Zwischen Empathie und Hedonismus

Zur großen Frage, ob der Mensch gut ist oder schlecht

Der Mensch ist ein Säugetier, dessen evolutionäre Entwicklung ihn mit Bewusstsein, Humor und dem Streben nach Erkenntnis ausgestattet hat. Alleine diese drei Faktoren sind es wahrscheinlich, die ihn aus der Tierwelt hervorheben. Tiere sind Tiere, weder gut noch böse, sondern einfach ihrer Natur entsprechend. In der Tierwelt gilt das Gesetz des Stärkeren, fressen und gefressen werden. Es geht immer um das Überleben jener Spezies, die sich den Bedingungen ihrer Umwelt am besten anzupassen vermag.
In seinen Ursprüngen lebte die Spezies Mensch wohl auch weitgehend unter diesen Bedingungen, im Bereich dieser Gesetzlichkeit. Es ging nur um Selbsterhaltung und um Arterhaltung. Der Überlebenskampf der frühen Hominiden dürfte mörderisch gewesen sein und nur die Stärksten und Intelligentesten unter ihnen werden so lange gelebt haben, dass sie sich vermehren konnten. Sie existierten also unter einem brutalen Gesetz der Auslese, dem Gesetz der Evolution eben.
Nun ist der Homo Sapiens seit zehntausenden von Jahren wohl im selben evolutionären Zustand, zumindest in biologischer Hinsicht. Nachdem es aber auch so etwas wie eine kulturelle Evolution gibt, hat in manchen Bereichen des menschlichen Lebens doch auch eine Art von Emanzipation weg von den brutalen Gesetzen des Überlebenskampfes stattgefunden, also so etwas wie eine Veredelung des Menschen.
Ein Quantensprung in dieser Hinsicht war zweifellos das Christentum. Von den Naturreligionen in vorgeschichtlicher Zeit, über den Viel-Götter-Glauben der antiken Kulturen hin zur christlichen Nächstenliebe war es ein weiter Weg. Aufbereitet wurde dieser vielleicht durch die griechische Philosophie und wohl auch durch die Gesetzlichkeiten des Römischen Rechts. Das Christentum, ursprünglich wohl eine orientalisch-jüdische Unterschicht-Sekte, ermöglichte dann durch seine Erhebung zur Staatsreligion im Imperium Romanum eine Entwicklung hin zur Gleichheit der Menschen. Als Christen waren eben Sklaven und Patrizier gleichwertige Menschen. Veredelt wurde dieses christliche Menschenbild dann in der Folge durch seine Verschmelzung mit dem germanischen Freiheitsstreben. Aber erst die Reformation und der Humanismus und später die Aufklärung ermöglichten nach dem Ende des Feudalismus und Erscheinungen wie der Leibeigenschaft die wahre Freiheit des Christenmenschen.
Christliche Nächstenliebe, gepaart mit Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, waren also die Basis, um die universellen Menschenrechte durchzusetzen. So sehr diese in unseren Tagen immer wieder ideologisch missbraucht werden, so unzweifelhaft ist ihr Wert im Bestreben, das Prinzip von Gewalt und Willkür zu überwinden.
Ohne jetzt die Demokratie westlicher Prägung und den freiheitlichen Rechtsstaat, wie wir ihn in Europa kennen, zur globalen Maxime für alle Völker und Kulturen erheben zu wollen, stellen diese Prinzipien wahrscheinlich doch die einzige Gewähr für individuelle Freiheit und ein gerechtes Gesellschaftssystem dar.
Obwohl es also eine kulturelle Evolution der Menschen hin zu mehr Humanität und größerer sozialer Gerechtigkeit gibt, bleibt der Mensch aber in seiner Veranlagung und von der Natur vorgegebenen Grundstruktur seines Charakters gleich wie sein Ahne in der Jungsteinzeit. Triebbefriedigung, Egoismus und das Bedürfnis, sich im Überlebenskampf schrankenlos durchzusetzen, ist ihm offenbar von Natur aus mitgegeben. So gesehen könnte man sagen, dass der Mensch von seiner natürlichen Veranlagung her böse ist. Egoistisch, gewaltbereit und rücksichtslos.
Dem gegenüber stehen allerdings Faktoren, die auch seit den frühesten Tagen der Menschheitsgeschichte und durch seinen Status als höheres Säugetier gegeben waren: Der Mensch hatte im Sinne des Triebs zur Arterhaltung von Anbeginn seiner Existenz für seine Nachkommenschaft, für seine Kinder zu sorgen. Er hatte für sie einzutreten, Nahrung zu suchen, sie zu verteidigen und allenfalls für ihr Überleben sein eigenes Leben preiszugeben. Und er musste im ganz normalen alltäglichen Leben mit dieser seiner Nachkommenschaft teilen. Die Nahrung teilen, die Kleidung, und ganz allgemein den Lebensraum. Und diese Notwendigkeit zum Teilen musste auch die Nachkommenschaft unter sich, also die Kinder, beziehungsweise eben Geschwister lernen und üben.
Und dies ist im Grunde bis zum heutigen Tage, auch in unseren komplexen und vielschichtigen Gesellschaftssystemen so geblieben: Empathie erlernt man zuallererst in der Familie. Daraus ergibt sich allerdings auch logischerweise, dass mit dem Zusammenbruch der Familie oder deren Schrumpfen auf Kleinstgruppen das Erlernen von Empathie schwieriger, wenn nicht gar unmöglich wird. Die Reduzierung des Menschen auf ein allein lebendes Einzelindividuum, also das Phänomen des sogenannten „Single“, fördert natürlich die Entwicklung eines empathielosen und hedonistischen Menschentyps.
Der Hedonismus ist letztlich das Grundprinzip einer zutiefst dekadenten Gesellschaft, einer Gesellschaft, der jede religiöse Bindung abhandengekommen ist, die nur im Hier und Heute lebt und dem totalen Materialismus frönt. Schrankenlose Triebbefriedigung geht hier mit egomanischer Selbstverwirklichung Hand in Hand, wobei nur sehr oberflächliche zivilisatorische Schranken es verhindern, dass hier wieder die atavistischen Gesetze von Gewalt und von der Überlegenheit des Stärkeren zum Tragen kommen. Dieser Hedonismus ist also letztlich ein absoluter Rückschritt in jenen Zustand, wie er in der Frühzeit der Menschheitsgeschichte vor der skizzierten kulturellen Evolution bestanden hat. Das Ergebnis einer solchen hedonistischen Gesellschaft muss letztlich ein nahezu anarchischer Zustand sein, ein Zustand, in dem keineswegs selbstbestimmte, freie Individuen in friedlicher Gemeinschaft leben, sondern vielmehr wieder das Gesetz des Stärkeren gilt.

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