Janus – der doppel­gesichtige Gott des Paradigmen­wechsels

23. Dezember 2020

War das Corona-Jahr eine historische Wende?

Der Jahreswechsel hat für die Menschen etwas Mystisches an sich – trotz Knallerei, Sektkorken und Donauwalzer in Zeiten der alten Normalität, trotz der Friedhofsruhe in Zeiten des Lockdowns. Rückschau auf das vergangene Jahr und Ausblick auf das kommende. Janus, jener römische Gott des Anfangs und des Endes, jener Gott, der der ältesten und ursprünglichsten römischen Mythologie entspringt und im Gegensatz zu den anderen Göttern keine griechische Entsprechung hat, symbolisiert mit seiner Doppelgesichtigkeit diese Mystik des Jahreswechsels: Das Greisenantlitz, das in die Vergangenheit blickt und das Jünglingsgesicht, der Zukunft zugewandt.
Nun bedeutet „ianua“ auf Latein Tor, Tür oder Durchgang, und Janus symbolisiert damit die Dualität zwischen Leben und Tod, zwischen Schöpfung und Zerstörung, zwischen Zukunft und Vergangenheit, auch zwischen links und rechts, wenn man so will. Er ist somit auch der römische Gott der Türen und Tore, eben der Durchgänge und so ist dieser Janus somit gewissermaßen in seiner Doppelgesichtigkeit auch der Gott des Paradigmenwechsels.
Gerade nach dem annus horribile der Pandemie müssen wir uns nun legitimerweise wohl fragen, welche Art von Durchgang der heurige Jahreswechsel sein wird und ob das Coronajahr 2020 tatsächlich das Jahr eines welthistorischen Paradigmenwechsels war. Das Jahr eines grundlegenden Wandels in Hinblick auf unsere Werte, auf unsere Lebenseinstellung und auf die Rahmenbedingungen, unter denen wir dieses unser Leben gestalten.
Als Österreichs juveniler Regierungschef am Beginn der Pandemie die Floskel von der „neuen Normalität“ prägte, die uns nach der Bewältigung der Seuche drohen werde, hat er sich wahrscheinlich selbst nicht vorstellen können, in welchem Maße diese neue sich von der alten, von der herkömmlichen Normalität unterscheiden werde. Tatsächlich scheint jene Epoche, die nach dem Ende der bipolaren Weltordnung, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und des real existierenden Sozialismus sowjetkommunistischer Prägung im Jahre 1989 herrschte, nämlich die Epoche des Neoliberalismus, gepaart mit dem Glauben an den globalen Vormarsch der Demokratie westlicher Prägung, nunmehr ihr Ende zu finden.
Dieser Neoliberalismus mit seinem Glauben an Wettbewerb, Profit und Konsum und mit der damit verbundenen Technikgläubigkeit ist ja bereits vor den Tagen von Corona, insbesondere im Zuge der Debatte um die angesagte Klimakatastrophe, einer weltweiten Zukunftskepsis gewichen, einem Pessimismus mit subkutan apokalyptischer Orientierung. Der Glauben an die Kraft der Märkte und an ewiges Wirtschaftswachstum wurde dabei vom Streben nach Klimaschutz, nach Biodiversität und der Notwendigkeit, eben den Planeten als solchen zu retten, ausgehebelt. Nach der gewissermaßen automatischen Gestaltungskraft der Märkte ist nunmehr wieder die Regelungskompetenz des Staates gefragt. Und unsere freie Marktwirtschaft wird von einem System abgelöst, in dem Staatshilfen gepaart mit explodierenden Staatsschulden offenbar der einzige Rettungsanker zu sein scheinen.
Mit diesem Denken verbunden ist auch ein grundlegender Paradigmenwechsel im Hinblick auf die Rolle des Menschen in der Gesellschaft und im Staatsgefüge. Wenn es zuvor die sozusagen verantwortungslose Gier des Einzelnen war, welche dieses kapitalistisch-marktwirtschaftliches System angetrieben hat, so gilt es nun offenbar, die Menschen zu ihrem Glück und zu resilientem Verhalten zu bewegen – nötigenfalls auch zu zwingen. Dabei zeigt sich eine der großen, möglicherweise wirklich welthistorischen Veränderungen, die dieses Jahr mit sich gebracht hat: Wohlfahrt geht nämlich nunmehr zweifelsfrei in globalem Maßstab, insbesondere in den westlichen entwickelten Staaten vor Freiheit. Wohlfahrt im Sinne von Gesundheit und Wohlbefinden für möglichst alle, konkret im Sinne von Vermeidung von Infektionen durch das bösartige Coronavirus, geht vor Bürgerfreiheit, vor die Freiheits- und Grundrechte des Einzelnen.
Und daraus ergibt sich ein weiterer Paradigmenwechsel: Unsere demokratischen Systeme, die gereiften Demokratien in Europa und in den anderen westlichen Industriestaaten werden von einer Welle des politischen Paternalismus, der teilweise auch autoritäre Züge annimmt, überrollt. Die Einschränkungen von Grundrechten werden beinahe schon mit Polizeistaatsmethoden durchgesetzt, und der zuvor viel zitierte „mündige Bürger“ wird zum unmündigen Verordnungsbefolger degradiert.
Und dann gibt es da einen weiteren gewissermaßen soziologischen Paradigmenwechsel: Die „offene Gesellschaft“, wie sie nach den Vorstellungen Karl Poppers das Ziel hatte, die kritischen Fähigkeiten des Menschen freizusetzen und die Staatsgewalt möglichst soweit zu reduzieren, dass Machtmissbrauch nicht möglich wäre, diese offene Gesellschaft, die ja untrennbar mit der liberalen Demokratie und dem freiheitlichen Rechtsstaat verbunden ist, scheint schrittweise und schleichend ausgehöhlt zu werden.
Dies erweist sich nicht nur an den bereits erwähnten paternalistischen Vorgangsweisen der Regierenden und am Vormarsch eines – vorläufigen noch – sanften Polizeistaats, sondern auch in der im Zuge der Corona-Bekämpfung immer häufiger gewordenen Isolierung des Individuums beziehungsweise der Kleinfamilie. Der Rückzug ins Private, wie er in den Wochen des Lockdowns unumgänglich ist, da es „nur vier Gründe zum Verlassen der eigenen Wohnung“ gibt, bedingt diese Tendenz zur Isolierung. Und diesen Rückzug kennen wir ja auch am Beispiel historischer Phänomene, wie etwa des Biedermeiers, wo im Zuge des Metternichschen Polizeistaats der Bürger im Verschwiegenen und Privaten und im familiären Idyll sein Glück suchte.
Heute wird diese Isolierung durch die damit Hand in Hand gehende Digitalisierung entsprechend gefördert. Home-Working, Home-Office, Home-Schooling, Home-Wellness und natürlich Home-Entertainment, Entwicklungen bis hin zum Cyber-Sex sind es, die den Menschen als soziales Wesen aus seinen anthropologisch vorgegebenen Verhaltensweisen herausreißen. Jener Albtraum, den wir aus Science-Fiction Filmen kennen, wo pharmakologisch stillgelegte Individuen nur noch ein virtuelles Leben führen, lässt grüßen.
Diese zunehmende Isolierung des einzelnen Menschen, der seinen Alltag weitgehend vor den Bildschirmen seines Computers verbringt, ist aber in diesem Coronajahr zur flächendeckenden Realität geworden. Der Albtraum der Immobilienbranche, wonach große Konzerne kaum mehr Büroflächen brauchen werden, weil sie durch das Home-Office ersetzt werden, die Ängste von Kindern und Jugendlichen, die ihre Freunde nicht mehr treffen, weil ihr Alltag von Home-Schooling und E-Learning beherrscht wird und der drohende Bankrott der Kinounternehmen, deren Geschäft von Netflix, Sky und Prime Video übernommen wurde, ist längst Realität.
Und noch ein Kriterium unserer offenen Gesellschaft scheint in diesem Coronajahr ihr Ende gefunden zu haben: Die weltweite Mobilität im Bereich des Massentourismus. Ob im Zeitalter ständig wechselnder Grenzschließungen und restriktiver Quarantänebestimmungen für Reisende so etwas wie der Tourismus der vergangenen Jahrzehnte wiederaufleben kann, ist mehr als ungewiss. So ist die globale Kommunikation über Internet und Social Media in einem Maße intensiv und dicht geworden, dass die physische Mobilität offenbar nach und nach unnötig wird. Grenzüberschreitende Geschäftsreisen oder gar von einem Kontinent in den anderen für irgendwelche Konferenzen, sind längst unnötig geworden. Der Informationsaustausch übers Netz hat das persönliche Treffen, das persönliche Gespräch längst obsolet gemacht.
Von den weltweiten Reisebewegungen sind vorläufig nur jene der Armutsmigration aus den Entwicklungs- und Schwellenländern in Richtung der westlichen Industriestaaten übriggeblieben. Wie sich dieses zu erwartende Abnehmen der physischen Mobilität auf diese Migrationsbewegungen auswirken wird, ist auch alles andere als gewiss.
Möglicherweise also werden Historiker dereinst feststellen, dass in unseren Tagen eine wachstumsorientierte Wirtschaft, welche die Natur auf brutale Art und Weise vergewaltigte, gemeinsam wohl mit der globalen Bevölkerungsexplosion sowohl die Coronapandemie als auch die Klimakrise verursacht haben.
Und dass insbesondere die
Pandemie dann sozusagen die Schocktherapie für einen weltweiten Paradigmenwechsel darstellte. Einen radikalen Paradigmenwechsel, der dazu führte, dass Wohlfahrt vor Freiheit geht, dass die Reglementierung der Menschen vor demokratischer Partizipation geht, dass Meinungsfreiheit in vielen Bereichen einer Meinungsdisziplinierung weichen musste, um die Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakatastrophe und der Coronapandemie durchzusetzen und dass letztlich die klassische offene Gesellschaft sich in eine digitalisierte Gesellschaft individueller Isolierung wandelte.
Der doppelgesichtige römische Gott Janus, der Gott des Endes und des Anfangs, der Gott des Durchgangs und, wenn wir so wollen – in zeitgenössischem Soziologen-Chinesisch –, der Gott des Paradigmenwechsels, stand aber auch für die Erkenntnis, dass alles Göttliche immer einen Gegenspieler in sich birgt. Wenn also das hier skizzierte Zukunftsszenario eher bedrückende Aussichten bietet, sei letztendlich auf den berühmten Vers aus Hölderlins Patmos-Hymne verwiesen: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“.


2020 – das verlorene Jahr

23. Dezember 2020

Ein Jahr geht zu Ende, das uns allen in denkbar schlechter Erinnerung bleiben wird. Gewiss, es war kein Kriegsjahr, es war auch kein Jahr großer Naturkatastrophen, aber es war ein Jahr einer weltweiten Pandemie namens­ COVID-19.
Nun war und ist diese Krankheit auch nicht die Beulenpest, auch nicht die Cholera und die Pocken. Das Virus, welches diese Krankheit hervorruft, ist aber heimtückisch und für alle jene, die – infiziert – einen schweren Krankheitsverlauf haben mit der Notwendigkeit, auf der Intensivstation künstlich beatmet zu werden, bis hin zum Tod, ist das Ganze alles andere als lustig. Nicht lustig aber ist auch, wie die Staaten und zwar nicht nur in Österreich, sondern insgesamt in Europa und weltweit darauf reagierten. Gerade jetzt zu Ende des Jahres befinden wir uns im dritten Lockdown, unser ganzes Gesellschaftsgefüge ist heruntergefahren, die Geschäfte geschlossen, ebenso die Wirtshäuser und Kaffeehäuser, die persönlichen Kontakte auf ein Minimum reduziert, die Schulen geschlossen.
Und damit sind wir beim wirklich Neuen dieser Pandemie. Niemals noch in der jüngeren Geschichte, auch nicht während der beiden Weltkriege, hat es so lang andauernde Ausgangsverbote gegeben, waren die Schulen so lange geschlossen, wurden die Wirtschaft und die individuelle Mobilität auf ein derartiges Minimum reduziert. Die ökonomischen Schäden des Ganzen sind überhaupt nicht abzusehen, die Firmenzusammenbrüche, die Konkurse kommen erst in ihrer wirklichen Dimension auf uns zu, ebenso die Arbeitslosigkeit. Und welche Folgen die explosive Erweiterung der Staatsschulden für uns alle haben wird, können wir nur erahnen. Massenarbeitslosigkeit, Vermögensverlust, galoppierende Inflation, breitflächige Verarmung, all das ist nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich. Und unsere Kinder, die Jugend des Landes, die Schüler, sie haben nahezu ein ganzes Jahr an Bildungsvermittlung, an Lernprozessen, an sozialen Kontakten verloren, sie mussten auf ihre Freunde verzichten, auf ihren Sport, weitgehend auf jeden Spaß und wurden in die Isolation des Internet­-Surfens getrieben.
Und die Alten, nicht nur jene, die isoliert und einsam auf der Intensivstation ohne letzten Kontakt mit den Lieben sterben mussten, auch jene, die möglicherweise durchaus gesund in den Alten- und Pflegeheimen leben, ihnen wurde eines jener wenigen Jahre, die ihnen noch bleiben, geraubt. Ohne zwischenmenschliche Kontakte, ohne Trost und ohne Beziehung zu ihren Verwandten und Lieben mussten sie dieses Jahr über sich ergehen lassen. Nun wäre es allzu leichtfertig, der Politik allein dafür die Schuld zuzuschieben. Mit Ausnahme der totalitären Staaten in Ostasien, wie China und Nordkorea, gibt es im globalen Maßstab kaum Beispiele für politisches Reagieren anderer Art auf die Epidemie. Und noch ist kein Ende abzusehen. Massentests und womöglich Zwangsimpfungen werden gegenwärtig als Lösungsansatz gepriesen. Ob wir uns damit wirklich aus dieser gesamtgesellschaftlichen Zwangslage, die mit der Epidemie verbunden ist, herausführen, ist auch ungewiss.
Was ist, wenn das Virus mutiert und die Impfung unwirksam wird, was ist, wenn ein neues Virus auftritt? Fragen über Fragen, die uns alle zum Jahreswechsel bange machen.
Und so bleibt nur die einigermaßen simple, wenn nicht gar törichte Erkenntnis: Das Leben ist lebensgefährlich und dennoch müssen wir es
leben.


Die verzagte Kirche

17. Dezember 2020

Vom Versagen der christlichen Kirchen in Zeiten von Corona

Der sogenannte „Lockdown“ liegt schwer und düster über dem Land, „Social Distancing“ lautet das Gebot der Stunde, vereinsamt isolieren sich die Menschen in ihren Wohnungen, die Alten und Uralten dämmern ihrem Ableben in den Alten- und Pflegeheime, ohne jeden Kontakt mit ihren Lieben entgegen, und auf den Straßen und an öffentlichen Orten müssen die Menschen ängstlich Distanz zueinander wahren. Ganz abgesehen von den ökonomischen Folgen, von Vermögensverlust und Einkommensrückgang, von Arbeitslosigkeit und Firmenzusammenbrüchen, sind es zunehmend psychische Belastungen, unter denen die Menschen in den Tagen der Pandemie leiden. Die bleibenden Schäden sind noch gar nicht abzuschätzen.
Wer spendet in diesen Tagen Trost, wo bleibt die Religion, wo bleiben die Kirchen, wo bleiben die Vertreter Gottes auf Erden, die Priester als Mittler zwischen Gott und den Menschen in diesen Tagen?
Sie sind in der Versenkung verschwunden. Die Kirchen sind geschlossen und dann, wenn sie wegen Lockerungen der Maßnahmen wieder aufmachen dürfen, verharren sie ängstlich in sklavischer Befolgung der Regeln von Social Distancing und formalisierter Hygiene, in furchtsamer Kälte und Ablehnung. Wo sind die Hirten, die ihre Herde und ihre Schäflein beschützen und ihnen Führung und Orientierung bieten, wo sind die flammenden Prediger, die ihre Gemeinde von der Kanzel ermuntern und ihnen Hoffnung spenden, wo sind die Glaubenszeugen, die ohne Rücksicht auf Leib und Leben für die Menschen eintreten? Es gibt sie nicht.
Und die Kirchenoberen quer durch Europa, seien es nun katholische Kirchefürsten, lutheranische Pastoren oder andere Repräsentanten christlicher Gemeinschaften, ihre öffentlichen Auftritte erschöpfen sich im Nachbeten der öffentlichen Maßnahmen, im Aufruf an ihre Gemeinden, doch ja den Restriktionen und Einschränkungen, die die Politik verordnet, brav und sklavisch zu folgen.
Rund 540 Millionen Europäer sind Christen, 75 % der Bevölkerung sind katholisch, evangelisch oder im Osten und im Südosten orthodox. Im Jahre 2005 hat allerdings das Europabarometer erhoben, dass nur 52 % der Europäer an Gott glauben und im Jahre 2014 haben kirchliche Umfragen gezeigt, dass nur mehr 11 % der Österreicher regelmäßig in Gottesdienste gehen. Die Entchristlichung des Abendlandes und des alten Kontinents schreitet also voran. Begonnen hat alles zweifellos mit der Aufklärung und der danach zunehmenden Wissenschaftsgläubigkeit. Gottesfurcht und Kirchengläubigkeit wurden vermeintlich durch wissenschaftlichen Fortschritt und neue Erkenntnisse in Frage gestellt. Dazu kam in den letzten Jahrzehnten die zunehmende Landflucht, die die in Sitten und Bräuchen verankerte Landbevölkerung entwurzelte und ihnen auch die Bindung zur Religion nahm. Der zunehmende Kulturverlust durch den spätlinken Zeitgeist, der gegenwärtig in unseren Breiten herrscht, tat ein Übriges. Hedonismus, Materialismus und Nihilismus traten ihren Siegeszug an und verdrängten gewissermaßen als Zivilreligion das Christentum. Das verstärkte Aufkommen von Missständen innerhalb der Kirchen, insbesondere innerhalb der Katholischen Kirche, wie etwa der sexuelle Missbrauch von Kindern, spitze die Situation noch mehr zu.
In wesentlichen Fragen der christlichen Moral verabsäumt man es, dass die Kirchen ihren Standpunkt gegenüber dem Zeitgeist artikulieren oder durchsetzen. Im Zuge der Massenmigration der letzten Jahre predigten die Kirchen zunehmend Fernstenliebe statt Nächstenliebe. Sie waren außerstande, die europäischen Bürger, die europäischen Völker, vor den mit dieser Massenmigration einhergehenden Gefährdungen zu verteidigen. In anderen moralischen Fragen, wie der Homosexualität, der Homoehe oder zuletzt auch der Sterbehilfe, der Heiligkeit des menschlichen Lebens, waren und sind die kirchlichen Stellungnahmen zögerlich, flau und alles andere als kämpferisch. Stattdessen zeigt sich beispielsweise die Katholische Kirche immer mehr wie eine zeitgeistige NGO. Nicht die Kirche als sakrale Institution, nein, die Kirche als Anhängsel der Caritas ist in der Öffentlichkeit vertreten.
Besonders deutlich wird das Versagen der Kirchen und des Christentums in Europa insgesamt durch theologische Defizite und damit einhergehende zaghafte Rückzugsgefechte. Wo predigen Kleriker noch über den Himmel und das Paradies als anzustrebendes Ziel des Christenlebens, wer hat noch den Mut, von Hölle und Verdammnis, vom Teufel zu sprechen? Letzteren haben die Kirchen gewissermaßen in zeitgeistiger Anpassung abgeschafft. Schriftglaube und Dogmenglaube ist solcherart gewissermaßen in stillem Einverständnis außer Kraft getreten und die christliche Rituale, wie sie sich in den Sakramenten und in der heiligen Messe manifestierten, werden zunehmend veräußerlicht und von den Menschen nicht mehr ernst genommen. Wer von den Millionen Taufscheinkatholiken in Europa geht etwa noch zur Beichte? Und die neue Priesterkaste wird nicht von den Kardinälen und Bischöfen repräsentiert, nein, es sind die Virologen und Epidemiologen, die am Bildschirm eine neue Priesterschaft repräsentieren.
Selbst der Vatikan, jene römische Enklave, in der nach katholischer Lesart der Stellvertreter Gottes amtiert, ist unter dem gegenwärtigen Pontifex Maximus eine Stätte geworden, in der statt Christentum eine gewisse Lesart eines „säkularen Humanismus“ gepflogen wird. Eine Stätte, in der mutmaßlich zunehmend Geheimgesellschaften im Hintergrund Einfluss gewinnen, jedenfalls aber der politisch korrekte Zeitgeist immer dominanter wird. Die Gebote eines trivialen Kulturmarxismus scheinen die Haltung des Heiligen Stuhls gegenüber den großen Problemen der Zeit zu bestimmen. Zwar ließ die deutsche Bischofskonferenz in diesen Tagen im Hinblick auf die Coronakrise verlautbaren, dass diese die „Fragilität und Verwundbarkeit der menschlichen Existenz“ aufzeige, und dass „grundlegende Fragen des menschlichen Zusammenlebens“ nunmehr relativiert würden. Eben dieselbe Bischofskonferenz und mit ihr alle Kirchenfürsten Europas lassen die spirituelle Führung der Menschen in Europa und weltweit vermissen, und in den Tagen der Weihnacht, in dem sich ein kulturell empfundenes Christentum gemeinsam mit Volksbräuchen und allgemeinen menschlichen Gemeinschaftsgefühlen paart, scheinen die Kirchen nicht willens und fähig zu sein, ihrem Auftrag der Seelsorge, der spirituellen Führung und des Trostes für die Menschen nachzukommen. Statt wirklicher Seelsorge und dem Spenden der Sakramente gibt es Online-Gottesdienste, und die Oberhirten glauben offenbar, das Christentum im Stile US-amerikanischer Fernsehprediger vertreten zu können. Die Quoten dieser Online-Seelsorge und die Akzeptanz durch die Gläubigen dürften allerdings vernichtend ausfallen.
Dazu kommt, dass diese zaghafte, diese ängstliche, diese defensive Katholische Kirche – gar nicht zu reden von ihren ökumenischen Brüdern aus den evangelischen Kirchen – gegenüber dem politischen Islam, der in Europa überaus offensiv auftritt, kein entsprechendes Gegengewicht aufzubringen im Stande sind. Zu den Parallelgesellschaften quer durch die österreichischen Bundesländer, die Großmoscheen errichten – angeblich ohne Gelder aus Katar und den Golfstaaten, wer’s glaubt –, gibt es nur zustimmendes Gemurmel unserer Kirchenoberen. Wenn der politische Islam in seinen extremistischen Ausformungen bereits in Missachtung unseres Rechtsstaates auf die Scharia setzt, wird von Seiten der christlichen Oberhirten über interreligiösen Diskurs gefaselt. Und wenn dieser politische Islamismus seine Assassinen ausschwärmen lässt, die quer durch Europa da und dort metzeln und morden, lädt unsere hohe Geistlichkeit Imame zum gemeinsamen Gebet in die mittelalterlichen Dome. Wehrhaftes Christentum sieht anders aus, wehrhaftes Christentum, auf das man unter dem polnischen Papst Wojtyla noch zu hoffen wagte, gibt es in Österreich und wohl in Europa insgesamt nicht mehr. Und damit schreitet die Entchristlichung des alten Kontinents weiter.


Und noch ein Corona-Flop

17. Dezember 2020

Strategien sind von Hilflosigkeit geprägt

Die Corona-Massentests, die uns der Herr Bundeskanzler relativ spontan und ohne Absprache mit irgendwelchen Experten verordnet hat, scheinen ein Flop zu werden. Von den nahezu 400.000 Vorarlbergern haben sich kaum 90.000 testen lassen, in Tirol waren es auch nur 30 Prozent, und in Wien werden es wohl auch nicht einmal 15 % sein. Und das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass der eigentliche Zweck dieser Massentests, nämlich ein Gesamtüberblick über das Infektionsgeschehen in Österreich zu erhalten, nicht erreicht werden kann.
Wenn wir nun das Corona-Jahr 2020 in Österreich Revue passieren lassen, so müssen wir einigermaßen beunruhigt feststellen, dass nahezu alle strategischen Maßnahmen der Bundesregierung versagt haben, ja veritable Flops geworden sind. Die ach so hochgelobte Corona-App des Roten Kreuzes, das Lieblingskind des Gesundheitsministers Anschober, sie wird nicht einmal von jenen Menschen genützt, die von den Corona-Ängsten gebeutelt werden. Oder die von der Regierung hoch gepriesene Corona-Ampel – gibt es sie eigentlich noch? – sollte doch die Maßnahmen quer durch die Republik regeln. Und dann das „Kaufhaus Österreich“, eine Lachnummer. Und nun also die Corona-Massentests. Samt und sonders Maßnahmen, die mit großem Aufwand an Steuergeld-Millionen organisiert und beworben wurden und die allesamt nichts gebracht haben.
Und da erweist sich, dass unser juveniler Bundeskanzler samt seiner Buberlpartie – zwei Mäderl sind auch dabei – im Grunde einigermaßen hilflos agiert. Diese Truppe, die nur zum Teil Berufserfahrung hat oder eine abgeschlossene Ausbildung, kaum je Verantwortung für eine eigene Familie getragen hat und ganz sicher nicht über Lebenserfahrung verfügt und schon gar nicht epidemiologische Expertise, hat uns all das eingebrockt. Nun kann man natürlich sagen: Es ist leicht zu kritisieren, wie aber wollte man es besser machen? Als Antwort kann man darauf sagen, die Regierung ist dafür gewählt, wird dafür bezahlt, die Probleme in solchen Situationen möglichst optimal zu lösen. Und das darf dann keine Frage der politischen Performance und der möglichst werbewirksamen Kommunikation sein, sondern von sach­orientierten Lösungsstrategien, und diese wird man nur mit Experten erarbeiten können und nicht mit einer politischen Selbstbestätigungs-Blase.
Als nächstes steht uns nunmehr die Massenimpfung ins Haus, und auch hier scheint die Regierung keine wirkliche Strategie zu haben, wie man die Österreicher vom Sinn dieser Impfung überzeugen könnte. Da wird es zweifellos zu wenig sein, Impfskeptiker als Narren und Verschwörungstheoretiker abzuqualifizieren, im Gegenteil – gegenwärtig scheint es so zu sein, als würde sich in der Bevölkerung so etwas wie passiver Widerstand breit machen.
Da treten bezahlte Promis im Staatsfunk auf und verkünden, sie würden sich testen beziehungsweise bald impfen lassen, und die Mehrheit der Österreicher denkt sich offenbar „Leck Buckl, wir aber nicht“. Und auch wenn der Gesundheitsminister in wöchentlichen Abständen verkündet, dass nunmehr genau die nächsten Tage Tage der finalen Entscheidung sein würden, der Bundeskanzler wie ein Sekten-Prediger die Milch der frommen Denkungsart hektoliterweise verschüttet und zusätzlich der Vizekanzler polternd droht und der Innenminister Kasernenhoftöne anschlägt: Die Österreicher scheint dies nicht mehr wirklich zu beeindrucken.
Und so taumelt die Regierung von einem Flop zum nächsten, und die Epidemie nimmt ihren Lauf.


Höchstgericht ohne Leitkultur

17. Dezember 2020

Da hat also der österreichische Verfassungsgerichtshof wieder einmal gesprochen und das, was demokratisch gewählte Regierungen samt dem ebenso demokratisch legitimierten Parlament beschlossen haben, war mit einem Schlag obsolet: Das Kopftuchverbot für muslimische Mädchen in Volksschulen wurde gekippt, und die islamischen Verbände hierzulande jubilieren und noch mehr insgeheim wohl fanatische Islamisten, die es – wir wissen das – hierzulande auch ins sattsamer Zahl gibt.
Es sei um die Durchsetzung des Gleichheitsgrundsatzes gegangen, lassen uns die Sprecher des Verfassungsgerichtshofs wissen. Man könne nicht die Symbole einer einzelnen Religion verbieten und die anderer tolerieren, und die zumeist eher linksorientierten Vertreter des Laizismus lassen verlauten, dass man dann doch auch die Kreuze aus den Schulklassen entfernen müsse und den Kindern das Tragen eines Halsketterls mit Kreuz verbieten müsste.
Nun ist die Trennung von Staat und Kirche in Österreich eine Errungenschaft, die man absolut beibehalten sollte. Unselige Erinnerungen an den Klerikalfaschissmus der Dreißigerjahre sind da Argument genug. Ganz abgesehen davon aber gibt es so etwas wie eine europäisch-christliche Leitkultur, eine Leitkultur, die das Abendland ausmacht, eine Leitkultur, die die Identität unserer Republik prägt und die von der großen Mehrheit seiner Bürger mitgetragen wird. Überdies eine Leitkultur, die durch den Zuwanderungsislam mit keinerlei politischer-moralischer Berechtigung infrage gestellt werden kann. Unser Höchstgericht allerdings scheint dies anders zu sehen. Diese Leitkultur hat offenbar für die Verfassungsrichter keine Rolle gespielt, da sie in einer vermeintlichen Äquidistanz zu allen Religionen
geurteilt haben.
Nun ist das Kopftuch natürlich auch ein Symbol der Unterdrückung von Mädchen und Frauen und auch aus diesem Grunde gerade, wenn es Kindern aufgezwungen wird, inakzeptabel. Und da darf man dann schon provokant die Frage stellen, ob unser Verfassungsgerichtshof demnächst auch die Genitalverstümmelung von muslimischen Mädchen erlauben wird, wo doch die Beschneidung von Knaben mosaischen oder islamischen Glaubens auch straffrei ist. An diesem Beispiel muss man wohl klar erkennen, dass das Prinzip der Gleichheit auch an seine Grenzen stößt.
Durch den Spruch des Verfassungsgerichtshofs wurde die Homoehe auch in Österreich eingeführt, und schließlich hat das Höchstgericht auch das höchst bedenkliche Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare durchgesetzt. All das gegen den Willen der demokratisch legitimierten Mehrheit im Parlament. Und nun hat dieses Höchstgericht auch die Beihilfe zur Sterbehilfe legitimiert. Auch das ein massiver Verstoß gegen Österreichs christlich fundierte Leitkultur, der das menschliche Leben eben heilig ist. Aber was soll’s, wenn das ungeborene Leben seit Jahrzehnten nicht mehr sakrosankt ist, wenn jetzt Sterbehilfe Schritt für Schritt legalisiert wird, kann der Weg hin zur Euthanasie – schrecklichen Angedenkens aus den mörderischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts – nicht mehr weit sein. Und da darf man dann schon die Frage stellen, ob in Demokratien wie Österreich eine Handvoll von quasi gottgleichen Höchstrichtern politische Entscheidungen der gewählten Volksvertreter aushebeln können und immer häufiger Interpretationen unserer altehrwürdigen Bundesverfassung tätigen, die mit den historisch gewachsenen ethisch-moralischen Grundlagen eben dieser Verfassung mit unserem zivilisatorisch-kulturellen Grundwerten nicht mehr vereinbar sind.


Lockdown und illiberale ­Demokratie

3. Dezember 2020

Europaweite Empörung gibt es in diesen Tagen über Ungarn und Polen, weil sie die Auszahlung der gewaltigen Milliardenhilfe der EU infolge der Corona-Krise blockieren. Sie wollen den sogenannten Rechtsstaatsvorbehalt verhindern, welcher Sanktionen gegenüber EU-Mitgliedsstaaten ermöglicht, die mutmaßlich gegen die Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Gemeint sind damit natürlich konkret eben Viktor Orbáns Ungarn und Kaczynskis Polen.
Nur spricht Orbán ja selbst von der „illiberalen Demokratie“, die er in Ungarn ermöglicht, womit er allerdings keinerlei Einschränkungen des Rechtsstaats meint, sondern vielmehr eine wertkonservative patriotische Politik. Und diese ist bekanntlich sowohl in Ungarn als auch in Polen mit satten Mehrheiten im Wahlvolk abgesichert. Die Kritik in den übrigen EU-Staaten, insbesondere in Österreich und Deutschland bzw. in unseren Mainstreammedien daran ist allerdings gewaltig. Orbán und Kaczynski würden die Unabhängigkeit der Justiz einschränken, sie würden die Medien gleichschalten und überhaupt die Demokratie als solche in Frage stellen.
Bei uns hingegen in Österreich und den übrigen ach so liberalen Demokratien haben wir gegenwärtig den sogenannten Lockdown zu erdulden. Das bedeutet Einschränkungen der Bürgerrechte, unserer Grund- und Freiheitsrechte in vielfältigster Art und Weise: Ausgangsverbote, Betretungsverbote, Reiseverbote usw. und gleichzeitig werden die Medien mit gewaltigen Finanzmitteln auf Regierungslinie eingeschworen und die Wirtschaft durch strikte Regulierungen ihrer Bewegungsfreiheit beraubt. Besonders liberal klingt das alles nicht.
Und da stellt sich nun die Frage, was ist denn nun der Unterschied zwischen Orbáns und Kaczynskis „illiberaler Demokratie“ und unseren demokratischen Systemen im Zustand des Lockdowns. Da wie dort neigt die Obrigkeit zu zunehmend autoritärem Verhalten. Da wie dort kontrolliert die Polizei, werden Sanktionen ausgesprochen, werden­ unbotmäßige Bürger­ mit Strafen und Anzeigen drangsaliert. Und was das Bedenklichste ist: Dieser Lockdown, der ursprünglich für wenige Wochen angesetzt war, scheint mehr oder weniger so etwas wie ein Dauerzustand zu werden. Die Einschränkungen werden nicht mehr oder zumindest kaum aufgehoben und die Menschen gewöhnen sich daran.
Die Gastronomie wird natürlich nicht aufgemacht. Dass Nachtlokale, Bars und Diskotheken geschlossen bleiben ist selbstverständlich. Aber warum am Vormittag das Kaffeehaus zum Zeitungslesen verschlossen bleibt und das Wirtshaus für das Mittagsmenü, das versteht keiner. Museen und Theater brauchen wir nicht, und Reisen? Kommt überhaupt nicht in Frage. Und das Schifahren auf unseren Pisten ist ja so ungesund.
Da kommen dann allenfalls ökonomische Einwände, dass die Wirtschaft in ärgste Schwierigkeiten gerät und wer all das bezahlen wird, die explodierenden Staatsschulden, die Milliardenhilfen. Über die Einschränkungen unserer bürgerlichen Freiheiten regt sich kaum einer auf. Und die Mainstreammedien werden von den Horrormeldungen über die Zustände in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen dominiert. Und der biedere Bürger nimmt es halt hin: Was kann man machen, in Zeiten der Krise müssen wir eben alle zusammenhalten und jede Einschränkung akzeptieren.
Dass es auch anders geht, beweist die Schweiz, die keinen Lockdown hat, beweist Schweden, das von Anfang an auf Eigenverantwortung gesetzt hat. So wird der Bürger zunehmend zum Untertanen – gleichermaßen in der „illiberalen Demokratie“ von Orbán und Kaczynski, wie in den Lockdown-Systemen im
übrigen Europa.