Über unsere Zivilreligion

Von politisch korrekten ­Dogmen, Kultstätten, Priestern und ­Abspaltungs-Sekten

Die Facetten jener Zivilreligion, die sich rund um den Begriff der political correctnes in den letzten Jahren und Jahrzehnten aufgebaut haben, sind mannigfaltig, ja nahezu schon unübersichtlich. Begonnen hat das alles mit dem Pflicht-Antifaschismus der Nachkriegszeit, im Zuge dessen die Kriegspropaganda der Sieger zu den Geschichtsbildern der Besiegten gemacht wurde. Die absolut notwendige und legitime Ächtung der NS-Herrenmenschenideologie mit ihrem Antisemitismus und Rassismus fand etwa in Österreich über das Verbotsgesetz Eingang in die Rechtsordnung, und in anderen europäischen Ländern wurden entsprechende Rechtsnormen gegen Verhetzung beziehungsweise Leugnung des Holocausts institutionalisiert.
Überdies aber nahm dieser Pflicht-Antifaschismus bald liturgische Formen an. Da entwickelten sich entsprechende Rituale, wurden Kultstätten begründet und es traten Hohepriester auf. Rituale wie etwa die Befreiungsfeiern in den diversen ehemaligen Konzentrationslagern, Kultstätten wie Holocaustdenkmäler in Wien und Berlin und Hohepriester, wie sie im Gefolge einstiger Nazijäger, wie es Wiesenthal war und schließlich Antisemitismus-Experten und Rechtsextremismus-Experten bis zum heutigen Tage sind. Diese Hochämter der Vergangenheitsbewältigung werden nach wie vor zelebriert, die Kultstätten sind sakrosankt und die einschlägigen Zeremonienmeister dürfen sich nach wie vor als vornehmste Repräsentanten des Zeitgeists empfinden.
Danach kamen dann die diversen emanzipatorischen Bewegungen in der Folge der 68er-Bewegung. Unter dem ideologischen Schutzmantel der Frankfurter Schule gab es dann die Anti-Vietnamkrieg-Bewegung, die Anti-Atom-Bewegung, die Bewegung gegen die NATO-Nachrüstung der frühen 80er Jahre, natürlich den Feminismus und schließlich die Begründung der ach so umweltbewegten Grün-Bewegung. Deren jüngster Ausläufer ist die Bewegung zum Zwecke des Klimaschutzes. Und während zu Beginn all dieser sich als emanzipatorisch verstehenden Bewegungen Transparenz, Toleranz und Liberalität gepredigt wurden, sind es längst eiserne Dogmen und sakrosankte Maximen, die in unseren Tagen das ideologische Gerüst all dessen bilden.
Zwar hat man gewisse Bereiche dieser emanzipatorischen Bewegungen wie etwa die Nutzung der frühkindlichen Sexualität und Pädophilie ad acta gelegt, dafür aber Homosexualität und Transsexualität in all ihren Facetten nahezu zum gesamtgesellschaftlichen Ideal erhoben.
Und dann kam da aus den gesegneten Gefilden des angloamerikanischen Raums das Phänomen der politischen Korrektheit. Ausgehend wohl von den Bestrebungen, jegliche Form des Rassismus zu tilgen, wurden hier die US-amerikanischen Universitäten zur Brutstätte von neuen Dogmen, auf welche Art und Weise der zeitgeistgerecht lebende Mensch sich zu verhalten habe. Was sich vordergründig als Schutz von gesellschaftlichen Minderheiten ausgab, wurde sehr rasch zum gnadenlosen Diktat für die Mehrheit der Bevölkerung und seit dem hetzt eine politisch korrekte Mode die nächste: Das Gendern in der Sprache, die „Black Lives Matter“-Bewegung, Wokeness, Cancel Culture und ähnlicher Unfug treffen – gefördert durch das weltweite Netz und die sozialen Medien – sehr rasch auch auf Europa und damit auch auf die Alpenrepublik und den deutschen Sprachraum über.
Neben Facebook, Twitter und ähnlichen Internetphänomenen waren und sind es die Mainstreammedien, die sich als treibende Kräfte dieser Phänomene erwiesen. Und dabei entwickelten die Träger dieser Bewegungen zunehmend sektenähnliche Verhaltensweisen. Da gibt es jeweils so etwas wie einen strengen Kodex, wie man zu formulieren hat, welches Verhalten an den Tag zu legen sei, was man sagen darf und was nicht, und – noch schlimmer – was man denken soll und was nicht.
Und natürlich treten mediale Sittenwächter auf den Plan, die Abweichler, also Ketzer gegen den jeweiligen Spiritus Rector, der entsprechenden Sekte scharf verurteilen und nach Möglichkeit auch bestrafen. Bis hin zu ganz realen Religions­kriegen, wie wir sie im 16. und 17. Jahrhundert zwischen Protestanten und Katholiken erlebten, ist da nicht weit.
Während das historisch gewachsene religiöse Bekenntnis, insbesondere im Bereich des Christentums, zunehmend schwindet beziehungsweise veräußerlicht wird, gewinnt die politisch korrekte Zivilreligion mit all ihren sektoiden Facetten offenbar an Gewicht. Es scheint so etwas wie eigene anthropologische Konstante zu sein, dass der Mensch Bindungen religiöser oder quasi religiöser Art braucht und auch sucht.
Und wenn die spirituellen Führer der herkömmlichen Religionsgemeinschaften versagen, gewinnen die Sektenprediger der neuen zeitgeistigen Zivilreligion an Terrain. Einen großen Unterschied gibt es allerdings zwischen den herkömmlichen Weltreligionen, insbesondere den monotheistischen, und der neuen politisch korrekten Zivilreligion: Erstere versprechen uns die ewige Glückseligkeit im Jenseits, letztere hingegen nur das Elend einer Existenz im Diesseits voller Dogmen, Vorschriften und sinnentleerter Regeln.

1 Responses to Über unsere Zivilreligion

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