Ganz abgesehen von den Events, die aus Anlass des zwanzigjährigen Mauerfalls quer durch Europa die medialen Schlagzeilen dominierten, ist es die Suche nach den künftigen Spitzenpersönlichkeiten, die die Europäische Union repräsentieren sollen, die im Mittelpunkt der Debatte dieser Tage steht. Während sich in Berlin die Staatsmänner der 80-er Jahre, George Bush Senior, Michail Gorbatschow und Helmut Kohl feiern ließen, wird hinter den Kulissen des Brüsseler Geschehens heftig darum gerungen, wer denn Europa nach dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags repräsentieren solle. Ein EU-Ratspräsident, amtierend auf die Dauer von zweieinhalb Jahre, wird gesucht, ein Hoher Repräsentant für die Außenpolitik und natürlich insgesamt die neuen Mitglieder der EU-Kommission.
Dabei stellt sich die Frage, sollen das Charakterköpfe sein, mit politischem Gewicht, mit Ansehen, Reputation und Erfahrung oder werden das nur europapolitische Frühstücksdirektoren sein, die allenfalls als Strohmänner der Macht dienen können. Finden sich Persönlichkeiten, die den Bürgern quer durch Europa das Gefühl geben, hier steht einer bzw. stehen mehrere Menschen an der Spitze der Union, die diese nach außen hin repräsentieren und nach innen hin würdig vertreten oder werden es nur schwache Platzhalter sein für die wahren Mächtigen im Hintergrund, aus Wirtschaft und Geheimbünden bzw. für die großen Mitgliedsländer der Union.
Mit dem EU-Kommissionspräsidenten Barroso ist der Typ des EU-Frühstücksdirektors sattsam charakterisiert. Als kleinster und schwächster gemeinsamer Nenner zwischen den großen Mitgliedsländern der Union, zwischen Links und Rechts, Sozialdemokraten und Christdemokraten, hat es der Portugiese geschafft, nach seiner ersten ohnedies dürftigen Periode für eine zweite Periode nominiert zu sein. Und die meisten Mitglieder der EU-Kommission werden dem Vorbild Barrosos wohl folgen und eher schwache politische Kaliber aus den jeweiligen Mitgliedsländern entsenden. Bestes Beispiel Österreich: Johannes Hahn, ein durchaus netter Mensch mit ÖVP-Parteibuch, ist seinerseits der kleineste politische Nenner zwischen ÖVP und SPÖ. Die Roten wollten Molterer verhindern, die Schwarzen hatten das verbriefte Recht, einen der ihren durchzubringen, der SPÖ-Kanzler schlug die alte Kommissarin Ferrero-Waldner vor, geworden ist es dann als müder Kompromiss eben Johannes Hahn. Ein Wissenschaftsminister, der ein ganzes Ministerium und dessen Agenden etwa im Bereich der Universitäten, als Baustelle in Österreich zurück lässt. Nun wird er EU-Kommissar sein.
Wenn nicht doch noch ein Wunder passiert und der Österreicher Alfred Gusenbauer auf dem sozialdemokratischen Ticket nicht doch womöglich noch Hoher Repräsentant für die Außenpolitik wird. Qualifiziert dafür wäre er, nicht nur wegen seiner internationalen Kontakte und seiner Fremdsprachenkenntnisse, vor allem deshalb, weil er eben ein abgewählter, demokratiepolitisch gescheiterter nationaler Politiker ist. Diese Eigenschaften sind offenbar Vorbedingungen, um auf EU-Ebene etwas werden zu können. Es mag zwar vernünftig sein, politische Erfahrung in nationalen Führungsaufgaben zu haben und bereits über Regierungserfahrung zu verfügen, dass es aber insgesamt allenthalben bei Wahlen gescheiterte, aus ihren Ämtern gejagte nationale Politiker sein müssen, die dann auf der europäischen Ebene die Union zu vertreten haben, ist denn doch paradox. Herr Barroso war portugiesischer Ministerpräsident und ist natürlich bei Wahlen gescheitert. Tony Blair, der für das Amt des Ratspräsidenten im Gespräch war, ist natürlich in England von der eigenen Partei in die Wüste geschickt worden. Wolfgang Schüssel, von dem man auch munkelt, er hätte eine entfernte Chance gehabt, EU-Ratspräsident zu werden, ist brutal aus dem Amt gewählt worden, ebenso natürlich Alfred Gusenbauer, der auch glorios bei den letzten Nationalratswahlen gescheitert ist. Und für die meisten anderen Kandidaten für die hohen EU-Ämter kann man das gleiche sagen.
Nun ist es ja überhaupt so, dass die Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon eine Oligarchie ist, deren Spitzenrepräsentanten kaum über demokratische Legitimation verfügen: Sie wurden weder vom Volk gewählt, noch aufgrund anderer außergewöhnlicher Verdienste oder übergroßer Popularität für ihre Ämter ausersehen. Nein, sie sind Produkte einer seltsamen Kabinettspolitik, die auf die Bürger Europas und auf demokratische Mitbestimmung keine Rücksicht mehr nimmt.
Genau deshalb aber dürften auch die künftigen Gesichter der Europäischen Union, die künftigen Spitzenrepräsentanten des integrierten Europa kaum über sonderliche Popularität verfügen. Politisches Charisma steht nicht in der „job description“ für die höchsten Ämter der Union. Einen europäischen Volksführer wird es wohl kaum geben. Die großen Populisten, Volkstribune von wirklichem Schrot und Korn werden sich an der Spitze der Union nicht so bald finden. Aber wer weiß, vielleicht will man das ja auch so.