Von der Lichtgestalt zur Unperson?

30. Juli 2020

Hans Steinacher: Versuch einer Ehrenrettung

Ein „fanatisierter völkischer Ideologe“ sei er gewesen und habe in seiner Person „alle Facetten des völkischen Milieus“ verkörpert, ließ uns der Kärntner Historiker Alfred Elste dieser Tage über Hans Steinacher wissen. Und durchaus zustimmend zitiert er den Altmeister der linksorientierten österreichischen Politikwissenschaften Anton Pelinka, der den Heros des Kärntner Abwehrkampfes einen „militanten Nationalsozialisten“ genannt hatte. Ein deklarierter Nazi also, dieser im Jahre 1892 im Kärntner Bleiberg-Kreuth geborene Hans Steinacher, der entsprechend dem „common sense“ unserer Tage zweifellos der Damnatio memoriae verfallen müsste. Er, der wegen seines Einsatzes im Kärntner Abwehrkampf und seiner Leistungen in der Organisation der darauf folgenden Volksabstimmungspropaganda als so etwas wie ein Heros der jüngeren Kärntner Landesgeschichte galt und der auch noch in seinen späten Tagen in der Zweiten Republik von den etablierten politischen Kräften, sowohl von der Volkspartei als auch von der Sozialdemokratie, hofiert wurde. Im Volksgruppenstreit, der in Kärnten ja erst mit der Ortstafel-Lösung vor wenigen Jahren endete, galt Steinacher zwar für die slowenische Seite als Hassobjekt, umgekehrt aber auf der Deutschkärntner Seite, mitgetragen von allen maßgeblichen politischen Kräften des Landes, als Lichtgestalt. Nunmehr, just in den Tagen des Hundertjahr-Jubiläums der Kärntner Volksabstimmung von 1920, läuft er im Zuge von Geschichtsdebatten, wie sie im Umfeld von globalen Phänomenen wie etwa „Black Lives Matter“ geführt werden, Gefahr, zur Unperson erklärt zu werden.
Elste lieferte dieser Tage eben einen zwar facetten- und faktenreichen, deswegen aber nicht minder tendenziösen Beitrag dazu. So bezeichnet er Hans Steinacher gewissermaßen als Prototypen des von ihm zweifelsfrei negativ konnotierten „völkischen Milieus“. Dabei erwähnt er natürlich nicht, dass es ausschließlich diese von ihm stigmatisierend als „völkisches Milieu“ bezeichnete Gesinnung war, welche Voraussetzung und treibender Motor für den Abwehrkampf und auch für die Organisation der Kärntner Volksabstimmung bildete. Es ist ein historisches Faktum, dass, angefangen vom Landesverweser Arthur Lemisch, über wichtige Mitglieder der damaligen Kärntner Landesregierung wie Vinzenz Schumy bis hin zu den jungen Frontoffizieren, die sich im Abwehrkampf bewährt hatten und dann auch im historischen Heimatdienst rund um Hans Steinacher aktiv wurden, großdeutsche und deutschnationale Wertvorstellungen dominierten.
Konfliktlinien, die bereits aus dem Nationalitätenstreit der Habsburger Monarchie stammten, setzten sich in jenem Kampf um das „Grenzland- Deutschtum“, wie er nach Ende des Ersten Weltkriegs zwischen Baltikum und Balkan in einer Vielzahl militärischer Konflikte und darauf folgender Plebiszite tobte, fort und trafen sich in Kärnten eben mit dem Ringen um die Erhaltung der Landeseinheit. Der damit verbundene Landespatriotismus, auch weiter Teile der genuin slawischen Bevölkerung, sollte zur Basis für den Abstimmungserfolg vom 10. Oktober 1920 werden. Die wesentlichen Akteure der damaligen Kärntner Landespolitik und auch die Offiziere im Abwehrkampf sowie Aktivisten in der Landesagitationsleitung und darauf im historischen Heimatdienst gehörten zweifellos dem von Elste zitierten „völkischen Milieu“ an. Die Kärntner waren damit aber keineswegs alleine. Gesamtdeutsches Denken und damit nach heutiger Terminologie „völkische“ Orientierung war ja in allen wesentlichen politischen Bereichen dominant. Insbesondere die Sozialdemokratie um Karl Renner und Otto Bauer bildete in jenen Tagen die Speerspitze der Anschlussbewegung. Und die Orientierung der jungen Kärntner, allen voran Hans Steinachers, in Richtung Berlin war gewissermaßen Staatsdoktrin. Die junge Republik nannte sich ja nicht umsonst „Deutsch-Österreich“, und der Anschluss des Landes an die Weimarer Republik konnte nur durch den Diktatfrieden von St. Germain verhindert werden.
Hans Steinacher selbst schildert in seiner Darstellung der Ereignisse, wie ihn Landesverweser Arthur Lemisch 1920 nach Berlin entsandte, wo er bei der Pfingsttagung des „Deutschen Schutzbundes“ um Bereitstellung von Geldern für die Kärntner Abstimmungspropaganda werben sollte. Tatsächlich erschienen im September 1920, also unmittelbar vor der Volksabstimmung, Vertreter dieses „Deutschen Schutzbundes“ mit zahlreichen Vertretern der reichsdeutschen Presse in Klagenfurt, wobei – so Steinacher – die reichsdeutschen Finanzhilfen bescheiden ausfielen.
Insgesamt muss zum Fragenkomplex dieses von Elste zitierten „völkischen Milieus“ und dessen Einfluss auf den Kärntner Abwehrkampf und die Kärntner Volksabstimmung wohl gesagt werden, dass es ohne die dementsprechende Gesinnung der politischen, aber auch der intellektuellen Träger der damaligen Kärntner Bewegung jene historischen Ereignisse, derer wir heute zum 100. Jahrestag gedenken, schlicht und einfach nicht gegeben hätte. Sowohl die politischen Verantwortungsträger als auch die militärischen und propagandistischen Akteure jener Tage dachten weitgehend deutschnational und gesamtdeutsch, wie auch der Dichter Josef Friedrich Perkonig oder der Historiker Martin Wutte. Diesbezüglich war Hans Steinacher schlicht und einfach ein Kind seiner Zeit.
Steinachers Verdienste im Kärntner Abwehrkampf und bei der Organisation der Kärntner Volksabstimmung stehen im Grunde außer Zweifel und werden auch von kritischen, zeitgenössischen Historikern kaum in Frage gestellt. Im Fokus ihrer Kritik steht vielmehr der weitere berufliche und politische Lebensweg des Kärntners. Vor dem Kriege war Steinacher als Grenzlandlehrer in Südtirol tätig gewesen, nach seinem Einsatz im Abwehrkampf und bei der Organisation der Volksabstimmung als treibende Kraft im historischen Kärntner Heimatdienst engagierte er sich in einer Reihe weiterer Plebiszite, die im Gefolge der Pariser Vorortfriedensverträge stattfanden. So im Jahre 1921 in Oberschlesien und im westungarischen Ödenburg, aber auch bei der Organisation des Plebiszits in Tirol für den Anschluss an das Deutsche Reich und schließlich im Jahre 1923 im so genannten „Ruhrkampf“ gegen die französischbelgische Besetzung.
Kurz war er auch Geschäftsführer des „Deutschen Schulverein Südmark“ in Wien, danach arbeitete er als Grenzlandreferent im Rang eines Ministerialrats des preußischen Innenministeriums. Im Jahre 1930 wurde er ins reichsdeutsche Außenministerium überstellt. Im Jahre 1931 schließlich wurde er das jüngste Vorstandsmitglied des „Volksbundes für das Deutschtum im Ausland“ (VDA) und im April 1933, also wenige Monate nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, formell dessen stellvertretender Vorsitzender, schließlich „Reichsführer“ des VDA. Steinacher war also gewissermaßen hauptberuflich Volkstums- und Volksgruppen-Funktionär.
Spätestens nach Hitlers Machtübernahme im Reich sah offenbar auch Hans Steinacher im Nationalsozialismus die einzige Möglichkeit, den ab 1918 so heiß ersehnten Anschluss von Österreich an Deutschland zu realisieren. Überdies war er als Vorsitzender des VDA geradezu gezwungen, Kontakte mit dem neuen politischen Machthaber zu knüpfen. Eigenen Angaben zufolge – und Elste erwähnt dies ja auch – betrieb er also bereits im März 1933 über Kärntner Kontakte seine Aufnahme in die NSDAP. Die Konflikte allerdings, in die er sehr rasch mit Spitzen der Partei und auch der SS wegen seiner grundlegend anderen Überzeugungen von Volkstum und Volkstumspolitik geriet und innerparteiliche Streitigkeiten, dürften seine Parteimitgliedschaft verzögert, wenn nicht gar verhindert haben. Angeblich galt er aber mit Wirkung vom 1. Mai 1940 als NSDAP-Mitglied und habe selbst zur Frage, in welcher NS-Gliederung er aktiv gewesen sei, erklärt: „1934 gemeldet bei der SS in Kärnten“.
Tatsächlich geriet Steinacher in ernsthafte Gegensätze mit der NS-Volkstumspolitik, weil er insbesondere die Überlassung Südtirols an das faschistische Italien Mussolinis ablehnte. Es gehörte in den Jahren vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erhebliche Zivilcourage und großer persönlicher Mut dazu, gegen die Bevormundung des VDA durch die Partei und gegen Schikanen seitens der SS, die bis zum Ausreiseverbot, zu Verhaftungen und zur Drohung mit dem Konzentrationslager gingen, anzukämpfen, wie dies Steinacher damals tat. Steinachers volkstumspolitische Vorstellungen erwiesen sich als ganz realer Antagonismus zu den imperialistischen Lebensraumplänen Hitlers und der NSDAP. Und sein im Oktober 1937 erzwungener Rücktritt als Vorsitzender des VDA war nur die logische Folge dieses Gegensatzes.
Steinachers Eintritt in die Deutsche Wehrmacht, und zwar in das Gebirgsjägerregiment 137 als Oberleutnant, sicherte ihm nahezu so etwas wie politisches Exil. An der Eismeerfront sollte er es bis Kriegsende zum Oberstleutnant bringen.
Die SS hatte indessen mit ihrer „Volksdeutschen Mittelstelle“ den VDA übernommen und eine Radikalisierung der Umsiedlungs- und Eindeutschungspolitik erzwungen. Die im April 1942 eingeleitete Aussiedlung der Kärntner Slowenen war die Folge. Aus dem norwegischen Kirkenes, wo Steinacher als Festungskommandant Dienst tat, protestierte er dem Vernehmen nach persönlich beim Kärntner Gauleiter Friedrich Rainer auf das Schärfste gegen diese Vorgänge. Die Rücksiedlung von Familien betroffener Wehrmachtsangehörige soll dadurch herbeigeführt worden sein. Ob Steinacher, wie da und dort kolportiert wird, direkt in Berlin gegen die Aussiedlung der Kärntner Slowenen protestiert hat, ist offenbar schwer belegbar. Tatsache ist jedenfalls, dass er in einer Zeit, als das NS-Regime und mit ihm Hitler-Deutschland auf dem Höhepunkt seiner militärischen Erfolge stand, die Zivilcourage hatte, gegen die rassistische Eindeutschungs- und Vertreibungspolitik der SS zu protestieren.
Er mag also, wie es Alfred Elste dieser Tage schrieb, „ein Promotor der NS-Bewegung“ gewesen sein. Ein gesamtdeutsch denkender Deutschnationaler konservativer Prägung war er allemal. Und wenn Elste ihn als „fanatisierten, völkischen Ideologen“ bezeichnet, ist dies die aus heutiger Sicht ins Negative gewandte Definition eines „idealistischen Volkstumskämpfer“. Nicht mehr und nicht weniger: Ein Kind seiner Zeit! Einer Zeit, in der Nationalismus die herrschende Zivilreligion war! Steinacher war aber auch einer, dem offenbar nach Ansicht seiner Zeitgenossen – und zwar auch jener aus den anderen politischen Parteien, die in der Zweiten Republik federführend waren – ein Entnazifizierungsverfahren erspart blieb. Und auch die Kärntner Sozialdemokratie, die ihm unter Hans Sima eine Ehrenpension zubilligte, tat dies in Kenntnis des Lebensweges dieses ebenso verdienten wie schillernden Kärntners.
Wenn man heute Hans Steinacher der „Damnatio memorie“ ausliefern würde, müsste man allerdings auch seine unbestreitbaren Verdienste im Kärntner Abwehrkampf und bei Organisation der Kärntner Volksabstimmung grundsätzlich in Frage stellen. Und dies würde den Sinn der gegenwärtig im Land ablaufenden Hundertjahrfeier insgesamt in Frage stellen: Was würde, was könnte Kärnten dann feiern?
Zweifellos hat dieses vermaledeite 20. Jahrhundert, beziehungsweise seine erste Hälfte, den Kärntner Hans Steinacher mit in seinen Strudel gezogen. Und der Freicorpskämpfer der frühen 20er-Jahre, der Volkstumspolitiker der 30er-Jahre und der hohe Wehrmachtsoffizier der Kriegsjahre, kann seine Hände wohl kaum in Unschuld waschen. Seine Verdienste um Kärnten aus den Tagen vor 100 Jahren bleiben aber bestehen! Hans Steinacher ist eben ein Kärntner Held in Licht und Schatten.


Die Regierung als Wehrdienstverweigerer

30. Juli 2020

Es scheint unausgesprochene Regierungslinie – abgemacht zwischen Türkis und Grün – zu sein, unser Bundesheer auf ein technisches Hilfswerk, allenfalls auf eine Katastrophenschutz-Truppe und eine Hilfspolizei zu reduzieren. Die militärische Landesverteidigung, wie sie uns von der Verfassung und aufgrund der immerwährenden Neutralität vorgeschrieben ist, und damit eine klassische Armee, ist für unsere gegenwärtig Regierenden offenbar verzichtbar. Die einigermaßen skurril auftretende Verteidigungsministerin, Frau Tanner, scheint für diese Pläne nur das ziemlich untaugliche Sprachrohr darzustellen. Bereits in den Tagen von Corona haben wir gesehen, wohin das Ganze führen soll: Da werden Grundwehrdiener als Hilfspolizisten an den Grenzen eingesetzt und Milizsoldaten spielen „Packelschupfer“ in Postverteilungs-Zentren. Brauchbare moderne Panzer gibt es ohnedies längst nicht mehr, und unsere letzten Düsenflugzeuge sollen nach Indonesien (!) verhökert werden. Kasernen werden geschlossen und der ohnedies überaltete Fuhrpark rostet vor sich hin, weil das Geld für den Sprit nicht mehr vorhanden ist. Junge Männer, die noch im geradezu naiv anmutenden Glauben sind, eine patriotische Pflicht erfüllen zu müssen, indem sie ihren Wehrdienst ableisten, verlieren dadurch nur sechs Monate ihrer Lebenszeit – und das offenbar schon völlig sinnlos –, wenn es nach unserer Bundesregierung geht. Bezeichnend und sogar erfreulich ist da, dass sich gegen diese Pläne unkonventionelle politische Allianzen bilden. Da tun sich die beiden vormaligen Verteidigungsminister Doskozil und Kunasek, der eine ein in der Wolle gefärbter Roter, der andere ein Spitzen-Blauer, zusammen, um gemeinsam mit dem ehemaligen Generalstabschef Entacher, der als SPÖ-nahe gilt, gegen die Demontage des Bundesheeres zu demonstrieren. Und sie stehen damit natürlich absolut auf dem Boden der Verfassung und des Neutralitätsgesetzes, während die Bundesregierung offenbar glaubt, diese missachten zu können.
Entacher sprach es in diversen Zeitungsinterviews pointiert aus: „Bubis und Bobos sind gegen das Bundesheer.“ Mit Bubis meint er offenbar die Buberlpartie des türkisen Bundeskanzlers Kurz und dessen Beratertruppe. Diese scheint ja tatsächlich den traditionell bundesheerfeindlichen grünen „Bobos“ entgegenzukommen.
Letztere haben ja bereits als junge Linke, als sie noch „revolutionäre Marxisten“, „Maoisten“ oder „Trotzkisten“ waren, skandiert: „Bundesheer ist ungeheuer, erstens Scheiße, zweitens teuer.“ Und diese Haltung scheint sich nunmehr in der Bundesregierung durchgesetzt zu haben.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer ist es, dass der Bundespräsident als Oberbefehlshaber des Heeres bei der vorschnellen Bekanntgabe dieser Pläne durch die Verteidigungsministerin ablehnend reagierte.
Dies vielleicht zwar nur deshalb, da diese Pläne nicht mit ihm abgesprochen waren. Nachdem das Staatsoberhaupt ja auch aus diesen grünen Reihen kommt, könnte man annehmen, dass er mit der grünen Ablehnung der Wehrpflicht und der militärischen Landesverteidigung insgeheim sympathisiert. Andererseits hat gerade der vormalige Verteidigungsminister Starlinger, bekanntlich der militärische Adjutant des Bundespräsidenten, in seiner kurzen Amtszeit während der Beamten-Regierung am klarsten die Mängel des gegenwärtigen Bundesheers und dessen Unterfinanzierung aufgezeigt und auch deutlich signalisiert, was es für eine vernünftige Landesverteidigung bräuchte.
In früheren Zeiten wurde immer wieder die wehrhafte Neutralität der benachbarten Schweiz als Vorbild für Österreich zitiert. Und obwohl die Schweiz, so wie Österreich auch, von friedliebenden und befreundeten EU-Nachbarstaaten umgeben ist, leistet man sich bis zum heutigen Tag eine effiziente und gut ausgerüstete Armee und nimmt die allgemeine Wehrpflicht ernst. In Österreich hingegen hat man die Armee seit ihrer Aufstellung in den späten 50er-Jahren niemals wirklich ausreichend finanziert. Man hat sie vielmehr mit zahllosen Scheinreformen zu Tode umstrukturiert.
Und man hat damit jene jungen Österreicher, die ihre patriotische Pflicht, nämlich den Wehrdienst, geleistet haben, missbraucht. Und in einem – gegenwärtig zwar nicht sehr wahrscheinlichen – militärischen Ernstfall würde man sie auch kaltlächelnd verheizen, da sie kaum ausgebildet und nicht zeitgemäß bewaffnet wären.
Neu ist nun aber doch, dass sich eine Bundesregierung nunmehr ganz offiziell zum Wehrdienstverweigerer macht.


Osmanische Wunschträume

17. Juli 2020

Was Favoriten, die Hagia Sophia und Libyen miteinander verbindet

Wenn testosterongesteuerte junge Austrotürken nächtens durch den alten Wiener Arbeiterbezirk Favoriten ziehen, um sich mit der Polizei und linksradikalen pro-kurdischen Demonstranten Straßenschlachten zu liefern, ist dies in erster Linie ein Beweis für gescheiterte Integration. Es ist darüber hinaus aber auch der Beweis dafür, dass es einen neuen türkischen Nationalismus gibt, der über die Grenzen des türkischen Staatswesens weit hinausgeht.
Kenner des kleinasiatischen Staatswesens sprechen gar davon, dass sich unter dem Präsidenten Recep Tayyip Erdogan so etwas wie „neo-osmanische“ Tendenzen in der türkischen Politik entwickelt hätten.
Zur Erinnerung: Das Osmanische Reich beherrschte von Istanbul aus in der Zeit seiner größten Ausdehnung Kleinasien, nahezu den gesamten Balkan, den gesamten Nahen Osten und Afrika nördlich der Sahara. Im Jahre 1453 hatten die Osmanen Konstantinopel, das alte Byzanz, die Hauptstadt des Oströmischen Reiches, erobert, und von Istanbul regierten sie dann bis zum Ende des Ersten Weltkriegs dieses islamische Weltreich. Als Bundesgenosse der Mittelmächte, des Deutschen Reichs und der Habsburger Monarchie büßte das Osmanische Reich die Niederlage mit seiner Zerschlagung. Im Pariser Vorortvertrag von Sèvres wurde es zerstückelt, Kemal Pascha, in der Folge „Atatürk“ genannt, führte einen erfolgreichen Befreiungskrieg und konnte im Jahre 1923 im Vertrag von Lausanne die Türkei in ihren bis heute existenten Staatsgrenzen sichern.
Die kemalistische Türkei verstand sich bewusst als laizistischer Staat mit Distanz zum Islam und versuchte sich zunehmend dem Westen, insbesondere Europa, zuzuwenden. Das Streben nach einem EU-Beitritt ist gewissermaßen bis zum heutigen Tag ein Erbe dieser kemalistischen Politik. Unter der islamisch- religiös orientierten Partei Erdogans, der AKP, aber änderte sich dies im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte grundlegend. Zwar schien es anfangs so, als wollte Erdogan die EU-Orientierung des Landes massiv vorantreiben und bis zum heutigen Tag tritt er auch für den Beitritt zur Europäischen Union ein.
Bald aber setzten massive Islamisierungstendenzen ein. Das westliche Erscheinungsbild der türkischen Oberschicht wich zunehmend dem Bild von Kopftuchträgerinnen, zahlreiche neue Moscheen wurden errichtet und Präsident Erdogan selbst bezog sich in seiner Politik zunehmen auf den sunnitischen Islam. Überdies entwickelt er in immer stärkerem Maße den Anspruch der Türkei, eine regionale Großmacht, gewissermaßen im Erbe des alten Osmanischen Reichs, sein zu wollen. Während Ankara zuvor ein überaus loyaler und wichtiger NATO-Partner und somit eine Stütze für das westliche Militärbündnis war, dominiert nun immer häufiger eine Politik, die sich auf den islamischen Bereich, insbesondere auch auf den arabischen Raum, konzentriert. Das Engagement der Türken im syrischen Bürgerkrieg ist der schlagende Beweis dafür. Während türkische Gastarbeiter in Deutschland, Österreich und auch in anderen Teil Europas seit den Sechziger-Jahren als überaus brauchbare und bescheidene Arbeitskräfte geschätzt waren, hat sich in den letzten Jahren auch dort eine Art von zunehmend islamisch orientierten Parallelgesellschaften entwickelt, welche die Tendenzen von Erdogans Türkei selbst nachvollziehen. Von Integration ist da kaum mehr die Rede, vielmehr davon, auch in Europa „stolze Türken“ bleiben zu wollen. Erdogan selbst schürt dies mit seinen Auftritten – etwa im deutschen Köln.
Und die auch hierzulande ohne Probleme zu empfangenden türkischen Medien verstärken diese Entwicklungen. Natürlich hat Erdogan nicht vor, so wie seinerzeit der Sultan den „goldenen Apfel“, also Wien, zur erobern, die türkische Diaspora aber in Mitteleuropa scheint für Erdogan ein Faktor massiver politischer Einflussnahme innerhalb der EU zu sein. Wenn die Türkei in jüngster Zeit nunmehr im libyschen Bürgerkrieg militärisch interveniert, ist dies ohne Zweifel auch Ausfluss dieser neoosmanischen Politik Erdogans.
Und da geht es keineswegs nur um wirtschaftliche Interessen oder um das libysche Erdöl.
Die Türkei will vielmehr in Libyen auch einen Luft- und einen Marinestützpunkt errichten. Dass die Türkei hier mit militärischen Interessen Russlands kollidiert, scheint für Erdogans Politik kein Problem zu sein, auch in Syrien hat er sich ja massiv gegen die russische Linie, welche bekanntlich das Assad-Regime unterstützt, gestellt. Und nun will Präsident Erdogan auch das wichtigste Symbol der kemalistischen Politik kippen, beziehungsweise für sich vereinnahmen: Die Hagia Sophia, dieses 1.500 Jahre alte sakrale Gebäude.
Errichtet unter dem oströmischen Kaiser Justinian und nahezu 1.000 Jahre bis zur Eroberung Konstantinopels durch die Türken im Jahre 1453 die größte Kirche der Christenheit, war sie in der Folge nahezu 500 Jahre die Hauptmoschee des Osmanischen Reiches. Und dann wurde sie im Jahre 1934 von Kemal Atatürk in ein Museum umgewandelt. Nunmehr will Erdogan wieder eine Moschee daraus machen. Sowohl der Turk-Chauvinismus, der sich in Wien-Favoriten gegen eine pro-kurdische Demonstration richtete, als auch das militärische Engagement in Syrien und Libyen und natürlich auch das Streben nach Wiedereroberung der Hagia Sophia für den Islam sind Belege für diese neo-osmanischen Tendenzen der Politik von Präsident Erdogan. Und als offenbar überzeugter, wenn nicht sogar fanatischer Vertreter islamischer Politik befördert er mehr oder weniger offen natürlich auch alle Tendenzen zur Verbreitung des Islams innerhalb Europas. Wenn die saudi-arabischen Wahhabiten am Balkan, insbesondere in Bosnien und in Kosovo, tausende neue Moscheen errichten ließen und für den finanziellen Rückhalt sorgten, ist es die neo-osmanische Politik Erdogans, die hier an der Südostflanke der europäischen Union auf Territorien, die ja über Jahrhunderte türkisch waren, Einfluss gewinnt.
Und wenn die Deutsch-Türken oder Austro-Türken zunehmen Dominanz auf der Straße gewinnen, stärken sie somit den Einfluss der Türkei innerhalb der EU. Dies mag auch der Grund sein, warum Erdogan offiziell das Ansinnen, der Europäischen Union beitreten zu wollen, noch nicht ad acta gelegt hat. Einerseits sind es die vielen Milliarden Euro an „Heranführungshilfe“, andererseits die Möglichkeit, auch innerhalb der Europäischen Union ein dominanter Faktor zu werden. Aber unabhängig davon trachtet Ankara offensichtlich danach, in der islamischen Welt, insbesondere auch in Richtung der arabischen Staaten, zur führenden Regionalmacht zu werden. Und das ohne Rücksicht darauf, dass es dort mit geopolitischen Interessen Russlands, aber auch den starken arabischen Mächten Saudi-Arabien und Ägypten auf Kollisionskurs liegen muss.
Und eine weitere Dimension dieser großtürkischen Politik besteht darin, dass sich Ankara natürlich als Führungsmacht für alle anderen Turkstaaten versteht, sind dies Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan und Turkmenistan. Konkrete Versuche der Türkei, eine Allianz diese Turkstaaten zu bilden, scheiterten bisher ebenfalls an den kollidierenden Interessen Russlands, das diese Staaten – samt und sonders ehemalige Sowjetrepubliken – auch als ihr Einflussgebiet betrachtet. Die Türkei hat also in ihren neo-osmanischen Bestrebungen drei Optionen: Die europäische Option, gestützt von der türkischen Diaspora in Mitteleuropa und ihrem Streben nach einem EU-Beitritt. Dann die islamische Option, die sich in erster Linie auf die arabische Welt, aber auch auf Nordafrika richtet. Und die Option einer Zusammenarbeit mit eben diesen Turkstaaten. Aufgrund dieser historischen und geopolitischen Fakten haben die türkisch-kurdischen Unruhen von Wien Favoriten mehr als nur eine lokale Dimension, sind sie mehr als nur Anzeichen für die misslungene Integration der Zuwanderungstürken. Sie sind ein Teil der neo-osmanischen Strategie der Erdogan-Türkei.


Österreich wächst – durch Migration

17. Juli 2020

Wir gehen auf die neun Millionen zu. Das Land hat seit dem vorigen Jahr um nahezu 50.000 Bewohner mehr. Warum? Ist auf einmal der Babyboom ausgebrochen? Nein, dieser Bevölkerungszuwachs ist größtenteils auf Zuwanderung, auf Migration zurückzuführen. Nun heißt es zwar, dass die Bundesdeutschen mit nahezu 200.000 Menschen den größten Ausländeranteil im Lande stellen würden, wir alle wissen aber, dass diese vom sozialen und kulturellen her kein Problem sind. Die gleiche Sprache und die gleiche Kultur bedingen eben absolut problemlose Integration. Die „Piefkes“, wie der österreichische Volksmund sagt, sind allenfalls ein bisschen besserwisserisch, „obergscheit“, aber ansonsten zweifellos ein positiver Faktor in unserer Gesellschaft und insbesondre im Wirtschaftsleben. Anders sieht es da mit anderen Zuwanderergruppen aus, die nicht nur unser Sozialsystem durch hohe Integrationskosten und überproportionale Arbeitslosigkeit belasten, sondern auch Konfl ikte aus ihren Heimatregionen nach Österreich importieren.
Die jüngsten Beispiele sind wohl der Tschetschenen-Mord und die türkisch-kurdischen Zusammenstöße in Wien-Favoriten.
Ganz abgesehen davon, ob es sich wirklich um einen politischen Auftragsmord handelte oder „nur“ um einen Mord im Zuge einer Blutrache oder eines ähnlichen Konfl ikts, ist natürlich völlig klar, dass der Mord an dem tschetschenischen Regimekritiker durch zwei Landsleute eine eindeutige Folge der Zuwanderung der letzten Jahre und Jahrzehnte darstellt. Wenn es beispielsweise in Kärnten mutmaßlich mehr Tschetschenen gibt als Angehörige der seit 1.500 Jahren im Land lebenden autochthonen slowenischen Volksgruppe, sagt dies einiges.
Und warum die Kriminalstatistik tschetschenischen Jugendlichen zum Teil erhöhte Gewaltbereitschaft attestiert, mag an der bürgerkriegsbedingten Traumatisierung aus dem Herkunftsland oder auch am Fehlen wirklicher Perspektiven im Gastland Österreich liegen. Diese erhöhte Gewaltbereitschaft bleibt jedenfalls eine Tatsache und sie gipfelte jüngst eben wieder in einem politischen oder auch privat motiviertenMord.
Auch der Konfl ikt zwischen türkischen Nationalisten und Kurden hat vielfältige historische, kulturelle und soziale Wurzeln. Und dass die Kurden diskriminiert sind, steht außer Zweifel.
Dies berechtigt allerdings in keiner Weise dazu, diesen Konflikt auf österreichischem Boden, konkret im alten Wiener Arbeiterviertel Favoriten, auszutragen. Der nächste Schritt wäre dann wohl, dass die syrischen Bürgerkriegsparteien ihre militärischen Fäden auf österreichischem Boden weiterführen oder dass kosovarische Familienclans Blutrache-Konfl ikte hierzulande austragen und schwarzafrikanische Stammesfehden ihre Fortsetzung in heimischen Asylantenheimen finden.
Diese bitteren Früchte der globalisierten Wanderungsbewegungen, deren Ziel allzu häufig Europa und somit auch Österreich ist, stellen zweifelsohne ein wachsendes Konfl iktpotenzial dar. Natürlich resultieren sie nur aus extremistischen Randbereichen der neo-österreichischen Wohnbevölkerung mit Migrationshintergrund und ein Pauschalurteil gegen alle Migranten samt und sonders verbietet sich. Dennoch sind diese Ereignisse ein Grund, weshalb wir uns über den aktuellen Bevölkerungszuwachs durch Zuwanderung in nur sehr beschränktem Maße freuen können.
Neben der stärksten Gruppe ausländischer Staatsbürger, den Bundesdeutschen nämlich mit nahezu 200.000 Menschen, sind die Rumänen mit 123.000 in Österreich lebenden Menschen die zweitstärkste Gruppe. Nach ihnen kommen 122.000 Serben und etwa 117.00 Türken. Mitgezählt sind da natürlich nicht jene Personen rumänischer, serbischer oder türkischer Herkunft, die bereits die österreichische Staatbürgerschaft haben.
Der sogenannte Migrationshintergrund wird nämlich von der Statistik Austria nicht wirklich ausgewiesen. Die Geburtenbilanz war in Österreich im Jahre 2019 zwar positiv, das heißt, es gab um nahezu 2.000 Geburten mehr als Sterbefälle, insgesamt ist aber die Zahl der Geburten mit rund 84.000 weiter zurückgegangen. Aber auch bei den Geburten dürfte die Anzahl der Neugeborenen aus Familien mit Migrationshintergrund überproportional hoch sein. Wenn gegenwärtig 52 Prozent der Kinder in Wiener Volksschulen eine nichtdeutsche Muttersprache haben, so dürfte sich diese Entwicklung durch die aktuelle Geburtensituation noch verstärken.
Es ist eine Tatsache, dass die Geburtenrate bei Frauen mit Migrationshintergrund gut um die Hälfte höher ist als jene von autochthonen Österreicherinnen. Österreich wächst also weiter – durch Zuwanderer und Menschen mit Migrationshintergrund. Die Anzahl der autochthonen Österreichern geht hingegen zurück.


Ethno-Kriege und Ethno-Parteien

2. Juli 2020

Welche Konflikte haben wir uns schon importiert?

Das sei doch völlig harmlos gewesen, heißt es vor einigen Tagen aus dem Kreise der politisch korrekten Gutmenschen-Szene, was da in Stuttgart nächtens über die Bühne gegangen ist: Eine kleine Prügelei mit Polizisten, ein paar eingeschlagene Fensterscheiben, das war’s ja. Und im französischem Dijon, wo Tschetschenen mit Franzosen massive Konflikte hatten? Nicht der Rede wert! Mein Gott – und in Wien Favoriten haben halt brave Antifaschisten Solidarität mit den unterdrückten Kurden gezeigt. Und dagegen haben ein paar unverbesserliche Erdogan-Fans ihrerseits protestiert. Alles nicht so schlimm.

Dass der Gewaltausbruch in Stuttgart 24 Verhaftete zeitigte, wovon zwölf Asylanten waren und von den anderen zwölf auch nahezu die Hälfte Migrationshintergrund haben, dass also die dortigen „Jugendproteste“ veritable Migrantenkrawalle waren, wird fromm verschwiegen. Dass in Dijon die Tschetschenen nicht mit irgendwelchen Franzosen, sondern mit denen mit Migrationshintergrund, weitestgehend aus Nordafrika, um die Vorherrschaft auf der Straße kämpfen und das mit brutalsten Mitteln, wird auch klein geredet. Dort handelt es sich um einen veritablen Ethno-Krieg, in welchem die autochthonen Franzosen gar nicht vorkommen.

Und auch in Wien-Favoriten zeigt sich, dass die Massenzuwanderung die ethnischen Konflikte anderer Weltteile auch nach Österreich importiert hat: in diesem Fall eben Türken gegen Kurden. Graue Wölfe gegen PKK-Anhänger. Und das Ganze entspricht natürlich den in den USA, aber auch in anderen Teilen der Welt aufgeflammten Antirassismus-Krawallen, die trotz ihres wichtigen und durchaus verständlichen Grundanliegens nahezu überall in Gewaltexzesse ausgeartet sind. Dass die Menschen dort gegen Polizeigewalt auf die Straße gegangen sind, mag verständlich sein, dass dies dann in Straßenschlachten, Zerstörungen und Plünderungen endete, allerdings nicht mehr. Und dass gegen überbordende Polizeigewalt in den USA und gegen den dort sicher noch vorhandenen Rassismus gegenüber den „Schwarzen“ (darf man das noch sagen?) auch in europäischen Ländern, in denen es längst nicht diese Polizeigewalt gibt und keine Diskriminierung von „Schwarzen“ demonstriert wird, ist ebenfalls völlig unverständlich. Hierzulande sehen wir – und das Beispiel Favoriten zeigt es – dass jene politischen Kräfte, die unermüdlich Willkommenskultur predigen und der Zuwanderung das Wort reden, die sich unglaublich multikulturell, weltoffen und tolerant fühlen, plötzlich feststellen müssen, dass Teile der von ihnen willkommen Geheißenen durchaus auch mit Gewalt gegen sie selbst vorgehen. Türkische Nationalisten, die das Lebensrecht des kurdischen Volkes und dessen nationale Selbstbestimmung negieren und bis aufs Messer bekämpfen, gibt es massenweise eben auch längst in Österreich.

Sie dürften sich so ziemlich auch mit den Erdogan-Anhängern decken, die bei entsprechenden Veranstaltungen in Deutschland und Österreich immerhin schon Stadien füllen konnten. Wenn nun heimische Berufs-Antifaschisten, die sich beispielsweise im Wiener Kirchwegerhaus regelmäßig treffen und die in ihrer Mehrheit den Grünen, immerhin einer Regierungspartei, nahestehen dürften beziehungsweise auch von diesen unterstützt werden, für die Rechte der Kurden und gegen Rassismus demonstrieren, ist dies vielleicht lobenswert. Wenn sich auch viele Österreicher fragen: „Wo ist bei uns der Rassismus und was gehen uns die Kurden an?“ Dass diese braven und biederen Antifaschisten, die ihre Vermummung nahtlos in die Maskenpfl icht der Coronazeit übergehen ließen, nunmehr aber von jenen Menschen verprügelt werden und sich im Kirchwegerhaus gegen sie verschanzen müssen, die sie so heiß und herzlich willkommen geheißen haben, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Und da gibt es auch eine innenpolitische Komponente, weil die Erdogan-Sympathisanten eher der Wiener SPÖ nahe stehen und in diese Richtung ihre Netzwerke pfl egen.

Angesichts dieser Verhältnisse stellt sich allerdings die Frage, wann es auch bei uns in Österreich zur „Ethnisierung“ der Parteipolitik kommt. Das heißt also, wann Migranten-Parteien die politische Bühne betreten und nicht nur wie jetzt auf der Straße, sondern auch im Parlament, um die Dominanz kämpfen. So wie es der französische Schriftsteller Michel Houellebecq in seinem Roman „Submission“ („Unterwerfung“) schilderte, wonach es in Frankreich in absehbarer Zeit die Wahl zwischen einer starken rechtspopulistischen Gruppe und einer islamisch dominierten Migrantenpartei geben werde, wobei sich die Linke des Landes auf Seiten der Migrantenpartei schlagen und somit deren Machtübernahme ermöglichen würde. Nun gibt es ja bereits eine Migrationspartei in unserem Lande, die vorläufi g aber politisch bedeutungslos ist. Ebenso die eine oder andere türkische Regional-Wahlliste, wie in Vorarlberg. Die Tatsache, dass Wiens Volksschüler heute zu 52 Prozent nicht deutscher Muttersprache sind, weist darauf hin, dass wir vielleicht in einigen Jahrzehnten sehr wohl gewichtigere ethnische Parteien im Lande haben könnten. Vielleicht ringt dann im Nationalrat eine türkische Partei mit einer kurdischen um die Vorherrschaft und eine syrische bildet die Spitze der Opposition. Gottlob im Augenblick unrealistisch für Österreich.

Zu denken sollte es uns aber schon geben, wohin uns die schrankenlose Willkommenspolitik gebracht haben. Die Antirassismus-Demonstrationen mit ihren Ausschreitungen im Anschluss in den USA sind eine Sache, die zweifellos dadurch motivierten Demonstrationen in europäischen, auch deutschen und österreichischen Städten samt den darauf folgenden Migranten-Krawallen sind eine andere Sache. Die USA bezahlen einen hohen Preis für ihre historische Todsünde, für die Sklaverei. Wir in Europa hingegen – völlig ungerechtfertigterweise – für die Aufnahme von angeblich Schutzsuchenden, von Asyl bedürftigen. Wahrlich ein politisch-historisches Paradoxon. Und vielleicht auch ein Gradmesser für das Maß an Dekadenz der europäischen Völker, die sich das gefallen lassen.


Jupiter und der Ochse

2. Juli 2020

Wir, die humanistisch gebildeten Zeitgenossen, kennen den alten lateinischen Sinnspruch natürlich: „Quod licet Iovi, non licet bovi“ – was Jupiter ziemt, ziemt nicht dem Ochsen. Und so ist es auch in der heimischen Innenpolitik. Wenn etwa der kleine steierische Landtagsabgeordnete Hirschmann in Tagen der CoronaIsolation, wo es nur angeblich nur vier Gründe gab, das Haus zu verlassen, sich mit einer Handvoll Freunde in einem Vereinslokal trifft, um sich dort zu besprechen, und womöglich noch ein Achterl Wein zu leeren, ist der Sturm der Entrüstung in den Mainstream-Medien gewaltig. Von Corona-Party war da die Rede und sofort trat besagter Herr Hirschmann von seinem Mandat zurück, als Ochse wohlgemerkt, weil er ein Abgeordneter der steirischen Blauen war.
Wenn hingegen das Staatsober-haupt höchstderoselbst wenige Wochen später die von Amts wegen verordnete Corona-Sperrstunde um satte eineinhalb Stunden von 23 Uhr auf nahezu halbein Uhr nachts überzieht, so wird das verständnisvoll hingenommen.
Dabei sei auf den kleinen Unterschied hingewiesen, dass die Ausgangsbeschränkungen nie-mals gesetzeskonform waren, die Sperrstunde, die der Bundespräsident überschritt, hingegen sehr wohl. Aber so ist es eben, was dem grünen Jupiter ziemt, ziemt dem blauen Ochsen noch lange nicht.
Ähnlich verhält es sich mit dem politischen Stil im Hohen Haus. Wir entsinnen uns der Empörung über den steierischen FPÖ-Abgeordneten Wolfgang Zanger, der da vor Jahr und Tag geäußert hatte, dass rote Gewerkschafter richtige „Beidln“ seien. Der Tenor in den Medien war unisono jener, dass für einen solchen Rüpel kein Platz im Parlament sei.
Wenn nunmehr allerdings eine überaus bürgerliche Neos-Dame namens Stephanie Kris-per irrtümliche ins noch offene Untersuchungsausschuss-Mikro mault: „Die geht mir sowas von am Oasch“, ist die Missbilligung weit verhaltener und so müssen wir feststellen, was der Göttergattin Juno ziemt, ziemt nicht dem obersteirischen Ochsen.
Und wenn ein hochrangiger Tiroler Schwarzer eine Umweltaktivistin ein „widerwärtiges Luder“ nennt, wird das allenfalls als älplerische Folklore abgetan, er gehört ja zur Kanzlerpartei und das sind Forderungen nach Konsequenz oder nach Rücktritt unbotmäßig.
Aber wenn der bereits zitierte blaue Nationalratsabgeordnete Wolfgang Zanger – offenbar ein besonderer steirischer Feingeist – zur nunmehrigen Justizministerin Zadic so nebenbei während der Nationalratsdebatte sagte, „Bei uns bist du sicher, Alma“, sprang die mediale Empörungsmaschine-rie flugs und gnadenlos an. Auch hier wieder „Iovi und Bovi“, die Empörung ist also einigermaßen ungleichmäßig verteilt, wenn es um unfeine Aussagen und Meinungsäußerung im Lande Österreich geht. Vielleicht aber ist es schlicht und einfach der wirkliche Stil der politischen Elite, der sich hier äußert. Wir entsinnen uns mit großer Heiterkeit, dass der einstige Nationalratspräsident Anton Benya, allmächtiger Gewerkschafter und SPÖ-Grande, ins ebenfalls noch nicht ausgeschaltene Präsidiums-Mikrofon im Parla-ment grunzte: „Holtats die Gosch da unten“, und wir nehmen in unseren Tagen mit ebenso großer Heiterkeit zur Kenntnis, dass „ein Stadion mit leeren Plätzen“ sei, „wie eine schiache Oide w*****“. Philosophisch könnte man meinen, die Schöpfer und Verursacher all dieser Aussagen könnten vielleicht reich werden, vornehm aber sich nicht mehr.
Soweit, so erheiternd. Schön wäre es nur, wenn man seitens der politischen Moralapostel und Gralshüter der Political Correctness in Politik und Medien weniger Heuchelei an den Tag legen würde und nicht derart grotesk mit zweierlei Maß messen würde. Abstoßend für den politischen Beobachter ist nämlich nicht der eine oder andere ordinäre Sager, abstoßend ist die Verlogenheit, mit der dies aufgenommen wird.


Denkmalsturm – Sinn und Unsinn

2. Juli 2020

Black Lives Matter, Pharao Echnaton und Karl Lueger

Die indessen weltweit geradezu zur Pflichtübung gewordenen Antirassismus-Demonstrationen infolge der „Black Lives Matter“-Bewegung haben auch hierzulande eine Diskussion über Sinn und Unsinn, Berechtigung und Ablehnung diverser Denkmäler geführt. Natürlich gab es Bilderstürmer und Denkmalschänder mit mehr oder weniger guten Gründen schon immer. Bereits im alten Ägypten hat man jene Hieroglyphen, die an missliebige Pharaonen erinnerten, aus den Stelen und Obelisken herausgemeißelt.

Pharao Echnaton etwa, der kurzfristig den Sonnenkult einführte, wurde von den Priestern des Ammon und Re posthum aus den Pharaonenlisten getilgt. Und das junge Christentum hat, nachdem es in der späten römischen Kaiserzeit zur Staatsreligion wurde, die Erinnerung an heidnische Götter und an die Cäsaren der Christenverfolgung genauso gnadenlos getilgt. Die Damnatio memoriae, die Verdammung des Andenkens, ist also ein – beinahe könnte man sagen – altehrwürdiger Brauch in der Menschheitsgeschichte. Und auch in jüngerer Zeit ist es so, dass Denkmäler gestützt werden, wenn ein Regime durch Umsturz, Revolution oder ähnliches beendet wird. Nicht auszudenken, wenn die diversen Hitlerund Mussolini-Denkmäler nicht gestürzt worden wären. Und Denkmalsturz betrifft natürlich auch Ortsnamen und die Bezeichnung von Straßen und Plätzen. Auch wir haben ja in Österreich seit vielen Jahren die Debatte über topographische Bezeichnungen. Alle Adolf-Hitler-Plätze wurden natürlich schon im Frühjahr 1945 umbenannt. Alle anfälligen Namensgebungen, die sich auf einstige Nationalsozialisten bezogen, wurden auch schon recht bald umbenannt. Antisemiten, die eher der roten oder schwarzen Reichshälfte zugehörten, folgten. Karl Lueger, der Begründer der christlich-sozialen Bewegung, der aber zweifellos auch ein Antisemit war, folgte. Sein Denkmal, das nach wie vor steht, ist heftig umstritten.

Und nun sind es eben die Denkmäler von wirklichen oder auch nur mutmaßlichen Rassisten, die gestürzt werden sollen. Dass da die Statuen von einstigen britischen oder amerikanischen Sklavenhändlern vom Sockel gestoßen werden, mag verständlich sein. Dass aber Winston Churchill der gleichen Verdammnis anheimfallen soll wie der belgische König Leopold II., der den Kongo ausgebeutet hat, ist dann doch einigermaßen seltsam. Und dass man den Entdecker Amerikas Christoph Kolumbus nunmehr schlicht zum Urheber des Völkermords an der indigenen Bevölkerung erklärt, ist auch grotesk. Wenn alle Sklavenhalter früherer Zeiten dieser Damnatio memoriae anheimfallen sollten, müssten die größten Philosophen der Antike, Platon und Aristoteles, genauso verdammt werden wie die Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika, George Washington und Thomas Jefferson.
Sie alle hatten Sklaven und ließen sich von ihnen bedienen. Und wenn man schließlich alle großen Geister der Vergangenheit, die antisemitische oder judenfeindliche Vorteile pflegten, ihrer Denkmäler berauben wollte, müsste man William Shakespeare bis Martin Luther, Karl Marx bis Richard Wagner aus der Erinnerung im öffentlichen Raume tilgen.
Dass jede Zeit, jede Epoche, jede Generation sich ihr eigenes Geschichtsbild erarbeiten muss und dabei natürlich aufgefordert ist, Ressentiments und Vorurteile abzubauen, ist klar. Und so mag es berechtigt sein, etwa bei den genannten großen Geistern der Menschheitsgeschichte, denen man derlei Vorurteile nachsagt, zeitgemäße Erklärungen bei ihren Denkmälern hinzuzufügen. Sie aber insgesamt vom Sockel zu stürzen und damit gewissermaßen aus der Geschichte oder der Geistesgeschichte zu tilgen, wäre geradezu bizarr.

Merkwürdig ist auch, dass dieser ganze Denkmalsturm relativ einseitig ist. Die Gedenktafel, die etwa für den Sowjetdiktator Josef Stalin in Wien-Meidling an der Mauer eines Hauses prangt, in dem er im Jahre 1913 – lang vor der Russischen Revolution – sein Werk über die „Nationalitätenfrage und den Sozialismus“ geschrieben hat, wird von niemandem beanstandet.

Und in dem angeblich ach so nationalistischen Kroatien unserer Tage gibt es, wie man in der altösterreichischen Hafenstadt Pula schön sehen kann, erneuerte Denkmäler des kommunistischen Diktators Tito, der immerhin für die Ermordung zehntausender Kroaten durch Partisanen nach Kriegsende verantwortlich zeichnet. Und irgendwelche Jung-Linke wollten dem Vernehmen nach in der Bundesrepublik Deutschland gerade wieder eine monumentale Lenin-Statue errichten. Beide, Lenin und Stalin, sind immerhin verantwortlich für Millionen von Toten in der Sowjetdiktatur. All das ist für politisch korrekte Post-Achtundsechziger kein Problem. Jedes Kriegerdenkmal auf einem heimischen Dorffriedhof aber, das an die Gefallenen der beiden Weltkriege erinnert, wird mit antifaschistischer Empörung abgelehnt.

Und gewiss wird es nicht lange dauern, bis die beiden großen Denkmäler auf dem Heldenplatz in Wien in Frage gestellt werden. Prinz Eugen hat immerhin die Türken über Jahrzehnte bekämpft und vom Balkan verdrängt. Ein solcher Feldherr kann ja schwerlich als Vorbild für die heutige Integration türkischer und anderer muslimischer Zuwanderer herhalten. Und das Reiterstandbild des Erzherzogs Karl am Heldenplatz müsste aus dieser Sicht ohnedies längst überfällig sein. Dort steht doch glatt am Sockel, er sei ein „Kämpfer für Deutschlands Ehre“ gewesen. Dass da die Grünen in der Wiener Stadtregierung noch nicht tätig wurden, ist ein Wunder, denn für sie muss es ja fast so schlimm sein wie ein Hitler-Denkmal. Aber Ironie beiseite. Das Anprangern von Diskriminierung, Rassismus oder gar Antisemitismus ist nicht nur legitim, es ist überaus wichtig. Deswegen aber die Geschichte umschreiben zu wollen und mit den (pseudo-)moralischen Standards unsere Tage das Leben, Wirken und Denken von Menschen früherer Epochen zu verdammen, ist nicht viel mehr als Heuchelei.