Arbeit adelt!

Über Arbeitsethos, Müßiggang und den Sinn des Lebens

Es war vor langen Jahren, noch in den Tagen des untergegangenen Tito-Jugoslawien, als der Autor dieser Zeilen in der untersteirischen, heute slowenischen Stadt Pettau/Ptui auf einem alten deutschen Bürgerhaus eine verwitterte Vignette mit einer Aufschrift entdeckte. Dort stand geschrieben: „Arbeit adelt, Bildung macht frei“. Im Gegensatz zum zynisch-mörderischen Ausspruch „Arbeit macht frei“, wie er in den dunklen Tagen der NS-Despotie auf den Toren diverser Konzentrationslager abgebildet war, bedeutete dieser Spruch im untersteirischen Pettau offenbar wirklich das Lebensmotto der seinerzeit dort lebenden Bildungsbürger.
Arbeit soll also adeln, soll dem Leben einen höheren Sinn und dem Menschen eine höhere Wertigkeit geben, wenn man diesem Spruch folgt. Und in der Tat scheint es ja so zu sein in unserer Leistungsgesellschaft. Die Arbeit, die der jeweilige Mensch in seinem Leben ausübt, die Karriere, die er macht, die berufliche Bedeutung, die er sich erkämpft, sind wesentlich für seinen gesellschaftlichen Status, für sein Ansehen unter seinen Mitmenschen.
Umgekehrt ist derjenige, der keine Arbeit hat, der nichts für die Gemeinschaft leistet, der Arbeitslose, der Veränderungs-Verlierer, der „Sozialschmarotzer“ im schlimmsten Falle gewissermaßen ein wertloses Mitglied der Gesellschaft. Er verfügt über keinerlei sozialen Status, gilt als Außenseiter, ja als Sozialfall, der von den staatlichen Transferleistungen oder den Almosen seiner Mitmenschen abhängig ist. Diese soziale Stigmatisierung gilt sogar für vermögende Müßiggänger, für reiche Menschen, die es nicht notwendig haben zu arbeiten. Auch sie gelten gewissermaßen als gesellschaftlich wertlos, wenn sie nicht einen Beruf ausüben und wenn sie nicht danach streben, Karriere zu machen. Wer da heutzutage sein Leben nur als „Erbe“ fristet, vermag wenig öffentliche Anerkennung für sich zu verbuchen. Goethes Spruch „Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen“, gilt also relativ unbeschränkt auch in unseren Tagen!
Das war nicht immer so. Das antike Ideal des Phäaken-Lebens und jenes der Romantik, wonach der fröhliche Taugenichts, der edle Müßiggänger, sein Leben nur der Freude, dem Spiel und dem Genuss widmet, war auch in verschiedenen Phasen der Geschichte gesellschaftlich anerkannt und erstrebenswert. Auch in archaischen Krieger-Gesellschaften war es so, dass der Aristokrat, der Ritter, der Kämpe, sein Leben nur dem Kampf und der entsprechenden Ausbildung widmete und Arbeit, allzumal körperliche Handarbeit, verachtete. Arbeit war die Aufgabe von Sklaven und Leibeigenen. Und sogar die geistige Arbeit, etwa in der altrömischen Gesellschaft, blieb griechischen Haussklaven vorbehalten, der freie Römer widmete sich allenfalls den Staatsgeschäften und dem Krieg.
Müßiggang jedenfalls war allenfalls der Oberschicht, der Aristokratie oder in späterer Folge dem Großbürgertum vorbehalten. Und solcher Müßiggang wurde nur akzeptiert, wenn er mit kultivierter, gehobener Lebensweise verbunden war und der Repräsentation oder der Pflege entsprechender Standesusancen diente. Der Fürst, der Bildungsbürger, der Gutsherr, sie verrichteten keine Arbeit, sie hatten allenfalls Pflichten und Verpflichtungen, die ihnen hier Stand auferlegte.
Dies änderte sich eigentlich grundlegend erst mit dem Anbruch der Neuzeit. Insbesondere der Calvinismus mit seiner Prädestinationenlehre begründete ein Arbeitsethos, wie wir es bis in unsere Zeit kultivieren. An die Stelle barocker katholischer Lebensfreude trat protestantische Nüchternheit und eben calvinistische Arbeitsbeflissenheit. Wie es der Klassiker formulierte: „Glücklich ist, wem die Pflicht zur Neigung wird“. Da wurde postuliert, dass ein arbeitsames Leben Christenpflicht sei und dass man die einem auferlegte Pflicht möglichst auch mit Freude akzeptieren müsse. Und das natürlich im Rahmen jenes Standes, in welchen man hineingeboren wurde, ohne die Schranken desselben verlassen zu wollen. Erst nach und nach kam der Gedanke auf, dass man durch Arbeit, durch Pflichterfüllung und Leistung auch gesellschaftlich aufsteigen und Standesschranken überwinden könnte. Erst daraus ergab sich dann jenes Motto, das eingangs zitierte wurde: „Arbeit adelt, Bildung macht frei“.
Dieses ursprünglich calvinistische Arbeitsethos wurde dann im Laufe der letzten Jahrhunderte in weiten Bereichen in einem so hohen Maße übersteigert, dass es zum eigentlichen Lebenszweck hochstilisiert wird, nur bearbeitet hat ein wertvolles Leben hat einen Lebenssinn gefunden. Und in manchen Nationen, insbesondere auch bei den Deutschen, wurde Arbeitsmoral zum eigentlich wertvollsten Charakteristikum des Einzelmenschen, aber auch der Gesellschaft. Und nicht nur unter den Deutschen galt dieser Grundsatz. Auch in Frankreich beispielsweise sprach der seinerzeitige Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy, er stehe für das Frankreich, das früh aufstehe, also für jene Franzosen, die tüchtig, leistungsbereit und arbeitsam seien. Diese Maxime wurde zweifellos zur Grundlage für die modernen leistungsorientierten Industriegesellschaften. Der Exportweltmeister unserer Tage, also die Bundesrepublik Deutschland, ist ohne diese Grundeinstellung der arbeitenden Bevölkerung nicht denkbar. Im Sozialstaat aber erweist sich die Problematik dieser Grundhaltung: Einerseits ist dieser nur durch ein hohes Arbeitsethos der leistungsbereiten Bevölkerung finanzierbar, andererseits aber finanziert er genau jenen Teil der Gesellschaft, der diesem Arbeitsethos nicht entspricht. Freiwillig oder unfreiwillig ist es eben der Müßiggang, der im Sozialstaat durch eine leistungsorientierte Gesellschaft mitfinanziert wird.
Und in diesem Zusammenhang wirft sich auch die Frage des Lebenszwecks und des Lebenssinns auf. Haben Menschen ohne Arbeit keinen Lebenssinn, können sie ihrem Dasein nicht auch ohne Arbeitsleistung höhere Wertigkeit verleihen? Außer Zweifel steht, dass der edle Müßiggänger, der sein Leben der Kunst, dem Edlen, Wahren und Schönem, der Literatur und ähnlichen Kulturgütern widmet, durchaus ein sinnvolles Leben zu führen vermag. Ob andererseits der Arbeitslose und sozial Deklassierte, der Veränderungsverlierer unserer Tage, der seine Stunden vor der Flimmerkiste bei Dosenbier und Fast Food verbringt, ein sinnvolles Leben führt, ist doch zu bezweifeln.
Einst bestand der Sinn des Lebens im christlichen Verständnis darin, den Versuchung des Irdischen zu widerstehen, seine Sünden zu büßen, um dereinst in der Ewigkeit die Seligkeit zu erlangen. Im Zuge des Humanismus kam für geistig höherstehende Schichten das Streben nach Erkenntnis als Lebenssinn dazu. Und insgesamt galt danach im Zuge der Aufklärung und der Industrialisierung eben Arbeit und Arbeitsleistung als Lebenssinn in der Gesellschaft und für deren einzelnes Mitglied. Nunmehr in den Tagen einer dekadenten und hedonistischen Gesellschaft ist dies anders geworden. Das Streben nach ewiger Seligkeit im Jenseits ist wohl nur noch ein Minderheitenprogramm. Und auch das Streben nach Erkenntnis dürfte in unseren Tagen nur wenige bewegen. Ebenso verhält es sich mit der Arbeit als Lebenssinn. In Zeiten, in denen ein bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert wird, in denen Arbeitslose über staatliche Transferleistungen mehr Geld erhalten als Arbeiter und Angestellte, in solchen Zeiten scheint die Arbeit als Sinn des Lebens auch ausgedient zu haben. Ungewiss ist allerdings, was an die Stelle dieser sinnstiftenden Faktoren treten wird. Nur die Selbstverwirklichung, nur Genuss, nur Hedonismus dürften wohl zu wenig sein.

1 Responses to Arbeit adelt!

  1. Matthias Kappel sagt:

    „Ohne die Klasse der Müßiggänger wären die Menschen heute noch Barbaren. „Bertrand

    Müßiggänger können mehr Sinn über Metaphysik aufbringen als Betriebsame, dringen tiefer in den Kosmos ein. Der Tag bietet ihnen zumindest die Möglichkeit überdimensionalere Gedankengänge, die
    sich nicht am Gängelband des sich täglich wiederholenden Arbeitsalltags orientieren, aufzubauen als Betriebsame.

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