Totgesagte leben länger – auch die EU?

30. April 2020

Die Europäische Union, die Brüsseler Zentralbehörden, haben im Zuge der Corona-Epidemie und ihrer Bekämpfung keine nennenswerte Rolle gespielt. Es waren die Nationalstaaten, die darauf reagierten und mittels höchst unterschiedlicher Strategien und Maßnahmen den Kampf gegen die Seuche aufnahmen.
Die Staaten schlossen die Grenzen, sie brachen die Verkehrsverbindungen untereinander ab, sie kappten den Tourismus und die Reisetätigkeit und in den schlechtesten Tagen der Seuche boykottierten sie einander sogar, was medizinisches Material, Masken und Schutzanzüge betraf. Vom Gedanken der europäischen Einheit war da kaum etwas zu spüren.
Nun, da man daran geht, die Gesellschaft und die Wirtschaft wieder hochzufahren, scheint auch Brüssel aus der Schockstarre aufgewacht zu sein: Kommission und Rat haben irgendwelche Förderprogramme in vielfacher Milliardenhöhe beschlossen mit Geldern, die die Europäische Zentralbank offenbar aus der Druckmaschine nimmt und über deren Rückzahlung man nichts Genaues weiß. Und natürlich geht es dabei um die Vergemeinschaftung der Schulden und der Lasten, auch wenn diese wohl nicht Euro-Bonds heißen wird.
Dennoch wird in den (wenigen) einigermaßen kritischen Medien von der Abdankung der EU, von Nachrufen auf die EU und insgesamt von der drohenden Aufl ösung der Union gesprochen.
Insbesondere im seuchengeschüttelten Italien ist der Frust über die EU-Politik so groß, dass bereits beinahe eine Mehrheit der Bevölkerung für einen Italexit stimmen würde. Und Matteo Salvini, der Chef der Lega Nord, scheint ernsthaft mit dem Gedanken zu spielen, diesen Austritt Italiens aus der EU zu seiner zentralen politischen Forderung zu machen. Wenn jetzt nach dem Vereinigten Königreich auch Italien aus der Union austräte, dann ginge es wirklich ans Eingemachte. Deutschland, Frankreich, Italien und die Benelux-Staaten, das waren immerhin die Gründerstaaten der EWG. Italien ist trotz seiner gewaltigen Schuldenproblematik immer noch die drittstärkste Volkswirtschaft der Union.
Bei aller berechtigten Kritik am EU-Zentralismus der vergangenen Jahre und Jahrzehnte gibt es aber doch Errungenschaften, die selbst die schärfsten EU-Kritiker nicht missen wollen, beispielweise die Reisefreiheit. Gerade diese aber ist im Zuge der Coronaseuche heruntergefahren worden. Vielleicht also wird es die eigentliche Gretchenfrage an die Union sein, wie rasch diese europäischen Werte, die Mobilität und Kommunikation betreffen, zwischen den Mitgliedstaaten und zwischen den europäischen Völkern und Kulturen wiederhergestellt werden können. Dies wird vielleicht der Gradmesser dafür sein, wie weit es europäische Gemeinschaft und Solidarität wirklich gibt. Wenn diese Werte sich rasch reanimieren lassen, könnte es vielleicht heißen „Totgesagte leben länger“ – auch die Europäische Union.


„Es ist ein gutes Land …“

29. April 2020

Über die österreichische Staatlichkeit und 75 Jahre Zweite Republik

Ein Dreiviertel Jahrhundert existiert unsere Zweite Republik nun schon und sie feiert diesen großen Geburtstag in Zeiten der Krise. Diesmal ist es keine militärische Krise, kein Krieg, keine Besetzung, es ist auch keine politische Krise, nein, es ist eine durch eine Seuche verursachte Krise mit ihren Folgeerscheinungen im gesellschaftlichen und ökonomischen Bereich. Und Krisen sind es, die gewissermaßen als Stationen die Geschichte österreichischen Staatlichkeit begleiten: Wiedergeboren aus dem Zusammenbruch des Dritten Reichs und der Niederlage der NS-Despoten,  konnte das Land durch Jahrzehnte bis zum heutigen Tag eine an sicht beispiellose Erfolgsgeschichte hinlegen. Frieden, Freiheit und Wohlstand konnte sich die Bevölkerung erarbeiten. Nach den Kriegszerstörungen, nach der Besatzungszeit, ging es im Grunde kontinuierlich bergauf. Eine entwikkelte Demokratie, eine funktionierende und sehr exportorientierte Marktwirtschaft und ein auf Ausgleich und Kompromiss orientiertes Parteiengefüge in einer relativ harmonischen Gesellschaft prägten das Land. Und die Zustimmung der Bevölkerung zu dieser, ihrer Republik, stolz auf das eigene Land, erreichte bis zum heutigen Tag schwindelnde Höhen.

 

27. April 1945

Am 27. April 1945 wird ein Schriftstück unterzeichnet, das es in sich hat: die Urkunde, die als „Unabhängigkeitserklärung“ bekannt ist. Unterzeichnet wurde das Dokument von Karl Renner, Adolf Schärf ( beide SPÖ), Leopold Kunschak (ÖVP) und Johann Koplenik (KPÖ). Der Kommunist Koplenig ist ein Stalin-Verehrer, erst wenige Tage davor aus Moskau nach Wien gekommen ist, mit dem Kreml-Auftrag, in Österreich eine bolschewistische Diktatur aufzurichten.

 

Das war nicht immer so: Die Erste Republik, ebenfalls geboren in einer krisenhaften Situation im Zusammenbruch der Donaumonarchie, konnte die positive Identifikation der Menschen mit dem Staat niemals zustande bringen. Insofern war sie Erbe der Donaumonarchie, die sich selbst in ihren letzten Jahrzehnten als der „kranke Mann an der Donau“ verstand, wobei das Bewusstsein ihrer Völker, dass der gemeinsame Staat in Zeiten des Nationalismus dem Untergang geweiht sei, beständig wuchs. Zwar meinen manche Historiker, dass die Habsburger Monarchie ohne den militärischen Zusammenbruch Ende des Ersten Weltkriegs weiter existiert hätte, die innere Legitimation, der innere Zusammenhalt dieses Vielvölkerstaats aber war längst zerbrochen. Dennoch hat der österreichische Kaiserstaat ein gutes Jahrhundert vom Wiener Kongress bis zum Ende des Ersten Weltkriegs existiert. Trotz vieler Krisen, trotz verlorener Kriege und trotz der bürgerlichen Revolution von 1848.

Und dieser österreichische Kaiserstaat war der Erbe des alten Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, das immerhin fast neun Jahrhunderte existierte. Und über viele Jahrhunderte waren die deutschen Erblande der Habsburger gewissermaßen die Kernregion dieses Heiligen Reiches, die Machtbastion der Kaiserdynastie. Wie weit die Menschen während dieser Jahrhunderte in diesen habsburgischen Erblanden glücklich waren und sich mit ihrer Rolle als Kernland und Drehscheibe des heiligen Reiches wohl fühlten, ist eine ganz andere Frage. Zumeist waren es wohl Opfer, die sie zu erbringen hatten: militärische, wirtschaftliche und psychologische. Diese Tatsache erwies sich noch am Ende der Monarchie, am Ende des Ersten Weltkriegs, als die deutschen Erblande – beispielsweise das Herzogtum Kärnten – den höchsten Blutzoll an den Fronten zu entrichten hatten. Für die Endphase der Habsburger Monarchie prägte Karl Kraus den Spruch, wonach Österreich „eine Versuchsstation für Weltuntergänge“ sei. Das mag in vielerlei Hinsicht in mancher Phase unserer Geschichte mit allen Höhen und Tiefen durchaus zutreffend gewesen sein. Andererseits hatte Grillparzer davon gesprochen, Österreich sei „die kleine Welt, in der die große ihre Probe hält“, und er meinte es durchaus nicht negativ. Übertragen auf die europäische Integration dieser Tage könnte man meinen, dass das alte Österreich, die Habsburger Monarchie mit ihren zahlreichen Völkern, den damit verbundenen Schwierigkeiten und dem somit auch immer wieder zu erringenden Ausgleich zwischen den Interessen eine historische Probebühne für die europäische Integration unserer Tage sein könnte.

Wie wir heute im Nachhinein wissen, hat die Monarchie dabei aber auch in vielerlei Hinsicht versagt, und genau das muss man heute im Hinblick auf die Europäische Union ebenso beobachten. Gerade in der Krise, beispielsweise in der Seuchenkrise unserer Tage, scheint sie völlig hilflos zu sein und tatsächlich zu versagen. Eine andere Frage bei der Betrachtung österreichischer Staatlichkeit im Zuge ihrer tausendjährlichen Geschichte ist die Frage der Staatsräson: Während das alte Heilige Römische Reich Deutscher Nation eben ein sakral legitimiertes Staatsgebilde war und der Herrscher, der deutsche König, als römischer Kaiser von Gottes Gnaden regierte, war es mit der Republikgründung der Demos, das Volk, das den Souverän darstellte. Und dieser Demos empfand sich im Jahre 1918 bei der Republikgründung eben als Teil der deutschen Nation. Und die Republik Deutsch-Österreich konstituierte sich auch bewusst als Teil der großen Deutschen Republik. Dazu teilten alle politischen Kräfte, mit Ausnahme der relativ unerheblichen Kommunisten, diese Identifikation. Bis in das Dollfuß-Schuschnig-Regime hinein war man der Meinung, dass Österreich der „bessere deutsche Staat“ sei. Dies änderte sich nach 1945 grundlegend. Wohl war es Überlebenswille und so etwas wie politischhistorischer Opportunismus, der die politische Kaste der wiedergegründeten Republik dazu bewog, sich von dieser deutschen Identität der Menschen, aber auch des Staatswesens loszusagen. Die wiedergegründete Zweite Republik durfte alles sein, nur nicht deutsch. Und nach dem Staatsvertrag wurde sie auch neutral, womit sie sich in dem über Jahrzehnte dauernden Kalten Krieg eine klare Parteinahme zu ersparen hoffte. Und das glücklicherweise durchaus mit Erfolg.

In den letzten Jahren war diese unsere Zweite Republik nunmehr europäisch. Ein kurz angedachter mitteleuropäischer Sonderweg, etwa an der Seite der Visegrad-Staaten, kam nie zustande, stattdessen pflegte man das Image des Brüsseler Vorzugsschülers. Und dass sich dieser nunmehr in der Coronakrise so rasch von dieser europäische Rolle abnabelte, war doch erstaunlich. Plötzlich sind die staatlichen Autoritäten, sind die Bürger des Landes wieder auf ihre kleine Republik zurückgeworfen. Plötzlich ist es wieder Österreich und zwar nur Österreich, das sich der Krise, also dem Kampf gegen die Seuche stellen musste. Und das bis zum heutigen Tag mit erstaunlichem Erfolg, wesentlich erfolgreicher als viele andere europäische Länder. Und im Zuge dieser Entwicklung dürfte die Identifikation der Menschen mit ihrer Republik, aber auch mit dem politischen System trotz aller fragwürdigen Regierungspolitik wieder gewaltig angewachsen sein. Ironisch könnte man sagen, von Leopold, dem Heiligen, der auf den Mauern von Akkon kämpfte, bis zu Sebastian, dem Scheinheiligen, dergegen Corona kämpft, scharen sich die Menschen um die Führerfigur und um die Fahne. Ein gerütteltes Maß an Opportunismus, aber ein starker und unerschütterlicher Patriotismus ist es wohl, der die Überlebensfähigkeit dieser Staatlichkeit garantiert.


Pandemie, Paternalismus und Protest

24. April 2020

Unsere Gesellschaft zwischen Angst und Internet-Anarchie

Angst war es, die die Menschen zur Willfährigkeit gegenüber den neuen restriktiven Maßnahmen der Regierung bewegte. Angst war es wohl auch, die die Regierung selbst antrieb. Angst davor, für Corona-Tote verantwortlich zu sein. Eine Verantwortung, die in unserer westlichen Gesellschaft kaum ein Politiker noch auf sich nehmen will. Und jene, die es taten, wie der US-Amerikaner Donald Trump oder der Brite Boris Johnson, revidierten ihre Haltung relativ rasch.
Die Aussagen des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz, wonach ohne die Maßnahmen mit Hunderttausenden Toten im Lande zu rechnen wäre, sie steigerten diese Angst. Ebenso wie die Rede davon, dass bald jeder Österreicher einen Corona-Toten kennen würde. Und diese Angst trieb die Menschen zum Gehorsam. Zum Gehorsam, sich von ihren Alten zu verabschieden, sich von ihren Freunden und Geschäftspartnern fern zu halten, Eheschließungen aufzuschieben und die Beerdigung der engsten Verwandten zu meiden. Und die Angst war es auch, die die Menschen motivierte, sich als gefügige Lämmer hinter den Leitwölfen der etablierten Politik zu scharen. Die Umfragewerte, die Sebastian Kurz und seine türkise Truppe momentan aufzuweisen haben, machen dies deutlich.
Im viel höherem Maße als das Virus selbst verbreitet sich also die Angst epidemisch und weltweit pandemisch. Unsere Seuche heißt also Angst. Sie bewegt uns, das soziale Wesen Mensch, dazu, den Mitmenschen zu meiden, körperliche Nähe zu fürchten und jegliche Empathie und das Bedürfnis nach Sozialität zu unterdrücken. Das Tragen von Gesichtsmasken und das krampfhafte Einhalten von physischem Abstand sind die Symptome dieser Seuche, die da Angst heißt.
In den ersten Märztagen dieses Jahres war es zweifellos „Gefahr im Verzug“, was die Regierung nötigte, rasche und entschiedene Maßnahmen zu treffen.
Und die Verabschiedung des ersten Covid-19 Gesetzespakets, im Nationalrat einstimmig beschlossen, durch alle Parlamentsparteien, auch durch die der Opposition, bezeugt die Einsicht in die Notwendigkeit, rasch und auch unter Missachtung parlamentarischer Usancen zu handeln. Und vielleicht war es neben der Disziplin der Bevölkerung auch diese schnelle Vorgangsweise der Regierung, die es in Österreich ermöglichte, die Seuche relativ erfolgreich zu bekämpfen.
Dann aber schlich sich gewissermaßen über die Inszenierung der Regierungsmaßnahmen – durch die täglichen Pressekonferenzen mit dem Einmarsch im Gleichschritt der agierenden Minister – so etwas wie ein paternalistisches Gehabe ein. Ganz nach dem Motto: Es gilt das gesprochene Wort des Kanzlers, des Gesundheitsministers, des Innenministers etc. Und dabei wurde mittels höchst unscharfer, bisweilen auch widersprüchlicher Erlässe ein Reglemtierungs-Tsunami auf die Gesellschaft losgelassen, der seinesgleichen in der Geschichte des Landes sucht. Erlässe, Rechtsakte also, die rein inneradministrativ wirken, bestimmen unser Leben. Den Terminus „Notverordnungen“ hat man vermieden, da waren die geschichtskundigen unter den Regierenden sensibel genug, um sich an die 1930er-Jahre erinnern.
Und die Menschen, die Bürger des Landes, sind verängstigt genug, um in echter Untertanenmentalität ständig zu fragen: Dürfe man dies, dürfe man jenes? Das urdemokratische Bewusstsein, dass man in einem freien Land und in einer freien Gesellschaft alles darf, was nicht durch ordentlich und regelrecht zustande gekommene Gesetze verboten ist, haben wir allzu rasch verloren.
Und wenn die Exekutivorgane des Landes, angefangen vom Regierungschef bis zum kleinsten Dorfpolizisten, einmal vom allzu süßen Apfel der autoritären Versuchung gekostet haben, ist der Willkür offenbar Tür und Tor geöffnet. Das Bewusstsein etwa, dass das Betreten des öffentlichen Raumes unter Einhaltung der gesetzlich gegebenen Einschränkungen – Abstand halten, etc. – selbstverständlich überall dort erlaubt ist, wo es nicht ausdrücklich mittels korrekt zustande gekommener rechtsstaatlicher Grundlagen untersagt ist, sollte klar sein. Und willkürliche behördliche Einschränkungen dieses Rechts müssen entschieden bekämpft werden. Und was ich in meinen eigenen vier Wänden tue oder unterlasse, unterliegt meinem privaten Hausrecht und geht den Staat und die Behörde rein gar nichts an. Empfehlungen von auch noch so hohen Herren Ministern etc., das eine zu tun, das andere zu unterlassen, bleiben Empfehlungen und sind alles andere als Gesetze. Die Gefahr, dass solch paternalistisches Gehabe der Regierenden auch über das Ende der Pandemie hinaus erhalten bleibt, muss erkannt und schnellstens unterbunden werden. Wenn das Gerede von der „neuen Normalität“, das wir aus dem Regierungsumfeld immer wieder hören, bedeutet, dass wir uns an den Abbau der parlamentarischen Demokratie gewöhnen sollten, dann müssen wir uns als Bürger wehren. Auch wenn gegenwärtig die Zustimmung – so sagen es zumindest die Meinungsumfragen – zu den Regierungsmaßnahmen groß ist und beispielsweise die regierende türkise ÖVP auf die absolute Mehrheit hinzustreben scheint, gibt es einen Bereich, in dem sich Bürgerprotest, Unmut und Kritik gegenüber den Maßnahmen der Seuchenbekämpfung artikulieren: Das Internet und die sozialen Medien. Da kursieren einerseits die abstrusesten Verschwörungstheorien und andererseits können sich dort nonkonformistische Experten, Mediziner, Virologen, Soziologen und Psychologen zu Wort melden, die offenbar alternative Ansichten zu jenen Experten vertreten, die in den Krisenstäben der Regierung besprochen werden. Die Fülle der Informationen, die widersprüchliche Unübersichtlichkeit der Aussagen, die dem Zeitgenossen im Internet tagtäglich stündlich variierend dargeboten werden, schafft allerdings keine Klarheit.
Es ist das Netz, es sind die sozialen Medien vielmehr ein Ort der Freiheit, der Anarchie, ein Ventil für die Menschen, vielleicht ihre Ängste, ihr Unbehagen, ihren Unmut zu artikulieren beziehungsweise sich diesbezüglich dort in den Mitteilungen anderer wiederzufinden. Dieses Ventil allerdings ist regulierbar. Regulierbar durch Zensurmaßnahmen, regulierbar durch im extremsten Falle schlichte Abschaltung. Vorläufig aber sind diese sozialen Medien, ist das Internet der einzige Ort, an dem Bürgerprotest stattfinden kann. Die etablierten Medien sind insbesondere durch die Millionen-Finanzspritzen der Regierung auf Regierungskurs. Sie bieten kritischen Stimmen kaum Raum, behaupten, Solidarität in der Kreise sei oberste Bürgerpflicht, wo sie doch im Wesentlichen Servilität gegenüber den Regierenden praktizieren.
Bürgerprotest, wie er in freien Ländern und entwickelten Demokratien üblich ist, nämlich durch Protest auf der Straße, durch Demonstrationen, durch politische Tätigkeiten, ist gegenwärtig ja unmöglich. Und demokratiepolitische beziehungsweise parlamentarische Korrektur durch die Parteien der Opposition ist gegenwärtig auch nur in zaghaften Ansätzen vorhanden.
Wie es die Meinungsforscher so treffend ausdrükken: Im Moment schlägt noch nicht die Stunde der Opposition, es ist die Stunde der Regierung! Das aber wird sich ändern und spätestens nach dem Rückgang der Pandemie, wenn der Vorwand der Seuchenbekämpfung wegfällt, wird es die Aufgabe der parlamentarischen Opposition sein, die Freiheitsrechte der Bürger von den Regierenden einzufordern und die Fiktion einer „neuen Normalität“ als gefährliche Drohung eines neuen paternalistischen Systems in die Schranken zu weisen.


Was heißt „neue Normalität“?

23. April 2020

Bundeskanzler Sebastian Kurz erklärt uns in letzter Zeit wiederholt und stereotyp, dass die relativ erfreuliche Entwicklung der Corona-Seuche in Österreich nunmehr ein schrittweises Herunterfahren der Einschränkungen ermögliche. Es gehe nun aber nicht um die Rückkehr zum Status quo ante, sondern um den Weg hin zu einer „neuen Normalität“.

Was das denn sei, erläutert Herr Kurz nicht näher. Nur, dass es ganz anders sein werde als unser Leben zuvor. Da sind Abstandhalten, Händewaschen und allenfalls beim Einkauf eine Maske zu tragen nur die harmlosen Dinge. Herr Kurz scheint da weiterreichende Maßnahmen im Auge zu haben. Nicht nur die Einschränkung oder gar das Ende der grenzüberschreitenden Reisefreiheit, die wir als eines unserer europäischen Grundrechte erachten, nein, scheinbar das Ende jeglicher Geselligkeit, des Vereinslebens, der Versammlungsfreiheit und der menschlichen Nähe, die das Herdentier Mensch so dringend braucht.

Und Herr Kurz sagt auch kein Wort davon, dass diese neue Normalität dann der wirklichen Normalität, nämlich dem Leben, das wir vor Corona hatten, weichen könnte, weil es einen Impfstoff gibt. Wenn es nach ihm geht, soll diese neue Realität auf Dauer bestehen. Und betrifft diese neue Normalität auch unser politisches Gefüge? Hat Herr Kurz die ersten Tropfen aus dem Kelch der autoritären Versuchung geschlürft und mundet ihm dieses Getränk? Goutiert er es nunmehr in paternalistischer Manier als starker „Leader“ – das deutsche Wort Führer ist ja verpönt – Politik zu machen?

Die Umfragen scheinen ihm gegenwärtig Recht zu geben. Die Österreicher scheinen momentan in der Mehrheit nichts dagegen zu haben, wenn unsere parlamentarische Demokratie in eine Verordnungsdiktatur der ministeriellen Erlässe umgewandelt wird. Aber werden die Menschen auf Dauer hinnehmen, dass ihr historisch gewachsenes gesellschaftliches Leben, das gesamte Sozialgefüge, von den Familien bis hin zum Vereinsleben und zur Zivilgesellschaft reglementiert und aufgelöst wird?

Werden sie es auf Dauer hinnehmen, dass ihr Parlament zur reinen Abstimmungsmaschinerie zwecks Durchwinken von Regierungsverordnungen wird? Und werden sie es auf Dauer hinnehmen, dass ein so junger Politiker diktiert, wie sie ihr Leben zu leben haben? Das sollte der Herr Bundeskanzler bei allem Respekt für seine instinktsichere Vorgangsweise in Sachen Corona-Bekämpfung vielleicht in Demut und Bescheidenheit bedenken.


Auferstehung

10. April 2020

Vor kaum einen Monat bei der Verhängung des De-facto-Ausnahmezustands im Lande hatte der Bundeskanzler verkündet, dass es dann wahrscheinlich nach Ostern eine Auferstehung des Landes geben werde. Und tatsächlich hat man uns dann dieser Tage bekannt gegeben, dass man Mitte April beginnen wolle, gewisse Geschäfte – unter strengen Sicherheitsvorkehrungen, versteht sich – wieder aufzumachen und dass man so bis Mitte Mai das Land wieder hochfahren wolle, indem dann sogar Gastronomie und Schulen wieder eröffnet würden. Dies alles allerdings mit „Notbremse“, wenn es die Durchseuchungs- Entwicklung fordere.
Im Moment sieht es nun so aus, als würde man hierzulande das Ärgste überstanden haben und es würde sich die Seuchengefahr langsam verringern. Die „Message Control“ aus dem Bundeskanzleramt und die mit Millionenspritzen und zahllosen Inseraten gekauften Mainstreammedien werden uns natürlich verkaufen wollen, dass dies aufgrund der unendlichen Weisheit der türkis–grünen Bundesregierung gelungen sei. Diese muss man zwar zugestehen, dass sie offenbar zeitgerecht reagiert hat, insgesamt zu danken ist es allerdings der Disziplin der Österreicher und Österreicherinnen und deren solidarischer Bereitschaft, sich und die Gemeinschaft zu schützen.
Die Einschränkung unserer Grundrechte und Bewegungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Erwerbsfreiheit wird damit aber längst nicht beendet sein. Und der gewaltige Schaden, den unsere Volkswirtschaft genommen hat, die Zahl der Arbeitslosen, die zu erwartende Zahl der Firmenzusammenbrüche und die explosive Erweiterung unserer Staatsschulden werden deshalb kaum entschärft werden.
Bei aller Erleichterung über den zu erhoffenden Rückgang der Seuchengefahr, bei aller Freude, dass es Österreich offensichtlich doch nicht so schwer erwischt hat wie etwa das benachbarte Italien, und bei aller Unterstützung, die notwendig sein wird, um Medikamente und eventuell auch einen Impfstoff gegen das Coronavirus zu entwickeln, wird man dann doch die Anti-Corona-Maßnahmen insgesamt diskutieren müssen. Man wird auf der Basis einer bis dorthin zu erwartenden Beurteilung durch die Wissenschaft die tatsächliche Gefährlichkeit der Pandemie und die wirkliche Mortalitätsrate des Virus bewerten müssen. Und man wird über die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen sprechen müssen: Ob es wirklich berechtigt war, die eigene Volkswirtschaft, die Wirtschaft innerhalb des EU-Raums, die Weltwirtschaft insgesamt in den Graben zu fahren. Ob es wirklich notwendig war, das gesamte Gesellschaftsgefüge samt unseren gewohnten Freiheitsrechten auszuhebeln. Und ob die zu erwartenden Kollateralschäden der auf uns zukommenden Wirtschaftskrise und des gesellschaftlichen Ausnahmezustands nicht womöglich umfangreicher sind als die durch die Seuche selbst verursachten Schäden an Leib und Leben der Menschen.
Man wird etwa darstellen müssen, wie hoch die Vermögensverluste hierzulande und in den anderen europäischen Staaten aufgrund der Explosion unserer Staatsschulden ausfallen werden. Man wird darstellen müssen, wie hoch die Selbstmordrate im Bereich der neuen Arbeitslosen ausfällt und man wird – mit Blick auf die internationale Staatengemeinschaft – überprüfen müssen, wie etwa in Schwellenländern wie Indien die Anti-Corona-Maßnahmen, die die Regierung verordnet hat – wie etwa die Schließung aller Märkte – zu Verelendung, Hunger und Not geführt hat und welche Opfer dies zeitigte.
Während gegenwärtig die allgemeine Zustimmung gegenüber der türkis–grünen Bundesregierung in lichte Höhen gestiegen ist und diese, wie bereits gesagt, von den Mainstreammedien auch unterstützt wird, könnte dann die Stunde der Opposition im Lande schlagen. Sozialdemokraten, Freiheitliche und Neos werden – was Österreich betrifft – dann genau diese Fragen stellen müssen und genau darauf achten müssen, dass die Regierung darauf gemäß den Usancen unserer reifen parlamentarischen Demokratie die entsprechenden Antworten gibt. Und die Opposition wird darauf drängen müssen, dass unsere Bürgerrechte bis hin zum Datenschutz wieder voll zum Tragen kommen. Und dass allen autoritären Versuchungen, den Ausnahmezustand, und sei es auch nur partiell, zur Bekämpfung anderer echter oder mutmaßlicher Krisen – man denke an die Klimakrise – zu verlängern, hintangehalten werden. Auferstehung des Landes darf kein Propaganda-Vokabel der Regierenden bleiben. Sie muss tatsächlich erfolgen.


Die Freiheit „in den Zeiten der Cholera“

6. April 2020

Der freiheitliche Rechtsstaat und die parlamentarische Demokratie sind in Gefahr

In den Tagen der sich global ausbreitetenden Coronapandemie stehen wir vor der kuriosen Tatsache, dass die angeblich so kritischen und liberalen Mainstream-Medien im Lande auf eine ziemlich gleichgeschaltete Bejubelungs-Maschinerie im Sinne der Regierung und ihres Krisenmanagement zusammenschrumpfen. Einige mahnende Stimmen, gewissermaßen als Rufer in der Wüste, gab es da aber doch zu hören: So etwa war in der Tageszeitung „Die Presse“ zu lesen, dass unsere „Freiheit in der Intensivstation“ läge! Und der Chefredakteur der größten Bundesländer-Zeitung des Landes verfasste  immerhin einen Leitartikel mit dem Titel „Demokratie unter Quarantäne“.
Hubert Patterer formuliert darin, dass wir uns gegenwärtig in einer „befristeten Notstandsdemokratie“ befänden, in der das „fein austarierte Geflecht der Gewaltenteilung, vom bewährten Gegenüber aus Regierung und Opposition, von der Idee der parlamentarischen Rede und Widerrede“, ausgehebelt sei. Und er gibt auch zu, das die Medien jetzt „nicht Korrektiv, sondern Mittler“ der freiheitsbedrohenden Maßnahmen seien. Ein anderer dieser Rufer in der Wüste ist der vormalige Liste Pilz-Abgeordnete Alfred Noll. Der prominente Wiener Anwalt spricht im lachsfarbenen „Standard“ von der Tatsache, dass wir uns gegenwärtig in einem „Verordnungsstaat“ befänden. Die allenthalben in den westlichen Demokratien feststellbare Tendenz, dass die Regierungen gegenüber den Volksvertretungen längst eine „faktische Übermacht“ erobert hätten, werde laut Noll in Krisenzeiten noch beschleunigt. „Die Ex-Cathedra ausgerufene Krise“ – Noll meint damit wohl die Bundesregierung – sei „definitionsgemäß fast immer schon das Ende jener für unser politisches System in Normalzeiten so hoch gepriesenen Diskurs- und Debattierbereitschaft“. Damit spielt er offenbar einerseits auf die faktische Aushebelung des Parlaments an, das unlängst an einem einzigen Tag ganze Gesetzespakete – Ermächtigungsgesetze – zur Krisenbewältigung durchpeitschte, ohne Begutachtung, ohne Fristen und noch dazu einstimmig.
Und er spielt offenbar darauf an, dass der Bundeskanzler eine Art Wahrheitspolizei zur Bekämpfung von Fake News installiert hat, was offenbar jeden kritischen Dialog über die elektronischen Medien einschränken soll. Völlig zutreffend weist Alfred Noll darauf hin, dass mit dem § 1 der „Verordnung des Gesundheitsministers gemäß § 2 Z 1 des Convid-19-Maßnahmengesetzes“ die gravierendste Grundrechtseinschränkung, die die Republik seit 1945 erlebt hat, durchgeführt wird. Hier heißt es nämlich: „Zur Verhinderung der Verbreitung von Convid-19 ist das Betreten öffentlicher Orte verboten“. Damit sei – so Noll – „nicht nur das allgemeine Freiheitsrecht, sondern auch das Veranstaltungs-, Versammlungs-, und Demonstrations-recht beseitigt und zum großen Teil auch die Erwerbsfreiheit“.
Ein weiterer dieser wenigen Rufer in der Wüste ist der ehemalige Chefredakteur von „Presse“ und „Wiener Zeitung“, Andreas Unterberger, der in seinem Blog die Einschränkung der Meinungsfreiheit beklagt, die der Einschränkung der physischen Bewegungsfreiheit gefolgtsei. Für ihn ist es absolut inakzeptabel, „dass jetzt im Bundeskanzleramt eine große Polizeieinheit zu hantieren begonnen hat, die wie schon von George Orwell geschildert als Wahrheitspolizei Unwahrheiten (Fake News) in den Medien zu verfolgen“ habe.
Dabei ortet Unterberger die für ihn „unerträgliche Anmutung“, wonach „die Regierung, umgeben von einem Lügenmeer, in exklusivem Besitz der Wahrheit“ sei. Dabei – so Unterberger – „ist das Gegenteil wahr, in absolut sämtlichen Geschichtsepochen, wo irgendwo eine Regierung die Wahrheitskontrolle in die Hände bekommen hat, hat sie diese binnen kürzester Zeit massiv missbraucht, um kritische und oppositionelle Stimmen zu knebeln und zu verbieten. Sobald sie die Meinungskontrollmacht haben, ist das eine massive Verlockung für die Machthaber, diese Macht im eigenen Interesse einer Regierung zu verwenden, siehe die Türkei, siehe Russland – um nur in der europäischen Gegenwart zu bleiben“.
Tatsächlich wirft man gegenwärtig dem benachbarten Ungarn und seinem nationalkonservativen Regierungschef Viktor Orbán vor, mit ähnlichen Maßnahmen, wie sie in Österreich getroffen werden, den Weg in die Diktatur zu beschreiten. Im Hinblick auf die österreichische Bundesregierung gibt es derlei Stimmen nicht. Dabei ist augenfällig, dass die parlamentarische Opposition – die Sozialdemokraten, die Freiheitlichen und die NEOS – in der Kommunikationspolitik und wohl auch in den im Hintergrund agierenden Krisenstäben zur Corona-Bekämpfung in keiner Weise eingebunden zu sein scheint. Grotesk ist dies insbesondere im Falle der SPÖ, deren Vorsitzende Rendi-Wagner immerhin als Medizinerin so etwas wie eine Expertin in Fragen der Seuchenbekämpfung wäre. Und auch der freiheitliche Parteichef Norbert Hofer wäre als erfahrener ehemaliger Infrastrukturminister durchaus in der Lage, eine konstruktiven Beitrag zur organisatorischen Bekämpfung der Seuche zu erbringen. Überhaupt wäre es ein Gebot der demokratiepolitischen Fairness, in Zeiten der Krise die Opposition, die ja auch im Parlament einhellig für die Maßnahmen der Regierung gestimmt hat, mit in die Umsetzung derselben einzubinden. Andreas Unterberger weist in seinem Blog weiters darauf hin, dass das widersprüchlich und bisweilen planlos anmutende Vorgehen der Bundesregierung, insbesondere auch ihr Versuch, Zensur auf die sozialen Medien auszuüben, die Verwirrung in der Bevölkerung und die Tendenz zu Verschwörungstheorien zwangsläufig verstärken müsse.
Generell gibt es schlicht und einfach die einigermaßen verunsichernde Frage, ob ein Land wegen tendenziell 10.000 infizierten Bürgern und (zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Beitrags) rund 100 Verstorbenen wirklich den Staatsnotstand ausrufen müsse, die parlamentarische Demokratie durch ein Notverordnungssystem ersetzen dürfe und die Wirtschaft in den Graben fahren solle. Warum – so der Tenor in den sozialen Medien – würde dies nicht auch bei jeder Grippewelle und bei jeder größeren Naturkatastrophe so gemacht, sehr wohl aber während der Coronaepidemie, die in 95 Prozent der Infektionsfälle völlig harmlos verläuft. Gewiss, allein die schrecklichen Zustände im benachbarten Oberitalien, aber auch die rigiden und letztlich zum Erfolg führenden Maßnahmen der chinesisch-kommunistischen Diktatur, aber auch die weltweit durchgeführten Maßnahmen aller anderen Staaten müssen uns zeigen, dass das, was die österreichische Bundesregierung an Einschränkungen der Grundrechte und Bewegungsfreiheit der Bürger, an Bekämpfung der sozialen Kontakte, durchführt, nicht falsch sein kann, zumindest ist es kein Einzelfall! Kritik aber daran, parlamentarische Kontrolle, mediale Debatte im Zuge der verbrieften Meinungsfreiheit und vor allem Sorge um Rechtsstaat, Demokratie und eben diese Meinungsfreiheit sind auch in Zeiten der Seuche unverzichtbar! Neben dem bedingungslosen Kampf um die Erhaltung der Gesundheit der Bevölkerung muss es die Sorge und das Eintreten für unseren freiheitlichen Rechtsstaat, unsere parlamentarische Demokratie und insbesondere die Meinungsfreit sein, die hier von den Bürgern, insbesondere aber von den Medien, vorangetragen werden muss.


Die FPÖ in den Tagen der Epidemie

4. April 2020

Von Österreichs Freiheitlichen hört man in diesen Tagen nicht viel, diesbezüglich geht es ihnen ebenso wie den beiden anderen Oppositionsparteien, der Sozialdemokratie und den NEOS. Der mediale Fokus ist ganz und gar auf die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung der Coronapandemie gerichtet, und in dem ohnedies reduzierten parlamentarischen Betrieb würde eine allzu rigide Opposition gegenüber den Regierungsmaßnahmen gegenwärtig nahezu wie Landesverrat aussehen. Allenthalben wird getrommelt, dass nunmehr Solidarität, Zusammenhalt und patriotischer Gemeinsinn gefordert sei – auch von den Oppositionsparteien. Dort, wo die Freiheitlichen sich im Bereich ihrer herkömmlichen Themen zu Wort melden, etwa in der Migrationsproblematik, heißt es schnell von den Mainstream-Medien und von den etablierten Parteien, dass diese Freiheitliche Partei nicht einmal in den Tagen der existenziellen Coronakrise von ihrer „Hetze“ lassen könne, und die Aufmerksamkeit der Bevölkerung richtet sich tatsächlich ausschließlich auf das Corona-Thema. Man interessiert sich kaum für etwas anderes, nicht einmal für die noch vor wenigen Wochen so drängend erscheinende Zuwanderungsproblematik über die Türkei und Griechenland.
Was aber soll eine Freiheitliche Partei, die allzumal Opposition ist, in diesen Tagen machen? Was kann sie tun? Was wäre ihre politische Aufgabe? Nachdem wir gegenwärtig die größten Einschränkungen unserer Grundrechte seit dem Krieg und der Besatzungszeit erleben müssen, sollte eine politische Bewegung, die sich „freiheitlich“ nennt, auf jeden Fall ein verstärktes und rigoroses Augenmerk auf die Frage richten, ob die Verhältnismäßigkeit der Beschneidung unserer Bürgerfreiheit durch die Bundesregierung zwecks Seuchenbekämpfung gegeben ist. Die FPÖ müsste im Parlament, aber auch insgesamt in ihrer gesamten politischen Tätigkeit in diesen Tagen ein scharfes Auge darauf haben, dass die Einschränkungen unserer Bürgerfreiheit streng nach rechtsstaatlichen Prinzipien vonstatten gehen. Dass die Legislative, das Parlament also und die Landtage nicht völlig ausgehebelt und in den Hintergrund gedrängt werden. Sie muss darauf achten, dass wir nicht in eine Art Notverordnungs-Diktatur hineingleiten und jeden Ansatz der Exekutive, insbesondere der Bundesregierung, ihren zweifellos gegenwärtig gegebenen autoritären Versuchungen zu erliegen, gnadenlos aufzeigen und bekämpfen.
Alle Tendenzen, nunmehr nach dem Prinzip „Big Brother is watching you“ die Menschen im Lande in ihrem Alltagsleben zu überwachen, müssen von freiheitlicher Seite überprüft und hinterfragt werden, wie weit sie tatsächlich für die Seuchenbekämpfung nötig sind. Und sie müssen im Fall, dass sie tatsächlich eingeführt werden, nach dem Ende der Seuchenbedrohung wieder rückgeführt werden.
Die Freiheitlichen sollten darauf achten, dass Befugnisse der Exekutive bei der Überwachung, wie weit die Bürger die Verordnungen des Gesundheitsministers befolgen, nicht übers Ziel schießen. Sie müssen diese Verordnungen selbst immer wieder im Detail überprüfen und hinterfragen, inwieweit sie tatsächlich im Zuge der Seuchenbekämpfung notwendig sind. Diese Tätigkeit sollte von den Freiheitlichen auch dokumentiert und ständig evaluiert werden, auch wenn das Bürgerinteresse und das Augenmerk der etablierten Medien gegenwärtig vielleicht nur sehr schwer darauf zu lenken sein wird. À la longue wird diese Kontrolle und dieses Eintreten für die Freiheitsrechte und für die Verhältnismäßigkeit der Notmaßnahmen der Regierung und der Exekutive Früchte tragen. Natürlich ist die Freiheitliche Partei eine patriotische Partei, natürlich ist sie auch eine Law-and-Order-Partei, die für Recht und Ordnung eintritt. In erster Linie aber ist sie eine Freiheitspartei und der Bürgerfreiheit, die man seit 1848 erkämpft hat, verpflichtet.
Und die Wahrung der Grundrechte und der Privatsphäre der Menschen im Lande, das sollte ihre vornehmste Aufgabe sein. Und diese Aufgabe ist durchaus vereinbar mit patriotischer Solidarität, mit pragmatischer Vernunft, mit der man auch Notmaßnahmen zur Seuchenbekämpfung akzeptiert, und mit konstruktiver Politik, die das Parteiengezänk und die Fundamentalopposition in diesen Tagen vermeidet.
Die große Frage, ob Sicherheit oder Freiheit Priorität habe, wird gegenwärtig von der Bundesregierung und von der Exekutive des Landes, und das nicht nur in Österreich, sondern europaweit, ja weltweit, zu Gunsten der Sicherheit, im konkreten Fall der Sicherung der Gesundheit der Menschen, beantwortet. Die Freiheitlichen in Österreich sind dafür da, dass man dabei die Freiheit nicht vergisst: die Bürgerfreiheit, die Grundrechte, die parlamentarische Demokratie, den Rechtsstaat und insbesondere die Meinungsfreiheit. Eine Meinungsfreiheit, die man auch von den im Bundeskanzleramt offenbar angedachten Ansätzen für eine Gedankenpolizei – man denke an jene Einheit, die Fake News bekämpfen soll – nicht gefährden lassen sollte. Zu solchen Bekämpfung kann die FPÖ gegenwärtig wenig beitragen, zur Bewahrung der Freiheit aber sehr wohl.