Von der Lichtgestalt zur Unperson?

Hans Steinacher: Versuch einer Ehrenrettung

Ein „fanatisierter völkischer Ideologe“ sei er gewesen und habe in seiner Person „alle Facetten des völkischen Milieus“ verkörpert, ließ uns der Kärntner Historiker Alfred Elste dieser Tage über Hans Steinacher wissen. Und durchaus zustimmend zitiert er den Altmeister der linksorientierten österreichischen Politikwissenschaften Anton Pelinka, der den Heros des Kärntner Abwehrkampfes einen „militanten Nationalsozialisten“ genannt hatte. Ein deklarierter Nazi also, dieser im Jahre 1892 im Kärntner Bleiberg-Kreuth geborene Hans Steinacher, der entsprechend dem „common sense“ unserer Tage zweifellos der Damnatio memoriae verfallen müsste. Er, der wegen seines Einsatzes im Kärntner Abwehrkampf und seiner Leistungen in der Organisation der darauf folgenden Volksabstimmungspropaganda als so etwas wie ein Heros der jüngeren Kärntner Landesgeschichte galt und der auch noch in seinen späten Tagen in der Zweiten Republik von den etablierten politischen Kräften, sowohl von der Volkspartei als auch von der Sozialdemokratie, hofiert wurde. Im Volksgruppenstreit, der in Kärnten ja erst mit der Ortstafel-Lösung vor wenigen Jahren endete, galt Steinacher zwar für die slowenische Seite als Hassobjekt, umgekehrt aber auf der Deutschkärntner Seite, mitgetragen von allen maßgeblichen politischen Kräften des Landes, als Lichtgestalt. Nunmehr, just in den Tagen des Hundertjahr-Jubiläums der Kärntner Volksabstimmung von 1920, läuft er im Zuge von Geschichtsdebatten, wie sie im Umfeld von globalen Phänomenen wie etwa „Black Lives Matter“ geführt werden, Gefahr, zur Unperson erklärt zu werden.
Elste lieferte dieser Tage eben einen zwar facetten- und faktenreichen, deswegen aber nicht minder tendenziösen Beitrag dazu. So bezeichnet er Hans Steinacher gewissermaßen als Prototypen des von ihm zweifelsfrei negativ konnotierten „völkischen Milieus“. Dabei erwähnt er natürlich nicht, dass es ausschließlich diese von ihm stigmatisierend als „völkisches Milieu“ bezeichnete Gesinnung war, welche Voraussetzung und treibender Motor für den Abwehrkampf und auch für die Organisation der Kärntner Volksabstimmung bildete. Es ist ein historisches Faktum, dass, angefangen vom Landesverweser Arthur Lemisch, über wichtige Mitglieder der damaligen Kärntner Landesregierung wie Vinzenz Schumy bis hin zu den jungen Frontoffizieren, die sich im Abwehrkampf bewährt hatten und dann auch im historischen Heimatdienst rund um Hans Steinacher aktiv wurden, großdeutsche und deutschnationale Wertvorstellungen dominierten.
Konfliktlinien, die bereits aus dem Nationalitätenstreit der Habsburger Monarchie stammten, setzten sich in jenem Kampf um das „Grenzland- Deutschtum“, wie er nach Ende des Ersten Weltkriegs zwischen Baltikum und Balkan in einer Vielzahl militärischer Konflikte und darauf folgender Plebiszite tobte, fort und trafen sich in Kärnten eben mit dem Ringen um die Erhaltung der Landeseinheit. Der damit verbundene Landespatriotismus, auch weiter Teile der genuin slawischen Bevölkerung, sollte zur Basis für den Abstimmungserfolg vom 10. Oktober 1920 werden. Die wesentlichen Akteure der damaligen Kärntner Landespolitik und auch die Offiziere im Abwehrkampf sowie Aktivisten in der Landesagitationsleitung und darauf im historischen Heimatdienst gehörten zweifellos dem von Elste zitierten „völkischen Milieu“ an. Die Kärntner waren damit aber keineswegs alleine. Gesamtdeutsches Denken und damit nach heutiger Terminologie „völkische“ Orientierung war ja in allen wesentlichen politischen Bereichen dominant. Insbesondere die Sozialdemokratie um Karl Renner und Otto Bauer bildete in jenen Tagen die Speerspitze der Anschlussbewegung. Und die Orientierung der jungen Kärntner, allen voran Hans Steinachers, in Richtung Berlin war gewissermaßen Staatsdoktrin. Die junge Republik nannte sich ja nicht umsonst „Deutsch-Österreich“, und der Anschluss des Landes an die Weimarer Republik konnte nur durch den Diktatfrieden von St. Germain verhindert werden.
Hans Steinacher selbst schildert in seiner Darstellung der Ereignisse, wie ihn Landesverweser Arthur Lemisch 1920 nach Berlin entsandte, wo er bei der Pfingsttagung des „Deutschen Schutzbundes“ um Bereitstellung von Geldern für die Kärntner Abstimmungspropaganda werben sollte. Tatsächlich erschienen im September 1920, also unmittelbar vor der Volksabstimmung, Vertreter dieses „Deutschen Schutzbundes“ mit zahlreichen Vertretern der reichsdeutschen Presse in Klagenfurt, wobei – so Steinacher – die reichsdeutschen Finanzhilfen bescheiden ausfielen.
Insgesamt muss zum Fragenkomplex dieses von Elste zitierten „völkischen Milieus“ und dessen Einfluss auf den Kärntner Abwehrkampf und die Kärntner Volksabstimmung wohl gesagt werden, dass es ohne die dementsprechende Gesinnung der politischen, aber auch der intellektuellen Träger der damaligen Kärntner Bewegung jene historischen Ereignisse, derer wir heute zum 100. Jahrestag gedenken, schlicht und einfach nicht gegeben hätte. Sowohl die politischen Verantwortungsträger als auch die militärischen und propagandistischen Akteure jener Tage dachten weitgehend deutschnational und gesamtdeutsch, wie auch der Dichter Josef Friedrich Perkonig oder der Historiker Martin Wutte. Diesbezüglich war Hans Steinacher schlicht und einfach ein Kind seiner Zeit.
Steinachers Verdienste im Kärntner Abwehrkampf und bei der Organisation der Kärntner Volksabstimmung stehen im Grunde außer Zweifel und werden auch von kritischen, zeitgenössischen Historikern kaum in Frage gestellt. Im Fokus ihrer Kritik steht vielmehr der weitere berufliche und politische Lebensweg des Kärntners. Vor dem Kriege war Steinacher als Grenzlandlehrer in Südtirol tätig gewesen, nach seinem Einsatz im Abwehrkampf und bei der Organisation der Volksabstimmung als treibende Kraft im historischen Kärntner Heimatdienst engagierte er sich in einer Reihe weiterer Plebiszite, die im Gefolge der Pariser Vorortfriedensverträge stattfanden. So im Jahre 1921 in Oberschlesien und im westungarischen Ödenburg, aber auch bei der Organisation des Plebiszits in Tirol für den Anschluss an das Deutsche Reich und schließlich im Jahre 1923 im so genannten „Ruhrkampf“ gegen die französischbelgische Besetzung.
Kurz war er auch Geschäftsführer des „Deutschen Schulverein Südmark“ in Wien, danach arbeitete er als Grenzlandreferent im Rang eines Ministerialrats des preußischen Innenministeriums. Im Jahre 1930 wurde er ins reichsdeutsche Außenministerium überstellt. Im Jahre 1931 schließlich wurde er das jüngste Vorstandsmitglied des „Volksbundes für das Deutschtum im Ausland“ (VDA) und im April 1933, also wenige Monate nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, formell dessen stellvertretender Vorsitzender, schließlich „Reichsführer“ des VDA. Steinacher war also gewissermaßen hauptberuflich Volkstums- und Volksgruppen-Funktionär.
Spätestens nach Hitlers Machtübernahme im Reich sah offenbar auch Hans Steinacher im Nationalsozialismus die einzige Möglichkeit, den ab 1918 so heiß ersehnten Anschluss von Österreich an Deutschland zu realisieren. Überdies war er als Vorsitzender des VDA geradezu gezwungen, Kontakte mit dem neuen politischen Machthaber zu knüpfen. Eigenen Angaben zufolge – und Elste erwähnt dies ja auch – betrieb er also bereits im März 1933 über Kärntner Kontakte seine Aufnahme in die NSDAP. Die Konflikte allerdings, in die er sehr rasch mit Spitzen der Partei und auch der SS wegen seiner grundlegend anderen Überzeugungen von Volkstum und Volkstumspolitik geriet und innerparteiliche Streitigkeiten, dürften seine Parteimitgliedschaft verzögert, wenn nicht gar verhindert haben. Angeblich galt er aber mit Wirkung vom 1. Mai 1940 als NSDAP-Mitglied und habe selbst zur Frage, in welcher NS-Gliederung er aktiv gewesen sei, erklärt: „1934 gemeldet bei der SS in Kärnten“.
Tatsächlich geriet Steinacher in ernsthafte Gegensätze mit der NS-Volkstumspolitik, weil er insbesondere die Überlassung Südtirols an das faschistische Italien Mussolinis ablehnte. Es gehörte in den Jahren vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erhebliche Zivilcourage und großer persönlicher Mut dazu, gegen die Bevormundung des VDA durch die Partei und gegen Schikanen seitens der SS, die bis zum Ausreiseverbot, zu Verhaftungen und zur Drohung mit dem Konzentrationslager gingen, anzukämpfen, wie dies Steinacher damals tat. Steinachers volkstumspolitische Vorstellungen erwiesen sich als ganz realer Antagonismus zu den imperialistischen Lebensraumplänen Hitlers und der NSDAP. Und sein im Oktober 1937 erzwungener Rücktritt als Vorsitzender des VDA war nur die logische Folge dieses Gegensatzes.
Steinachers Eintritt in die Deutsche Wehrmacht, und zwar in das Gebirgsjägerregiment 137 als Oberleutnant, sicherte ihm nahezu so etwas wie politisches Exil. An der Eismeerfront sollte er es bis Kriegsende zum Oberstleutnant bringen.
Die SS hatte indessen mit ihrer „Volksdeutschen Mittelstelle“ den VDA übernommen und eine Radikalisierung der Umsiedlungs- und Eindeutschungspolitik erzwungen. Die im April 1942 eingeleitete Aussiedlung der Kärntner Slowenen war die Folge. Aus dem norwegischen Kirkenes, wo Steinacher als Festungskommandant Dienst tat, protestierte er dem Vernehmen nach persönlich beim Kärntner Gauleiter Friedrich Rainer auf das Schärfste gegen diese Vorgänge. Die Rücksiedlung von Familien betroffener Wehrmachtsangehörige soll dadurch herbeigeführt worden sein. Ob Steinacher, wie da und dort kolportiert wird, direkt in Berlin gegen die Aussiedlung der Kärntner Slowenen protestiert hat, ist offenbar schwer belegbar. Tatsache ist jedenfalls, dass er in einer Zeit, als das NS-Regime und mit ihm Hitler-Deutschland auf dem Höhepunkt seiner militärischen Erfolge stand, die Zivilcourage hatte, gegen die rassistische Eindeutschungs- und Vertreibungspolitik der SS zu protestieren.
Er mag also, wie es Alfred Elste dieser Tage schrieb, „ein Promotor der NS-Bewegung“ gewesen sein. Ein gesamtdeutsch denkender Deutschnationaler konservativer Prägung war er allemal. Und wenn Elste ihn als „fanatisierten, völkischen Ideologen“ bezeichnet, ist dies die aus heutiger Sicht ins Negative gewandte Definition eines „idealistischen Volkstumskämpfer“. Nicht mehr und nicht weniger: Ein Kind seiner Zeit! Einer Zeit, in der Nationalismus die herrschende Zivilreligion war! Steinacher war aber auch einer, dem offenbar nach Ansicht seiner Zeitgenossen – und zwar auch jener aus den anderen politischen Parteien, die in der Zweiten Republik federführend waren – ein Entnazifizierungsverfahren erspart blieb. Und auch die Kärntner Sozialdemokratie, die ihm unter Hans Sima eine Ehrenpension zubilligte, tat dies in Kenntnis des Lebensweges dieses ebenso verdienten wie schillernden Kärntners.
Wenn man heute Hans Steinacher der „Damnatio memorie“ ausliefern würde, müsste man allerdings auch seine unbestreitbaren Verdienste im Kärntner Abwehrkampf und bei Organisation der Kärntner Volksabstimmung grundsätzlich in Frage stellen. Und dies würde den Sinn der gegenwärtig im Land ablaufenden Hundertjahrfeier insgesamt in Frage stellen: Was würde, was könnte Kärnten dann feiern?
Zweifellos hat dieses vermaledeite 20. Jahrhundert, beziehungsweise seine erste Hälfte, den Kärntner Hans Steinacher mit in seinen Strudel gezogen. Und der Freicorpskämpfer der frühen 20er-Jahre, der Volkstumspolitiker der 30er-Jahre und der hohe Wehrmachtsoffizier der Kriegsjahre, kann seine Hände wohl kaum in Unschuld waschen. Seine Verdienste um Kärnten aus den Tagen vor 100 Jahren bleiben aber bestehen! Hans Steinacher ist eben ein Kärntner Held in Licht und Schatten.

1 Responses to Von der Lichtgestalt zur Unperson?

  1. […] Andreas Mölzer: Über Hans Steinacher Seite 36–38 […]

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