Die vormalige Wehrpflicht nur für junge Männer ist Geschichte. Stattdessen brauchen wir ein allgemeines „Österreich-Jahr“, eine Dienstpflicht für alle jungen Staatsbürger, in deren Rahmen der bisherige Zivildienst, der Katastrophen- und Zivilschutz, die Altenpflege, Familien- und Erntehilfe, aber auch ein territoriales Milizsystem als Heimat- und Grenzschutz einbezogen werden könnte. Und wir brauchen ein zeitgemäßes, kleines aber effizientes Berufsheer im Rahmen einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik samt einer Neubewertung der traditionellen österreichischen Neutralität.
Österreich – gelebte Gemeinschaft
In einer Gesellschaft, in der Egomanen, Selbstdarsteller, Ich-AGs, Egozentriker und Selbstverwirklicher dominieren, in der der Singlehaushalt zum primären Lebensmodell zu werden droht, ist es hoch an der Zeit, wieder Gemeinschaft zu fördern und Gemeinsinn einzufordern. Österreich als historisch gewachsener Staat, die Republik als Institution, bieten ihren Bürgern und den übrigen darin lebenden Menschen Frieden, Freiheit und Wohlstand, Demokratie, Mitbestimmung, Bildung und soziale Sicherheit. Diese hohen Güter – keineswegs selbstverständlich in einer chaotischer werdenden Welt – haben ihren Preis und wollen verdient sein.
Nach dem Kennedy’schen Prinzip „frage nicht was dein Land für dich tut, sondern was du für dein Land tun kannst“ sollte man daher für jeden Österreicher die staatsbürgerliche Pflicht definieren, am Beginn des Erwachsenenalters ein Lebensjahr für die Res Publica, für die Gemeinschaft einzusetzen. Ein solches „Österreich-Jahr“ für junge Männer wie für junge Frauen mit einer Art von staatsbürgerlicher „Grundausbildung“ zu Beginn würde einerseits das Verständnis zwischen den verschiedenen sozialen Schichten, zwischen Arm und Reich, zwischen den Berufen mit körperlicher Arbeit und jenen mit geistiger Arbeit wiederherstellen. Andererseits wäre ein solches „Österreich-Jahr“ die Möglichkeit, die Probleme der Sozialarbeit, der Kranken- und Altenbetreuung, sowie des Zivilschutzes auf eine Art und Weise zu lösen, die dem ohnedies kaum zahlungsfähigen Staatswesen zusätzliche Kosten ersparen würde. Staatsbürgerlicher Gemeinsinn, gemeinschaftsbezogener Altruismus und soziales Empfinden sowie der Stolz auf die eigene soziale und staatsbürgerliche Leistung sollten das individuelle pädagogische Ziel dieses „Österreich-Jahrs“ sein.
Warum auch Frauen?
Während die Wehrpflicht bekanntlich bislang nur die junge Männer betraf, sollte eine solche allgemeine staatsbürgerliche Dienstpflicht alle Staatsbürger beiden Geschlechts betreffen. Das herkömmliche Argument, dass die Mädchen ihre Gemeinschaftsleistung durch das Gebären und Erziehen von Kindern erbrächten, ist längst hinfällig. Zum einen weil viele junge Frauen keine Kinder mehr kriegen oder maximal eines, zum anderen weil es dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht, allzumal die Männer in ihrer Väterrolle die gleiche Familien- und Erziehungsleistung erbringen sollen wie die Mütter.
Allerdings gilt es im Sinne einer pronatalistischen Familienpolitik auch im Zuge der Einführung einer solch allgemeinen Dienstpflicht im Zuge dieses Österreich-Jahrs den Mut zum eigenen Kind zu fördern. So könnte man jungen Staatsbürgerinnen einen Aufschub des „Österreich-Jahres“ bis zum 25. Geburtstag gestatten und im Falle der Geburt eines eigenen Kindes gänzlich erlassen. Oder man könnte Müttern, die ihre Kinder erst später bekommen, als Ausgleich für ihr zuvor geleistetes Dienstpflicht-Jahr ein bis drei Jahre gratis Kinderbetreuung durch eine oder einen Dienstpflicht-Leistenden gewähren.
„Österreich-Jahr“ für soziale Dienste
Bekanntlich hat der bisherige Zivildienst, der im Rahmen der allgemeinen Wehrpflicht als Ersatzdienst angepriesen wurde, bereits bisher einen großen Bereich der sozialen Aufgaben der öffentlichen Hand mitgeleistet und mitermöglicht. Im Zuge eines allgemeinen „Österreichs-Jahrs“ unter Miteinbeziehung der jungen Frauen könnten diese sozialen Dienste erheblich ausgeweitet werden. Nicht nur das Rote Kreuz und die Krankenanstalten, auch die zunehmend wichtiger werdende Altenpflege könnte man damit in den Griff bekommen. Bekanntlich ist insbesondere die Altenpflege gegenwärtig nur unter Einbeziehung illegaler oder halb legaler Zeitarbeiterinnen aus den östlichen Nachbarländern zu bewältigen. Dieser auf Dauer unhaltbare und auch moralisch und sozial fragwürdige Zustand wäre mit der Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht zu lösen.
Nicht nur das Verhältnis zwischen sozialen Schichten und verschiedenen Berufsständen und das Ungleichgewicht zwischen jungen Männern und jungen Frauen wäre mit so einer allgemeinen Dienstpflicht im positiven Sinne zu beeinflussen, sondern auch das Verhältnis zwischen den Generationen, zwischen Jung und Alt.
„Österreich-Jahr“ für Zivilschutz
Jene 12.000 Wehrpflichtigen, die gegenwärtig als minimale Anzahl für die Katastrophenhilfe in Österreich genannt werden, könnten durch die Dienstverpflichtung im Rahmen des „Österreich-Jahrs“ locker abgedeckt werden. Wenn durch den Klimawandel und andere Umwelteinflüsse die Häufigkeit und die Gefährlichkeit von Naturkatastrophen auch im Alpenraum zunehmen, erfordern die Notwendigkeiten des Zivilschutzes ohnedies wachsende Anstrengungen des Staates. Verheerende Stürme, Überflutungen und Vermurungen, Dürreperioden oder – im Winter – Lawinenkatastrophen und Ähnliches haben auch im Alpenraum eine neue und gefährliche Dimension angenommen. Der Zivilschutz ist somit eine der großen Hausforderungen der kommenden Jahrzehnte.
Das „Österreich-Jahr“ könnte für viele junge Staatsbürger den Einstieg in die entsprechenden Freiwilligen-Organisationen wie die Feuerwehr, die Bergwacht, die Wasserrettung und Ähnliches bedeuten. Das Gemeinschaftsdenken, zu dem die jungen Österreicher im Rahmen der einjährigen Dienstverpflichtung erzogen werden sollten, würde sich zweifellos in einem darüber hinausgehenden Engagement in den freiwilligen Hilfsorganisationen auch im Zuge des weiteren Lebensweges auswirken.
„Österreich-Jahr“ für ein Milizsystem
Neben den sozialen Diensten und neben dem Zivilschutz könnten sich die jungen Österreicher im Rahmen ihres Dienstleistungsjahres auch für den Einsatz im Rahmen eines milizartigen, militärischen Heimat- und Grenzschutzes entscheiden. In der Tradition der alten demokratischen Wehrhaftigkeit, wie sie die historische allgemeine Wehrpflicht beinhaltete, sollten hier die jungen Dienstpflichtigen – junge Männer wie junge Frauen – einen territorial-verorteten militärischen Heimatschutz vollziehen, der mit moderner aber nur leichter Bewaffnung die bisherigen Traditionen der Milizverbände des Bundesheers fortführt. Leichte Verbände ohne Kampfpanzer und schweres Gerät, luftgestützt nur durch Hubschraubereinheiten, sollten – ähnlich wie die US-amerikanische Nationalgarde – für rein defensive Aufgaben der Regionalverteidigung und des Grenzschutzes ausgebildet werden.
Diese Milizeinheiten im Rahmen des Österreich-Jahrs sollten den demokratischen Traditionen der wehrhaften Demokratie und der souveränen Republik verpflichtet sein.
„Österreich-Jahr“ als Basis für ein Berufsheer
Diese Milizverbände im Rahmen des „Österreich-Jahres“ könnten die Basis für ein kleines aber modern ausgerüstetes Berufsheer bilden. Nach der Absolvierung des Milizdienstes könnten sich die jungen Staatsbürger – ebenfalls wieder Männer wie Frauen – für einen maximal 12 bis 15-jährigen Dienst in einer Berufsarmee melden, der einerseits gut bezahlt sein müsste und andererseits mit der Zusicherung verbunden sein könnte, danach gesichert in den Exekutiveinheiten der Republik einen Arbeitsplatz zu erhalten, also bei Polizei, Zollwache oder dergleichen.
Ein solche Berufsheer eines europäischen Kleinstaates wie es Österreich ist hätte allerdings nur einen Sinn, wenn es in eine gemeinsame europäische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik eingebunden wäre und – militärisch arbeitsteilig – nicht alle militärischen Aufgaben, sondern eben nur jene übernehmen müsste, die aus der geografischen und geopolitischen Situation Österreichs heraus einen Sinn ergeben. Ein österreichisches Berufsheer müsste also im Wesentlichen aus hoch spezialisierten Gebirgs- und Pioniertruppen bestehen, die in der Lage wären gemeinsam mit den Territorial-Einheiten der dienstpflichtigen Milizen einerseits die unmittelbare Landesverteidigung und den Grenzschutz zu gewährleisten, andererseits aber integrierter Bestandteil einer Sicherheits- und Verteidigungsstrategie zu sein.
Die europäische Luftraumüberwachung etwa, sowie das Aufstellen schwerer gepanzerter Verbände oder gar das Unterhalten von Seekriegseinheiten könnte naturgemäß nicht in die Aufgaben eines solchen österreichischen Berufsheers fallen. Bereits der Beitrag des Landes zu einer europäischen Luftraumüberwachung mit kaum mehr als einem Duzend moderner Luftraumüberwachungsflugzeuge ist nur im europäischen Verbund sinnvoll. Ebenso verhält es sich mit schweren gepanzerte Einheiten zur großräumigen Verteidigung gegen etwaige außereuropäische Aggressoren oder zur Sicherung europäischer Interessen auf außereuropäischen Konflikt-Schauplätzen. Hier kann die Beteiligung eines österreichischen Berufsheers nur im europäischen Rahmen stattfinden.
Und auch die Beteiligung österreichischer Berufssoldaten im Rahmen von UN-Einsätzen zur Friedensstiftung oder zur Friedenserhaltung wäre sinnvollerweise nur in Form von leicht bewaffneten spezialisierten Verbänden im Bereich des Gebirgseinsatzes oder von Pionierkräften sinnvoll.
Berufsheer erfordert Neubewertung der Neutralität
Wenn sich Österreich zusätzlich zur einjährigen Dienstverpflichtung für seine jungen Staatsbürger auch zu einem Berufsheer entschließen sollte, erfordert dies zwangsläufig eine neue grundlegende Diskussion über die Neutralität des Landes: Die auf das Jahr 1955 zurückgehende immerwährende und bewaffnete Neutralität ist ohnedies spätestens seit dem EU-Beitritt Österreichs wenn schon nicht obsolet so zumindest relativiert worden. Nachdem eine spezifisch österreichische Berufsarmee nur im Rahmen einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungsstrategie einen Sinn ergibt, müsste man dem die lieb gewordene bewaffnete Neutralität naturgemäß anpassen. Dies kann nichts anderes bedeuten, als dass man innerhalb Europas Solidarität übt und die Neutralität nur mehr für außereuropäische Bereiche gilt.
Das heißt im Falle von Aggressionen gegen EU-Mitgliedsstaaten bzw. gegen im Rahmen der europäischen Integration verbündete Länder müssten zwangsläufig die österreichische Solidarität auch in militärischer Hinsicht erfordern. Eine Berufsarmee, arbeitsteilig organisiert im Rahmen einer gesamteuropäischen Verteidigungs- und Sicherheitsstrategie, würde allerdings auch erfordern, dass umgekehrt die anderen europäischen Bündnispartner ihrerseits solidarisch wären, wenn die Integrität des österreichischen Staatsgebiets gefährdet wäre. Die Verteidigung des europäischen und damit auch österreichischen Luftraums wäre demgemäß nur mit gemeinsamen europäischen Mittel einer gemeinsamen europäischen Luftflotte möglich, während andererseits österreichische Berufssoldaten durchaus in den Karpaten oder in der Zukunft im Kaukasus EU-Außengrenzen verteidigen könnten.
Solidarisch in Europa und neutral im außereuropäischen Bereich würde also die Neuinterpretation der österreichischen Neutralität lauten müssen. Dies würde natürlich voraussetzen, dass solche gesamteuropäischen militärischen Einheiten nicht bloß Erfüllungsgehilfe der NATO wären, sondern tatsächlich einer gemeinsamen europäischen Verteidigung dienen müssten. Eine Emanzipation der gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Außenpolitik vom US-dominierten Nordatlantik-Pakt wäre also die Voraussetzung für eine solche Neuinterpretation der Neutralität und des gesamteuropäischen Engagements einer österreichischen Berufsarmee.
Der gegenwärtige Zustand, nämlich die gewissermaßen rein verbal-erotische Betonung der immerwährenden Neutralität Österreichs bei gleichzeitiger Preisgabe derselben in nahezu allen internationalen Konflikten, ist jedenfalls auf Dauer nicht haltbar. Speziell dann nicht, wenn das Land mittels einer europäisch-eingebundenen Berufsarmee zunehmend Teil einer gesamteuropäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik wird.
Eine Berufsarmee ohne diese europäische Einbindung wäre zweifellos absolut sinnlos. Allumfassende Landesverteidigung für einen tatsächlichen neutralen Kleinstaat wie Österreich – vergessen wir einmal die europäische Integration – wäre nämlich für uns weder in finanzieller Hinsicht leistbar, noch in militärischer Hinsicht wirklich real machbar. Wenn also die angepeilte Berufsarmee für das Land nicht reine Scharade bleiben soll, wäre deren europäische Einbindung und die damit zwangsläufig notwendige Neubewertung der österreichischen Neutralität unabdingbar.