In Brüssel hat man sich vermutlich in den letzten Tagen verwundert die Augen gerieben angesichts der Meldungen und Stellungnahmen, die da aus Wien zu den aktuellen Fragen der Europäischen Union gekommen sind. Da hat man sich doch tatsächlich gegen den Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens ausgesprochen und ein Veto eingelegt. Und dann hat Österreichs Regierungschef Karl Nehammer beim jüngsten EU-Gipfel tatsächlich auch noch ein Tabu gebrochen und sich für den Bau von Befestigungsanlagen an den EU Außengrenzen ausgesprochen.
Nehammers Argument, dass die europäische Asylpolitik absolut gescheitert ist und dass Österreich mit etwa 100.000 Asylansuchen im laufenden Jahr und noch einmal so vielen Ukraine-Flüchtlingen die Grenze des Erträglichen längst überschritten hat, ist zweifellos stichhaltig. Richtig war allerdings auch der Einwand seiner Kritiker, die darauf hinweisen, dass die Balkanroute, die in diesem Jahr bei Migranten ja wieder so beliebt war, kaum über Bulgarien und Rumänien, sondern vielmehr über den Westbalkan und Serbien verläuft, sodass der Schengen-Beitritt der beiden Länder also mit der Massenmigration kaum zu tun habe.
Dass aber der ÖVP-Bundeskanzler, der ja mit den Grünen in einer Regierungskoalition steht, auch noch die Errichtung von Grenzmauern und Grenzzäunen an den EU-Außengrenzen in den Raum stellte, sorgte denn doch für massive Verwunderung. Immerhin könnte dieser österreichische Vorstoß dazu führen, dass Brüssel nunmehr Geld für derlei Projekte zur Verfügung stellt, was es bislang strikt verweigert hatte.
Insgesamt aber waren sich politische Beobachter und Medien-Berichterstatter schnell darüber einig, dass die österreichische Haltung in erster Linie innenpolitisch motiviert war. Die im Dauer-Umfragetief befindliche ÖVP glaubt offenbar, wieder auf das Erfolgsrezept des Jahres 2017 zurückgreifen zu müssen. Damals hatte der ÖVP-Chef Sebastian Kurz bekanntlich mit dem Kopieren freiheitlicher Inhalte zur Zuwanderungsfrage den Wahlsieg erlangt. Heute scheint es so – glaubt man den Umfragen – dass die Freiheitlichen wegen der Asyl- und Migrationsproblematik wieder massiv im Aufwind sind, während die ÖVP bei kaum mehr 20 Prozent steht und ihr grüner Regierungspartner kaum 10 Prozent zu verbuchen hat. Und um diesem Trend entgegenzuwirken, versucht die Volkspartei entsprechende Signale auszusenden.
Was aber die Brüsseler Zentrale der Europäischen Union betrifft, so mögen sich die dort angesiedelten Eurokraten gefragt haben, ob die „Ösis“ größenwahnsinnig geworden wären und ob man in Wien tatsächlich glaube, auf der europäischen Ebene so großes Gewicht zu haben, um in diesen Fragen die politische Linie bestimmen zu können. Und tatsächlich wird man bei einem EU-Sondergipfel. der wohl bald nach Jahresbeginn stattfinden wird, zweifellos das Einknicken der Österreicher in der Frage des Schengen-Beitritts von Rumänien und Bulgarien sehen können. Und ob Brüssel wegen der Wiener Proteste tatsächlich zu einer stringenten Asyl- und Zuwanderungspolitik findet, darf auch bezweifelt werden.
Und solche Zweifel darf man im Hinblick auf die Auswirkungen auf die österreichische Innenpolitik haben. Ob die gelernten Österreicher tatsächlich ein zweites Mal auf die Show-Politik der ÖVP in Sachen Zuwanderung hereinfallen, ist sicherlich zweifelhaft.