Die gegenwärtigen Debatten um die Erweiterung des Nordatlantikpaktes verweisen uns auf die Geschichte der diversen Militärbündnisse, zumindest auf jene im 20. Jahrhundert. Begonnen hat alles mit jenen beiden Militärpakten, die einander im Vorfeld des Ersten Weltkriegs in Europa gegenüberstanden. Da gab es den Zweibund zwischen Preußen-Deutschland und der Habsburger Monarchie, der sich dann zum Dreibund mit dem Königreich Italien erweiterte. Diesen Mittelmächten gegenüber stand die so genannte Entente Cordiale, bestehend aus der Republik Frankreich und dem zaristischen Russland, erweitert in der Folge durch das Vereinigte Britische Königreich.
Deutschland, das damals so etwas wie eine Quasi-Hegemonialmacht in Europa darstellte, da es die stärkste Wirtschaftsmacht wurde und auch über das stärkste Militär verfügte, fühlte sich durch die Entente eingekreist. Frankreich wollte Revanche für 1870, und Russland wollte den wachsenden Einfluss Deutschlands in Osteuropa stoppen. England hingegen fürchtete die wirtschaftliche Stärke des Deutschen Reichs und fühlte sich durch den Aufbau der deutschen Flotte in seiner weltweiten Seeherrschaft bedroht.
So waren beide einander gegenüberstehende Militärbündnisse eigentlich auf Verteidigung ausgerichtet und primär gegen das allzu starke Erstarken der gegnerischen Mächte gedacht. Dennoch sollten sowohl der Dreibund als auch die Entente letztlich mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu Angriffsbündnissen werden. Der australische Historiker Christopher Clark schildert dies in seinem Standardwerk „Die Schlafwandler“ eindrucksvoll.
Die Lehre aus der Bündnisstruktur vor dem Ersten Weltkrieg ist schlicht und einfach die, dass einander gegenüberstehende Militärbündnisse mit einer gewissen Automatik zum realen Krieg führen, selbst wenn die Vertreter beider Seiten dies explizit nicht wollen.
In der Zwischenkriegszeit versuchte man mittels des Völkerbundes so etwas wie eine internationale Staatenorganisation zu bilden, um ein Entstehen einander feindlich gegenüberstehender Militärbündnisse zu vermeiden. Allein aber dass die USA diesem Völkerbund nicht beitraten, zeigte schon, dass dieser letztlich ein Fehlschlag werden musste. Nachdem sich das besiegte Deutschland durch das Versailler Friedensdiktat vergewaltigt und geknebelt fühlte, lag es auf der Hand, dass Berlin sich bei der ersten Gelegenheit gegen die neue Nachkriegsordnung stellen würde. Und das wohl auch ohne eine Machtergreifung der Nationalsozialisten. Die von Hitler in den 30er-Jahren angestrebte und auch ganz real durchgeführte Revision des Versailler Vertrags zeitigte letztlich die Auflösung der mittels des Völkerbundes geplanten Staatengemeinschaft. An dessen Stelle traten dann wieder zwei antagonistische Militärblöcke. Da war einerseits Deutschland, verbündet mit dem faschistischen Italien, und die Allianz der vormaligen Verbündeten des Ersten Weltkriegs, insbesondere Großbritannien und Frankreich. Dass es Hitler gelang, kurzzeitig mit Stalin ein Bündnis zu schließen, störte für knappe zwei Jahre die Rückkehr zur Konstellation vor dem Ersten Weltkrieg. Mit dem Einfall der deutschen Wehrmacht in die Sowjetunion erneuerte sich schlagartig jene antagonistische Bündnisstruktur aufs Neue. Und wie im Ersten Weltkrieg gab es da noch die USA, die mit einiger Verzögerung auch gegen Deutschland in den Krieg eintraten. So führten die Achsenmächte, verstärkt diesmal durch Japan, einen weltweiten Krieg gegen die Alliierten, den sie nahezu zwangsläufig verlieren mussten.
Nachdem die Sieger bekanntlich die Geschichte schreiben, ist es bis zum heutigen Tag klar, dass die Kriegsschuld am Ersten Weltkrieg bei den Mittelmächten, insbesondere bei Preußen-Deutschland und der Habsburger Monarchie, lag und der Zweite Weltkrieg sowieso ein verbrecherischer Angriffskrieg des nationalsozialistischem Deutschlands gegen die übrige Welt war. Während also vor dem Ersten Weltkrieg noch so etwas wie eine moralische Gleichwertigkeit der Militärbündnisse bestand, war es beim Zweiten Weltkrieg völlig klar: Hier ging es um Gut gegen Böse. Als nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen den vormaligen Siegermächten USA und Sowjetunion der Kalte Krieg ausbrach, war es von Anbeginn an klar, dass es auch hier um Gut gegen Böse ging.
Die Sowjetunion und der Warschauer Pakt fanden in den späten 80er-Jahren ihr Ende, und die USA mit dem von ihnen geführten Nordatlantikpakt verblieben als einzige weltweit agierende Militärmacht. Zu behaupten, dass die USA und die NATO seither keine Kriege geführt hätten, wäre schlicht und einfach ahistorisch. Der eine oder andere Krieg wurde mittels eines UN-Mandats geführt, der eine oder andere aber auch ohne ein solches. Die USA als einzig verbliebene Supermarkt glaubten, ihre Interessen immer durchsetzen zu können. Natürlich gab es niemals Sanktionen der Staatengemeinschaft gegen die USA, wie wir sie heute gegen Russland erleben. Wenn heute die NATO eine Erweiterung erfährt, indem Schweden und Finnland beitreten, ist dies eine Fortsetzung jener Entwicklung, die bereits nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts begonnen hatte. Trotz gegenteiligen Versprechens, das man Gorbatschow angeblich gegeben hatte, drang die NATO auf eine Reihe von jenen Staaten vor, die zuvor dem Warschauer Pakt angehört hatten. Wie vor dem Ersten Weltkrieg das Deutsche Reich, musste sich nun die Russische Föderation unter der Führung von Wladimir Putin eingekreist fühlen. Dass dies allerdings längst noch keine Legitimation für einen Angriffskrieg, wie Putin ihn nunmehr in der Ukraine führt, ist, steht außer Frage.
Russland ist geopolitisch und global gesehen zweifellos der große Verlierer des gegenwärtigen Krieges und der aktuellen Entwicklungen. Ein weiterer Verlierer sind die Europäer, die allenfalls als Zahler von Bedeutung sind, etwa für den Wiederaufbau in der Ukraine, und am politischen Gängelband Washingtons bleiben: Ein machtpolitisch und geopolitisch sinnvoller Ausgleich mit Russland ist auf Generationen verunmöglicht worden. Und die USA beziehungsweise der politisch-militärische Komplex innerhalb Amerikas mit jenen Kräften, die diesen im Hintergrund steuern, hat es wieder geschafft, dass die USA die einzig relevante Weltmacht bleiben. Dafür dürfen sich die europäischen NATO Mitglieder zu Gute halten, dass sie Mitglieder des guten und moralisch höher stehenden, des humanitären, demokratisch orientierten Militärbündnisses sind.
Was nunmehr das immerwährend neutrale Österreich betrifft, so dürfte sich in der nächsten Zeit der mediale und wohl auch politische Druck für eine Diskussion dieser Neutralität erhöhen. Es scheint das Ziel gewisser Kräfte im Hintergrund zu sein, auch die letzten Bastionen die sich der NATO Mitgliedschaft verwehren, aufzubrechen. Jene Positionen, die zu Beginn der Regierung Schüssel/Riess-Passer entwickelt wurde, wonach man Mitglied der NATO werden könnte, wenn es eine europäisierte NATO gäbe ist somit vollends hinfällig. Eine Europäisierung der NATO zeichnet sich längst nicht mehr ab, im Gegenteil. Und so läuft auch das bislang neutrale Österreich Gefahr, gemeinsam mit allen übrigen europäischen Staaten Teil des Nordatlantikpakts zu werden. Der absolut von der einzig verbliebenen Supermacht, nämlich der USA, dominiert wird. So sind damit das westliche Militärbündnis und auch alle Bündnismitglieder, also insbesondre die europäischen Staaten, primär den machtpolitischen und militärischen Interessen der USA ausgeliefert. Aber man ist somit Teil eines guten Militärbündnisses, Teil des moralisch hochstehenden demokratischen Militärbündnisses. Wie schön!
Von guten und bösen Militär-bündnissen
26. Mai 2022Unser grüner Ersatz-Kaiser
26. Mai 2022Nun wissen wir es also endgültig: Alexander Van der Bellen, seit sechs Jahren Herr in der Wiener Hofburg, wird wieder kandidieren. Der indessen 78-jährige wird am Ende der nächsten Amtsperiode – und diese wird er mit ziemlicher Sicherheit ausüben können – Mitte 80 sein. In etwa so alt also wie Kaiser Franz Joseph, als er seinerzeit das Zeitliche segnete. Und irgendwo scheinen die Österreicher so etwas wie einen gütigen alten Herrn Marke Franz Joseph als Staatsoberhaupt zu wollen. Einen alten Herrn, der so schön freundlich und langsam spricht, bedächtig und beinahe ein wenig einschläfernd.
Und das kann Alexander Van der Bellen meisterhaft. Schön sprechen. Wie oft hat er in den vergangenen sechs Jahren dazu aufgerufen, die Spaltung im Lande zu überwinden, um gleichzeitig dann allerdings immer wieder fest auf die oppositionellen Freiheitlichen hinzuhauen. Da kann er seine grüne Herkunft als alter Linker nicht wirklich verbergen. Wie oft hat er gesagt, „so sind wir nicht“. Um dann zugeben zu müssen, dass wir genauso sind. Etwa die Regierungspartei ÖVP, für die es nun einen eigenen Korruptionsuntersuchungsausschuss gibt.
Nichtsdestotrotz wird der Amtsinhaber mit hoher Sicherheit wieder gewählt werden, ganz gleich, wer der Gegenkandidat ist. Es wäre schon ein Wunder, wenn Van der Bellen die Wahl nicht schon im ersten Durchgang schafft. Die einzig spannende Frage diese Präsidentschaftswahl ist wohl, wen die Freiheitliche nunmehr ins Rennen schicken. Wird es die vielgenannte Frau Fürst sein, die zweifellos eine tüchtige Abgeordnete ist und wahrscheinlich ein respektables Ergebnis erzielen wird. Oder traut sich tatsächlich Herbert Kickl ins Rennen zu gehen, selbst auf das Risiko hin, dass er so wie gegenwärtig die Umfragen besagen, kaum besser abschneidet als der Politclown
Mini-Groß.
Ein gewisses Risiko ist für die Freiheitlichen also mit einer Kandidatur gegeben, insbesondere, wenn der Partechef selbst kandidiert sollte. Ein finanzielles Risiko ist diese Wahl ohnedies für alle Wahlwerber, da es eben keine Kostenerstattung gibt, wie dies bei anderen Wahlen sonst der Fall ist. Der wirkliche Vorteil für die oppositionelle FPÖ im Falle einer Kandidatur ist es allerdings, dass man die innenpolitischen Themen in diesem Wahlkampf massiv unter das Volk bringen könnte und dass sich der Kandidat für eine künftige Wahl entsprechend profilieren könnte. Allzumal dann, wenn es keinen anderen ernstzunehmenden Gegenkandidaten für den Amtsinhaber gibt. Und das scheint ja auszuschließen zu sein.
Schwarz und Rot werden wohl keinen eigenen Kandidaten ins Rennen schicken, wobei bei der ÖVP noch ungewiss ist, ob sie Van der Bellen offiziell unterstützen wird. Beim inneren Zustand der ÖVP wäre es allerdings kein Wunder, wenn sie diese ideologische Bankrotterklärung abgeben würde und damit einen Linkskandidaten weiterhin als Amtsinhaber in der Hofburg duldet. Wie auch immer, die Präsidentschaftswahl ist im Grunde schon gelaufen. Die Österreicher werden den Wahlkampf wohl eher als langweilig empfinden und dies mit einer mutmaßlich geringen Wahlbeteiligung quittieren.
Präsident Seltsam oder …
19. Mai 2022Wie wir lernten, die Bombe zu lieben
Es war das Film-Genie Stanley Kubrick, der uns in den sechziger Jahren mit seinem Film „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“, klarmachte, wie nahe die Menschheit im Kalten Krieg am Abgrund stand. Tatsächlich sind die Nachkriegsjahrgänge während der Jahrzehnte des Kalten Krieges im Bewusstsein aufgewachsen, dass das Damoklesschwert eines Atomkriegs ständig über ihnen hing. Nach dem Verrat der Pläne für den Bau der Atombombe an die Sowjetunion durch das Ehepaar Fuchs war die nukleare Bewaffnung ja beiden Supermächten zugänglich. Es war allerdings den Amerikanern vorbehalten geblieben, die Bombe tatsächlich einzusetzen. Bekanntlich warfen sie zwei Atombomben über den japanischen Städten Hiroschima und Nagasaki ab, obwohl Japan damals militärisch ohnedies schon besiegt war. Dieses Menschheitsverbrechen mit hunderttausenden Opfern und Spätfolgen bis in unsere Tage wurde den USA allerdings von keinem internationalen Gericht jemals vorgeworfen und schon gar nicht gab es irgendeine Art der Verurteilung.
Die Konfrontation zwischen den beiden Supermächten USA und Sowjetunion, die unmittelbar am Eisernen Vorhang inmitten Europas stattfand, stellte jedenfalls über Jahrzehnte die sicherheitspolitische Realität dar. Einerseits gab es Interkontinentalraketen, mittels derer die beiden Supermächte in der Lage waren, das jeweilig gegnerische Territorium zu zerstören, andererseits wurden Kurz- und Mittelstreckenraketen entwickelt sowie Gefechtsfeldwaffen mit Atomsprengköpfen, welche unmittelbar in kriegerischen Auseinandersetzungen, insbesondere in Europa, konkret auf deutschem Boden, eingesetzt worden wären. So hieß es im Zuge der Nachrüstungsdebatte in den achtziger Jahren: Je kürzer die Raketen, desto deutscher die Toten. Mit der Auflösung der Sowjetunion und dem Ende des Warschauer Pakts entwickelten wir alle dann die Illusion, dass somit auch die Bedrohung durch einen Nuklearkrieg zu Ende wäre.
So nebenbei nahmen wir in den vergangenen Jahrzehnten die medialen Meldungen war, dass es diverse Abrüstungsverhandlungen und Vereinbarungen gab und irgendwo waren wir der Meinung, dass die Atombombe, die Neutronenbomben und all dies, was wir aus dem kalten Krieg kannten, längst in den militärischen Arsenalen verrottete.
Ein schwerer Irrtum, wie wir indessen wissen. Es blieb Russland vorbehalten, im Zuge des gegenwärtigen Krieges gegen die Ukraine dem Westen mit dem Einsatz von Nuklearwaffen zu drohen. Wladimir Putin ließ mehr oder weniger deutlich in seinen Äußerungen durchscheinen, dass Russland zur Sicherung seiner Existenz zum Einsatz auch von Nuklearwaffen bereit wäre. Politische Beobachter im Westen waren zwar unisono der Ansicht, dass dies bloß ein Drohszenario sei, dennoch war die Gefahr eines Atomkriegs schlagartig wieder Teil des politischen internationalen Diskurses. Und wie heißt es so schön: Nach dem Reden kommen die Taten.
Dies mag auch der Grund sein, warum sich auch in den politischen Kommentaren hierzulande die Ansicht durchsetzt, dass man einen Atomwaffenstaat wie Russland schlicht und einfach nicht besiegen könnte, da dieser im ultimativen Falle eben auch Nuklearwaffen einsetzen würde. Gerade deshalb aber sind die starken Worte, die man aus Kiew aber auch aus dem Pentagon hört, wonach der Krieg erst enden würde, wenn Russland wirklich besiegt sei, wenn man alle besetzten Gebiete, auch die Krim, zurückerobert hätte, so bedrohlich. Das hieße nämlich denklogisch auch, dass man den Einsatz von Nuklearwaffen seitens des solcherart bedrängten Russlands annehmen würde. In einem medial kaum wahrgenommen Interview ließ uns dieser Tage Karl Habsburg, immerhin Enkel des letzten österreichischen Kaisers, wissen, dass er davon ausgehe, dass in der Ukraine seitens der Russen sehr wohl nukleare Gefechtsfeldwaffen eingesetzt würden, nicht strategische Atomwaffen, aber eben doch kleinere nukleare Kaliber. Diese vielleicht politisch nicht sonderlich relevante Aussage demonstriert aber doch, wie sehr in unseren Tagen der Diskurs davon ausgeht, dass Nuklearwaffen selbstverständlich eingesetzt werden können. In früheren Zeiten galt dies noch als undenkbar.
Andererseits aber könnte vielleicht im Zuge des Ukrainekriegs doch wieder so etwas wie ein „Gleichgewicht des Schreckens“ entstehen. Dieses war bekanntlich im Kalten Krieg gewissermaßen die Garantie dafür, dass kein heißer Krieg ausbrechen würde. Der Einsatz von Atomwaffen und deren Konsequenzen waren eben zu schrecklich und damit zu abschreckend. Genau dieser Mechanismus aber könnte es ja sein, der auch in unseren Tagen eine weitere Eskalation der militärischen Auseinandersetzung verhindern dürfte. Immer vorausgesetzt, dass auf beiden Seiten rationale Politiker beziehungsweise vernünftig denkende Militärs agieren. In Stanley Kubricks Film war es bekanntlich ein geistesgestörter General, der den Atomkrieg auslöste. Ob ein solches Szenario auch in unseren Tagen möglich ist, weiß man natürlich nicht. Die westliche Propaganda besagt ja, dass der Kreml-Herr Wladimir Putin ein Irrer sei, eine Annahme, die der Filmhandlung Stanley Kubricks entspräche.
Allerdings gibt es auch Annahmen, es könnten auch Verschwörungstheorien sein, wonach der industriell-militärische Komplex in den USA durchaus Lust verspürt, irgendwo auf dem Planeten, und sei es eben auch in Europa, wieder einmal den Test auf eine atomare Auseinandersetzung zu wagen. Allzu häufig wird jedenfalls in den internationalen politischen Debatten in unseren Tagen davon gesprochen, dass man irgendwo, und sei’s nur begrenzt, Nuklear-
waffen einsetzen könnte. Da wird davon gesprochen, dass Russland eventuell über dem Schwarzen Meer eine Atombombe zünden könnte, um seine Drohgebärden deutlicher und massiver werden zu lassen. Oder es heißt eben von Seiten des Westens, dass man sehr wohl gerüstet sei, um dem Einsatz russischer nuklearer Gefechtsfeldwaffen zu begegnen.
Dabei scheint es den Menschen, der Öffentlichkeit im Westen insbesondere, nicht mehr so recht klar zu sein, welche Folgen die Explosion einer Atombombe oder gar der Einsatz einer Vielzahl von Nuklearwaffen für uns alle hätte. Man sollte sich die Situation im japanischen Hiroschima oder in Nagasaki nach dem Atombombenabwurf durch die USA vergegenwärtigen. Und man sollte sich erinnern, welche Folgen der Unfall im Atomkraftwerk Tschernobyl für uns alle hatte, dass nämlich weite Teile Europas verstrahlt waren und dass die Menschen in der näheren aber auch weiteren Umgebung des Kraftwerks dem Tode geweiht waren oder zumindest schwer erkrankten. Demnach kann man annehmen, dass auch der Einsatz von nuklearen Gefechtsfeldwaffen und die dadurch frei gewordene Strahlung je nach Wetterlage massive Schäden in weiten Bereichen Europas verursachen würde. Ganz abgesehen davon, dass damit wohl weite Teile der Ukraine auf Generationen unbewohnbar würden und damit die Kornkammer Europas nicht wiedergutzumachenden Schaden erleiden würde.
Und dann wäre da noch die militärische Kettenreaktion, die durch den Einsatz auch nur einer Atomwaffe ausgelöst werden würde. Zwangsläufig käme es zur weiteren militärischen Eskalation und zum Einsatz von Nuklearwaffen auch von der Gegenseite. Den Russen muss also klar sein, dass der Einsatz auch nur kleiner Nuklearwaffen einen westlichen atomaren Gegenschlag auslösen würde. Und umgekehrt sollte der Westen wissen, dass ein militärisch ins Eck getriebenes Russland und ein vor dem politischen oder gar physischen Aus stehender Präsident Putin als ultimatives Mittel zum Einsatz von Nuklearwaffen greifen könnte.
So werden wir in unseren Tagen die Bombe zwar nicht lieben lernen, wie es Stanley Kubrick in seinem Film aus den sechziger Jahren sagte, aber wir werden offenbar mit ihr leben lernen müssen. Zu hoffen ist nur, dass das Beispiel des Kalten Krieges Schule macht und dass sie auch in unseren Tagen nur das ultimative Mittel zur Abschreckung bleibt und niemals wirklich zum Einsatz kommt.
Abschied von der Neutralität
19. Mai 2022Nun haben sich also Schweden und Finnland entschlossen, die Neutralität aufzugeben und dem Nordatlantikpakt beizutreten. Die jeweiligen Regierungsparteien haben dies beschlossen, und die Parlamente der beiden Staaten werden es absegnen. Zwar gab es keine Volksabstimmung dazu, Umfragen besagen aber, dass sowohl die schwedische als auch die finnische Bevölkerung in der breiten Mehrheit für den NATO-Beitritt ist.
Die Ursache dafür ist natürlich der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Im Falle Finnlands ist der Entschluss wohl verständlich, die Erinnerung an den finnisch-sowjetischen Winterkrieg ist da wohl noch sehr präsent. Was Schweden betrifft, das seit den Napoleonischen Kriegen bündnisfrei beziehungsweise neutral ist, sieht es schon anders aus. Für die Schweden war die Neutralität eine Frage der Identität – ähnlich wie es heute bei uns in Österreich ist.
Apropos Österreich: Nun sind wir als neutraler Staat innerhalb der Europäischen Union ziemlich einsam. Nur noch der kleine Inselstaat Malta und Irland sind so wie wir in der EU neutral. Aber von wegen neutral, spätestens seit dem EU-Beitritt sind wir durch die Verpflichtung, solidarische Beistandspflicht im Falle eines Angriffs auf ein anderes EU-Land zu üben, ohnedies nicht mehr wirklich neutral.
Und so stellt sich die Frage, ob diese unsere immerwährende Neutralität, für die Umfragen zufolge mehr als 70 Prozent der Österreicher ganz entschieden eintreten, nicht doch so etwas wie eine Lebenslüge der Republik darstellt. Eine Lebenslüge war es zweifellos in den Zeiten des Kalten Krieges. Hätte es nämlich damals einen Angriff des Warschauer Pakts es auf Österreich gegeben, wären wir militärisch wohl ziemlich hilflos gewesen.
In militärischer Hinsicht ist es heute wohl kaum anders. Das Österreichische Bundesheer ist in einem derart desolaten Zustand, dass eine wirkliche militärische Landesverteidigung kaum denkbar wäre. Kaum denkbar ist allerdings auch ein Angriff eines Nachbarlandes auf Österreich. Zum einen handelt es sich dabei samt und sonders um EU-Mitgliedstaaten, zum anderen sind sie mit Ausnahme der Schweiz und Liechtenstein auch alle NATO-Mitglieder.
So dürften die Österreicher also in ihrer breiten Mehrheit hoffen, sich auch künftig genüsslich der immerwährenden Neutralität hinzugeben, während die anderen Kriege führen mögen. Und auch die gegenwärtigen Beteuerungen, dass man nunmehr dem Bundesheer endlich entsprechende Mittel zuführen wolle, könnten sich im Zuge dieser Einstellung bald wieder in Wohlgefallen auflösen.
Aus historischer gesamtpolitischer Sicht allerdings scheinen die Österreicher so etwas wie ein gutes Gespür zu haben. Ein NATO-Beitritt würde nämlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt lediglich die Unterwerfung unter die US-amerikanischen militärischen Interessen bedeuten. Die NATO ist ja nach wie vor absolut am Gängelband Washingtons, so etwas wie eine Emanzipation des europäischen Teils der NATO hat noch nicht stattgefunden und wird wohl auch in näherer Zukunft nicht stattfinden. Und nur wenn es die NATO als eigenes und souveränes Sicherheitssystem für Europa gäbe, könnte man der Alpenrepublik mit Fug und Recht raten, diesem beizutreten.
Richtungsweisende Opposition
12. Mai 2022Die Meinungsumfragen besagen zurzeit, dass es im Lande drei ähnlich starke Mittelparteien gibt. Interessant ist dabei, dass die Sozialdemokratie die regierende Volkspartei offenbar überholt hat, mit rund 25 Prozent steht sie an erster Stelle. Die Volkspartei und die mitregierenden Grünen haben längst keine relative Mehrheit mehr im Lande. Die Menschen wollen offenbar eine andere Regierung. Die Freiheitlichen liegen bei rund 18 Prozent, Optimisten meinen sogar bei 20 Prozent und mehr. Parteichef Herbert Kickl sprach jüngst in der ORF-„Pressestunde“ davon, dass man – frei nach Jörg Haider – die anderen die Umfragen gewinnen lassen solle, um selbst dann bei den Wahlen zu reüssieren.
Tatsächlich vermag sich die FPÖ wiederum als staatstragende Opposition zu positionieren. Gerade in der Frage des Ukrainekrieges ist sie die einzige Kraft im Lande, die energisch und überzeugend auf die österreichische Neutralität hinweist. Zwar wird sie deshalb als Putin-Versteher geschmäht, die Mehrheit der Österreicher ist allerdings laut Umfragen prinzipiell für die Erhaltung der Neutralität und dürfte deshalb der freiheitlichen Linie sympathisierend gegenüberstehen.
Ähnlich verhält es sich gewiss, wenn es um die Erhaltung der Bürgerfreiheit geht, die bekanntlich in den letzten zwei Jahren im Zuge der Corona-Politik der Regierung immer wieder massiv eingeschränkt wurde.
Auch da haben die Freiheitlichen immer wieder durchaus zurecht und dabei unter Beifall eines großen Teils der österreichischen Bevölkerung gegen die Aushebelung der Grundrechte protestiert. Die Schattenseite dieser Haltung mag es gewesen sein, dass die FPÖ in diesen Jahren allzu sehr einzig mit dem Thema Corona identifiziert wurde.
Nun allerdings haben die Freiheitlichen mit dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur ÖVP-Korruption ein neues Betätigungsfeld gefunden, das große innenpolitische Möglichkeiten erschließt. Die Volkspartei, die seit mehr als 30 Jahren ununterbrochen in der Regierung ist, bedarf offenbar eines Aufenthalts im politischen Trockendock, also in der Opposition, um sich moralisch zu regenerieren. Allzu häufig gab es in den letzten Jahren Korruptionsverdacht im Umfeld der ÖVP.
Dies ist auch der Grund, warum sich diese Ausgabe der ZurZeit mit diesem Untersuchungsausschuss beschäftigt und dabei insbesondere dem freiheitlichen Fraktionsführer Hafenecker ein breites Interview widmet. Zusätzlich bringen wir Auszüge einer Rede von Partei Chef Herbert Kickl, die er am jüngsten oberösterreichischen Parteitag gehalten hat und die uns in weiten Bereichen als überaus richtungsweisend erscheint. Dies demonstriert nicht zuletzt, in welch hohem Maße unsere ZurZeit bereit ist, die politische Linie der FPÖ unter Herbert Kickl zu unterstützen, wenn sie der Ansicht ist, dass diese dem Lande dienlich ist.
Nichtsdestotrotz sei dem Autor dieser Zeilen eine Frage an den FPÖ Chef gestattet: Als einer, der im kommenden Jahr auf 50 Jahre Partei-Mitgliedschaft zurückblicken kann und die FPÖ publizistisch unter Friedrich Peter, Alexander Götz, Norbert Steger, Jörg Haider, Susanne Riess, Herbert Haupt, Hilmar Kabas und H.-C. Strache bis zum heutigen Tag begleitet hat und überdies 13 Jahre als Abgeordneter für sie im österreichischen Parlament und im Europäischen Parlament gearbeitet hat, wurde ihm vom Parteiobmann Herbert Kickl bei besagter ORF-„Pressestunde“ ausgerichtet: „Andreas Mölzer hat mit seinen Aussagen sein politisches Erbe selbst demontiert.“
Dies sagte er als Reaktion auf die Fragen der ORF-Journalisten, was er zu innerparteilicher Kritik meine. Daher also die Frage: Welche Aussagen sollen das genau sein? Von welchem Erbe spricht der Herr Parteiobmann? Und was heißt schließlich „demontiert“?
Ohne Kickls Antwort, die er einem ehemaligen Abgeordneten und langjährigen Parteimitglied wohl schuldet, vorgreifen zu wollen, hier dazu einige persönliche Bemerkungen:
Mit der Vielzahl jener Aussagen, die der Autor dieser Zeilen in 40 Jahren publizistischer Tätigkeit in Funk, Fernsehen und Printmedien getätigt hat, wollte er der freiheitlichen Gesinnungsgemeinschaft, dort, wo sie seines Erachtens legitime und vernünftige Anliegen vertreten hat, stets nützen. Ob das allerdings immer gelungen ist, ist natürlich eine andere Frage.
Ob es weiters so etwas wie ein „politisches Erbe“ seiner Person gibt, ist auch zu hinterfragen. Nachdem die Nachricht seines Ablebens verfrüht ist, gibt es noch kein Erbe zu vergeben. Sollte der Bundesparteiobmann damit allerdings insgesamt seine politische und ideologische Position meinen, so sei an dieser Stelle angemerkt, dass er sich stets als Glied einer national-liberalen Gesinnungsgemeinschaft gesehen hat. National im Sinne der Erhaltung der historisch gewachsenen kulturellen deutschen Identität seiner Heimat. Und liberal im Sinne der individuellen und kollektiven Freiheit, insbesondere der Meinungsfreiheit.
So ersucht er also den Obmann seiner Partei um Beantwortung seiner Fragen – genauso öffentlich wie dieser ihn in der ORF-„Pressestunde“ attackierte! Und er verweist in diesem Zusammenhang auf sein persönliches Lebensmotto, das er Friedrich Schillers Lied „an die Freude“ entlehnt hat:
Festen Mut in schwerem Leiden,
Hilfe, wo die Unschuld weint,
Ewigkeit geschwornen Eiden,
Wahrheit gegen Freund und Feind,
Männerstolz vor Königsthronen …
Von Parteien, Korruption und Hypermoral
12. Mai 2022Die Demokratie, wie sie sich in der westlichen Welt entwickelt hat, ist im Wesentlichen als Parteienstaat organisiert. Politische Parteien stellen sozusagen die Gesamtheit an sozialen Schichten und ideologischen Einstellungen des jeweiligen Gemeinwesens dar. Das Wort „Partei“ kommt ja vom lateinischen Begriff „pars“ und bedeutet Teil.
Wenn es in Österreichs Parteienlandschaft ursprünglich drei große Lager gegeben hat – das christlich-konservative, das sozialdemokratisch-austromarxistische und das national-liberale –, so haben die entsprechenden Parteien damit mehr oder weniger die Gesamtheit des ideologischen und soziologischen Spektrums des Landes abgebildet. Dieses Spektrum hat sich natürlich im Laufe der historischen Entwicklung der letzten 100 Jahre in hohem Maße verändert. Dennoch haben die derzeit existenten politischen Parteien im Lande unausgesprochen jeweils den Auftrag, einen Teil der Gesellschaft zu vertreten. Und in den jeweiligen Wahlgängen wird immer aufs Neue überprüft, ob den Parteien dieser Vertretungsanspruch zuerkannt wird.
Konkret heißt dies für die österreichische Parteienlandschaft, dass sich immer aufs Neue die Frage stellt, ob beispielsweise die Volkspartei für konservative Werte eintritt, die Interessen ihrer Klientel und eben auch der Wirtschaft tatsächlich vertritt. Und ebenso stellt sich die Frage, ob die Sozialdemokratie tatsächlich effizient für die Rechte der Arbeiterschaft beziehungsweise der Arbeitnehmer eintritt. Und natürlich gilt es dann auch zu überprüfen, ob die Freiheitlichen noch immer nationale und liberale Belange, also die Interessen ihrer Wählerschaft vertreten. Dabei ist klar, dass sich der Charakter dieser Belange in unseren Zeiten anders darstellt als in der Ersten Republik oder in den Nachkriegsjahrzehnten.
So haben die Christlich-Konservativen ursprünglich unter ihrem Gründer Lueger vorwiegend die Interessen des kleinen Gewerbes vertreten, in der Folge auch jene des Großbürgertums und der Industrie. Heute sieht sich die Volkspartei über ihre Bünde als Vertreterin aller Schichten der Bevölkerung. Diesbezüglich vermag sie kaum mehr wirklich Glaubwürdigkeit zu erlangen. Auch die Sozialdemokratie dürfte im Hinblick auf ihre ursprüngliche Klientel ausgedient haben. Die Arbeiterklasse als solches gibt es nur mehr in Restbeständen. Die Sozialdemokratie ist heute eine Vertretung des Kleinbürgertums, aber auch der linken Pseudointellektuellen geworden.
Und was die Freiheitlichen betrifft, so ist nationale Politik heute natürlich nicht mehr das Streben nach einem politischen Anschluss an Deutschland, sondern schlicht und einfach das Eintreten für die Erhaltung und Weiterentwicklung der eigenen Kultur und der eigenen Muttersprache. Und während liberale Politik ursprünglich der Kampf um Verfassung und Rechtsstaat war, ist es heute zweifellos das Eintreten gegen die Aushöhlung der bürgerlichen Grundrechte, so wie wir es etwa im Zuge der Corona-Pandemie erlebt haben.
Sind die politischen Parteien nicht mehr in der Lage, dieser Überprüfung der Erfüllung ihrer Aufgaben standzuhalten, laufen sie Gefahr zu Allerweltsparteien zu werden. Sie stellen nicht mehr einen Teil der Gesellschaft dar, sie haben den Anspruch für alles und nichts einzutreten. Damit verlieren sie zwangsläufig auch das Vertrauen ihres Wählerpotenzials und werden über kurz oder lang in der politischen Bedeutungslosigkeit versinken. Obwohl nun also die politischen Parteien theoretisch die Ideologie ihrer Wählerschaft vertreten, sind sie in ihrem inneren Wesen keineswegs idealistische Vereinigungen.
Gemäß dem „ehernen Gesetz der Oligarchie“, wie wir es seit Robert Michels kennen, herrscht in den politischen Parteien vielmehr ein ständiges Ringen um die Macht und um Positionen, also um Mandate. Und dies bedingt ein hohes Maß an Opportunismus und die Bereitschaft zu gnadenlosen Intrigen. Politische Parteien, beziehungsweise das Getriebe in ihnen, bringt also keineswegs das Gute, Edle und Schöne im Menschen hervor, es fördert vielmehr in zahlreichen Fällen das Mittelmaß oder sogar die Niedertracht.
Das sattsam bekannte Sprichwort „Feind, Todfeind, Parteifreund“ ist durchaus zutreffend. Dies lässt sich in allen Parteien des Landes, in der Sozialdemokratie ebenso wie in der Volkspartei und den Freiheitlichen, verifizieren. Das Ringen um Einfluss, um Funktionen und Mandate in den Parteien und damit aber auch im Staatsapparat und somit gleichzeitig der Kampf um die Futtertröge wird nicht nur hierzulande eben vorwiegend über die politischen Parteien ausgetragen.
Und überdies neigen die politischen Parteien, und zwar ausnahmslos, alle, wenn sie allzu lange an der Macht sind, zur Korruption. Wie heißt es im Sprichwort so zutreffend: Macht korrumpiert und totale Macht korrumpiert total! Jetzt gibt es in den westlichen Demokratien zwar genügend Kontrollmechanismen, welche den allzu starken Machtmissbrauch verhindern sollen. Dennoch ist es ein Leichtes für politische Parteien, die allzu lange an den Schalthebeln der Macht sitzen, diese Kontrollmechanismen zu unterlaufen. Ein Beispiel dafür ist sicherlich die Österreichische Volkspartei, die mehr als drei Jahrzehnte ununterbrochen in der Bundesregierung war und solcher Art eine Fülle von korruptionsverdächtigen Vorgängen zu verbuchen hat.
Allerdings ist Korruption in Österreich nicht nur eine Spezialität der Volkspartei, nein auch die Sozialdemokratie hat eine Fülle von Korruptionsfällen im Zuge der Geschichte der Zweiten Republik zu verbuchen. Dies liegt nicht zuletzt am System des Proporzes. Dieser hat dazu geführt, dass die zumeist in der Zweiten Republik regierenden politischen Parteien, also Volkspartei und Sozialdemokratie, im staatlichen und vorstaatlichen Bereich in der Verwaltung, in der Wirtschaft, in der Kultur und sogar im Bereich des Sports alle Führungspositionen mit Parteigängern zu besetzen vermochten.
Gerechterweise muss man sagen, dass auch die zumeist in der Opposition befindlichen Freiheitlichen dann, wenn sie in Regierungsfunktionen waren, vor der Versuchung der Korruption nicht gefeit waren, wie die Gerichtsverfahren gegen Mitglieder der „Buberl-Partie“ des Jörg Haider, etwa gegen den vormaligen Finanzminister Karl-Heinz Grasser oder Walter Maischberger beweisen.
Im Zuge der zweifellos notwendigen Korruptionsbekämpfung hat sich auch in den letzten Jahrzehnten so etwas wie eine Hypermoral entwickelt, welche einerseits Verhaltensweisen, die im geringsten Maße an Korruption denken lassen, kriminalisiert, andererseits aber Betrugs- und Bestechungsvorgänge größeren Ausmaßes kaum tangiert. So wird die Einladung zu einem Mittagessen bereits als „Anfüttern“, also als Bestechungsversuch gewertet, während etwa Preisabsprachen großen Ausmaßes oder verdeckte Kartellbildung, beispielsweise im Baugewerbe, kaum damit bekämpft werden können. Wenn die politischen Parteien in früheren Zeiten ihrer Klientel Arbeitsstellen und Wohnungen zu besorgen pflegten, gilt dies heute bereits als absolute Korruption.
Zusammenfassend darf also gesagt werden, dass die politischen Parteien ganz einfach zur Demokratie gehören und zweifellos unersetzbar sind. Die Frage, was man an ihre Stelle setzen könnte, welche Alternativen es also geben könnte, ist schlicht und einfach kaum zu beantworten. Ebenso muss aber gesagt werden, dass dem Parteienstaat ein hohes Maß an Korruptionsanfälligkeit innewohnt. Um diese zu bekämpfen ist es zweifellos notwendig, Transparenz durchzusetzen und die Kontrollmechanismen zu optimieren. Und dabei gilt es wiederum, die Entwicklung jener Hypermoral, dieser gewissen Scheinmoral, zu verhindern, die in beispielloser Heuchelei vorgibt, Korruption zu bekämpfen, die letztlich aber nur dazu dient, sie zu verschleiern.
Tatsache ist eben, dass der Mensch ein mit Fehlern und Schwächen behaftetes Wesen ist, das allzu leicht in Versuchung geführt werden. Und jegliches Menschenwerk ist selbst mit Schwächen und Fehlern behaftet. Dem Rechnung zu tragen obliegt sowohl dem Strafrecht als auch unserem Verfassungsgefüge.
Europas „Bloodlands“
6. Mai 2022Von Schlachtfeldern und Friedensregionen (Teil II)
Die „Bloodlands“ zwischen Baltikum und Schwarzen Meer – die Ukraine: Der amerikanische Historiker Timothy Snyder schilderte in seinem heftig diskutierten Buch „Bloodlands“ drei miteinander verknüpfte Geschichten, nämlich Stalins Terrorkampagnen, Hitlers Holocaust und den Hungerkrieg gegen die Kriegsgefangenen und die Zivilbevölkerung. Blutige Tragödien, die sich zur gleichen Zeit und am gleichen Ort, nämlich im Raum rund um die Ukraine zugetragen haben. Damit wirft er einen Blick auf diesen tragischen Teil der Geschichte des 20. Jahrhunderts, der zeigt, dass es dieses dritte zentrale Schlachtfeld zwischen Bug und Don, zwischen Baltikum und Karpaten war, in dem sich unsägliche Tragödien abspielten.
Natürlich gab es in diesem Raum auch im Laufe der Jahrhunderte vor den zwei Weltkriegen und vor unseren Tagen blutiges Völkerringen. Die Gründung des Reichs der Rus-Wikinger in Kiew und dann die Expansion des zaristischen Russlands seit Iwan dem Schrecklichen war mit gewaltigem Blutvergießen verbunden. Davor die Herrschaft der Mongolen, der Goldenen Horde, stellte ebenso eine blutrünstige Despotie dar. Auch die Kriegszüge des schwedischen Königs Karl XII. forderten zahlreiche Opfer.
Einen ersten Höhepunkt des kriegerischen Schlachtens stellt zweifellos der Napoleonische Russlandfeldzug aus dem Jahr 1812 dar. Die zaristische Strategie der verbrannten Erde, der Untergang der französischen Grande Armée und die Opfer der russischen Zivilbevölkerung und der Streitkräfte Kutusows deuteten bereits an, was ein Jahrhundert später in dieser Region stattfinden sollte: Im Ersten Weltkrieg war die Ostfront zwischen dem Ostseestrand und den Karpaten gekennzeichnet von beispiellosen Menschenmorden.
Allein die k. u. k. Armee verlor in Galizien, das heute bekanntlich zur Ukraine gehört, in den ersten Kriegsmonaten im Herbst des Jahres 1914 mehr als eine Million Soldaten. Und die Russen trieben die zum Teil schlecht ausgebildeten und schlecht bewaffneten Muschiks in den Schlachten gegen die preußisch-deutschen Armeen im Norden und im Karpatenbereich gegen die habsburgischen Truppen gnadenlos an die Front. Menschenopfer zählten nur wenig. Bis zum Ende des Zarenreichs und bis zum Frieden von Brest-Litowsk Anfang März 1918 fielen Millionen Soldaten, Russen, Österreicher und Deutsche auf dem Territorium dieser „Bloodlands“. Und der darauffolgende Bürgerkrieg zwischen roten und weißen Einheiten in den frühen Jahren der Sowjetunion forderte weitere zahllose Opfer.
Doch damit nicht genug, forderte Stalins „Holodomor“ insbesondere in der ukrainischen Sowjetrepublik Millionen Todesopfer. Die vom sowjetischen Diktator mutmaßlich willentlich verursachte Hungernot und die politischen Säuberungen und die Maßnahmen gegen die Kulaken verursachten insgesamt wohl an die 30 Millionen Tote.
Das solcherart geschundene Land, vergrößert durch Ostpolen, das durch den Hitler-Stalin-Pakt in den Machtbereich der Sowjets fiel, sollte in der Folge zum Hauptkriegsschauplatz des deutschen Russlandfeldzuges werden. Keineswegs nur die gefallenen Soldaten, sondern Millionen sowjetischer Kriegsgefangener wurden zum Opfer des Vernichtungskriegs der Nationalsozialisten.
Vice versa kamen in der Folge Millionen deutscher Kriegsgefangener in sowjetischen Lagern um. Und auf dem gleichen Territorium fanden die von den sogenannten Einsatzgruppen verursachten Massenmorde an der jüdischen Bevölkerung statt, wobei diese bereits vor dem Einmarsch der Deutschen im hohen Maße als „Klassenfeinde“ Opfer der sowjetischen Geheimdiensteinheiten geworden waren. Blutgetränkte Erde also in dieser europäischen Großregion zwischen Baltikum und Schwarzem Meer, zwischen Bug und Don, „Bloodlands“, wie es Timothy Snyder, der amerikanische Historiker formuliert.
Wenn man gehofft hatte, dass nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts und mit der Gründung demokratischer Staaten, beziehungsweise Systeme, den ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts die Chance für die Entwicklung einer dauerhaften Friedensregion gegeben wäre, sollte letztlich in unseren Tagen dann auch eines Besseren belehrt werden.
Nach der vorübergehenden Schwäche Russlands unter Boris Jelzin war es das Bestreben des Kremls unter dem neuen „Zaren“ Wladimir Putin, die Großmachtstellung Russlands wiederherzustellen. „Make Russia great again“, mochte sich der Kremlherr in Anlehnung an die Devise Donald Trumps gedacht haben, als er erst im Kaukasus, dann auf der Krim und in der Ostukraine militärische Gewalt obwalten ließ. Die Hoffnung des Westens, insbesondere der EU-Europäer, dass die Demokratisierung der Staaten Mittel- und Osteuropas auch Russland erfassen könnte, blieb Illusion.
Die EU-Ostererweiterung festigte allerdings den Staatengürtel zwischen Baltikum und Balkan. Der NATO-Beitritt der meisten dieser Länder allerdings musste im Kreml das Bedrohungsszenario einer militärischen Einkreisung hervorrufen. Wladimir Putins aktueller Einmarsch in der Ukraine darf zwar als Reaktion auf diese Entwicklung definiert werden, dies stellt aber keinesfalls auch nur irgendeine Form von Rechtfertigung dafür dar.
Und wieder ist die Ukraine Schlachtfeld. Und so erweist sich, dass die Balkankriege der 90er Jahre keineswegs die letzte militärische Auseinandersetzung in Europa darstellten. Die „Bloodlands“ im Osten Europas werden neuerlich zur Stätte großflächiger militärischer Gewalt. Die Zerstörung von Städten und Dörfern, Flucht und Vertreibung von Millionen Menschen, zehntausende gefallene Soldaten und traumatisierte Zivilisten sind die Folge dieses Angriffskriegs. Von der Möglichkeit, in diesem Bereich Osteuropas auch nur langfristig so etwas wie eine Friedensregion, vergleichbar etwa mit der Alpen-Adria-Region oder dem deutsch-französischen Bereich westlich des Rheins herzustellen, wagt man nicht einmal mehr zu träumen.
Auf den europäischen Schlachtfeldern rund um Verdun und auch im Tal der Soca, wie der Isonzo heute heißt, künden nur mehr Soldatenfriedhöfe und Gedenkstädten vom einstigen großen Morden. Dort hat man sich längst auf gemeinsame Geschichtsbilder geeinigt und ist nicht mehr auf gegenseitige Schuldzuweisungen an den einstigen Gräueln angewiesen.
Friedensregionen zeichnen sich durch gemeinsames und grenzüberschreitendes Opfergedenken aus. Ein gemeinsames Opfergedenken, wie es etwa durch die Aktivitäten der Kärntner Konsensgruppe im südlichsten Bundesland Österreichs im Hinblick auf die Opfer des Nationalsozialismus und auf jene der Partisanenverbrechen längst üblich ist. Im Herzen des Balkans rund um die Schädelstätte von Srebrenica ist man allerdings noch nicht so weit. Vorläufig schweigen dort aber wenigstens die Waffen. Im Donbass tobt der Kriegsfuror weiter, wird das alte Schlachtfeld neuerlich mit frischem Blut gedüngt.
Wir, die Verlierer dieses Krieges
6. Mai 2022Blitzkrieg ist es längst keiner mehr, was da gegenwärtig in der Ukraine stattfindet. Wladimir Putin hat sich mit Sicherheit verrechnet, als er glaubte, das Land in wenigen Tagen unter Kuratel stellen zu können. Weder hat ihn die Ukrainer – nicht einmal die ethnischen Russen – mit Blumen begrüßt, noch brach der Widerstand der ukrainischen Armee rasch zusammen. Im Gegenteil, die Bürger der Ukraine, selbst jene mit russischer Muttersprache, sind auf den russischen Aggressor wesentlich schlechter zu sprechen als vor dem Ausbruch des Krieges. Dass die russische Armee Städte mit russischer Bevölkerung wie Mariupol oder Charkow niederbombte, hat dem Kreml keine Sympathie gebracht.So kann man schon heute sagen, dass dieser Krieg für die Russen kein glänzender militärischer Erfolg sein wird. Dafür aber ist Russland weltweit isoliert und als Nation stigmatisiert, die einen verbrecherischen Angriffskrieg führt. Geopolitisch und wirtschaftlich ist Russland also ganz unabhängig vom militärischen Ausgang dieses Krieges mit Sicherheit einer der Verlierer desselben.
Und natürlich sind die Menschen in der Ukraine die Verlierer dieses Krieges. Zehntausende Tote, schwer verletzte Soldaten und traumatisierte Frauen, Kinder und alte Menschen sind das Ergebnis der militärischen Auseinandersetzungen. Und überdies ist das Land zerstört, die Städte zerbombt, die Dörfer devastiert. Zwar mögen jene Stimmen Recht haben, die da behaupten, dass erst dieser Krieg die ukrainische Nationswerdung beschleunigt, beziehungsweise abschließt. Tatsache ist aber, dass die Ukraine ein vom Krieg zerstörtes Land sein wird.
Und dann gibt es natürlich noch einen großen Verlierer dieses Ukrainekrieges und das sind wir Europäer insgesamt. Die militärische Auseinandersetzung um das Land zwischen Bug und Don ist nämlich keine europäische Auseinandersetzung, sie ist ein Ringen um die Macht zwischen der einzig verbliebenen Supermacht, den USA, und dem wieder aufstrebenden Russland unter Putin. Die EU hat nur eine Statistenrolle. Sie durfte zwar Waffen liefern und Milliarden-Zahlungen an Kiew leisten und sie wird nach Ende des Krieges den Wiederaufbau finanzieren müssen, machtpolitisch hat sie aber nichts zu melden. Sie muss vielmehr nach der Pfeife der Amerikaner tanzen. Dies erkennt man am besten an der Rolle, die die deutsche Regierung unter Olaf Scholz zu spielen hatte. Sie zögerte zuerst schwere Waffen zu liefern, letztlich wurde sie aber doch dazu genötigt.
Nicht nur machtpolitisch zählen die Europäer zu den Verlierern dieses Krieges, auch die Bürger quer durch Europa gehören zu den Verlierern. Jeder einzelne wurde im Zuge dieses Krieges ärmer. Die steigende Inflation vernichtet großflächig das Vermögen der Sparer und reduziert die Kaufkraft der Einkommen der Pensionisten und Kleinverdiener. Abgesehen davon werden die europäischen Steuerzahler indirekt auch die Kosten des Krieges und die des Wiederaufbaus in der Ukraine bezahlen müssen. Überdies auch die enormen Belastungen, die die Aufrüstung der Armeen der EU-Mitgliedstaaten erfordern wird. Dann kommt noch ein weiterer Faktor hinzu, der die Europäer weltpolitisch zu Verlierern dieses Krieges macht. Sie hätten nämlich in einer engen Allianz, insbesondere in einer ökonomischen Zusammenarbeit mit den Russen die einzige Chance gehabt, gegenüber dem aufstrebenden China und den USA ein globaler politischer Faktor zu werden.
Durch diesen Krieg aber sind Europäer und Russen auf Jahrzehnte, wenn nicht gar auf Generationen auseinanderdividiert. Und nach diesem Krieg, wie auch immer er militärisch ausgehen wird, dürfte ein neuer Eiserner Vorhang zwischen dem russischen Einflussbereich und der Europäischen Union herunter gehen. Freuen dürfen sich die Amerikaner, die es wieder einmal geschafft haben, ohne eigenes militärisches Risiko und wohl auch ohne Kosten ihre weltpolitische Rolle als Supermacht zu spielen. Die amerikanische Rüstungsindustrie dürfte gewaltige Geschäfte machen und die russische Konkurrenz aber auch die verbündeten Europäer werden politisch durch den Ukrainekrieg deklassiert. Freuen darf sich natürlich auch das kommunistische China, das sich die gesamte Auseinandersetzung erste Reihe fußfrei ansehen kann. China darf sich als Vermittler profilieren, und in Peking mochte man mit Wohlgefallen gesehen haben, wie das alte Europa zu einer Weltmacht der dritten Kategorie heruntergestuft wurde.
Und so könnte aus einer multipolaren Weltordnung, wie sie sich in den letzten zwei Jahrzehnten angedeutet hatte, wieder eine bipolare Weltordnung werden, in der einzig und allein die Vereinigten Staaten von Amerika und China eine Rolle als Supermacht spielen. Russ-land und die europäische Union sind im Vergleich dazu nur mehr zweitrangige Mächte.