Eine national­liberale Volks­partei

Am Beispiel der oberösterreichischen Freiheitlichen

eder historisch einigermaßen Gebildete weiß, dass jener politische Bereich, der heute als „Drittes Lager“ bezeichnet wird, dogmengeschichtlich eigentlich das erste politische Lager war. Hervorgegangen aus der Revolution von 1848, zersplittert, aber doch vereint im Bereich der deutsch-freiheitlichen Parteien im Reichsrat der Habsburger-Monarchie, stand dieses Lager an der Spitze der Entwicklung des Parlamentarismus in den deutschen Erblanden Altösterreichs.
Georg Ritter von Schönerer war gewissermaßen Lehrmeister und Ziehvater der beiden Gründer der österreichischen Sozialdemokratie, Victor Adler und Engelbert Pernerstorfer, genauso wie des Gründers der christlich-sozialen Vereinigung, Karl Lueger. Eben dieser Ritter von Schönerer aber versäumte es durch seine Radikalität, aber wohl auch persönliche Sprunghaftigkeit, eine breite, geeinte nationalliberale Massenbewegung zu formen. Stattdessen blieb dieses deutsch-freiheitliche Lager bis zum Ende der Monarchie bei den Reichsratswahlen von 1911 die stärkste politische Kraft. Deshalb stand es auch an der Wiege der Republik im Herbst 1918, um bei den darauf folgenden Wahlgängen hinter den Christlich-Sozialen und der Sozialdemokratie zum Dritten Lager herabgestuft zu werden.
Nun ist die Geschichte dieses politischen Bereichs reich an Verdiensten, aber auch an höchst verhängnisvollen Irrwegen – man denke an die Verquickung mit dem Nationalsozialismus. Fest steht allerdings, dass es bis zum heutigen Tag einen integrierten Bestandteil der politischen Landschaft Österreichs bildet. In wechselnder Stärke, prägend in der Ersten Republik, marginalisiert am Anfang der Zweiten Republik, im Zuge des Populismus eines Jörg Haider und eines HC Strache wiederum in Regierungsverantwortung vorstoßend, vertritt die Partei, die dieses Lager repräsentiert, die Freiheitliche Partei Österreichs nämlich, tendenziell plus/minus 20 Prozent der Alpenrepublikaner.
Wenn diese FPÖ in ihrer frühen Phase eine nationalliberale Honoratiorenpartei war, so wurde sie dann im Zuge des Haiderschen Populismus zu einer „Arbeiterpartei neuen Typs“ (© Professor Plasser) und ist heute nach ihrer vierten Regierungsbeteiligung zwischen 2017 und 2019 wiederum eine Fundamental-Oppositionspartei, die primär die Unzufriedenen gegenüber den Regierungsparteien und dem politischen Establishment vertritt.
Regional allerdings gibt es in dieser Partei, die nunmehr vom ehemaligen Innenminister und Parteistrategen unter HC Strache, nämlich von Herbert Kickl geführt wird, große Unterschiede. So war die FPÖ zu Jörg Haiders Zeiten in Kärnten eine Mehrheitspartei und ist nunmehr trotz politischer Erfolglosigkeit immer noch die zweitstärkste Kraft im Lande. In Wien hingegen war die FPÖ in ihren besten Zeiten von der Führungsspitze her durchaus eine national orientierte Honoratiorenpartei, die allerdings von der Masse ehemaliger SPÖ-Wähler gewählt wurde. Und nunmehr, zwei Jahre nach dem Aufkommen des Skandals von Ibiza, in einer Phase, in der die Freiheitlichen flächendeckend schwere Verluste und einen großen Vertrauenseinbruch hinzunehmen hatten, bleibt nur noch die FPÖ Oberösterreich als politische Kraft mit starker Verankerung in allen Bevölkerungsschichten.
Das hat im Land ob der Enns natürlich auch Tradition. Das nationalliberale Lager war dort immer schon stark verankert, und in der nunmehr bald 70-jährigen Geschichte der FPÖ waren es immer wieder politische Persönlichkeiten aus Oberösterreich, die die gesamte Partei prägten. Nicht umsonst war der Gründungsobmann der FPÖ, Anton Reinthaller, Oberösterreicher, ebenso wie sein Nachfolger Friedrich Peter. Auch Jörg Haider kam aus Oberösterreich, wenn er auch dann seine politische Hausmacht in Kärnten hatte. Aber auch die oberösterreichischen Landesparteiobleute der jüngeren Zeit, insbesondere Hans Achatz, Lutz Weinzinger und nunmehr Manfred Haimbuchner sind freiheitliche Spitzenpersönlichkeiten von besonderer Güte und besonders großem innerparteilichen Gewicht. Sie standen und stehen aber auch an der Spitze einer Partei, die wie kaum eine andere Landespartei strukturiert und organisiert ist. Da gibt es funktionierende Orts- und Bezirksgruppen, da findet sich eine entsprechende Repräsentanz in allen Bevölkerungsschichten, von den Bauern über die Arbeiterschaft, von der Jugend bis zu den Senioren und auch im Bereich der Freiberufler und der Unternehmer.
So gesehen ist die oberösterreichische FPÖ einerseits eine klassische nationalliberale Honoratiorenpartei, die im akademischen Bereich und im Bereich der Freiberufler und der mittelständischen Unternehmen gut verankert ist, sie ist aber auch eine Partei, die stark in den bäuerlichen Bereich hineinwirkt und auch bereits seit den Tagen des VdU in der Arbeiterschaft punkten konnte. Bereits der VdU konnte bei Betriebsratswahlen der Linzer Voest große Erfolge zu erzielen, und dieses Erbe vermag die FPÖ Oberösterreich bis zum heutigen Tag erfolgreich zu verwalten.
Überdies war und ist die Freiheitliche Partei im Lande ob der Enns immer wieder in Regierungsverantwortung, und sie kann diese Regierungsverantwortung auch durchaus erfolgreich und wählerwirksam umsetzen. Einerseits also wirkt sie sehr wohl oppositionell gegenüber den Mainstreammedien und gegenüber dem politischen Establishment, andererseits aber ist sie auch selbst Teil dieses politischen Establishments. Und sie beweist mit ihrer Politik, dass es auch durchaus möglich ist, eine patriotische, nationalliberale und wertkonservative Volkspartei in etwa jenem Maßstabe zu sein, der ein Viertel bis zu einem Drittel der Bevölkerung anspricht. Dies ist auch der Grund, weswegen die oberösterreichischen Freiheitlichen durchaus Vorbildwirkung für die gesamte freiheitliche Gesinnungsgemeinschaft haben, sowohl in inhaltlich-sachpolitischer Hinsicht als auch im Organisatorischen.
Ein Problem mag es allenfalls darstellen, dass die gegenwärtig mitregierende FPÖ Oberösterreich politisch naturgemäß anders agiert als die im Moment auf Fundamentalopposition getrimmte Bundes-FPÖ. Dies besonders deshalb, da Kickl und die Bundespartei die schärfsten Kritiker der türkisen Bundesregierung unter Sebastian Kurz sind, während Manfred Haimbuchner in Oberösterreich mit dem schwarz-türkisen Landeshauptmann Stelzer gemeinsame Sache machen muss. Gerade diesbezüglich ist aber auch bemerkenswert, dass es Haimbuchner meisterhaft schafft, kritische Haltungen gegenüber den Maßnahmen der türkis-dominierten Bundesregierung zu kommunizieren, und gleichzeitig konstruktive Sachpolitik mit seinem schwarz–türkisen Koalitionspartner auf Landesebene zu betreiben vermag.
Gerade eine nähere Betrachtung der Freiheitlichen in Oberösterreich zeigt allerdings, dass der von politischen Mitbewerbern immer wieder mehr oder weniger offen gezeigte Wunsch nach einer Auslöschung bzw. Vernichtung der Freiheitlichen Partei nur bloßes Wunschdenken darstellt. Eine politische Kraft vom Zuschnitt der FPÖ, wie sie sich in Oberösterreich darstellt, entspricht offenbar nicht nur den Wünschen eines breiten Teils der Wähler, sondern auch den Bedürfnissen der Republik insgesamt: Eine patriotische Bewegung mit wertkonservativer Grundierung, wirtschaftsliberal, aber entschieden sozial orientiert, was die Schwächeren der Gesellschaft betrifft, und all das auf der Basis des historisch gewachsenen Bewusstseins um die Zugehörigkeit zur „German speaking world“, zum deutschen Kulturkreis eben. All dies lässt mit einiger Spannung, aber auch mit berechtigtem Optimismus auf das Abschneiden der oberösterreichischen Freiheitlichen bei der diesjährigen Landtagswahl blicken. Auch wenn das sensationelle Ergebnis des Jahres 2015 aufgrund der damaligen Massenmigration nicht mehr erreichbar sein dürfte, wird das Abschneiden der FPÖ Ober­österreich diesmal ein klares Zeichen für die Existenzberechtigung und die Zukunftsstärke der Freiheitlichen in Österreich insgesamt setzen.

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