Kein Osterfrieden

6. April 2023

Ostern, das höchste Fest der Christenheit steht ins Haus. Und das Christentum, das sollte doch eine Religion des Friedens und der Nächstenliebe sein. Eine Religion, durch die die Menschen einander näherkommen und in der Lage sind, Frieden zu schließen.
Davon kann nun in unseren Tagen offenbar keine Rede sein. Am deutlichsten erkennen wie dies in der Ukraine, wo sich ethnisch, kulturell und sprachlich engst verwandte Brudervölker gegenüberstehen, die außerdem durch die orthodoxe Kirche miteinander verbunden sind.
Dort ist von Frieden oder von einem Waffenstillstand keine Rede.
Vielmehr hören wir ständig von neuen Offensiven und sich dramatisch steigernden Kampfhandlungen, vom Einsatz neuer westlicher Waffen auf der ukrainischen Seite und von Erfolgen der Privatarmee „Wagner“ auf der russischen Seite. Die Zerstörungen im Bereich des Frontverlaufes sind enorm, die Menschenopfer grauenhaft.
Und auch in den Ostertagen haben die Bellizisten, die Kriegshetzer, Hochkonjunktur. Der Herr im Kreml träumt nach wie vor vom „Endsieg“ und droht mit dem Einsatz von Atomwaffen. Sein Gegenüber in Kiew fordert ständig neue und noch tödlichere Waffen, und in der EU und im Pentagon ist niemals von Waffenstillstand und Friedensverhandlungen, dafür immer vom Sieg über Russland die Rede.
Friedensappelle verhallen ungehört. Als der Papst in Rom vor einiger Zeit einen Waffenstillstand forderte, wurde er gar verdächtigt, so etwas wie ein „Putinversteher“ zu sein. Und alle Stimmen in unseren Breiten, die einen Frieden verlangen, werden von den Mainstream-Medien verschwiegen oder verhöhnt. So zuletzt der Historiker Peter Brandt, Sohn des einstigen Bundeskanzler Willy Brandt. Dieser musste sich vom ukrainischen Außenminister wegen seiner Forderung nach Waffenstillstand und Friedensverhandlungen sogar beschimpfen lassen.
Aber auch im Bereich der österreichischen Innenpolitik scheint Unversöhnlichkeit angesagt zu sein. Im Führungsstreit in der heimischen Sozialdemokratie überschlagen sich die gegenseitigen Attacken. Die bevorstehende Mitgliederbefragung führt offenbar weniger zur Aussöhnung der einander gegenüberstehenden Parteien, als zur Zuspitzung der Konfrontation.
Und die gehässige Kritik der linken Reichshälfte, insbesondere der Kunstszene an der neuen Regierungskoalition zwischen Schwarz und Blau in Niederösterreich, will auch nicht verstummen. Man ist ganz offenbar nicht bereit, ein demokratisches Wahlergebnis zu akzeptieren.
Wie überhaupt die Emotionen gegenüber den politisch erstarkten Freiheitlichen und deren Parteichef Herbert Kickl von Hass und Vorverurteilung geprägt sind. Auch diesbezüglich gibt es keinerlei Osterfrieden.
So leben wir also gegenwärtig – sowohl in unserem kleinen österreichischen, als auch im internationalen Bereich – in einer friedlosen, zerrissenen Gesellschaft. Dies betrifft die Völkergemeinschaft und es betrifft unser Land. Autoritäten, die diese Spaltung der Gesellschaft und der Menschheit überwinden könnten, gibt es kaum.
Der Papst in Rom ist ein alter weißer Mann, auf den man kaum mehr hört. Die Vereinten Nationen sind eine ineffiziente Organisation, deren Sicherheitsrat gerade von Kiew infrage gestellt wird. An der Spitze der USA steht ein offensichtlich zunehmend seniler Greis und die Führung der Europäischen Union in Brüssel ist von Orientierungslosigkeit geprägt.
Die autoritären Führer in Moskau und in Peking, in Teheran und auch in Istanbul sind es auch nicht, die uns den Frieden bringen. Woher soll dieser also kommen? Gut haben es da nur gläubige Christen, weil deren Antwort lautet: von Jesus.


Zwischen Empathie und Hedonismus

6. April 2023

Zur großen Frage, ob der Mensch gut ist oder schlecht

Der Mensch ist ein Säugetier, dessen evolutionäre Entwicklung ihn mit Bewusstsein, Humor und dem Streben nach Erkenntnis ausgestattet hat. Alleine diese drei Faktoren sind es wahrscheinlich, die ihn aus der Tierwelt hervorheben. Tiere sind Tiere, weder gut noch böse, sondern einfach ihrer Natur entsprechend. In der Tierwelt gilt das Gesetz des Stärkeren, fressen und gefressen werden. Es geht immer um das Überleben jener Spezies, die sich den Bedingungen ihrer Umwelt am besten anzupassen vermag.
In seinen Ursprüngen lebte die Spezies Mensch wohl auch weitgehend unter diesen Bedingungen, im Bereich dieser Gesetzlichkeit. Es ging nur um Selbsterhaltung und um Arterhaltung. Der Überlebenskampf der frühen Hominiden dürfte mörderisch gewesen sein und nur die Stärksten und Intelligentesten unter ihnen werden so lange gelebt haben, dass sie sich vermehren konnten. Sie existierten also unter einem brutalen Gesetz der Auslese, dem Gesetz der Evolution eben.
Nun ist der Homo Sapiens seit zehntausenden von Jahren wohl im selben evolutionären Zustand, zumindest in biologischer Hinsicht. Nachdem es aber auch so etwas wie eine kulturelle Evolution gibt, hat in manchen Bereichen des menschlichen Lebens doch auch eine Art von Emanzipation weg von den brutalen Gesetzen des Überlebenskampfes stattgefunden, also so etwas wie eine Veredelung des Menschen.
Ein Quantensprung in dieser Hinsicht war zweifellos das Christentum. Von den Naturreligionen in vorgeschichtlicher Zeit, über den Viel-Götter-Glauben der antiken Kulturen hin zur christlichen Nächstenliebe war es ein weiter Weg. Aufbereitet wurde dieser vielleicht durch die griechische Philosophie und wohl auch durch die Gesetzlichkeiten des Römischen Rechts. Das Christentum, ursprünglich wohl eine orientalisch-jüdische Unterschicht-Sekte, ermöglichte dann durch seine Erhebung zur Staatsreligion im Imperium Romanum eine Entwicklung hin zur Gleichheit der Menschen. Als Christen waren eben Sklaven und Patrizier gleichwertige Menschen. Veredelt wurde dieses christliche Menschenbild dann in der Folge durch seine Verschmelzung mit dem germanischen Freiheitsstreben. Aber erst die Reformation und der Humanismus und später die Aufklärung ermöglichten nach dem Ende des Feudalismus und Erscheinungen wie der Leibeigenschaft die wahre Freiheit des Christenmenschen.
Christliche Nächstenliebe, gepaart mit Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, waren also die Basis, um die universellen Menschenrechte durchzusetzen. So sehr diese in unseren Tagen immer wieder ideologisch missbraucht werden, so unzweifelhaft ist ihr Wert im Bestreben, das Prinzip von Gewalt und Willkür zu überwinden.
Ohne jetzt die Demokratie westlicher Prägung und den freiheitlichen Rechtsstaat, wie wir ihn in Europa kennen, zur globalen Maxime für alle Völker und Kulturen erheben zu wollen, stellen diese Prinzipien wahrscheinlich doch die einzige Gewähr für individuelle Freiheit und ein gerechtes Gesellschaftssystem dar.
Obwohl es also eine kulturelle Evolution der Menschen hin zu mehr Humanität und größerer sozialer Gerechtigkeit gibt, bleibt der Mensch aber in seiner Veranlagung und von der Natur vorgegebenen Grundstruktur seines Charakters gleich wie sein Ahne in der Jungsteinzeit. Triebbefriedigung, Egoismus und das Bedürfnis, sich im Überlebenskampf schrankenlos durchzusetzen, ist ihm offenbar von Natur aus mitgegeben. So gesehen könnte man sagen, dass der Mensch von seiner natürlichen Veranlagung her böse ist. Egoistisch, gewaltbereit und rücksichtslos.
Dem gegenüber stehen allerdings Faktoren, die auch seit den frühesten Tagen der Menschheitsgeschichte und durch seinen Status als höheres Säugetier gegeben waren: Der Mensch hatte im Sinne des Triebs zur Arterhaltung von Anbeginn seiner Existenz für seine Nachkommenschaft, für seine Kinder zu sorgen. Er hatte für sie einzutreten, Nahrung zu suchen, sie zu verteidigen und allenfalls für ihr Überleben sein eigenes Leben preiszugeben. Und er musste im ganz normalen alltäglichen Leben mit dieser seiner Nachkommenschaft teilen. Die Nahrung teilen, die Kleidung, und ganz allgemein den Lebensraum. Und diese Notwendigkeit zum Teilen musste auch die Nachkommenschaft unter sich, also die Kinder, beziehungsweise eben Geschwister lernen und üben.
Und dies ist im Grunde bis zum heutigen Tage, auch in unseren komplexen und vielschichtigen Gesellschaftssystemen so geblieben: Empathie erlernt man zuallererst in der Familie. Daraus ergibt sich allerdings auch logischerweise, dass mit dem Zusammenbruch der Familie oder deren Schrumpfen auf Kleinstgruppen das Erlernen von Empathie schwieriger, wenn nicht gar unmöglich wird. Die Reduzierung des Menschen auf ein allein lebendes Einzelindividuum, also das Phänomen des sogenannten „Single“, fördert natürlich die Entwicklung eines empathielosen und hedonistischen Menschentyps.
Der Hedonismus ist letztlich das Grundprinzip einer zutiefst dekadenten Gesellschaft, einer Gesellschaft, der jede religiöse Bindung abhandengekommen ist, die nur im Hier und Heute lebt und dem totalen Materialismus frönt. Schrankenlose Triebbefriedigung geht hier mit egomanischer Selbstverwirklichung Hand in Hand, wobei nur sehr oberflächliche zivilisatorische Schranken es verhindern, dass hier wieder die atavistischen Gesetze von Gewalt und von der Überlegenheit des Stärkeren zum Tragen kommen. Dieser Hedonismus ist also letztlich ein absoluter Rückschritt in jenen Zustand, wie er in der Frühzeit der Menschheitsgeschichte vor der skizzierten kulturellen Evolution bestanden hat. Das Ergebnis einer solchen hedonistischen Gesellschaft muss letztlich ein nahezu anarchischer Zustand sein, ein Zustand, in dem keineswegs selbstbestimmte, freie Individuen in friedlicher Gemeinschaft leben, sondern vielmehr wieder das Gesetz des Stärkeren gilt.


Wir Kellernazis

1. April 2023

Die Empörung über die relativ unerwartet zustande gekommene schwarz-blaue Koalition in Niederösterreich war – in linken Kreisen, versteht sich – überaus groß. Da protestierten allerlei zeitgeistige Kunstschaffende, wobei sich einer unserer Groß-Schriftsteller, ein vielfach geförderter Staatskünstler, besonders hervortat: So formulierte Robert Menasse in der Wochenendausgabe der „Presse“, er höre schon „das Schenkelklatschen der freiheitlichen Wähler, aufgegeilt von den Hormonen aus den FPÖ-geförderten Schweins­braten“.
Den Vogel abgeschossen hat dann allerdings der Vorsitzende einer hierzulande anerkannten Religionsgemeinschaft. Er erklärte nämlich in Richtung auf die Landeshauptfrau von Niederösterreich, es sei unerhört, mit der FPÖ zu koalieren, da die meisten Freiheitlichen „Kellernazis“ seien. Nun ist unser Land gottlob noch kein Gottesstaat und die Vertreter irgendwelcher Religionsgemeinschaften können nicht bestimmen, was die Österreicher zu wählen haben und wie die entsprechenden Regierungskoalitionen – sei es auf Landes- oder Bundesebene – auszusehen haben.
Die Diffamierung einer Gruppe von immerhin einem guten Viertel der österreichischen Wähler als „Kellernazis“ scheint aber durchaus akzeptabel zu sein. Immerhin schloss sich der Vizekanzler der Republik – allerdings der Grünen-Chef Kogler – dieser Klassifizierung an und bezeichnete die nieder-
österreichischen Freiheitlichen auch ganz pauschal als „Kellernazis“.
Und der Bundespräsident entblödete sich nicht, bei der Angelobung der Landeshauptfrau vor dem Nationalsozialismus zu warnen, anstatt derlei Beschimpfungen der freiheitlichen Wähler zurückzuweisen.
Nazi zu sein, beziehungsweise nationalsozialistische Wiederbetätigung, ist hierzulande bekanntlich ein schwerer Straftatbestand, der vor Geschworenengerichten mit hohen Freiheitsstrafen geahndet wird.
Der betreffende Vorsitzende einer einheimischen Kultusgemeinde, im Verein mit dem Herrn Vizekanzler, unwidersprochen vom Staatsoberhaupt, bezichtigt also die freiheitlichen Wähler – zumindest in Niederösterreich – oder auch nur die freiheitlichen Funktionäre, Verbrecher zu sein, beziehungsweise einer verbrecherischen Ideologie anzuhängen. Eben dieselben Personen, beziehungsweise jene Kreise, für die sie repräsentieren, beklagen immer wieder lauthals und larmoyant die tiefe Spaltung unserer Gesellschaft. Insbesondere der Bundespräsident hat vielfach die Überwindung dieser Spaltung beschworen. Und dann tut man dies, dann qualifiziert man ein Viertel, bundesweit sind es nach Umfragen schon nahezu ein Drittel der heimischen Bürger, derart ab.
Derartige Entgleisungen kann man nun nicht mehr entschuldigen, indem man auf den ins Haus stehenden Wahlkampf verweist oder eben auf die Ängste vor der zunehmend erstarkenden FPÖ. Aggressive verbale Ausfälle dieser Art muss man wohl bereits als Beginn eines virtuellen Bürgerkriegs verstehen. Wenn der politische Konkurrent nicht mehr als demokratischer Mitbewerber verstanden wird, sondern als Verbrecher stigmatisiert wird, liegt dieser Schluss geradezu zwingend nahe.
Für die politische Auseinandersetzung vor den nächsten Nationalratswahlen lässt dies Schlimmes erahnen. Wenn die Freiheitlichen tatsächlich stärkste Partei werden sollten und wenn sich im Wahlkampf die Gegensätze derart verschärfen, wie wir es nunmehr in Niederösterreich erleben mussten, könnte das, was wir bislang in Österreich als politische Kultur kannten, einen Kollaps erleiden. Da wäre nun also schnellstens verbale Abrüstung angesagt.


Parteien­landschaft im Umbruch

1. April 2023

Österreichs Parteien zwischen Entideologisierung, neuen Zivil­religionen und Massenmigration

Es war der renommierte Historiker Adam Wandruszka, der einmal meinte, Österreichs politische Landschaft sei gewissermaßen gottgewollt von drei politisch–ideologischen Lagern bestimmt. Da sei einmal als ältestes Lager das nationalliberale, deutsch-freiheitliche. Dann das konservativ-christlichsoziale und schließlich das marxistisch-sozialdemokratische. Diese, aus der Monarchie stammende Dreiteilung hat tatsächlich die Erste Republik und über mehrere Jahrzehnte auch die Zweite Republik politisch geprägt. Zwar wurde das nationalliberale Lager nach der Gründung der Republik in quantitativer Hinsicht zum „dritten Lager“ herabgestuft, es blieb aber doch bis zum heutigen Tag – mit dem verhängnisvollen nationalsozialistischen Zwischenspiel – ein Faktor der österreichischen Innenpolitik.
Die weit linksstehende österreichische Sozialdemokratie übernahm mit der Person Karl Renners eine führende Rolle bei der Gründung der Republik. Durch ihre ideologische Radikalität vermochte sie das Aufkommen einer wirklich bedeutenden kommunistischen Bewegung zu verhindern. In Form des Proporz-Systems konnte sie in der Zweiten Republik eine tragende Rolle übernehmen, die ihren Höhepunkt in der Ära Kreisky fand.
Was schließlich das christlich-konservative Lager betrifft, so konnte dieses in der Person von Ignaz Seipel gemeinsam mit den deutschennationalen Parteien die demokratische Phase der Ersten Republik dominieren. Die ständestaatliche Diktatur, die dann Engelbert Dollfuß errichtete, stellt den autoritären, antidemokratischen Irrweg dieses Lagers dar. In der Zweiten Republik konnte die Volkspartei das erste Vierteljahrhundert prägen, um dann nach dem Zwischenspiel der Ära Kreisky wieder für drei Jahrzehnte mit zuregieren.
In den letzten beiden Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts erodierten diese drei politischen Lager allerdings. Einerseits kam es in allen Bereichen zu einer gewissen Entideologisierung, andererseits versuchten Persönlichkeiten aus den Randbereichen dieser drei Lager eigene politische Wege zu gehen. Dies äußerte sich in einer Reihe organisatorischer und wohl auch ideologischer Abspaltungen.
Im linken, austromarxistischen, sozialdemokratischen Lager war das neben der KPÖ jene Abspaltung, die der Gewerkschaftsführer und vormalige Innenminister Franz Olah konstituierte. Diese konnte der SPÖ zwar kurz schaden und die Errichtung der ÖVP-Alleinregierung unter Josef Klaus ermöglichen, letztlich aber scheiterte sie. Die Kommunisten selbst führten mit Ausnahme der unmittelbaren Nachkriegsjahre während der ganzen Zweiten Republik ein Schattendasein. Bis sie in Graz vor kurzem den Sessel des Bürgermeisters erobern konnten. Als Spätfolge der Achtundsechziger-Revolte konnte die Neue Linke die Ökologiebewegung vereinnahmen, um die grüne Partei zu gründen. Diese Grünen entwickelten sich zu einer linksextremen Kaderpartei, die auf der Basis der neuen Zivilreligionen, Political Correctness, Wokeness, Cancel Culture und Klimapolitik zu einer gesamtgesellschaftlichen Bewegung wurde, die einen nahezu totalitären Anspruch erhebt. Was das christlich-konservative Lager betrifft, so sind wohl die NEOS als Abspaltungsprodukt zu bezeichnen. Sie sind zumindest in wirtschaftspolitischer Hinsicht eher liberal-konservativ, gesellschaftspolitisch aber entsprechen sie dem linken Mainstream.
Die meisten Abspaltungen hat allerdings das national-freiheitliche Lager zu verzeichnen. Da ist einmal schon in den Sechziger-Jahren die Gründung der Nationaldemokratischen Partei durch Norbert Burger zu nennen. Diese endete mit einem polizeilichen Verbot. Keine wesentliche Wirkung entfalteten politische Splittergruppen wir die „Aktion Neue Rechte“ oder Otto Scrinzis „Nationalfreiheitliche Aktion“. Wesentlich größere politische Bedeutung hatte jene Abspaltung von der FPÖ, die Heide Schmidt mit dem „Liberalen Forum“ wagte. Aber auch dieses endete, ähnlich wie Jörg Haiders Abspaltung, das „Bündnis Zukunft Österreich“, nach wenigen Jahren parlamentarischer Aktivität in der politischen Bedeutungslosigkeit. All diese politischen Abspaltungs-Produkte änderten nichts daran, dass ÖVP, SPÖ und FPÖ die dominanten politischen Kräfte der Zweiten Republik bleiben.
Der Wähler ist in den letzten Jahren zunehmend volatil geworden. Da wandern Stimmen zwischen der Volkspartei und den Freiheitlichen in großem Umfang innerhalb kürzester Zeit hin und her. Jene 27 Prozent etwa, die Jörg Haider 1999 erreichte, wurden zwei Jahre später zu 42 Prozent für Wolfgang Schüssel. Und das, was Sebastian Kurz 2019 erntete, wird im nächsten Jahr wohl Herbert Kickl an Wähler-Zustimmung einfahren. Ähnlich verhält es sich innerhalb der linken Reichshälfte. Wenn die Sozialdemokratie, wie in unseren Tagen wegen der ungeklärten Führungsfrage schwächelt oder gar von Spaltung bedroht ist, profitieren die Grünen davon. Und wenn diese es mit ihrer paternalistischen Verbots- und Vorschriftspolitik übertreiben, deshalb geschwächt werden oder gar aus dem Nationalrat fliegen, stärkt das natürlich die SPÖ. Sowohl das linke Lager, als auch das bürgerliche, rechte stellen also so etwas wie kommunizierende Gefäße dar. Allerdings scheint es in Österreich eine linke Mehrheit seit dem Abtreten von Bruno Kreisky nicht mehr zu geben. Nach Kreiskys Abgang vermochte bekanntlich Jörg Haider einen Teil der ehemaligen sozialdemokratischen Wähler aus dem Bereich der Arbeitnehmer für die FPÖ zu vereinnahmen. Damit schuf er offenbar auf Dauer so etwas wie eine rechte, bürgerlich–freiheitliche Mehrheit im Lande.
Allerdings könnte sich die politische Landschaft in unseren Tagen grundlegend verändert. Die massiven Dissonanzen, die es gegenwärtig innerhalb der SPÖ gibt, scheinen auf eine weitere Spaltung des linken Lagers hinauszulaufen. Neben der traditionellen Sozialdemokratie, den Grünen und den erstarkenden Kommunisten könnte sich eine weitere Linkspartei etablieren. Diese vier Linksgruppierungen könnten gemeinsam – wenn sie aus ideologischen Gründen zur Zusammenarbeit fähig wären – kaum jemals über 50 Prozent der Wählerstimmen kommen. Sie wären nur in Kooperation mit einer der rechten oder liberalen Gruppierungen regierungsfähig.
Was das rechte, nationalliberale und konservative Lager betrifft, so dürfte sich eine Verschiebung des Schwergewichts auf Dauer in Richtung der Freiheitlichen ergeben. Die Volkspartei, die sich ursprünglich auf die katholische Soziallehre berufen hatte, leidet allein schon aus dogmengeschichtlicher Sicht massiv unter dem Bedeutungsverlust des Christentums. Die Freiheitlichen hingegen vermögen offenbar ihre plebiszitäre Politik auf alle Schichten der Bevölkerung auszudehnen, um solcherart so etwas wie eine Volkspartei neuen Typs zu werden. Eine Volkspartei, die einerseits Protest, andererseits grundlegend andere Politik-Ansätze glaubhaft zu vermitteln versteht.
Im Wesentlichen dürfte sich der alte Gegensatz zwischen links und rechts, wie er sich ursprünglich in moderater Form in der Zweiten Republik in der Konkurrenz zwischen christlich-konservativer Volkspartei und postmarxistischer Sozialdemokratie äußerte, auf den politischen Konflikt zwischen Freiheitlichen und Grünen fokussieren. Wobei die Grünen für eine apokalyptisch grundierte, tendenziell autoritäre Verbots- und Vorschriftspolitik stehen, wohingegen die Freiheitlichen einen nicht minder fundamentalistischen Populismus repräsentieren, der perpetuierten Protest der Bürger und gewissermaßen institutionalisierte Skepsis gegenüber Institutionen und politischen Abläufen artikuliert und kanalisiert.
Wie weit eine Veränderung der politischen Landschaft dieser Art auf Dauer tragfähig und konstruktiv für die weitere Entwicklung der rot–weiß–roten res publica sein kann, wird sich weisen. Aus der traditionellen Konsens-Demokratie, wie sie sich durch den rot–schwarzen Proporz in der Zweiten Republik konstituierte, wird damit zwangsläufig ein konfrontatives System. Um ein solches System der demokratischen Konfrontation friedlich und fruchtbringend zu gestalten, ist ein hohes Maß an demokratischer Reife auf beiden Seiten notwendig. Diese zu entwickeln, dürfte für das Land die Aufgabe der unmittelbaren Zukunft sein.