Der Homo Austriacus

29. März 2018

Von Nörglern, Nebochanten und Leidgenossen und einem begnadeten Menschenschlag

Der Österreicher – wer ist das? Was zeichnet ihn aus und wodurch unterscheidet er sich von seinen europäischen Nachbarn? Gibt es ihn überhaupt als kulturellen Phänotypus, oder gibt es nur Steirer und Kärntner, Tiroler, Salzburger und Wiener? Und ist dieser Österreicher in unseren Tagen derselbe wie der in der Monarchie oder jener in kommenden Jahrzehnten? Welche guten Eigenschaften hat er, welche schlechten?
Fragen über Fragen, die natürlich nur mittels Klischees beantwortet werden können. Solche Klischees, die aus Pauschalurteilen, bisweilen sogar aus Vorurteilen bestehen, haben die merkwürdige Eigenschaft, dass sie im Einzelfall nie zutreffen, insgesamt aber doch mehr Wahrheit transportieren, als man glauben kann. Halten wir uns also an die Klischees!
Da wäre einmal das Klischee, dass die Österreicher ein freundliches Volk wären. Als Tourismusland bieten sie ja „Urlaub bei Freunden“ an, und schon aus Geschäftsgründen müssten sie liebenswürdig, freundlich und zuvorkommend gegenüber ihren Gästen sein. Man braucht sich allerdings nur an Mitterers „Piefke-Saga“ erinnern, um zu wissen, von welcher Qualität diese Freundlichkeit ist. Wer sich überdies vergegenwärtigt, mit welcher Inbrunst Touristen etwa am Ende der jeweiligen Saison verabscheut werden, weiß dies ebenso. Und wenn die vorgebliche Liebenswürdigkeit der Österreicher historisch aus dem Bereich der Habsburger Monarchie begründet wird, bleibt bei näherer Betrachtung auch nicht sehr viel übrig. Der Mythos von Sisi und Franzl wirkt eher hohl, wenn man bedenkt, mit welcher Brutalität etwa die Truppen des jugendlichen Kaisers Franz Joseph im Jahr 1848/49 den ungarischen Aufstand niedergeknüppelt haben – oder auch die Wiener Revolution. Das Bild von Mozartkugeln und Lipizzanern von der Insel der Seligen, bevölkert von weintrinkenden und lederbehosten Jodlern, ist sogar den Österreicher selbst längst fremd geworden.
Nächstes Klischee: Die Österreicher seien weltoffen und tolerant. Wer allerdings all die „Kosenamen“ bedenkt, mit denen die Österreicher ihre Nachbarn titulieren, kann rasch zur Ansicht kommen, dass von dieser Weltoffenheit und Toleranz wenig zu spüren ist. Da gibt es einmal die „Piefkes“, die man von Herzen verabscheut. Dann die „Katzelmacher“, denen man ein gebrochenes Verhältnis zur Unantastbarkeit des persönlichen Eigentums nachsagt. Dann die sogenannten „Tschuschen“, worunter man gleich alle Balkanvölker samt und sonders qualifiziert. Dann natürlich „Kümmeltürken“ und ähnliches bis hin zu den unsäglichen Resten antisemitischer Klischees. Natürlich sind diese Vorurteile gegenüber benachbarten Völkern und Kulturen historisch bedingt und zum großen Teil vor langen Generationen entstanden. Sie halten sich allerdings mit großer Beständigkeit und stellen der Weltoffenheit der Österreicher ein schlechtes Zeugnis aus. Unbestritten ist allerdings dennoch, dass es in Österreich noch aus Zeiten der Donaumonarchie herreichend ein gewisses Verständnis für die slawischen, die romanischen und die magyarischen Kulturen gibt, hat man doch selbst einen Teil der daher stammenden Einflüsse rezipiert und zu jenem Kulturmix gemacht, der eben typisch österreichisch ist.
Damit ist man schon beim nächsten Klischee: Die Österreicher sind alles, nur keine Deutschen. Da gibt es dann den Scherz, wonach es die gemeinsame Sprache sei, die uns von den Deutschen trenne. Ganz so, als ob nicht Innviertler und Niederbayern wesentlich mehr gemeinsam hätten als letztere mit Nordfriesen und Holsteinern. Ganz so, als wären Vorarlberger und Baden-Württemberger einander nicht wesentlich ähnlicher als die Bewohner von Rostock und jene von Freiburg im Breisgau. Auch wenn sich Österreich längst nicht mehr als „deutscher Staat“ versteht wie in der Ersten Republik, sind die Überschneidungen Österreichs mit dem bundesdeutschen Nachbarn im Hinblick auf Wirtschaft, Kommunikation und auch persönliche Mobilität heute wesentlich intensiver als je zuvor. Tatsache bleibt es allerdings, dass die Österreicher wesentlich anders „ticken“ als ihre bundesdeutschen Nachbarn: Die Bundesdeutschen meinen, was sie sagen. Die Österreicher hingegen sagen keineswegs immer das, was sie meinen. In Deutschland ist die Lage ernst, aber nicht hoffnungslos, in Österreicher ist sie hoffnungslos, aber keineswegs ernst. Das sind nun zweifellos alles Klischees, sie sind aber auch in hohem Maße zutreffend.
Zu den weiteren Klischees – in diesem Falle ein negatives –, die es zu hinterfragen gilt, gehört die Behauptung, dass die Österreicher Opportunisten wären. So im Sinne von Qualtingers „Herrn Karl“, der sich mit geradezu widerlicher Anpassungsfähigkeit allen herrschenden Regimen und allen Zeitgeistströmungen anzupassen weiß. Im März 1938 war man jubelnd am Heldenplatz, nach 1945 war man selbstverständlich Sozialist und gewerkschaftlich organisiert, in der Monarchie hätte man dem Bürgermeister Lueger die Hand geküsst und in der jüngeren Zeit hätte man zweifellos dem oppositionellen H.C. Strache zugejubelt. Natürlich sei man vehement gegen Fremdenfeindlichkeit, aber Türken und schwarze Drogendealer möge man halt einfach nicht. Dieses hässliche Bild des Österreichers ist zweifellos überzeichnet. Richtig ist allerdings, dass die Österreicher Überlebenskünstler sind, anpassungsfähig und flexibel. „Situationselastisch“, könnte man ihr Verhalten vielleicht da und dort bezeichnen, wenn man ihre politischen und weltanschaulichen Positionen betrachtet.
Zuerst war man natürlich für das Erzhaus, den Kaiser und das Vaterland, dann zwischen 1918 und 1938 entweder für den Schutzbund oder die Heimwehr und jedenfalls für den Anschluss, den man 1938 doch weitgehend bejubelt hat. Nach 45 war man für die Befreier, vor allem natürlich für die Amis und natürlich für den Staatsvertrag. Und dann war man für Karl Schranz und für Bruno Kreisky und in Cordoba für die Nationalmannschaft. Und natürlich war und ist man für Nationalhelden wie für Marcel Hirscher, Conchita Wurst und David Alaba. Haydn, Mozart und Beethoven sind da schon ein wenig weiter weg. Grillparzer, Hofmannsthal und Handke interessieren schon nur mehr Ö1-Hörer und andere Bildungsbürger.
Und damit sind wir bei einem weiteren Klischee: Die Österreicher seien eine Kulturnation. Und das stimmt natürlich auch, wiewohl das Gros an historisch gewachsener Kultur und an Manifestation sogenannter Hochkultur wie Burgtheater, Staatsoper, Kunsthistorisches Museum, Albertina etc. schlicht und einfach das Erbe der Monarchie darstellen. Die kleine Republik Österreich oder früher die kleinen Kronländer der Monarchie hätten das alleine nie zustande gebracht. Das ist eben das Erbe des Kaiserhauses, das Erbe der kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt Wien, das uns – ein wenig unverdient – in den republikanischen Schoß gefallen ist. Dieses Erbe wird allerdings von einem Großteil der Österreicher nur in sehr geringem Maße wahrgenommen und kaum konsumiert. Wieviele Prozente der Angehörigen dieser österreichischen Kulturnation waren schon in der Staatsoper oder bei einem Konzert im Musikvereinssaal? Wie viele haben die Schatzkammer in der Hofburg besucht oder die Salzburger Festspiele? Wenn man diese Fragen beantwortet, reduziert sich das Bild von der Kulturnation Österreich doch auf ein relativ bescheidenes Maß.
Was man den Österreicher allerdings unbestreitbar nachsagen kann ist, dass sie Bürger einer stabilen Demokratie mit einem gesicherten republikanischen Patriotismus und einem funktionierenden Rechtsstaat sind. Die Republik gehört zu den reichsten Ländern der Welt, ihre Bürger verfügen über ein hohes Maß an relativer Freiheit, relativem Frieden und relativem Wohlstand. Hier leben zu dürfen, ist am Beginn des 21. Jahrhunderts im globalen Vergleich zweifellos ein Privileg.
Wenn man also die autochthone Bevölkerung des heutigen Österreich definieren will, muss man zuerst sagen, dass sie die Nachkommen jener Menschen sind, die in den deutschen Erblanden der Habsburger Monarchie über Jahrhunderte den Kernbereich des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation getragen haben und zuletzt ein Jahrhundert bis hin zum Ende des Ersten Weltkriegs den schwergewichtigsten Teil einer multinationalen, auf den ganzen Donauraum erstreckten Monarchie darstellten. Sie waren also Träger einer übernationalen Reichsidee, offen, aber auch ausgesetzt allen kulturellen Einflüssen aus den Bereichen dieser Monarchie. Aber sie waren natürlich auch Deutsche, eine Tatsache, die bis hinein in die düsteren Jahre des NS-Regimes von kaum jemand bezweifelt wurde. Diese Menschen in den deutschen Kronländern der Habsburger Monarchie, zuerst im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, dann der Doppelmonarchie, zeichneten sich schon sehr früh durch Besonderheiten aus, etwa durch ein katholisch fundiertes barockes Lebensgefühl. Danach gab es die Einflüsse der Aufklärung, des Josephinismus, dann der privatisierenden Kultur des Biedermeier und schließlich jenen der Gründerzeit, in der Wien als Hauptstadt des multinationalen Reiches tatsächlich zu einer Weltstadt wurde.
Dass dieses spezifisch österreichische Lebensgefühl nach 1945 ein auf den Staat, auf die Republik zentriertes Nationalbewusstsein werden konnte, ist also nicht verwunderlich. Gewiss spielte dabei der Opportunismus eine Rolle, mit dem man sich von den geschlagenen Deutschen und deren Verantwortung für historisch einzigartige Verbrechen zu distanzieren versuchte. Die Erfolgsstory aber, als die die Geschichte der Zweiten Republik betrachtet werden kann, hat das breite und fundierte Bewusstsein in der Bevölkerung geschaffen, Bürger eines funktionierenden, sinnvollen und sinnstiftenden Staatswesen zu sein. Das ist wohl die Basis des heutigen österreichischen Lebensgefühls.
Und dann sind da noch Eigenheiten, welche man sich klischeehaft selbst zuordnet: Angehöriger jener Nation zu sein, die alljährlich das Neujahrkonzert der Philharmoniker über den Äther in alle Welt hinaustönen lässt. Angehöriger jenes Landes zu sein, dessen Schifahrer regelmäßig Weltmeister und Olympiasieger werden. Angehöriger jener Republik, wo der Salzburger „Jedermann“ gespielt wird und die Lipizzaner in der Hofreitschule auftänzeln, Bürger eines Landes zu sein, dass EU-Nettozahler ist, das sich durch ein hohes Maß an sozialem Frieden und wirtschaftlichem Wachstum auszeichnet. Schließlich auch Bürger eines Landes zu sein, das als Sehnsuchtsziel für hunderttausende Flüchtlinge – aus welchen Gründen auch immer, zumeist wohl aus wirtschaftlichen – aus aller Welt gilt.
Und damit sind wir bei einem weiteren entscheidenden Thema, welches die Identität des Österreicher der Gegenwart beeinflusst: die Massenzuwanderung. Bereits die Gastarbeiterströme der 60er und 70er Jahre hatten den Zustrom fremder Populationen mit sich gebracht. Während die Wanderungsbewegungen der Nachkriegszeit die Vertriebenen und geflohenen Angehörigen des Ostdeutschtums, aus dem Sudetenland oder vom Balkan nach Österreich schwemmten und kaum soziokulturelle Probleme mit sich brachten, war die Gastarbeiterzuwanderung bereits ein Faktor ethnischer rund kultureller Veränderung. Aber erst die Massenzuwanderung der letzten Jahre, insbesondere der Jahre 2015 und 2016, zeitigte einen quantitativ tatsächlich massiven Faktor, der die ethnische Substanz der österreichischen Wohnbevölkerung verändern wird. Rund ein Viertel der Wohnbevölkerung dürfte bereits Migrationshintergrund haben und deren höhere Geburtenrate, der Familiennachzug und ein anhaltender – wenn auch gebremster – weiterer Zustrom könnte die autochthone Bevölkerung des Landes tatsächlich in ein, zwei Generationen in die Defensive drängen. Wie sich der Charakter des Homo Austriacus ändern wird, kann man nur vermuten. Zweifellos wird es stärker islamische Einflüsse geben, das traditionell katholische Österreich mit seinen protestantischen Enklaven wird also in religiöser Hinsicht zunehmend muslimisch beeinflusst werden.
Insgesamt dürfte es eine Gesellschaft mit vielerlei Parallelgesellschaften werden, einerseits mit integrierten Communities wie etwa jenen, die vom Balkan stammen (Serben, Kroaten), und andererseits mit ghettoisierten Minderheiten, die sich von der autochthonen Bevölkerung abschotten. Dies betrifft weitgehend den Bereich der türkischen Zuwanderer, aber auch jener, der in jüngster Zeit aus dem arabisch-syrischen Bereich gekommen sind. Einen weiteren Faktor stellen dabei Menschen aus Zentralasien (Afghanistan, Pakistan) und aus Schwarzafrika dar. Assimilation und Vermischung wird dabei natürlich auch stattfinden, Konflikte zwischen den einzelnen Zuwanderergruppen, aber auch mit der autochthonen Bevölkerung werden dabei unvermeidbar sein. Ob es dabei bei sozialen Verteilungskämpfen bleibt oder ob es tatsächlich auch zu Gewalt und Ausschreitungen kommt, ist eine weitere Frage.


Die alte Tante SPÖ

24. März 2018

Über Glanz und Elend des Austromarxismus

Es begann vor 130 Jahre in der kleinen Ortschaft Hainfeld im Wienerwald: Der Armenarzt Victor Adler vermochte die verschiedenen Gruppierungen und Strömungen der Arbeiterbewegung in den habsburgischen Landen zu einer einzigen sozialdemokratischen Partei zu einigen. Der Mediziner mit großbürgerlichem Hintergrund aus jüdischer Familie und sein Mitstreiter Engelbert Pernerstorfer waren ursprünglich Mitkämpfer des alldeutschen Georg Ritter von Schönerer gewesen. Sie hatten noch in den frühen 80er Jahren am Linzer Programm Schönerers mitgearbeitet und waren als Studenten für wenige Jahre Burschenschafter gewesen. Liberales Denken und deutschnationales Fühlen waren den Parteigründern also nicht fremd. Ab der Parteigründung des Jahres 1888 aber, war es der Marxismus, der – wenn auch in relativ gemäßigter Art und Weise – Adlers und Pernerstorfers Denken bestimmen sollte.
Von Anbeginn an orientierte sich die österreichische Sozialdemokratie an der reichsdeutschen Schwesterpartei. Diese war vom Burschenschafter Ferdinand Lassalle, ebenfalls Jude, der nach einer Frauengeschichte in einem Duell fallen sollte, gegründet worden und in ihrer Frühzeit maßgeblich vom Corpsstudenten August Bebel beeinflusst. Diese Bindungen zur deutschen Sozialdemokratie fanden einen ersten Höhepunkt in den Jahren unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, als die österreichischen Sozialdemokraten die primäre treibende Kraft des Anschlusses an die damals ebenso sozialdemokratisch regierte Weimarer Republik waren.
Noch in den Tagen Bruno Kreiskys gab es so etwas wie ein Sonderverhältnis zwischen der österreichischen SPÖ und der bundesdeutschen SPD des Willy Brandt. Die große deutsche Sozialdemokratie war eben das leuchtende Vorbild für die österreichischen „Roten“.
Diese allerdings waren aber in ideologischer Hinsicht um einiges radikaler als die reichsdeutschen Genossen, was sich insbesondere in der Ersten Republik in der Person des Chefideologen Otto Bauer manifestierte. Diese Radikalität, die sich im Theoriegebäude des Austromarxismus niederschlug, deckte aber das gesamte linke Spektrum derartig umfassend ab, dass in der Ersten Republik in Österreich keine nennenswerte kommunistische Partei Fuß fassen konnte.
Die roten Garden, wie sie etwa unter der Teilnahme des „fliegenden Reporters“ Egon Erwin Kisch bei der Ausrufung der Republik am 12. November 1918 eine Schießerei vom Zaun brachen, sollten eine Kleingruppe bleiben. Eine Kleingruppe allerdings, die während der Ersten Republik als einzige neben den habsburgischen Legitimisten gegen den Anschluss an Deutschland auftrat und die ab 1945 unter der Patronanz der sowjetischen Besatzungsmacht für die Anfangsjahre der Zweiten Republik ein nicht unwesentlicher Faktor sein sollte. Ein Faktor, der im Jahre 1950 noch einmal so etwas wie einen Putschversuch unternahm, der jedoch von Innenminister Franz Olah rigoros unterbunden wurde.
Doch zurück zu den Gründerjahren: Neben dem Kampf um eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der arbeitenden Menschen, wie etwa einer Verkürzung der täglichen Arbeitszeit, des Verbots von Kinderarbeit und anderen Arbeitnehmerrechten, war es vor allem der Kampf um das allgemeine und gleiche Wahlrecht, der von der Sozialdemokratie in den letzten Jahrzehnten der Monarchie vorangetragen wurde.
Erst mit der Abschaffung des Zensuswahlrechts, das ja bekanntlich die vermögenderen Bevölkerungsschichten, insbesondere das Bürgertum, bevorzugt hatte, vermochte die Sozialdemokratie zu einer nicht zu übersehenden Kraft im Reichsrat der cisleithanischen Reichshälfte aufzusteigen. Gemindert wurde diese Stärke allerdings bald durch die Abspaltung der nichtdeutschen sozialdemokratischen Parteien, die in der österreichischen Reichshälfte der Monarchie ihren eigenen Weg zu gehen trachteten.
Trotz des theoretischen revolutionären Impetus des Austromarxismus war die „k. u. k.-Sozialdemokratie“ des Victor Adler dem Kaiserhaus gegenüber weitgehend loyal. Nach Erlangung des allgemeinen gleichen Wahlrechts für Männer wurde die Sozialdemokratie bei den Wahlen des Jahres 1911 zur stärksten Partei im Reichsrat, wobei allerdings die in eine Reihe von Clubs und Einzelparteien zerfallenen deutschnationalen und deutschliberalen Parteien insgesamt stärker waren.
Trotz ihrer extrem linken Ausrichtung geriet die österreichische Sozialdemokratie in den Monaten nach dem Ersten Weltkrieg niemals in Versuchung, so wie in München oder in Budapest ein räterepublikanisches System nach Sowjetmuster aufzuziehen. Als klug erwies sich in diesem Zusammenhang die Entscheidung der bürgerlichen Parteien, einen Exponenten der Sozialdemokratie, nämlich den hochrangigen Parlamentsbeamten Karl Renner, zum Vorsitzenden des Staatsrats der provisorischen Regierung zu wählen. Mit dieser Maßnahme bewegte man die Sozialdemokratie dazu, die Straße und allfällige Protestdemonstrationen unter Kontrolle zu halten und eine tatsächliche Revolution zu verhindern.
Zweimal stand die Sozialdemokratie federführend an der Wiege der Republik. Und sowohl im Herbst 1918 als auch im Frühling 1945 war es die Person des Karl Renner, der die Staatsspitze stellte.
Als Staatsratsvorsitzender des Jahres 1918 arbeitete er die erste provisorische Verfassung aus und leitete die österreichische Delegation bei den Friedensverhandlungen in Saint-Germain-en-Laye. Im Jahr 1920 allerdings musste sich die gesamte Sozialdemokratie in die Opposition verabschieden. Die Koalition mit den Christlichsozialen war geplatzt, und diese sollten für die weiteren Jahre der Ersten Republik bis 1934 mit den nationalliberalen Parteien und danach in Form des autoritären Ständestaats an der Regierung bleiben.
Karl Renner, der in die Jahre des Zweiten Weltkriegs und der NS-Zeit in seiner Villa in Gloggnitz verbracht hatte, sollte dann auch wieder an der Wiege der Zweiten Republik stehen und das nicht zuletzt, weil er als politischer Pragmatiker – ein Pragmatismus, der bisweilen schon an Opportunismus grenzte – den „Genossen Stalin“ briefliche Lobeshymnen übermittelte und solcherart mit der Bildung einer provisorischen Staatsregierung betraut wurde.
Deshalb wurde er auch zum ersten Bundespräsident der Zweiten Republik. Unmittelbar nach der Gründung der Republik im Herbst 1918 gaben sich die Sozialdemokraten als die Anschluss-Partei schlechthin. Neben den Deutschnationalen waren sie es, die bis zum Jahre 1933 am entschiedensten für die Vereinigung mit dem Deutschen Reich eintraten. Die Sozialdemokratie hatte den Anschluss jedenfalls bis zum Jahre 1933, bis zur Machtübernahme durch Hitler, verfochten, und noch im Jahre 1938, nach dem Anschluss an das Reich, erklärte der führende Theoretiker der Sozialdemokratie Otto Bauer im Pariser Exil: Es könne nicht die „reaktionäre Parole“ der Wiedererrichtung eines unabhängigen Österreich sein, sondern vielmehr die gesamtdeutsche Revolution, die die Sozialdemokratie anzustreben habe. Nach dem Krieg wurde die Sozialdemokratie gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner ÖVP zum entschiedenen Verfechter einer ethnisch eigenständigen „österreichischen Nation“ und des „österreichischen Menschen“, der alles sein konnte, nur kein Deutscher. Einzig Friedrich Adler, der Sohn des Parteigründers erklärte, dass er, vor die Wahl gestellt, ob er sich für die Nation Goethes, Schillers und jene Sprache, in der Freiligrath seine revolutionären Lieder geschrieben habe, entscheiden müsse oder für eine österreichische Nation, dass er dies vorbehaltlos für erstere tun würde.
In ideologischer Hinsicht war die Sozialdemokratie während der Ersten Republik – wie gesagt –relativ radikal. Noch im Parteiprogramm von 1926 erklärte sie, die „Diktatur des Proletariats“ zum politischen Ziel. Der Weg dorthin allerdings sei die Demokratie, was aber die Sozialdemokraten nicht hinderte, im Februar 1934 mit ihrer paramilitärischen Formation, dem Schutzbund nämlich, in den Bürgerkrieg zu ziehen.
Dieser wurde insbesondere im „roten Wien“ besonders heftig ausgefochten. Dieses „rote Wien“ war überhaupt die Hochburg der Sozialdemokratie und zwischen 1920 und 1934 so etwas wie das sozialdemokratische Gegenmodell zur Bürgerblock-Regierung. Neben dem sozialen Wohnbau, wie er sich in den großen Gemeindebauten manifestierte, waren es vor allem Projekte der Arbeiterbildung und der Arbeiterwohlfahrt, die in Wien unter sozialdemokratischer Führung der Ersten Republik vorbildlich verwirklicht wurden. Und auch nach 1945 blieb dieses „rote Wien“ bis zum heutigen Tag die eigentliche Hochburg der österreichischen Sozialdemokratie.
In der Ersten Republik wurde die Sozialdemokratie als „Judenpartei“ geschmäht. Tatsächlich gab es von der Gründung an eine Reihe von bedeutenden jüdischen Funktionären, angefangen von Victor Adler bis hin zu Otto Bauer und in der Zweiten Republik Bruno Pittermann und Bruno Kreisky. Der Antisemitismus aber, der sich im 19. Jahrhundert von einer religiösen Motivation hin zu einer rassisch-begründeten entwickelte, machte auch vor der österreichischen Sozialdemokratie nicht halt. Während die deutschfreiheitlichen Parteien in der Ersten Republik, also die Großdeutsche Volkspartei und der Landbund ebenso einen Arierparagraphen gegen die Aufnahme von jüdischen Mitgliedern hatten wie die Christlichsozialen, gab es in der SPÖ allerdings nur die informelle Vereinbarung, dass im Parteivorstand nicht mehr als eine gewisse Anzahl jüdischer Funktionäre sitzen sollten, um deren Einfluss in Grenzen zu halten.
Und nach 1945 ließ der Parteivorsitzende Adolf Schärf immerhin noch Briefe an im ausländischen Exil befindlichen Genossen jüdischer Herkunft schreiben, sie mögen doch nicht nach Österreich zurückkommen, da sie der SPÖ schaden würden. In der Zweiten Republik war die SPÖ, waren die „Sozialisten“ , wie sie sich nunmehr nannten, über mehr als zwei Jahrzehnte von 1945 bis 1966 in einer von der christlichsozialen ÖVP geführten Regierungskoalition. Den ÖVP-Spitzenpolitikern Figl, Raab, Gorbach und Klaus standen von SPÖ-Seiten neben den beiden altgedienten Staatsmännern Karl Renner und Theodor Körner die Parteivorsitzenden Adolf Schärf, Bruno Pittermann und Bruno Kreisky gegenüber. Ihnen folgten dann Fred Sinowatz, Franz Vranitzky, Viktor Klima, Alfred Gusenbauer, Werner Faymann und schließlich Christian Kern.
Von Anbeginn der Zweiten Republik verstand sich die Sozialdemokratie als staatstragende Partei und sui generis auch als Regierungspartei.
Nur in den Jahren zwischen 1966 und 1970 und dann wieder von 2000 bis 2006 war die SPÖ nicht in der Bundesregierung vertreten. Der schwarz- rote bzw. rot- schwarze Proporz und die Sozialpartnerschaft, bei der die SPÖ durch die Gewerkschaft und die Arbeiterkammer entsprechend vertreten waren, bilden dabei einen Macht- und Repräsentationsanspruch der SPÖ, von dem viele Sozialdemokraten bis zum heutigen Tag glauben, dass sie durch den kurz- oder mittelfristigen Wählerwillen gar nicht abgelöst oder gar getilgt werden können.
Die bislang prägendste Persönlichkeit in den Reihen der Sozialdemokratie in der Geschichte der Zweiten Republik ist zweifellos Bruno Kreisky: Der Spross aus jüdisch-großbürgerlicher Familie, der lange Jahre im schwedischen Exil verbracht hatte und sich in Österreich erst als Außenpolitiker bereits bei den Staatsvertragsverhandlungen profilieren konnte, war der politische „Sonnenkönig“ jeder sozialdemokratischen Ära, die in den 70er Jahren in Europa von Willy Brandt und Olaf Palme, aber eben auch von Bruno Kreisky selbst geprägt wurde. Seine Nachfolger von Fred Sinowatz bis Christian Kern brachten es allesamt nicht mehr zustande, so wie er das Bild eines charismatischen, sozialdemokratischen Spitzenpolitikers zu bieten.
Heute ist die SPÖ in der Opposition, und allenthalben wird darüber diskutiert, dass sie sich neu erfinden müsse. Eine Arbeiterklasse im historischen Sinne, gibt es kaum mehr. Die einstigen Proletarier sind längst kleinbürgerliche Konsumenten geworden und das Gutmenschen-Postulat, die Partei der sozialen Gerechtigkeit und des konsequenten Antifaschismus sein zu wollen, scheint auch nicht zu reichen.
Ob also die parlamentarische Opposition für die Sozialdemokratie eine Art politischer Frischzellenkur sein wird oder die politische Palliativstation, bleibt abzuwarten.


Hundert Tage Schonfrist

21. März 2018

Seit hundert Tagen ist die türkis- blaue Regierung nunmehr im Amt, seit hundert Tagen werkt Sebastian Kurz mit seinem Team, arbeitet Heinz-Christian Strache mit seinen Kameraden und -innen am Wiener Ballhausplatz beziehungsweise am Minoritenplatz. Üblicherweise gibt es innerhalb dieser Frist für neue Regierung so etwas wie mediale Schonfristen, die neue österreichische Mitte- Rechts-Regierung konnte sich einer solchen Schonfrist nicht erfreuen.
Diesmal sind die Freiheitlichen im vergangenen Wahlkampf und dann in der Phase der Regierungsverhandlungen medial und insgesamt in der öffentlichen Bewertung ihres Auftretens recht gut weggekommen sind. H.-C. Strache wurde eine neue staatsmännische Zurückhaltung attestiert, ist seit dem Regierungsantritt anders. Seit Jahresbeginn haben die politischen Gegner und die Mainstream-Medien eine regierungskritische Strategie entwickelt, die in erster Linie auf dem Rücken der Freiheitlichen und zu Lasten ihres Kernwählerpotentials über die Bühne geht. Im Wesentlichen waren es drei Themenbereiche, über die man dem freiheitlichen Koalitionspartner durch die Medien gepeitscht hat: Das Anti-Rauchervolksbegehren, die Burschenschafter und zuletzt das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung. Die Aufhebung des totalen Rauchverbots, das ab kommenden Mai auch in Österreich über die Bühne gehen hätte sollen, war für die freiheitlichen Regierungsverhandler zweifellos ein eher nebensächliches und kurioses Randthema. Es wurde allerdings medial ziemlich in den Mittelpunkt gestellt und dass nunmehr das Volksbegehren gegen diese Aufhebung des Rauchverbots schon in der Einleitungsphase nahezu eine halbe Million Menschen motivierte, hat die Regierung, insbesondere den Vizekanzler, zweifellos überrascht. Aufgrund gegenseitiger Blockade der Koalitionsparteien ist man aus der diesbezüglichen Falle nicht herausgekommen.
Nun scheint man darauf zu hoffen, dass das Ganze in Vergessenheit gerät. Kurz und Strache werden den Regierungsgegnern diesen Gefallen aber kaum tun.
Und dann die Burschenschaften, unglaublich skandalöse Enthüllungen der einen oder anderen linkslinken Gazette über saublöde, ungustiöse Druckwerke mit irgendwelchen Saufliedtexten wurden zur Staatsaffäre hochgeblasen, wobei man sogar einen Nationalen Sicherheitsrat bemühte.
Und insgesamt versuchte man, das Bild zu malen, wonach rechtsradikal-faschistische Geheimbünde kurz vor der Machtübernahme in den Ministerien stünden. Dass einfach ein großer Teil der Akademiker des nationalliberalen Lagers aus dem zivilgesellschaftlichen Teil diesen Lagers, aus dem Verein- und Verbandsspektrum, aus dem studentisch-akademischen Korporationen stammen, ist ja nichts Neues, und daraus ergibt sich, gewissermaßen logisch, dass viele akademische Mitarbeiter aus diesem Bereich kommen. Von regierungskritischer Seite allerdings glaubte man hier, das Einfallstor für alle Angriffe gefunden zu haben. Im Moment ist es zwar ein bisschen ruhiger, aber die diesbezüglichen Versuche werden gewiss unvermindert weiter gehen.
Und was schließlich den angeblichen Skandal um das BVT betrifft, so weiß natürlich jeder, der ein wenig darüber nachdenkt, dass das Ganze, wenn es denn ein Skandal ist, eine politische Altlast darstellt aus der rot–schwarzen Regierungszeit. Da haben sich offenbar die österreichischen Schlapphüte allzu wenig an Gesetze gehalten und da oder dort ihre eigenen Süppchen gekocht. Interne Intrigen, ein bisschen Korruption da oder dort, und ähnliche Vorgänge werden es wohl gewesen sein, die letztlich dazu führten, dass der neue freiheitliche Innenminister durchgreifen musste. Wenn das nun zum freiheitlichen Skandal hochstilisiert wird, ist es eigentlich nur lächerlich. Insgesamt ist die Regierung eigentlich konsequent daran gegangen, ihr Programm umzusetzen. Im Bereich der Bildungspolitik, im Bereich der illegalen Migration, also der Sicherheitspolitik, im Bereich der Justizpolitik, bei der Wirtschaftspolitik und auch im außenpolitischen Bereich, wo Frau Kneissl durchaus glücklich agiert, bemüht man sich, konsequente Arbeit zu leisten, und die freiheitlichen Minister tragen ihren Anteil dazu durchaus wacker bei. Was man ihr an Zeug zu flicken versucht, etwa im Bereich der drei skizzierten Problembereiche Raucherfrage, Burschenschaften und BVT, sind eigentlich samt und sonders eher lächerliche Probleme, die zu großen Skandalen aufgebauscht werden. In der historischen Rückschau werden sie nicht einmal als Fußnoten vorkommen, aber die an sich schwache Opposition im Parlament versucht alles, um die Regierung schlecht zu reden.
Nach den vier Landtagswahlen allerdings, bei denen jeweils die Landeshauptleute bestätigt wurden und in Salzburg wohl auch noch werden, ist allerdings im Bereich von Wahlen für ein gutes Jahr Ruhe. Die Freiheitlichen als vormalige Fundamentalopposition haben in den Umfragen gewisse Einbußen hinzunehmen, weil sie regieren, das war zu erwarten. Dramatisch ist es aber vorläufig nicht und bei den Landtagswahlen haben sie überall zugewonnen, weil man eben vom Ergebnis der vorherigen Landtagswahlen ausgehen muss und nicht von dem der Nationalratswahl, das heißt also, dass trotz aller Unkenrufe die Regierung einmal ein gutes Jahr eher ruhiger Arbeit vor sich haben dürfte. Wenn da Medien für die FPÖ ein neues Knittelfeld herbeischreiben wollen und andere vom Scheitern des Wunderknaben Sebastian Kurz träumen, so ist das vorläufig nicht mehr als Wunschdenken und das ist auch gut so.


… liegst dem Erdteil du inmitten

17. März 2018

Österreich – Grenzland oder Zentrum Europas

Im Jahre 1919, als sich der Umfang und die Grenzen  der heutigen Republik Österreich endgültig herauszukristallisieren begannen, erschien dieses territoriale Gebilde den meisten zeitgenössischen Beobachtern eher absurd: Die Zwei-Millionen-Stadt Wien nahe der östlichen Grenze und im Westen die schmale Landbrücke bis zum Bodensee, abgetrennt Südtirol und – das war noch vor der Kärntner Volksabstimmung – womöglich der Verlust Südkärntens und mit Sicherheit jener der Untersteiermark. Gewiss noch absurder wäre es gewesen, wenn sich die im November 1918 gegründete Republik Deutsch-Österreich mit den sudetendeutschen Territorien halten hätte können. Aber auch dieses kleine, sich entlang der Alpen erstreckende Länderkonglomerat, das sich nunmehr Republik Österreich nennen musste, hatte kaum natürliche Grenzen.
Heute haben wir uns an die territoriale Gestalt unseres Staatswesens gewöhnt, wobei wir durch den EU-Beitritt des Landes und durch die EU-Osterweiterung wiederum in eine geopolitische Mittellage innerhalb  des sich integrierenden Europas gekommen sind. In geopolitsicher und historischer Hinsicht war es ja stets die Frage, ob dieser Raum, den heute die Republik Österreich umfasst, Grenzland oder europäisches Zentrum darstellt. Die sich gegenwärtig andeutende Spaltung der EU in einen westlichen und östlichen Teil, der sich in Form der Visegrád-Staaten organisiert, zeigt allerdings, dass Österreich sich sehr rasch wieder in einer Grenzlandsituation wiederfi nden kann.
Die historische Entwicklung des Raumes hat Österreich, konkret die römischen Provinzen Binnennoricum und Ufernoricum, zu Anbeginn in eine Grenzlandsituation gestellt. Mehrere Jahrhunderte lang verteidigten die Römer an der Donau das Reich gegen Barbarenvölker wie die Markomannen und die Quaden. Dann, in fränkischer Zeit, war Karantanien für das Frankenreich Überschneidungsbereich zwischen germanisch-deutscher und alpenslawischer Welt, und dann später für das junge römisch-deutsche Reich war es schon Ostmark, Grenzmark also. Eine Grenzmark, die dann die Babenberger im Zuge der deutschen Ostkolonisation Schritt für Schritt donauabwärts in den slawischen und magyarischen Raum hineinschoben.
Bis hinein in die Zeit der Türkenkriege blieb dieses Österreich – auch das habsburgisch beherrschte Grenzlandbollwerk des Reiches im Osten, insbesondere gegen den osmanischen Vorstoß in Richtung Mitteleuropa. Die Steiermark nannte sich – auf der oststeirischen Riegersburg  kann man dies nachlesen – „Hofzaun des Heiligen römischen Reiches“, und insgesamt waren die habsburgischen Erblande in den Alpen und an der Donau so etwas wie ein Bollwerk der Christenheit gegen den osmanisch-islamischen Vormarsch. Das zweimal belagerte Wien und sein erfolgreicher Widerstand wurden zum Symbol für diese europäischechristliche Abwehrleistung.
Schon durch die Heiratspolitik des Habsburgers Maximilian wurde das Land aber auch zum Zentrum eines habsburgisch beherrschten Konglomerats an Territorien, das dem böhmischen Norden, die freien Teile Ungarns und auch Gebiete im Süden bis an die dalmatinische Küste umfasste. Vollends durch die siegreichen Türkenkriege des Savoyen-Prinzen Eugen wurden die heutigen österreichischen Lande zum Zentrum eines bis in den Karpatenbogen nach Galizien und im Süden in das serbische Siedlungsgebiet reichenden Herrschaftsgebiets. Zentrum deshalb, weil der habsburgische Anspruch auf politische Führung durch ihre Funktion als deutsche Könige und römisch-deutsche Kaiser natürlich auch für das gesamte Reichsgebiet galt.
Diese zentrale Rolle vermochten die deutschen Erblande der Habsburger mit dem Zentrum der kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt Wien bis zum Ende der Monarchie zu spielen. Natürlich war die Niederlegung der Reichskrone während der Napoleonischen Zeit durch Franz II. und die Errichtung des „Kaisertums Österreich“ ein Bruch, der das Schwergewicht für die gesamtösterreichische Staatlichkeit nach Osten verschob. Das Territorium der Erblande an der Donau und den Alpen wurde somit zur westlichen Peripherie dieses Kaisertums Österreich, zumindest in rein staatsrechtlicher Hinsicht. Die Mitgliedschaft der Habsburger Monarchie im Deutschen Bund bis 1866 und danach das Bündnis mit dem neuen Wilhelminischen deutschen Kaiserreich bewirkte jedoch, dass die deutschen Erblande der Monarchie insgesamt für die Mittelmächte in einer gewissen zentralen Position verblieben, wobei sie auch eine Brückenfunktion vom deutschen Raum in den slawischen und magyarischen Raum erlangten.
In beiden geopolitischen Rollen ergeben sich Möglichkeiten, eine solche Brückenfunktion auszuüben. Auch Grenzen sind ja kaum jemals hermetisch geschlossen, und grenzüberschreitender Austausch wirtschaftlicher und kultureller Natur läuft eben zwangsläufig über besagtes Grenzland. In einer Mittel- und Zentrallage allerdings kann eine solche Brückenfunktion wesentlich aktiver, gezielter und nachhaltiger wahrgenommen werden. Wien und die deutschen Erblande der Habsburger konnten diese Brückenfunktion, die Funktion des kulturellen und ökonomischen Austauschs, natürlich in der Monarchie und zuvor noch im Deutschen Bund beziehungsweise im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation in einer Art und Weise wahrnehmen, welche in den Phasen des Grenzlandes oder gar des Bollwerks nicht oder kaum möglich war. Durch diese Brückenfunktion und den damit verbundenen Austausch entwickelte sich ja erst das spezifisch Österreichische im Kultur- und Geistesleben, das, was insbesondere in den späten Jahrzehnten der Monarchie die kulturelle Dimension von „Wien um 1900“ bedeutete.
Über lange Jahrzehnte in der Phase des Kalten Krieges war Österreich wieder Grenzland, am Eisernen Vorhang gelegen, der die nördliche, östliche und auch einen Teil der südlichen Grenze des Landes umfasste, war Schaufenster, aber auch so etwas wie ein Bollwerk des freien Westens, hineinragend in die kommunistische Welt des real existierenden Sozialismus. Der Staatsvertrag von 1955 und die Neutralitätserklärung Österreichs zeitigten aber auch eine andere geopolitische Funktion der Republik. Gemeinsam mit der Schweiz waren sie nämlich so etwas wie ein neutraler Riegel in Mitteleuropa, der die NATO-Staaten im Norden, insbesondere die Bundesrepublik, von NATO-Mitgliedern im Süden trennte.
Wenn heute Österreich unter der neuen Mitte- Rechts-Regierung in vielen politischen Fragen ähnliche Haltungen einnimmt wie die Visegrád- Staaten, also wie Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei, so könnte dies eine neue Hinneigung der Republik zu jenem historischen Raum bedeuten, den einst die Habsburger Monarchie umfasst hatte.
Vordergründig mag es in erster Linie eine ähnliche Haltung in der Problematik der Massenzuwanderung und des Asylwesens sein, was Österreich zunehmend nach Osten blicken lässt. Darüber hinaus aber sind es insgesamt zweifellos historische und kulturelle Traditionsstränge, welche die mitteleuropäische Variante für die geopolitische Positionierung Österreichs wieder in den Raum stellen. Das, was in den 80er und 90er Jahren von Politikern und Autoren wie Busek und Brix im Zusammenhang mit dem historisch-territorialen Phänomen Mitteleuropa stets gefordert wurde, nämlich eine verstärkte Hinwendung Wiens in Richtung Prag, Budapest und Preßburg anstelle einer allzu starken Orientierung an den bundesdeutschen Nachbarn konnte nunmehr Realität werden.
Kurioserweise allerdings wird dies nunmehr von den linksliberalen Mainstream-Medien im Westen als Hinwendung zur „illiberalen Demokratie“ eines Orbán und eines Kaczynski gegeißelt. Im Gegenteil, eine nähere Hinwendung Österreichs an die Visegrád-Staaten müsste vielmehr eine Stärkung der liberalen und demokratischen Traditionen in den betreffenden Ländern bedeuten, wenn diese nach der sowjetkommunistischen Zwangsherrschaft und einer chaotischen Phase des Übergangs nunmehr von starken – vielleicht allzu starken – patriotischen Parteien regiert werden. Der österreichische Einfluss könnte sie dazu bewegen, dennoch Gewaltenteilung, liberale Medienvielfalt und die Unabhängigkeit einer rechtsstaatlich orientierten Justiz zu respektieren.
Tatsache bleibt aber jedenfalls, dass Österreich sich neben der Orientierung am großen Bruder Bundesrepublik Deutschland eine weitere ost- und mitteleuropäische Option aufgetan hat. Zu beleuchten wäre allerdings noch eine weitere geopolitische Variante, nämlich die „der Insel der Seligen“, wie Papst Paul VI. Österreich 1971 bezeichnete.
Diese Vorstellung war und ist natürlich verlockend. Allein, sie hält vor der Realität nicht stand. Das Phäaken-Dasein immerwährend neutraler Alpenrepublikaner mochte zwar im Hinblick auf den Wohlstand und das österreichische Wirtschaftswunder realistisch gewesen sein, in Bezug auf Sicherheit und Unabhängigkeit war es das niemals. Im Falle einer militärischen Auseinandersetzung wäre die österreichische Neutralität nicht das Papier wert gewesen, auf dem sie gedruckt stand, man hätte wohl oder übel bei der NATO in München oder Heidelberg anrufen und um Beistand flehen müssen.
Überhaupt ist die Insel-Funktion nichts mehr als eine Illusion. In Zeiten der Europäisierung und Globalisierung ist das isolierte Dasein von staatlichen Gemeinwesen, sowohl von der Ökonomie her als auch von der Kommunikation und von der Mobilität der Menschen her absolut undenkbar. Die wahren Flüsse sind in den Zeiten des globalen Freihandels in erster Linie nur mehr durch den Markt beeinflussbar und kaum durch politische Entscheidungen einzelner Staaten.
Und die internationale Kommunikation über Medien und Internet machen an staatlichen Grenzen schon gar nicht halt. Österreich war und ist also von europäischen und weltweiten Entwicklungen niemals abgeschlossen gewesen und kann dies auch heute oder in Zukunft niemals sein. Internationale Krisen erfassen das Land genauso wie alle anderen Nationen, die europäische Konjunktur reißt das Land mit oder auch nicht, und allfällige sicherheitspolitische Gefahren, insbesondere militärische Krisen, tangieren die Österreicher genauso wie alle übrigen Europäer.
Heute scheint das Land wieder einmal vor der Entscheidung zu stehen, ob es primär seine europäische Mittellage nützen will oder ob es sich verstärkt seinen östlichen Nachbarn zuwendet. Die Idee, die europäische Mittellage insofern zu nützen, als man versucht hat, verstärkt EU-Institutionen ins Land zu bekommen, war bislang von wenig Erfolg gekrönt. Zwar hätte die EU-Osterweiterung denklogisch eine Verschiebung der Organisations- und Machtzentren der Union nach Osten, von der Achse Brüssel-Straßburg auf die Achse Berlin-Prag-Wien bringen müssen,  allein eine solche Verschiebung hat bislang nicht stattgefunden. Natürlich könnte ein ökonomisch und kommunikationsmäßig nach Deutschlang orientiertes Österreich mithilfe Berlins als kleiner und theoretisch neutraler Staat versuchen, jene Rolle einzunehmen, die in der 50er- und 60er Jahren Belgien, Luxemburg und eben das Elsass einzunehmen vermochten, nämlich Stätte europäischer und internationaler Organisationen zu sein. Für Berlin und die Bundesrepublik Deutschland, deren Dominanz zumindest in ökonomischer Hinsicht im neuen Europa unbestritten ist, hätte dies den Vorteil, dass die Optik eine bessere wäre, als wenn solche Institutionen auf deutschen Boden lägen, dass man aber in einem deutschsprechenden engverbunden Staat tätig wäre, allein für all dies gibt es kaum Ansätze.
Die Alternative wäre, wie gesagt, die Hinwendung zu den Visegrád-Staaten, wobei es durchaus als gefährliche Sache betrachtet werden kann, wenn Ungarns Viktor Orbán nun von einer neuen Spaltung Europas spricht, wobei er davon ausgeht, dass der Westen durch Massenzuwanderung und Dekadenz die eigenen Völker und Kulturen gewissermaßen aufgibt. Während der Osten, eben Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei, womöglich Österreich und Staaten des Balkans so etwas wie eine volkserhaltende Politik betreiben und eine neue Einheit innerhalb der Union bilden würden. Dort, wo einst der Eiserne Vorhang verlief, würde man solcherart eine neue, zwar kaum sichtbare, dafür aber umso wirksamere Grenze hochziehen, wenn man solche Spaltungstendenzen zuließe. Insofern würde ein Österreich, das sich den Visegrád-Staaten zuneigt, in diesem Rahmen eher die Rolle der Mäßigung und des Verbindenden in Richtung Westen, in Richtung Berlin, Paris und Rom zufallen. Geopolitisch und auch geschichtspolitisch wäre das keine schlechte Rolle, da Österreich diese über Jahrhunderte bis hin zum Ersten Weltkrieg eingenommen hatte. Sicher ist jedenfalls, dass das Wahrnehmen geopolitscher Optionen, welcher auch immer, die künftige Entwicklung des Landes und seiner Menschen wesentlich beeinflussen wird.


Eine neue politische Landschaft

15. März 2018

Nachdem sich Österreich auf der bundespolitischen Ebene im vergangenen Herbst verändert  hat und eine neue politische Landschaft sich herauskristallisierte, ist es nun die Länderebene, die relativ klare Konturen erhält. Nach der Kärntner Landtagswahl, dem Tiroler Wahlgang und der niederösterreichischen Wahl zeigt sich, dass die Landeshauptleute – sechs Schwarze und drei Rote – relativ stabile Faktoren dieser österreichischen politischen Landschaft sind. Die niederösterreichische Landeshauptfrau und Pröll-Nachfolgerin, der Tiroler Langzeit-Landeshauptmann, der Kärntner rote Landeskaiser, und in wenigen Wochen wohl auch der Salzburger Landeshauptmann, sie wurden allesamt bestätigt und zwar einigermaßen eindrucksvoll. Und sie bleiben Faktoren im österreichischen Föderalismus, der mit ein bestimmender Faktor des politischen Lebens der Republik bleibt. Gewiss, Sebastian Kurz ist es im Vorjahr gelungen, den Einfluss der schwarzen Landeshauptleute ebenso wie jenen der Bünde zurückzudrängen und eine Blankovollmacht für die Gestaltung der Bundesregierung zu erlangen. Zu glauben aber, dass nunmehr jene sechs schwarzen Landeshäuptlinge, die allesamt über solides politisches Gewicht verfügen, sich auf Dauer von der Mitbestimmung in der Volkspartei ausschließen lassen, wäre Illusion. Eine Illusion, die sich Sebastian Kurz gewiss nicht macht.
Noch viel stärker dürfte dieses Phänomen für die Sozialdemokratie zutreffen. Die geschlagene Bundespartei und die desorientierte Bundesparteiorganisation samt dem roten Parlamentsklub, der noch nicht wirklich in der Opposition angekommen ist, was insbesondere auf Parteichef Christian Kern zutrifft, scheint gegenüber drei sehr starken Landeshauptleuten, dem künftigen Wiener Bürgermeister Ludwig, dem burgenländischen Landeschef Niessl und dem Kärntner Landeskaiser relativ schwach zu sein. Nicht umsonst heißt es, dass die roten Landeshäuptlinge auch Alternativen für die schwache Bundesführung sind. Und der Kärntner Kaiser ist immer wieder auch als Bundesparteichef im Gespräch – wie wohl er sich das kaum antuen dürfte.
Bei den Freiheitlichen hingegen ist es wohl so, dass man bei allen drei vergangenen Landtagswahlen – und in Salzburg dürfte es im April wohl genauso sein –, verglichen mit dem Nationalratswahlergebnis, das die Bundespartei einfuhr, eher schwach abschnitt. Das heißt wohl auch, dass die Bundesparteispitze bis hinein in ihre Landesorganisationen bestimmenden Einfluss auszuüben vermag. Eine Ausnahme dürfte nur Oberösterreich sein, das von der politischen Mitwirkung in der Landesregierung und von der Qualität der Parteiorganisation ein eigenes Gewicht innerhalb der Freiheitlichen Partei hat. Ein Schelm, wer da auch eine gewisse Konkurrenz der oberösterreichischen Parteiführung hin zur Bundesparteispitze zu erahnen glaubt. Dass kein Oberösterreicher in die freiheitliche Regierungsmannschaft eingetreten ist, deutet allerdings deutlich in diese Richtung. Und was nun die Grünen betrifft, so gibt es sie auf bundespolitischer Ebene ja gar nicht mehr, haben sie nicht einmal mehr einen Klubstatus im Parlament, sind nur mehr in Restbeständen in den Ländern vertreten. In Niederösterreich und eben in Tirol und wahrscheinlich wohl auch noch nach den Landtagswahlen in Salzburg. In Kärnten haben sie das Schicksal der Bundespartei bereits geteilt. Hier sieht es auch in finanzieller Hinsicht schlecht aus für die Ressourcen der Landesparteien, die eine bundesweite Partei aufrecht zu erhalten vermögen. Bei den Neos ist da kaum ein Gewicht in den Ländern feststellbar, sie gibt es in Wahrheit nur als Parlamentspartei, und vom ehemaligen Team Stronach ist nur das Team Kärnten des Herrn Köfer übrig geblieben. Tatsache bleibt aber, dass der Föderalismus und die Landesparteien, sowohl in der ÖVP und als auch in der SPÖ, durchaus Gewicht behalten. Während es auf Bundesebene nunmehr eine kontroverse politischen Landschaft – auf der einen Seite mitte-rechts auf der anderen Seite links –gibt, ist es auf der Länderebene nach wie vor die rot-schwarze Aufteilung der Republik, wie sie dem alten Proporzsystem entspricht. Und auch die Koalitionen, die auf Landesebene gebildet werden, halten sich nicht nach dem Muster der Bundespolitik, sondern grenzen die Freiheitlichen eher traditionsgemäß aus. Herr Platter will in der Tiroler Landesregierung keine „rechte Spinner“, Herr Kaiser will in Kärnten mit allen möglichen Leuten regieren, nur nicht mit Burschenschaftern. Und in Salzburg wird man sehen, ob Herr Haslauer nicht eher bequem mit geschwächten Grünen weiterregieren wird. Die Neuordnung der politischen Landschaft Österreichs erfolgt also gespalten, einerseits auf der Bundesebene, andererseits auf der Landesebene.
Auf letzterer ist es eher eine Rückkehr zu altgewohnten Verhältnissen. Kärnten und das Burgenland sowie die Bundeshauptstadt sind traditionell  rot, die übrigen Bundesländer schwarz. Einzig Jörg Haider hat seit 1988 in Kärnten eine Änderung herbeizuführen vermocht und ein freiheitlich regiertes Land zustande gebracht, dies ist nun mehr auch schon seit fünf Jahren, seit der Abwahl von Gerhard Dörfler, Geschichte.


Das Forum der Republik

11. März 2018

Der Heldenplatz und sein genius loci

Bei der Zweiten Türkenbelagerung Wiens im Sommer 1683 war es just der Raum vor der Wiener Burgbastei, wo die opferreichsten Kämpfe des Osmanischen Heeres gegen die Verteidiger stattfanden.
Etwas mehr als ein Jahrhundert später, im Jahre 1809, besetzte Napoleon die Reichshaupt- und Residenzstadt. Vor ihrem Abzug sprengten die französischen Truppen Teile der Stadtbesfestigung, darunter die Burgbastei. Deren Reste wurden bis 1819 entfernt, wodurch der äußere Burgplatz entstand. Im Zuge der Errichtung der Ringstraße wurde dann dieser Burgplatz unter Kaiser Franz Joseph als Teil eines gewaltigen Kaiserforums konzipiert. Dieses wurde jedoch nie vollendet. Aufgestellt wurden allerdings die beiden Reiterdenkmäler, die Anton Dominik von Fernkorn  geschaffen hatte. Das ältere ist dasjenige des Erzherzog Karls, des „Kämpfers für Deutschlands Ehre“ , das 1860 enthüllt wurde, das jüngere ist die Reiterstatue Prinz Eugens, die später fertiggestellt wurde.
Just 140 Jahre ist es nunmehr her, dass im Jahre 1878 dieser imperiale Raum den Namen „Heldenplatz“ bekam, eben wegen der beiden habsburgischen Kriegshelden, deren Denkmäler den Platz zieren. Den Abschluss dieses Heldenplatzes bildet bis zum heutigen Tag das äußere Burgtor, das schon im Jahre 1824 errichtet wurde und als Denkmal für die Soldaten der Napoleonischen Kriege gedacht war. In der Folge sollte es zu einem Denkmal für alle Kriegsgefallenen werden. Dies war wohl auch der Grund, warum der Wiener Korporationsring in der Zweiten Republik sein Totengedenken vor der Krypta des äußeren Burgtors abhält. Der Ballhausplatz später war von Anbeginn Raum großer staatlicher Festakte und militärischen Zeremoniells. Ursprünglich jedenfalls war er Raum für imperiale Selbstdarstellung der Habsburger-Monarchie.
In der Republik sollte der Heldenplatz  so etwas wie ein Staatsforum  werden. Die Ausrufung  der Republik fand zwar noch eher auf der Ringsstraße, im Raum vor dem Parlament statt, bereits im Ständestaat allerdings gab es große Veranstaltungen auf dem Heldenplatz, wie etwa beim Katholikentag in den 30er Jahren.
Vollends zum symbol befrachteten Raum wurde der Heldenplatz, als der Braunauer am 15. März des Jahres 1938 am Balkon der Neuen Burg vor den versammelten und jubelnden Massen den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich verkündete und „Vollzugsmeldung vor der Geschichte“ machte. Hunderttausende Österreicher waren es, die damals euphorisch über die Richtung Großdeutschlands jubelten. Der Terror des NS-Regimes und die Tragödien sollten den „Ostmärkern“ die Jubelstimmung allerdings bald austreiben. Und nach 1945 wurde der Heldenplatz beziehungsweise seine Rolle in den Märztagen des Jahres 1938 zu so etwas wie einem blinden Fleck im österreichischen Selbstverständnis und Geschichtsbewusstsein.
In der Zweiten Republik findet am Heldenplatz anlässlich des Staatsfeiertags am 26. Oktober regelmäßig eine Großveranstaltung des Bundesheers statt. Dabei wird traditionell die Angelobung der Jungmänner unter Präsenz des Bundespräsidenten vorgenommen und immer wieder gab es auch eine Leistungsschau der österreichischen Armee.
Nachdem im Jahre 2012 unter dem Denkmal des toten Soldaten im äußeren Burgtor ein verstecktes NS-Pamphlet gefunden wurde und man auch die Namen von SS-Leuten der Totenbücher enthüllte, ließ das zuständige Bundesheer die Gedenkräume leeren. Dies mochte auch im Zusammenhang mit dem Totengedenken des Wiener Korporationsrings gestanden sein, das insbesondere von linker Seite heftig kritisiert worden war.
Man behauptete dabei, dass Wiener Korporationen nicht der Toten gedächten, sondern vielmehr den Untergang des Dritten Reiches und die Kriegsniederlage betrauern würden.
Um dies zu konterkarieren, ließ der sozialistische Verteidigungsminister im Jahre 2013 anlässlich des Jahrestags der Befreiung vom Nationalsozialismus am 8. Mai 2013 erstmals eine Mahnwache des Bundesheeres für die Opfer des Nationalsozialismus aufmarschieren. Zusätzlich fand, angeregt vom Mauthausen Kommitee und den Wiener Symphonikern, ein Fest der Freude mit einem großen Festkonzert statt. Nunmehr ist der Heldenplatz der Raum für die drei provisorischen Pavillons, in denen das österreichische Parlament wegen  der Renovierung des historischenParlamentsgebäudes für etliche  Jahre tagen muss. Auch in diesem Zusammenhang erweist sich der Heldenplatz als zentraler politischer Raum der Republik. Geschichtsbeladen, aber auch offen für die Bürger des Landes. Der ORF bringt am 15. März des Jahres eine große Dokumentation über den Heldenplatz.


Feiertage – Trauertage

9. März 2018

Rot–weiß–rote Hochämter im Wandel der Zeit

Einst war es Kaisers Geburtstag, konkret der 18. August jeden Jahres zwischen 1848 und 1916. Kaiser Franz Joseph, der als 18-Jähriger den Thron der Habsburger Monarchie bestiegen hatte, feierte Geburtstag, und seine Völker feierten mit ihm. Das Gottesgnadentum des Monarchen rechtfertigte eine Form von Personenkult, der zwischen feudalem Paternalismus, Patriotismus und religiöser Verehrung pendelte.
Führers Geburtstage kaum 20 Jahre nach dem Ableben des altösterreichischen Monarchen hatten einen anderen Charakter. Sie waren zwar mit Ausnahme des 50. Geburtstags des Braunauers am 20. April 1939 keine staatlichen Feiertage, sondern nur „besonders begangene Tage“. Dennoch waren sie Anlass für die Mobilisierung von Millionen, angefangen bei den Pimpfen bis zu den SA-Männern, um den Kult des „größten Deutschen aller Zeiten“ zu zelebrieren. Dort, wo in Österreich zu Beginn vielleicht in breiten  Schichten der Bevölkerung echte Begeisterung dafürvorhanden war, musste dies später zunehmend vom Regime organisiert und erzwungen werden, und wenn angeblich heute noch da und dort am 20. April in Wirtshäusern Eiernockerln mit grünem Salat serviert werden – des Braunauers Lieblingsspeise –, so ist das nicht einmal mehr witzig oder bloß geschmacklos, sondern absolut abzulehnen.
Im Wilhelminischen Deutschland wurde der 18. Jänner zwischen 1871 und 1918 als Reichsgründungstag und somit als staatlicher Feiertag begangen. Dies war den damaligen Reichsdeutschen bedeutsamer als Kaiser Wilhelms Geburtstag. In der Weimarer Republik war zwischen 1921 und 1932 der 11. August als Tag der Unterzeichnung der Verfassung des Deutschen Reichs zum Nationalfeiertag erklärt worden. Das konstitutionelle und demokratische Selbstverständnis der jungen deutschen Republik war aber offenbar so schwach, dass dieser Nationalfeiertag nicht einmal ein reichsweiter gesetzlicher Feiertag werden konnte.
Anders war es da schon in Österreich, dort wurde am 25. April 1919 im Parlament der jungen Republik der 12. November im „immerwährenden Gedenken an die Ausrufung des Freistaates Deutsch-Österreich“ zum Staatsfeiertag erklärt, gleichzeitig erhob man allerdings, den 1. Mai zum „Ruhe- und Festtag“. Dieser 1. Mai war weltweit seit den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts mit Streiks und Demonstrationen als Arbeiterfesttag begangen worden. Der Einfl uss der Sozialdemokraten in der jungen Republik Deutsch-Österreich erwirkte es nun, dass er auch hierzulande staatlicher Feiertag wurde. Dass allerdings der 12. November als Tag der Ausrufung der Republik zum Staatsfeiertag wurde, entbehrt nicht einer gewissen Ironie: In Wahrheit war die junge Republik Deutsch-Österreich nämlich bereits am 30. Oktober 1918 mit gleichzeitigen Demonstrationen unter schwarz-rot-goldenen Fahnen in der Wiener Herrengasse, dem damaligen Sitz des Niederösterreichischen Landtags, mit dem Staatsgesetzblatt Nr. 1 entstanden. Ein Faktum, das in der Gedenkkultur der Republik bis heute nicht richtig gewürdigt wird.
Doch zurück zum 1. Mai: Dieser blieb sogar im austrofaschistischen Ständestaat Staatsfeiertag, wurde allerdings aus Anlass der Proklamation der Mai-Verfassung des Jahres 1934 begangen. Und im Dritten Reich behielt sogar der Nationalsozialismus den Tag der Arbeit bei, wobei er ihn zum Tag der „Tag der deutschen Arbeit“ stilisierte. In der zweiten österreichischen Republik wurde er mit Parlamentsbeschluss vom 20. August 1949 wieder als Staatsfeiertag eingeführt.
Im Jahrzehnt der alliierten Besatzung hatte die Zweite Republik ansonsten keinen Staatsfeiertag, erst nach der Wiedererlangung der Souveränität durch den Staatsvertrag dachte man dann an die Festsetzung eines offiziellen Staats- bzw. Nationalfeiertags. Die Initiative dazu ging vom konservativen Unterrichtsminister Heinrich Drimmel aus, der die Lehrer des Landes aufforderte, den Schülern die Bedeutung des 25. Oktober 1955, des Tages des endgültigen Abzugs der alliierten Besatzungstruppen, zu vermitteln. Und zwar sollte dies durch das feierliche Hissen der österreichischen Flagge geschehen. Am 11. September des Jahres 1956 beschloss dann der Ministerrat, wiederum auf Betreiben von Unterrichtsminister Drimmel, den „Tag der österreichischen Fahne“ alljährlich am 26. Oktober zu begehen. Die Verschiebung um einen Tag kam deshalb zustande, da es der Bundesregierung damals offenbar wichtiger war, die Neutralitätserklärung zu betonen als den Abzug der letzten Besatzungssoldaten. Im Jahre 1965 kam es dann im Wiener Parlament und in der Bundesregierung zu Beratungen, welcher Tag als Nationalfeiertag begangen werden sollte. Infrage kamen dazu der 12. November als Tag der Ausrufung der Ersten Republik, der 27. April als jener Tag, an dem im Jahre 1945 die wiederentstandenen österreichischen Parteien in Berufung auf die Moskauer Deklaration die Selbstständigkeit Österreichs proklamierten und eine provisorische Staatsregierung gebildet hatten, überdies der 15. Mai als der Tag der Unterzeichnung des Staatsvertrages im Jahr 1955 und eben der 26. Oktober, der Tag der Beschlussfassung der österreichischen Neutralität.
Die meiste Zustimmung fand die letzte Variante, und so verabschiedete der Nationalrat am 25. Oktober 1965 einstimmig das Bundesgesetz über den österreichischen Nationalfeiertag. In der Präambel zu diesem Nationalfeiertagsgesetz heißt es, dass Österreich „seinen Willen erklärt hat, für alle Zukunft und unter allen Umständen seine Unabhängigkeit zu wahren und sie mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu verteidigen und in eben demselben Bundesverfassungsgesetz seine immerwährende Neutralität festgelegt hat und in der Einsicht des damit bekundeten Willens, als dauernd neutraler Staat einen wertvollen Beitrag zum Frieden in der Welten leisten zu können“. Aber erst im Jahr 1967 wurde für diesen Nationalfeiertag auch die Feiertagsruhe beschlossen. Anzumerken ist noch, dass jene politischen Kräfte, die sich auch in der Zweiten Republik zur deutschen Kulturnation bekennen und den Begriff einer „österreichischen Nation“ als problematisch empfinden, weiterhin die Bezeichnung „Staatsfeiertag“ für den 26. Oktober verwendeten.
Wenn man sich mit den Feiertagen des Gemeinwesens der Zweiten Republik befasst, kommt man nicht umhin, auch die Trauertage zu beleuchten. Als einer der bedeutendsten derselben gilt der 13. März in Angedenken an den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im Jahre 1938. Ungeachtet der Tatsache, dass auch ohne Manipulation und staatlichen Druck die Volksabstimmung über den Anschluss im April 1938 zweifellos eine Mehrheit für das Deutsche Reich gebracht hätte und ungeachtet der Tatsache, dass ein guter Teil der Österreicher den Einmarsch der deutschen Truppen, insbesondere die Triumphfahrt Adolf Hitlers nach Wien, bejubelt hat, wird dieser Tag heute als das Ende der Selbstständigkeit Österreichs und als der Beginn jener Tragödien betrachtet, die auch unser Land in den Zweiten Weltkrieg hineinzogen.
Der letzte Bundeskanzler der Republik, der allerdings auch ein autoritär regierender Diktator war, nämlich der Chef der Vaterländischen Front, Kurt von Schuschnigg, sagte in seiner Rücktrittsrede am 11. März 1938: „Herr Bundespräsident beauftragt mich, dem österreichischen Volke mitzuteilen, dass wir der Gewalt weichen. Wir haben, weil wir um keinen Preis, auch in diesen ernsten Stunden nicht, deutsches Blut zu vergießen gesonnen sind, unserer Wehrmacht den Auftrag gegeben für den Fall, dass der Einmarsch durchgeführt wird, ohne Widerstand sich zurückzuziehen und die Entscheidung der nächsten Stunden abzuwarten… So verabschiede ich mich in dieser Stunde von dem österreichischen Volk mit einem deutschen Wort und einem Herzenswunsch: Gott schütze Österreich!“ Wenige Tage später redete dann der Braunauer vom Balkon der Hofburg zu den Massen am Heldenplatz, um eine Vollzugsmeldung „vor der Geschichte“ zu machen und den Eintritt seiner österreichischen Heimat in das Deutsche Reich zu verkünden. Für die jubelnden Massen schämt sich das offizielle Österreich bis zum heutigen Tag. Dass der Anschluss allerdings der Beginn des Weges in ein historisch einmaliges Unheil war, steht heute allgemein außer Frage.
Ein weiterer Trauertag der Republik ist der 5. Mai. Seit dem Jahre 1997 ist der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen offizieller „Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus in Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus“. Seit einigen Jahren allerdings wird auch der 27. Jänner, der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Ausschwitz durch die Sowjet-Armee, als „internationaler Holocaust-Gedenktag“ begangen. Ebenso gedenkt man am 9. und am 10. November, als in der Nacht zwischen den beiden Tagen im Jahre 1938 das Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung stattgefunden hatte, das früher euphemistisch als „Reichskristallnacht“ bezeichnet worden war, den Verbrechen des Nationalsozialismus. Im April des Jahres 2009 beschloss das Europäische Parlament, den 23. August als gesamteuropäischen Gedenktag „für sämtliche Opfer totalitärer und undemokratischer Regime in Europa“ zu machen. Am 23. August 1939 wurde nämlich das Ribbentrop-Molotow-Abkommen unterzeichnet und mit der Festlegung dieses Gedenktags wollte man sowohl an die Opfer von Kommunismus, Nazismus und Faschismus erinnern. Dieser Beschluss fand allerdings keineswegs allgemeine Zustimmung: Der israelische Holocaust-Forscher Yehuda Bauer kritisierte die Gleichsetzung der beiden Regime als Relativierung des Holocausts. Für ihn bedeutete der Beschluss des EU-Parlaments Geschichtsklitterung. Und auch in Österreich erklärte die Historikerin Heidemarie Uhl,  dass dieser Gedenktag so etwas wie ein „Gegengedenktag zum 27. Jänner, dem Holocaust-Gedenktag“ sei.
Das Totengedenken des Wiener Kooperationsrings, das seit den 90er-Jahren bis zum Jahr 2012 jeweils am 8. Mai am Wiener Heldenplatz abgehalten wurde, war der Versuch der Wiener nationalfreiheitlichen Studentenverbindungen, einen Trauertag für die Opfer des Zweiten Weltkriegs unter besonderer Berücksichtigung der eigenen Opfer zu veranstalten. Dabei gedachte man zwar allgemein aller Kriegsopfer, im Speziellen aber der gefallenen Österreicher, jener, die in der Gefangenschaft umkamen, der Opfer des Bombenkriegs und auch jener Menschen, die bei der Vertreibung der Deutschen aus dem Osten ums Leben kamen. Diese Veranstaltung wurde von ihren Kritikern als „Heldengedenken und Trauerkundgebung über die Niederlage des Dritten Reiches und der Deutschen Wehrmacht“ dargestellt. Die Erklärung der Veranstalter, dass dies in keiner Weise stimme, wurde allerdings in der breiten Öffentlichkeit und in den Mainstream-Medien kaum wahrgenommen. Seit dem Jahr 2000 gab  es daher zunehmend Protestkundgebungen gegen diese koperationsstudentische Trauerkundgebung.
Um den Heldenplatz am 8. Mai eine andere Bedeutung zu verleihen, veranstaltet die Bundesregierung seit dem Jahr 2013 eine Mahnwache des Bundesheers und ein Festkonzert der WienerSymphoniker als „Bekenntnis zur Demokratie und Freiheit zu Österreich“, was man als „Fest der Freude“ bezeichnet. Und so manifestieren die Trauertage der Republik eine Geschichtspolitik, in der die eigenen Opfer der Tragödien des 20. Jahrhunderts kaum Beachtung finden.
Der Antifaschismus als politisch-korrekte Zivilreligion hingegen hat es geschafft, seine Hochämter zu Staatsakten hochzustilisieren. Und daran dürfte auch die nunmehrige Regierungsbeteiligung jener Freiheitlichen nichts ändern, die bis zum heutigen Tag bei derlei politisch-korrekten Denkveranstaltungen dezidiert ausgeschlossen bleiben und die in den vergangenen Jahren da und dort auch noch das Gedenken an die eigenen Opfer verteidigt hatten.


FP-Frontbegradigungen

7. März 2018

Sieger sehen natürlich anders aus – das wissen die freiheitlichen Spitzenfunktionäre in Niederösterreich, Tirol und Kärnten, wenn sie sich die Landtagswahlergebnisse vor Augen halten. Zwar ist man in der glücklichen Lage, verglichen mit den jeweils vorhergehenden Landtagswahlergebnissen respektabel zuzulegen, ist also ein Wahlsieger und kein Verlierer. Verglichen aber mit vorhergehenden Wahlgängen im Jahr 2016 und 2017, konkret die Nationalratswahl und die Wahlgänge zur Bundespräsidentschaft, hat man überall massiv an Wählerzustimmung verloren.
Zwar sind Landtagswahlen eben etwas anderes als Nationalratswahlen und Präsidentschaftswahlen, Tatsache ist aber, dass die FPÖ überall unter ihren Erwartungen geblieben ist.
Soweit, so schmerzhaft, aber vielleicht unausweichlich, wenn man als langjährige Oppositionspartei in eine Regierung geht. Diese Erkenntnis darf die blauen Strategen allerdings nicht daran hindern, die eher missliche Lage zu analysieren und Gegenstrategien zu entwickeln. Als erstes werden sie zweifellos erkennen, dass die politischen Gegner und die eher links orientierten Mainstream-Medien eben die Freiheitlichen als Schwachstelle in der neuen Regierung definiert haben. In inhaltlicher Hinsicht ist es die Raucher-Frage und die Zustimmung zu CETA, die in erster Linie als freiheitliches Versagen an den Pranger gestellt wird. Strukturell ist es der angeblich allzu groß dimensionierte Einfluss der Burschenschafter in der Partei und im Regierungsumfeld, der mit gnadenloser Polemik verfolgt wird. Auch in Kärnten heißt es bereits vor den Koalitionsverhandlungen von roter Seite, mit der FPÖ werde man schon reden, aber ausgehen müsse man davon, dass „keine Burschenschafter in die Regierung“ kommen dürften.
Dann scheint es so zu sein, dass die türkisblaue Regierung die Raucher-Problematik offenbar aussitzen will. Der Parlamentsbeschluss zur Beibehaltung der bisherigen Regelung wurde gefasst und irgendwann – so glaubt man – werden die Unterschriftenleistungen in den Gemeinden wohl abebben und das ganze wird dann kein Thema mehr sein. Vielleicht, vielleicht auch nicht! Was CETA betrifft, so werden die Freiheitlichen nun mehr sogar in der „Krone“ von vormaligen Sympathisanten gegeißelt, sie seien umgefallen, hätten ihre Wahlversprechen nicht eingehalten. Tatsache ist allerdings, dass die ÖVP auf die Realisierung des Handelsabkommens ohne Kompromisse besteht.
Und was die Burschenschaften betrifft, so versucht man mit der Einsetzung der Historikerkommission zumindest einmal selbst zu definieren, wie weit es extremistische oder gar staatsfeindliche  Tendenzen hinein in die Freiheitliche Partei geben könnte. In diesem Falle scheint man zumindest zu aktiver Frontbegradigung geschritten zu sein.
Was aber CETA und die Raucher-Problematik betrifft, so dürfte dies für die Gegner der türkisblauen Regierung in Politik und Medien geradezu modellhaften Charakter annehmen, auf welche Art und Weise man den freiheitlichen Koalitionspartner in der Bundesregierung sturmreif schießen kann. So etwas wie eine Frontbegradigung durch die FPÖ-Strategen zeichnet sich dabei kaum ab. Zwar könnte man in den Kreisen der blauen Spitzenfunktionäre zur Ansicht kommen, dass man bei der Landtagswahl in Salzburg auch noch zulegen werde und dass dann ohne dies Ruhe sei – zumindest, was Wahlen betrifft. Wie es aber aussieht, wenn in kaum einem Jahr Wahlen zum Europäischen Parlament stattfinden, wo die Freiheitlichen ihre bisherige harte EU-kritische Haltung wegen der Regierungsbeteiligung auch kaum aufrechterhalten können und wegen ihrer Kooperation mit anderen europäischen Rechtsparteien allenthalben gegeißelt werden,  das steht in den Sternen. Und ob bis dorthin die Politinszenierung unseres neuen juvenilen Bundeskanzlers Erfolg und Zustimmung in der Bevölkerung fi nden wird und ob dabei auch der freiheitliche Regierungspartner profi tiert, ist ebenso ungewiss.
Die Versuche der politischen Mitbewerber und der gegnerischen Medien, an der freiheitlichen Flanke weiter anzugreifen, werden jedenfalls nicht schwächer werden. Damit läuft der kleinere Koalitionspartner in der Bundesregierung Gefahr, voll von der Gnade der türkisen Truppe und des Bundeskanzlers abzuhängen.
Diesen werden nämlich die politischen Gegner und die Medien suggerieren, dass die Freiheitlichen eben noch nicht in der Regierung angekommen seien, dass sie nicht regierungstauglich wären und dass er damit sein eigenes Projekt gefährde, wenn er weiter am blauen Koalitionspartner festhalte. Und nachdem man davon ausgehen muss, dass Sebastian Kurz kein politischer Wohltäter gegenüber den Freiheitlichen ist, sondern in erster Linie legitimerweise den eigenen Vorteil im Auge hat, wäre es schließlich sehr riskant, auf sein Wohlwollen angewiesen zu sein. Es wäre hoch an der Zeit für die freiheitliche Regierungspartei, strategische Alternativen zu entwickeln.


Klerikal und Rot–Weiß–Rot

4. März 2018

Von der christlichsozialen Partei über den Ständestaat zur ÖVP

Karl Lueger war ähnlich wie die beiden Gründer der Sozialdemokratie Victor Adler und Engelbert Pernerstorfer in seiner frühen Zeit ein Anhänger von Georg Ritter von Schönerer. Er sollte dann zum Gründervater der Christlichsozialen Partei und zum populären Bürgermeister Wiens in den letzten Jahrzehnten der Monarchie werden. Dabei stützte sich Lueger auf das Wiener Kleinbürgertum und die Gewerbetreibenden. Das Großbürgertum und die Industriellen fühlten sich damals eher von den deutsch-freiheitlichen Parteien vertreten. Und die Bauern in den Alpenländern tendierten ebenfalls eher zu nationalfreiheitlichen Bauernparteien und später in der Ersten Republik zum Landbund.
Dennoch verstanden sich die Christlichsozialen von Anbeginn ihrer Existenz als bürgerliche Partei, die auf dem Fundament der christlichen Soziallehre zunehmend auch das bäuerliche Element für sich vereinnahmte. Im aufkommenden Kulturkampf des ausgehenden 19. Jahrhunderts versuchten sie, auch an den Universitäten, die bis dahin eine Domäne des nationalliberalen Lagers waren, Fuß zu fassen. In Nachahmung der deutsch-freiheitlichen Studentenverbindungen begründeten sie die Korporationen des späteren Cartellverbandes, die der freiheitlichen Studentenschaft Paroli bieten sollten und größtenteils die Interessen der Katholischen Kirche vertraten. Diese katholisch korporierten Studenten und Akademiker sollten dann in der Ersten Republik zur Elite des klerikal-konservativen Lagers werden.
Mit dem Theologieprofessor und Prälaten Ignaz Seipel stellte die Christlichsoziale Partei die wohl dominanteste Figur der Ersten Republik. Neben dem nationalliberalen Polizeipräsidenten und späteren Bundeskanzler und Außenminister Johannes Schober, der offi ziell ja parteifrei war, dominierte Seipel – von den Sozialdemokraten als „Prälat ohne Gnade“ abqualifi ziert – die bürgerlichen Koalitionen der 20er Jahre. Die Christlichsozialen in den letzten Jahren der Monarchie und in der Ersten Republik waren ebenfalls antisemitisch eingestellt. Im Gegensatz aber zu den deutsch-freiheitlichen Parteien war es in ihren Reihen weniger der Rassenantisemitismus, wie er von Georg Ritter von Schönerer formuliert worden war, sondern ein ökonomischer Antisemitismus, der die jüdische Konkurrenz für das Gewerbe und den Handel thematisierte. Und natürlich gab es Restbestände des religiös-klerikalen Antisemitismus, der die Juden aus der mittelalterlichen Tradition her als „Christusmörder“ diffamierte. Dieser Antisemitismus der Christlichsozialen war aber weniger fundamentalistisch als jener der Deutschnationalen, was sich in dem Karl Lueger zugeschriebenen Ausspruch „Wer ein Jud ist, bestimme ich“ äußerte. Der Arierparagraph der Christlichsozialen Partei in der Zwischenkriegszeit war allerdings nahezu deckungsgleich mit jenem, den die Großdeutsche Volkspartei und der Landbund formulierten.
Die Christlichsozialen waren die einzige politische Kraft, die bei Ende des Ersten Weltkriegs wirklich noch auf ein Überleben der Monarchie und die politische Weiterexistenz des habsburgischen Herrscherhauses hofften. Ihre anfängliche Skepsis gegenüber der Republik mochte auch durch die räterepublikanischen Umstürze in Budapest und in München motiviert gewesen sein. Was die Anschlusspolitik der jungen Republik DeutschÖsterreich im Jahre 1918 und 1919 betraf, so wurde diese von den Christlichsozialen mitgetragen. Zwar fanden sich in den christlichsozialen Reihen keineswegs so leidenschaftliche Befürworter wie bei den Deutschnationalen und bei den Sozialdemokraten, von Ignaz Seipel selbst allerdings gab es zeitlebens zahlreiche Bekundungen zum gemeinsamen deutschen Volk und zur anzustrebenden Vereinigung der beiden Staaten.
Die Abkehr des christlichsozialen Lagers von Demokratie und Parlamentarismus erfolgte nicht zuletzt unter dem Einfl uss der Heimwehrbewegung.
Zwar war diese keineswegs deckungsgleich mit dem christlichsozialen Lager oder gar der Christlichsozialen Partei, wesentliche Vertreter allerdings dieses Bereichs hatten engste Beziehungen zur Heimwehrführung. Und insgesamt verstanden sich die bürgerlichen paramilitärischen Verbände als militärischer Arm dieses Lagers. Heimwehrführer wie Ernst Rüdiger von Starhemberg verstanden es immer wieder, massiven Einfluss auf die Politik der Christlichsozialen zu erlangen. Der „Korneuburger Eid“ des Jahres 1930 stellte bereits eine massive Absage an Demokratie und Parlamentarismus dar. Diese Deklaration wurde bekanntlich von wesentlichen Persönlichkeiten aus dem christlichsozialen Lager mit initiiert und mit unterschrieben. Auch der spätere Bundeskanzler der Zweiten Republik Julius Raab zählt zu den Unterzeichnern dieses „Korneuburger Eids“. Mit dem Abgang von Ignaz Seipel kam auch im christlichsozialen Lager die Generation der Frontoffiziere des Ersten Weltkriegs ans Ruder. Der zwar kleinwüchsige, aber durchaus charismatische Engelbert Dollfuß schien von Anbeginn – motiviert wohl auch durch den massiven Aufstieg der Nationalsozialisten – gewillt zu sein, den Weg hin zu einer autoritären Staatsführung zu beschreiten. Mit der Selbstausschaltung des Parlaments fand er die Gelegenheit dazu. Die Ideen und Vorstellungen eines Othmar Spanns beflügelte Dollfuß und seine Mitstreiter bei ihren Vorstellungen von einem christlichen Ständestaat, in dem eine „Vaterländische Front“ die bisherigen politischen Parteien ersetzen sollte. Und auch die Christlichsoziale Partei hatte für dieses Konzept ihre Existenz preiszugeben.
Die politischen Parteien lösten sich auf, die Nationalsozialisten und die Sozialdemokratische Partei wurden verboten und 1934 nach der Niederschlagung des sozialdemokratischen Februaraufstands und des nationalsozialistischen Juliputschs, der allerdings mit der Ermordung von Dollfuß eine tragischen Wendung nahm, etablierte sich der Austrofaschismus als klerikale Diktatur, die zwar autoritären Charakter hatte und ihre Gegner durchaus mit entsprechenden brutalen Sanktionen verfolgte, der man aber Totalitarismus in jenem Sinne, wie er später dem Nationalsozialismus zu eigen war, nicht nachsagen kann. Kurt Schuschnigg, der Nachfolger von Engelbert Dollfuß, vermittelte eher das Bild eines biederen Gymnasiallehrers als jenes eines blutrünstigen Tyrannen. Und allein die Weiterexistenz der Bundespräsidentschaft durch Wilhelm Miklas schien so etwas wie eine Kontinuität der Existenz der Republik darzustellen.
Im Jahre 1938 jedenfalls, als es zu dem durch politisch und militärische Gewalt erzwungenen Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich kam, schien vielen Österreichern der Wechsel von der einen Diktatur in die andere kein besonders dramatischer Schritt zu sein. Eine folgenschwere Fehleinschätzung, wie sich herausstellen sollte. Nachdem sich aber der österreichische Ständestaat in den 30er Jahren dezidiert als der „bessere deutsche Staat“ dargestellt hatte und nachdem sich selbst der Kardinal Innitzer mit einer Erklärung der österreichischen Bischöfe für den Anschluss und für ein „Ja“ zu der von den Nationalsozialisten anberaumten Volksabstimmung ausgesprochen hatte, schien auch das christlichsoziale Lager weitestgehend für den Anschluss eingetreten zu sein.
Als sich die christlichsozialen Politiker in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs im zerbombten Wien zusammenfanden, war von Anfang an klar, dass es eine Zusammenarbeit mit den alten Gegnern aus der Ersten Republik, also mit der Sozialdemokratie, geben müsse. Und klar war auch, dass die Führung der Vaterländischen Front und jene Persönlichkeiten, die noch im Ständestaat repräsentativ für das christlichsoziale Lager waren, keine wirkliche Rolle mehr spielen durften. Julius Raab, der zwar aus der Heimwehrzeit belastet war, und Leopold Figl waren die starken Persönlichkeiten der unmittelbaren Nachkriegszeit innerhalb der neuen Österreichischen Volkspartei. Sie verstanden es rasch, der Sozialdemokratie, die aufgrund der Initiative Karl Renners bei der unmittelbaren Gründung der Republik das Gesetz des Handels an sich gerissen hatte, die Führungsrolle abzunehmen.
Dies sollte bis zum Jahr 1970, immerhin eine Periode von 25 Jahren so bleiben, wobei nach Figl und Raab Alfons Gorbach und Josef Klaus die Kanzlerschaft innehatten. Zuerst ging es auch für die ÖVP um den Kampf für den Staatsvertrag und damit das Ringen um die Wiedererlangung der Souveränität der Republik. In wirtschaftlicher Hinsicht war es der Raab-Kamitz-Kurs, der so etwas wie ein kleines österreichisches Wirtschaftswunder bewirkte. Das Verhältnis der Volkspartei zum Dritten Lager, zuerst zum Verband der Unabhängigen und dann zur Freiheitlichen Partei, war stets ambivalent.
Wenn der VdU zuerst von sozialistischer Seite hinter den Kulissen gefördert wurde und danach auch die FPÖ, so musste dies von der ÖVP-Führung stets als Versuch der Spaltung des bürgerlichen Lagers empfunden werden. Die sogenannte „Olah-Million“, durch welche die Freiheitlichen aus Gewerkschaftsgeldern unterstützt werden sollten, wurde wohl genau zu diesem Zwecke eingesetzt. Und obwohl es Kooperationen zwischen der ÖVP und der FPÖ gab, etwa bei der gemeinsamen Kandidierung von Persönlichkeiten zu den Bundespräsidentschaftswahlen, entwickelte sich in der Folgezeit eher ein Vertrauensverhältnis zwischen den Sozialisten und den Freiheitlichen, das sich am Beginn der Ära Kreisky durch die freiheitlichen Duldung der Minderheitsregierung der SPÖ manifestierte. Solcherart führte das Unvermögen der ÖVP, mit den Freiheitlichen ein gedeihliches Verhältnis zustande zu bringen dazu, dass sie letztlich im Jahre 1970 nach 25 Jahren Kanzlerschaft vom Ballhausplatz weichen musste.
Eine Besonderheit der Österreichischen Volkspartei in der Zweiten Republik was so etwas wie eine innerparteiliche Fortsetzung des Ständestaates. Der Bauernbund, der Wirtschaftsbund, der Arbeiter- und Angestelltenbund repräsentierten diese ständische Gliederung. Sie bildeten einerseits die Stärke der ÖVP, wurden ihr aber auch zunehmend zum Problem. Überdies waren es die Bundesländerorganisationen der Volkspartei, die mit Ausnahme Wiens und Kärntens und später des Burgenlandes die Landeshauptleute die Volkspartei stellten, welche der Partei politisches Durchsetzungsvermögen und Stärke verliehen. Dies war wohl auch ein Grund, warum die ÖVP jene politische Kraft darstellte, die den österreichischen Föderalismus trug und auch für sich nützte.
Von 1970 an, vom Beginn der Ära Kreisky bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, also dreißig Jahre, sollten nach dem Abgang des ÖVP-Bundeskanzlers Josef Klaus die Sozialdemokraten die Regierungsspitze stellen. Erst Wolfang Schüssel, der die Nationalratswahl des Herbst 1999 glorios verloren hatte, gelang es mit freiheitlicher Hilfe, den Sessel des Bundeskanzlers zurückzuerobern. Als Vertreter der drittstärksten Kraft wurde er vom FPÖ-Chef Jörg Haider an die Regierungsspitze gehievt. Zwei Jahre später kam es zur Implosion der FPÖ nach den Ereignissen von Knittelfeld und zum triumphalen Wahlsieg von ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel, der mit gut 40 Prozent noch einmal für eine Periode Kanzler wurde.
Die große Koalition mit dem Hintergrund des schwarz–roten bzw. rot–schwarzen Proporzes und der Schattenregierung der Sozialpartnerschaft bildete über sieben Jahrzehnte das eigentliche Charakteristikum der Zweiten Republik. Die damit verbundene Konkordanz-Politik, in der alles hinter den Kulissen abgesprochen wurde, hat dem Land zwar sozialen Frieden gebracht, der politischen Kultur aber, insbesondere dem Parlamentarismus, in Summe geschadet. Während in der Zeit von 2000 bis 2006 während der ersten schwarz–blauen Koalition so etwas wie eine Konfrontation zwischen einer Mitte-Rechts-Regierung und der linken Opposition existierte, wurden in diesem großkoalitionären System alle Entscheidungen gewissermaßen im vorparlamentarischen Bereich intransparent und ohne parlamentarische Kontrolle ausgehandelt. Nunmehr, mit der Wiederaufnahme einer schwarz–blauen, bzw. türkis–blauen Koalition zwischen Volkspartei und Freiheitlichen unter dem juvenilen ÖVP-Chef Sebastian Kurz und dem FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache, scheint sich das Land endgültig für ein konfrontatives Politiksystem mit einer Mitte-Rechts-Regierung und einer linken Opposition entschieden zu haben.
Die ÖVP, die vor den Nationalratswahlen 2017 in den Umfragen auf ihre Kernwählerschaft, also auf ca. 20 Prozent geschrumpft zu sein schien, wurde vom neuen jugendlichen Parteichef völlig umgekrempelt. Er schaffte es vor allem, eine politische Vollmacht zu bekommen, mittels der er weder auf die traditionellen ÖVP-Bünde noch auf die starken Landesgruppierungen Rücksicht nehmen musste. Und der Wahlerfolg glückte Kurz ja tatsächlich. Ob dieser Erfolg von Dauer sein wird, und die von ihm gebildete Regierung Stabilität haben wird, muss sich erst weisen. Vorläufig aber sieht es so aus, als wäre die Volkspartei nunmehr wieder der bestimmende Faktor der österreichischen Innenpolitik.


Was wäre im umgekehrten Falle?

2. März 2018

Wie wäre es mit einem Gedankenspiel? Nehmen wir an, ein rechtsrechtes Hetzblatt – als solches wird gegenwärtig die Zeitschrift der Freiheitlichen Akademikerverbände „Aula“ allenthalben in den Mainstream-Medien denunziert – würde eine hektographierte Unterlage veröffentlichen, wonach irgendeine Koranschule oder eine Moschee-Verein im Lande in edlem Hocharabisch auf die „ungläubigen Christenhunde“ und auf „unreine Schweinefleisch-Fresser“ und „zionistische Landräuber“ herzieht. Und nehmen wir an, dass sich da sofort eine Empörungsspirale in Bewegung setzt, Österreichs Boulevard-Zeitungen die Meldung groß bringen, eher konservative Privatsender wie der eines Salzburger Energydrink- Vertreibers auch im Fernsehen.
Und nehmen wir weiters an, dass sofort anderntags ein bekannt rechtsorientierter Staatsanwalt im Auftrag eines bekannt rechtsorientierten Richters – beide mutmaßlich Alte Herren einer Burschenschaft (gibt’s überhaupt noch solche?) – eine Hausdurchsuchung bei besagtem Moschee-Verein oder besagter Koranschule durchführen lässt. Begleitet von einem Kamerateam wird dort die Türe aufgebrochen und nach dreistündiger Suche findet man im Keller der Vereinsräumlichkeiten einige alte Kartons mit diversem alten Zeugs, mitgebracht möglicherweise aus der alten Heimat und vergilbtes Papier in arabischer Schrift. Diese kann zwar vorläufig niemand entziffern, mutmaßlich handelt sich aber um islamistische Hetze und um Anleitungen zum Bombenbau für Selbstmordattentäter. So erklären es die rechtsrechten Gazetten, und der Vorsitzende der Koranschule, der im Zivilberuf als Hausmeister beim Grünen Landtagsklub angestellt ist, muss sofort in Zwangsurlaub gehen, und die Staatsanwaltschaft leitet natürlich Ermittlungen wegen Verdachts auf islamistischen Terror ein. Der freiheitliche Innenminister würde von der ohnedies schwachen linken Opposition und die linksliberalen Medien verdächtigt werden, das Ganze, wenn schon nicht veranlasst, so zumindest begünstigt zu haben. Das politische Eintreten seiner Partei gegen die Islamisierung sei ja sattsam bekannt.
Nun aber Spaß beiseite: Ein solches Gedankenspiel wäre natürlich in der österreichischen Realität völlig undenkbar, ja es wäre auch tatsächlich absurd. Umgekehrt allerdings ist genau das in den letzten Tagen vorgefallen: Eine linkslinke Gazette veröffentlicht ein fragwürdig hektographiertes und geheftetes Papierl, das angeblich mieseste antisemitische Liedtexte enthält und obwohl die Beschuldigten versichern – wo bleibt die Unschuldsvermutung? –, dies nicht zu kennen, gibt es prompt anderntags eine Hausdurchsuchung mit Kamerateam, aufgebrochener Türe und dem Auffinden der ominösen Kiste. Das, was bei irgendwelchen islamischen Gemeinschaften im Lande oder gar bei linksextremen Vereinen völlig undenkbar wäre, da Österreich ein liberales Land ist, ist in jüngster Zeit gegenüber den so heftig angefeindeten Burschenschaften durchaus möglich. Ein diffus geäußerter Verdacht und schon schlägt eine – heute auch schon längst von Spät-68ern linksdurchsetzte – Justiz gnadenlos zu. Dass der Besitz historischer Materialien von Nachlässen verstorbener Bundesbrüder in keiner Weise strafbar ist, spielt keine Rolle. Es wird vielmehr ein Bild gezeichnet, wonach viele führende Exponenten der freiheitlichen Regierungspartei, die aus den traditionellen Vereinigungen des Dritten Lagers kommen, in einem Umfeld sozialisiert wurden, das neonazistisch und rassistisch sein müsse.
Die Gefahr besteht natürlich, und auch das bezwecken die Gegner der Regierung, dass nämlich  zwischen dem Dritten Lager, also dem Kernwählerbereichder FPÖ und der Parteispitze, eine Kluft und eine Atmosphäre des Misstrauens entstehen. So nach dem Motto, unter einem sozialistischen Innenminister hatten wir unsere Ruhe, unter einem freiheitlichen werden nunmehr die Verbindungshäuser zwecks Hausdurchsuchung aufgebrochen. Dass die Freiheitliche Partei im parlamentarischen Bereich in jenen Sphären, in denen eine Partei eben tätig sein kann, alles tut, um die historischen Vereinigungen des nationalfreiheitlichen Lagers zu schützen und zu unterstützen, sollte allerdings schon bewusst sein. Möglich ist dies aber nur dort, wo diese Vereinigungen und dieses Lager sich auf den Boden der geltenden Gesetze der Verfassung und des Rechtsstaats bewegt, andernfalls ist sie nicht nur taktisch dazu genötigt, sich zu distanzieren, sondern auch moralisch verpflichtet. Das müssen sich die Vereinigungen des historisch  gewachsenen Dritten Lagersauch vor Augen halten, und genau aus diesem Grunde ist Hygiene im eigenen Haus notwendig, ist eine kritische Aufarbeitung der eigenen Geschichte vonnöten, ist Selbstkritik und Selbstreinigung angesagt.
Die Einäugigkeit aber, mit der da die Mainstream-Medien und allzu zeitgeistige Vertreter staatlicher Institutionen gegen ein traditionelles politisches Lager vorgehen, diese Einäugigkeit darf durchaus auch angeprangert werden. Offenkundig ist nämlich, dass man nicht nur die freiheitliche Regierungsbeteiligung untergraben und möglichstverunmöglichen will, Tatsache ist auch, dass man dieses alte nationalliberale und offenbar für den Zeitgeist so unliebsame Dritte Lager schlicht vernichten will, zu allererst natürlich die akademisch studentischen Kooperationen. Das Ganze läuft also auf einen Existenzkampf hinaus.