aufrechterhalten können, muss auch infrage gestellt werden. 30 Jahre nach der Wiedervereinigung des Jahres 1990 müssen wir heute fragen: Wie wird Deutschland in 30 Jahren, im Jahre 2050, aussehen? Die Aussichten sind nicht sonderlich rosig.


Ach, diese bösen Rechten!

1. Oktober 2020

Da wagt es US-Präsident Donald Trump doch glatt, eine „erzkonservative und tiefreligiöse“ Dame namens Amy Coney Barrett für die Position einer Höchstrichterin zu nominieren. Und das noch dazu als Nachfolgerein einer Ikone der Linksliberalen. Die Attribute „erzkonservativ“ und „tiefreligiös“ sind in unseren Mainstream-Medien alles andere als positiv gemeint. Tatsächlich kann man von der Mutter von sieben Kindern und zweifelsfrei hervorragenden Juristin annehmen, dass sie im US-amerikanischen Höchstgericht dafür sorgen wird, dass eher konservative Positionen zum Durchbruch kommen. Wie sich dies auf „Obama-Care“ und die amerikanische Abtreibungsgesetzgebung auswirken wird, darf abgewartet werden. Und die von vielen Amerikanern, insbesondere von den Demokraten erhobenen Einwände, es hätte der neugewählte US-Präsident diese Nominierung vornehmen sollen, ist auch nicht völlig von der Hand zu weisen. Auffällig ist allerdings, mit welcher Empörung und mit wieviel Häme die linken Zeitgeist-Apologeten in den Medien und in der Politik – vor allem in Europa – es kommentieren, wenn rechtsorientierte, konservative oder gar religiöse Persönlichkeiten in Spitzenpositionen vorrücken.
Mit welcher Heuchelei diese Haltung auch in Österreich zelebriert wird, hat sich jüngst wieder gezeigt, als der hochdekorierte Staatsliterat Robert Menasse zum Schlag mit der Faschismuskeule gegen den türkisen ÖVP-Kandidaten in Wien ausholte. Dieser unverschämte Gernot Blümel – als Finanzminister laut Menasse­ ein glatter Versager – wagte es doch glatt zu plakatieren, er wolle „Wien voran bringen“. Dabei stünden die Christdemokraten seit Anbeginn ihrer politischen Existenz, seit Karl Lueger also, nur für Rückschritt, Provinzialismus und finstere Reaktion – ganz im Gegenteil zum fortschrittlich-roten Wien. Und dabei verzichtet Menasse auf keines der gängigen Klischees: Karl Lueger sei natürlich ein Antisemit gewesen und sonst nichts. Insgesamt würde ein ÖVP-dominiertes Wien sich eher am Mittelalter orientieren als an den Bedürfnissen der
Zeitgenossen.
Nun darf man gespannt sein, welchen Literaturpreis Menasse in näherer Zukunft von Seiten der Stadt Wien zugesprochen erhält. Als mäßig origineller Essayist­ und ziemlich langweilender Romancier dürfte Menasse eher von Preisen leben als von Lesern. Und da kann es nur förderlich sein, wenn man zeitgerecht vor Wahlen das politisch korrekte „Juste Milieu“ bedient.
Alles in allem zeigt sich an diesen beiden skizzierten Beispielen wieder einmal, dass die kulturelle Hegemonie der Linken in Form des Marschs durch die Institutionen, den die Alt-68er erfolgreich beschritten haben und deren Vorherrschaft im Bereich der Medien, der Kultur und der zeitgeistigen Zivilgesellschaft absolut gegeben ist.
Der türkise Kandidat in Wien allerdings könnte sich beim Groß-Poeten bedanken. Unfreiwillig zwar, aber doch, hat dieser für ihn gewiss Wahlwerbung betrieben. Und was Donald Trump betrifft, so dürfte dieser nach dem Motto handeln: Was stört es die Eiche, wenn sich die Säue an ihr wetzen? Er zieht seine politische Linie, die für Europäer gewiss bisweilen merkwürdig anmutet, durch, koste es, was es wolle. Und selbst wenn er in wenigen Wochen aus dem Weißen Haus abgewählt werden könnte, prägt er mit Bestellungen wie jener von Amy Coney Barrett die politische Landschaft der USA auf Dauer. Und das ist es zweifellos, was die Linken weltweit empört.