Unzeitgemäße Betrachtungen von Andreas Mölzer
Das Denken in Völkern ist ziemlich aus der Mode gekommen. Und wer es gar noch wagt, von „Rassen“ zu sprechen, läuft vollends Gefahr, nicht nur mit dem herrschenden Zeitgeist, sondern sogar mit dem Strafgesetz in Konflikt zu kommen. Gemäß dem schönen Motto „Menschen samma olle“ darf man tunlichst keine Unterscheidungen mehr treffen und schon gar keine Wertungen. Der Egalitarismus, wie er seit der Französischen Revolution gepredigt wird, triumphiert.
Wurden die Völker noch in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts als „Gedanken Gottes“ bezeichnet und die Einteilung in Nation gewissermaßen als Höhepunkt der kulturellen Evolution der Menschheit betrachtet, so scheint in unseren Tagen die Globalisierung, bzw. in der alten Welt die Europäisierung, gemeinsam mit den großen Flüchtlingsströmen und den Massentourismus für eine Auflösung der nationalen Identitäten – insbesondere Europa – zu sorgen. Die Ausdifferenzierung der Sprachen der Menschheit in einzelne Nationalsprachen und die Entwicklung territorialer Einheit hinzu Nationalstaaten waren noch vor wenigen Jahren unbestritten die primäre Maxime des kulturellen und politischen Lebens des Spezies Mensch. Begriffe wie „Völkerrecht“ oder auch die „Vereinten Nationen“ erinnern uns daran. Im Gegensatz dazu scheint der heutige Zeitgeist vom Streben nach „One World“, bewohnt von „Weltbürgern“, zu dominieren.
In der wiedergegründeten Republik Österreich war man nach dem Sturz NS-Diktatur und dem Ende des Zeiten Weltkrieges noch bemüht, eine eigenständige, ethnische und kulturelle Nation zu konstituieren. Während sich die Erste Republik als „deutscher Staat“ verstand und die Österreicher sich über alle ideologischen und Parteigrenzen hinweg als Deutsche definierten, wollten man nach 1945 alles sein, nur nicht deutsch. Die „österreichische Nation“ mit „Österreichischem Wörterbuch“ und „Unterrichtssprache“ statt Deutsch in den Schulen, basierend auf einem eigenständigen „österreichischen Volk“, sollte im Gegensatz zum altehrwürdigen Traum von der deutschen Einheit Eigenstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Alpenrepublik untermauern. Da gab es zwar Rückgriffe auf die alte Habsburger Monarchie mit dem Hinweis, dass sich diese neue österreichische Nation aus einem multinationalen Völkergemisch entwickelt habe, das mehr oder weniger zufällig Deutsch spricht. Und natürlich konnte man die wirtschaftlichen Verflechtungen mit der neuen Bundesrepublik Deutschland nicht ignorieren und auch die gemeinsame Geschichte nicht völlig verleugnen, es sollte aber partout eben eine eigenständige „österreichische Nation“ sein.
Die Flüchtlingswellen in den ersten Nachkriegsjahren, von denen auch die Zweite Republik betroffen war, passten da eigentlich eher ins Schema. Die Volksdeutschen, die unmittelbar nach 1945 ins Land strömten, waren sprachlich und kulturell ja ohnedies zumeist Altösterreicher. Die Ungarn-Flüchtlinge von 1956 und die tschechischen Flüchtlinge von 1968, ja sogar die bosnischen Flüchtlinge in der Folge der Jugoslawienkriege der 90er Jahre stammten auch aus dem benachbarten, weitgehend altösterreichisch beeinflussten Bereich. Sie waren dazu geeignet, der These von der „österreichischen Nation“ als einem mitteleuropäischen-balkanesischen Mischvolk eher zu stützen. Das Gleiche galt für die vom Balkan kommenden Gastarbeiter, für Kroaten und Serben. Überdies waren und sind diese aufgrund der kulturellen Nähe und der gleichen christlichen Religion relativ leicht in die österreichische Gesellschaft integrierbar.
Dies änderte sich erst mit dem massenhaften Zuzug türkischer Gastarbeiter. Sie stammen bekanntlich aus einem Bereich, der eher die historische Antithese zur Donaumonarchie darstellt, die zwei Türkenbelagerungen Wiens sind eben jeden österreichischen Schulkind ein Begriff. Überdies sind die Türken eben Moslems, was die soziokulturelle Integration nahezu unmöglich macht und zur Bildung von Parallelgesellschaften entscheidend beitrug.
Auch die massenhafte Zuwanderung von Menschen aus anderen Bereichen der Dritten Welt, aus Schwarzafrika, aus Südostasien und aus anderen Bereichen der islamischen Welt war mit dem ideologischen Konstrukt einer eigenständigen österreichischen Nation nicht mehr vereinbar. Gegenwärtige Massenzuwanderungswellen, vorwiegend aber nicht nur aus dem Nahen Osten und aus dem syrischen Bereich, werden wohl zwingend zu einer entsprechenden Verstärkung des islamischen Elements im Lande führen.
Diese Verstärkung wird eine Integration des mohammedanischen Bevölkerungsanteils nahezu unmöglich machen, sondern vielmehr eine starke islamischen Parallelgesellschaft erzwingen. In dieser wird es zwar zweifellos jede Menge von Konfliktlinien und Gegensätzen geben – Schiiten gegen Sunniten, Türken gegen Kurden, Syrer gegen Irakis – insgesamt aber wird es ein islamisches Österreich gegen das autochthone, katholische und protestantische Österreich geben. Das kommt auf uns zu, so sicher wie das Amen im Gebet.
Der Homo austriacus als Träger einen eigenständigen „österreichischen Nation“ wurde also von seinen Erfindern, von den Kräften im Hintergrund der etablierten Parteien, mehr oder minder aufgegeben. Die geistige Globalisierung, die sozioökonomische Europäisierung und die Massenzuwanderung haben die Fiktion einer eigenständigen „österreichischen Nation“ ad absurdum geführt. Diese „österreichische Nation“, die sich stets als Antithese zur deutschen definierte, könnte nur mehr auf den autochthonen Teil der Bevölkerung angewandt werden, der wohl in wenigen Jahren und Jahrzehnten zur ethnischen Minderheit im Land werden wird. Wir allen kennen Apercues: Was uns und die Deutschen trennt, ist die gemeinsame Sprache. In Deutschland ist die Lage ernst, aber nicht hoffnungslos, bei uns ist es umgekehrt, da ist sie hoffnungslos, aber nicht ernst. Die Deutschen, meinen was sie sagen, die Österreicher meinen stets das Gegenteil davon. Der Opportunismus eines „Herrn Karl“ sei für die Piefke schlicht und einfach unverständlich, bei uns sei er eine erprobte Überlebensstrategie und dergleichen mehr.
All das hat ausgedient. Sollte sich jemals nach Generation und womöglich längeren Zeiträumen aus der multiethnischen und multireligiösen Massenzuwanderungsgesellschaft mit ihren verschiedenen Ghettos, Kasten und Konfliktbereichen, die wohl einen latenten Bürgerkrieg darstellen werden, eine neue homogenisierte, einheitliche Gesellschaft – das Wort Volk ist wohl unpassend – herausbilden, so wird es mit der „österreichischen Nation“ der frühen Zweiten Republik wohl kaum mehr was zu tunen haben. Vorläufig aber wird es sich um eine Gesellschaft der Segregation handeln, eben um eine Multi-Konflikt-Gesellschaft mit Ghettos, Kasten und latenter Bürgerkriegsatmosphäre. Die Aufgabe des staatlichen Gewaltmonopols und der Kontrolle über die eigenen Grenzen, das Aussetzen der Gültigkeit von Gesetzen deutet klar und deutlich darauf hin. Der Homo austriacus war wohl nicht mehr, als der zu spät gekommene Versuch, Eigenstaatlichkeit und Souveränität der Republik auch ethnisch-kulturell abzusichern. Die Ereignisse haben diesen Versuch überholt.