Sensationssiege für die EU-kritische und patriotische Rechtsparteien in Frankreich, ebenso wie in England. Der Front National der Marine Le Pen und die United Kingdom Independence Party des Nigel Farage, haben in ihren Ländern die vergangenen EU-Wahlen für sich entscheiden können. Und zwar erdrutschartig und deutlich. Sie haben die Mitbewerber aus dem politischen Establishment jeweils deklassiert und mit der Parole „los von Brüssel“ mit einem mehr oder weniger deutlichen EU-Austritts-Kurs gesiegt.
Nun ist es ja schön und gut, wenn Marine Le Pen davon spricht, daß endlich Politik von Franzosen für Franzosen und für Frankreich gemacht werden müsse und wenn Nigel Farage meint, daß England endlich wieder unabhängig von außen, insbesondere von Brüssel, sein eigenes Schicksal gestalten möge. Was aber bedeutet das abgesehen von England und Frankreich für Europa, für uns kleines Österreich? Haben Marine Le Pen und Nigel Farage einen Plan für Europa, der auch die übrigen Völker des Kontinents umfaßt, nicht nur Briten und Franzosen?
Gewiß, auch in der Bundesrepublik gibt es mit der AfD eine kleine aber doch klar strukturierte Gruppe, die deutsche Interessen in den Mittelpunkt der Politik stellt. Und dort, wo die Deutschen noch vernünftig sind, nämlich in Österreich, sind es immerhin 20 Prozent der Wähler, die für „Österreich zuerst“ stimmen. Wir, „die Besiegten von 1945“, sind aber schlicht und einfach politisch nach wie vor zu schwach, um das Schicksal des Kontinents federführend zu gestalten. Auch wenn Berlin scheinbar zumindest in ökonomischer und finanzpolitischer Hinsicht zur Drehscheibe Europas geworden ist. Die politische Führung der beiden Siegermächte England und Frankreich hat in Europa noch immer ein ganz anderes Gewicht. Und politische Parteien, die zwischen Paris und London das Sagen haben, haben aus der historischen Sicht her noch immer mehr Bedeutung als man auf den ersten Blick glauben könnte. Was also werden die Wahlsieger in England und jene in Frankreich für Europa bewirken?
Wenn man diese Frage stellt, stößt man zuerst auf Leerräume. Neben den Stehsätzen von der Unabhängigkeit vom Brüsseler Zentralismus und den Stehsätzen gegen die EU-Nomenklatura gibt es sehr wenig. Kaum Konzepte, kaum ausgereifte Strategien, allenfalls die Bezugnahme auf Charles de Gaulles „Europa der Vaterländer“. Wie dieses Europa der Vaterländer aber aussehen soll, ob es ein Staatenbund, eine Konföderation oder was auch immer sein soll, davon weiß man wenig. Bei Nigel Farage hat man eher den Eindruck, daß er die Interessen der City of London vertritt, jene des britischen Finanzplatzes. Bei Marine Le Pen darf man sicher sein, daß sie französische Gloire, das nationale Interesse in den Mittelpunkt ihrer Politik stellt. Sie läßt uns aber kaum erahnen, wie sie sich die künftige Kooperation der europäischen Völker in einem integrierten Europa vorstellt bzw. ob sie eine solche überhaupt will.
Nun ist es nicht unerheblich, daß im künftigen Europäischen Parlament drei EU-kritische, eher patriotisch orientierte Fraktionen sitzen. Zwei davon werden von den Engländern dominiert, die Gruppe der „konservativen Reformer“ von den konservativen Tories und die Gruppe der „Freiheit und Demokratie“ von der UKIP des Mr. Farage und die neue Fraktion, von der man noch nicht weiß, wie sie heißen wird, eben vom französischen Front National. Es wird diese erstarkte EU-kritische Opposition – zwar aufgesplittert auf drei Fraktionen – dazu beitragen, dem Brüsseler Zentralismus die Spitze zu nehmen. Wirklich wesentlichen Einfluß auf die EU-Politik werden diese drei Fraktionen mit kaum mehr als 100 von 751 Abgeordneten kaum haben. Dennoch werden diese drei Fraktionen, die zueinander wahrscheinlich im unversöhnlichen Gegensatz stehen dürften, demonstrieren, wie die zentralismuskritische patriotische Richtung in Europa die Zusammenarbeit der europäischen Völker organisiert. Und sie werden in programmatischer Hinsicht zeigen müssen, daß sie eine europäische Alternative zum Brüsseler Zentralismus zu entwickeln vermögen.
Wir dürfen gespannt erwarten, ob sich Frau Le Pen und Herr Farage dieser Verantwortung bewußt sind. Es sind diese europäischen Freiheitsparteien nämlich die letzte Hoffnung der Völker Europas im Kampf um die Erhaltung ihrer historisch gewachsenen kulturellen Identität. Wenn sie dabei versagen – sei es durch Parteienzwist, nationalistischen Dünkel oder persönliche Eitelkeiten der Akteure, dann werden sie zu Verrätern an diesen Völkern Europas. Das sei Frau Le Pen und Herrn Farage am Tag nach den jüngsten Europawahlen ins Stammbuch geschrieben.