Generationenkonflikte und Generationenverträge – eine Betrachtungen
Wie skandierten die 68er so schön: „Traue keinem über dreißig“. Und sie positionierten sich damals als neue linke Jugendbewegung, als weitgehend studentische Protestbewegung gegen das Establishment, gegen die Alten, gegen die Spießer und verzopften Reaktionäre.
Das war im Jahre 1968. Kaum eine Generation davor hat es auch eine Jugendbewegung gegeben, nämlich in den 30er-Jahren die Nazis. Die österreichischen Gauleiter etwa waren im Anschlussjahr tatsächlich alle unter dreißig und Hitler selbst war, als er mit 44 Reichskanzler wurde, auch noch ein vergleichsweise junger Politiker. Auch damals war Jugend alles und ältere Politiker galten als reaktionär, spießig und verzopft. Die jugendbewegten Revolutionäre der 30er-Jahre endeten häufig in den Schützengräben des Zweiten Weltkriegs oder danach vor den Entnazifizierungsgerichten. Die Jugendbewegten der späten 60er-Jahre hingegen schafften den „Weg durch die Institutionen“ und enden gerade in unseren Tagen auf Parlamentssitzen, in Chefredakteursbüros oder Aufsichtsratsfunktionen – wenn sie nicht schon in Pension sind.
Tatsächlich gibt es so etwas wie gesellschaftliche Wellenbewegungen zwischen Zeiten, in denen Jugendkult dominiert und Zeiten, in denen dem Prinzip des Seniorates, der Hochschätzung der weisen Alten, gefrönt wird. Dabei ist Alter in der Menschheitsgeschichte etwas durchaus Relatives und es verschiebt sich zunehmend nach hinten ins wirklich hohe Lebensalter. Lag die durchschnittliche Lebenserwartung in der Jungsteinzeit bei 21 Jahren, das heißt, ein Zwanzigjähriger war alt, so konnte man im altgriechischen Sparta mit siebenundzwanzig Jahren Angehöriger des Areopag, des Rats der Alten werden. Wenn man also all die Schlachten und das Schlachten überlebte, war man als Endzwanziger bereits ein weiser alter Mann. Und die griechischen Philosophen „blühten“ mit vierzig, hatten also mit diesem Alter die Höhen ihrer Schaffenskraft erreicht. Andererseits wurde Konrad Adenauer, der Repräsentant der Nachkriegspolitiker in Deutschland schlechthin, erst mit dreiundsiebzig Jahren Bundeskanzler, um es dann für lange Jahre zu bleiben. Und in der KPdSU der Sowjetunion unter Breschnew galt jeder unter achtzig als Lausbub, so relativ kann Alter sein. Wenn man aber das politische Geschehen betrachtet, so ist es wohl eine Tatsache, dass revolutionäre Phasen der Geschichte, Zeiten des Umbruches also, eher von jugendlichen Exponenten geprägt sind. Im Gegensatz dazu sind Phasen strukturkonservativer Beharrung und ruhiger Entwicklung wohl eher von reifen und langgedienten Persönlichkeiten dominiert. Dabei kann man aber auch feststellen, dass die jungen Revolutionäre häufig in den Jahren und Jahrzehnten danach zu strukturkonservativen Systemerhaltern mutieren und sich durchaus mit Zähnen und Klauen jene Pfründe zu bewahren trachten, die sie als junge Revolutionäre erkämpften. Fidel Castro lässt grüßen.
Auch in der politischen Landschaft Österreichs kann man derlei Entwicklung beobachten. Die heimischen Grünen etwa halten sich zugute, aus der Umweltbewegung der 80er-Jahre zu stammen, wobei sie eher verschweigen, dass die meisten von ihnen aus der neulinken Bewegung der späten 60er- und 70er-Jahre kommen. Viele von ihnen wurden politisiert im Spektrum der linken Sekten von Maoisten, Marxisten und Trotzkisten etc. Das Mäntelchen der Umweltschützer haben sie sich zumeist erst später mit mehr oder minder großer Überzeugung umgehängt. Zweifelsfrei ist jedenfalls, dass sie sich damals in den 70er- und 80er-Jahren mit Recht als Jugendbewegung verstehen konnten. Heute sind die meisten Grünexponenten mit ihrer Partei mitgealtert und sind längst Zierden des neuen linken Spießertums, das sich politisch korrekt bei den diversen zeitgeistigen NGOs und der vielzitierten urbanen Gesellschaft umtut. Ein Musterexemplar dieser Gattung stellt der grüne Präsidentschaftskandidat Alexander Van der Bellen dar.
Jugendbewegt war aber auch die Gegenseite. Bereits im freiheitlichen Atterseekreis und später in der Haider-FPÖ verstand sie sich als jugendliche Gegenbewegung gegen altnationale und reaktionäre Bildungsbürger. Norbert Steger wollte den Aufbruch der jungen Liberalen repräsentieren, und Jörg Haiders Buberlpartie wurde von ihren medialen Kritikern als Exponenten des sogenannten „Feschismus“ abgestempelt. Aber auch in der heutigen großen Oppositionspartei wird viel von „Verjüngung“ gesprochen. Dabei übersehen jene, die dieselbe verlangen, häufig, dass sie selbst auf die fünfzig zugehen und – schwuppdiwupp – in eigener Person schon recht bald das Pensionsalter vor Augen haben müssen.
Wenn man sich das Problem aber ernsthaft vor Augen führt, muss man sich einerseits eingestehen, dass jugendlicher Schwung, jugendliche Energie, das Frische und Unverbrauchte, durchaus so etwas wie ein politisches und gesellschaftliches Modell sein können. Wie könnte in einer Gemeinschaft Aufbruchsstimmung und Zukunftsoptimismus erzeugt werden, wenn nicht durch junge Menschen und ihrem Streben nach Erfolg und Glück. Dabei mögen Naivität und Unerfahrenheit eine Rolle spielen, zynische Abgeklärtheit und allzu viele schlechte Erfahrungen wären da womöglich nur Bremsfaktoren, die eben jene Aufbruchsstimmung behindern würden. Mit einem Wort: Jugendliche Politiker, jugendliche Manager, jugendliche Führungskräfte müssen wohl an der Spitze eines jeden neuen Aufbruchs stehen.
Im Gegensatz dazu steht die Erfahrung, die Abgeklärtheit, die Weisheit des reifen Menschen, der Verantwortung in der Familie, in den diversen Gemeinschaften, in der Politik und der Gesellschaft trägt. Die eigene individuelle Lebenserfahrung, aber auch die kollektive Erfahrung durch die Kenntnis der Geschichte vermögen die Beurteilung von Problemen und Aufgabestellungen gewiss besser zu ermöglichen, als dies bei jungen Menschen möglich ist. Ob es jetzt in der kleineren Familie stattfindet oder in einem Wirtschaftskonzern, im Bereich der Politik oder anderswo, konservative Gesinnung zielt stets auf die Erhaltung des Bewährten ab. Und das scheint zu den Gesetzlichkeiten des menschlichen Lebens zu gehören, dass man ab einem gewissen Alter Veränderung eher kritisch sieht und eher von Sorgen und Ängsten bewegt wird, dass man Erreichtes verlieren könnte.
Angst ist ein schlechter Ratgeber, könnte man den Alten vorwerfen, die Gier aber auch. Die Gier nach Erfolg und nach Glück, muss man wohl den Jungen sagen. Im Wechsel zwischen beiden Faktoren, im steten Pendelschlag zwischen Verjüngung und Erfahrung, zwischen Neubeginn und Vollendung, liegt also zweifellos eine anzustrebende harmonische, individuelle, aber auch kollektiv gesellschaftliche Entwicklung. Der Jugendlichkeitswahn mancher gesellschaftlicher und politischer Epochen kann ins Verderben führen, das allzu starre Festhalten am Prinzip der Seniorität andererseits muss zur Versteinerung führen, der Wechsel zwischen beiden Extremen und der Kompromiss ist hingegen die Lösung.
Gewiss gibt es immer wieder Generationenkonflikte, die Konflikte zwischen Vätern und Söhnen, zwischen Müttern und Töchtern, es gibt aber auch so etwas wie Generationenverträge – nicht nur zur Erhaltung unseres Sozialsystems oder unseres Pensionssystems, sondern auch zur Erhaltung familiären Zusammenhalts, zur Bewahrung gesellschaftlicher Strukturen, die das Staatsganze, ganze Kulturen zusammenhalten.
Der unausweichliche von der Evolution, der Schöpfung und dem Schicksal vorgegebene Wandel von jung zu alt, von Werden und Vergehen, von geboren werden und sterben zwingt uns Menschen in solche Generationenverträge. Die Sorge der Alten für die ganz Jungen und das Verständnis für ihre Probleme beim Heranwachsen und schließlich umgekehrt die Versorgung der Alten durch die Jüngern, sie bis zum Lebensende hin zu begleiten, all das macht diese Generationenverträge aus und beweist letztlich, dass es eine wirkliche Kluft zwischen Jung und Alt nicht geben kann, da alt einmal jung war und jung zwangsläufig alt werden wird.