Vom Ende der Solidar­gemeinschaft

Unser Sozialsystem ist längst dramatisch überfordert. Die Solidargemeinschaft, die dieses Sozialsystem trägt, existiert im Grunde nur mehr in Restbeständen. Und der Generationenvertrag, der zur Erhaltung dieser Solidargemeinschaft notwendig ist, droht auch, obsolet zu werden. Die Ursachen für diese unselige Entwicklung sind vielfältig. Zum einen ist es natürlich die Überalterung, die daran schuld ist. Es gibt einfach im Vergleich zu den zu erhaltenden Pensionisten zu wenig jüngere Menschen im Arbeitsprozess als Einzahler ins Sozialsystem. Zum anderen ist es das allgemeine Sinken der Leistungsbereitschaft in unserer Gesellschaft und der ständig wachsende Hedonismus, das Streben nach egoistischer Selbstverwirklichung und der mangelnde Altruismus, der dazu führt. Und zu all diesen Dekadenzerscheinungen kommt dann noch die Massenzuwanderung von Menschen, die bislang nicht in unser Sozialsystem eingezahlt haben und mangels Integration und Brauchbarkeit für den Arbeitsprozess keine Leistungen in dieses System einbringen, sondern dieses vielmehr massiv belasten.
Das bislang bei uns geltende Sozialsystem mit all seinen Facetten, der Krankenversicherung, der Pensionsversicherung und der allgemeinen Absicherung von sozial Schwachen, Erkrankten und Erwerbsunfähigen, stammt bekanntlich aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Im wilhelminischen Deutschland war es die Bismarcksche Sozialgesetzgebung und sowohl dort als auch in der Habsburgermonarchie war natürlich die junge Sozialdemokratie eine treibende Kraft beim Entstehen dieses Sozialsystems.
Seine vollständige Ausformung fand dieses Sozialsystem sowohl in Deutschland als auch in Österreich erst in den Jahren der Republik nach dem Ersten Weltkrieg. Einen weiteren Schub erlebte die Sozialgesetzgebung während des Dritten Reichs, das sich explizit auf die Volksgemeinschaft bezog. Diese romantische Idee der Volksgemeinschaft, geboren im Nationalismus, der Zivilreligion des 19. Jahrhunderts, war es, die genuin die Basis für unsere Sozialsysteme schuf. Die Idee von einem geschlossenen Volkskörper, in dem alle gleichermaßen so etwas wie eine Basisversorgung erhalten sollten, die Leistungsstarken ebenso wie die sozial Schwachen, Kranken, Behinderten und Bedürftigen, ermöglichte die Entwicklung einer Solidargemeinschaft, die ein solches Sozialsystem ermöglichen und vor allem finanzieren sollte.
Dazu war eben nicht nur eine alle sozialen Schichten übergreifende Solidarität notwendig, sondern auch so etwas wie ein Generationenvertrag. Diesem entsprechend sollten Generationen in die Sozialkassen einzahlen, wobei die Eltern die Kindererziehung finanzieren sollten und die Jungen die Renten der älteren Generation. Das damit mögliche Versicherungssystem, wonach jede Generation in die Kassen einzahlen und jede Generation gleichzeitig die vorherige finanziert, funktioniert eben nur über Generationen.
Mit der Diskreditierung der Idee von der Volksgemeinschaft, die wegen der Verbrechen des Nationalsozialismus wohl zwangsläufig erfolgte, brach die Basis für diese generationenübergreifende Solidargemeinschaft eigentlich schon zusammen. Mit der zuvor geschilderten Entwicklung hin zu einer hedonistischen Gesellschaft und der parallel dazu erfolgten Massenzuwanderung von Menschen, die niemals adäquate Leistungen für die Sozialkassen erbrachten oder erbringen werden, war diese Solidargemeinschaft im Grunde hinfällig geworden. Nunmehr existiert sie gewissermaßen nur mehr in ihren Ausläufern und wird nach dem Motto „Loch auf, Loch zu“ über die kritischen Jahre gerettet. Und überdies ist sie nur mehr durch massive Zahlungen des Staates aus dem Steueraufkommen lebensfähig, aus ihrer eigenen Finanzierungskraft längst nicht mehr.
Die logische Folge dieses indessen offenbar unabänderlich gewordenen Endes der Solidargemeinschaft ist die Rückkehr zu einem Klassen- und Kastensystem im Bereich des Sozialwesens. Ähnlich wie in den USA wird es bestenfalls eine rudimentäre Basisversorgung geben und wirklich aufwendige und den wissenschaftlichen Standards der Zeit entsprechende Leistungen und Behandlungen wird es nur mehr für jene geben, die es sich leisten können, die dafür bezahlen. So etwas wie eine Zwei- oder Drei-Klassen-Medizin ist die logische Folge dieser Entwicklung.
Und natürlich wird es auch im Bereich der Altersversorgung maximal eine überaus geringfügige Basispension geben und darüber hinaus gehende, bis hin zum wirklichen Luxus reichende Pensionen wird es nur für Menschen geben, die dafür im Laufe ihres Arbeitslebens massiv bezahlen konnten. Selbstversorgung und Eigeninitiative in Hinblick auf Lebensversicherungen und ähnliches werden die einzige Möglichkeit sein, dieses heruntergefahrene Sozialsystem für die individuelle Versorgung aufzubessern.
In der multiethnischen Konflikt- und Ghetto-Gesellschaft, auf die wir offenbar auch im deutschsprachigen Mitteleuropa zusteuern, wird es also Sozialsysteme, die auf einer Solidargemeinschaft und einem Generationenvertrag basieren, im gesamtstaatlichen Bereich wohl nicht mehr geben. Ersetzt werden könnten diese bislang bestehenden Sozialsysteme vielleicht durch ein Wiederbeleben familiärer Verbände oder Sippenverbände oder durch einen sozialpolitischen Tribalismus, in dem gewisse Gruppen die Versorgung ihrer Mitglieder in sozialer Hinsicht übernehmen. Und dazu kommt eben die Selbstversorgung entsprechend begüterter Menschen und reicher Familien. In den Elendsvierteln und Parallelgesellschaften der Zukunft wird es so etwas wie gesamtstaatliche Volksgemeinschaft nicht mehr geben können
Was dieses Wegfallen der bisherigen, mit unserem Sozialsystem verbundenen Gefühle der sozialen Sicherheit für die Menschen in unserem Lande bedeuten wird, ist noch nicht abzusehen. Sicher ist jedenfalls, dass ein solches Wegbrechen der sozialen Sicherungssysteme den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt noch weiter schwächen wird. In einer fragmentierten und gespaltenen Gesellschaft wird es damit zweifellos zusätzlich zu Verteilungskämpfen und zu Auseinandersetzungen im Bereich des Arbeitsmarkts, des Wohnungsmarktes und der Bildungschancen kommen müssen.
Mit dem Zusammenbruch und Obsoletwerden der als nationalsozialistisch stigmatisierten Volksgemeinschaft sind auch die anderen Nebenerscheinungen derselben, nämlich gesamtgesellschaftliche Solidarität in allen eben genannten Bereichen, weggefallen. Ein Verlust, der durch die Klassen-Solidarität, wie sie die Sozialdemokratie und der Marxismus predigten, längst nicht mehr ausgeglichen werden kann, da es eben kein Klassenbewusstsein und keine Arbeiterklasse mehr gibt.
So könnte es sein, dass die Sozialsysteme, wie wir sie jetzt über ein Jahrhundert im deutschsprachigen Mitteleuropa genießen konnten, nur eine kurzfristige Episode in der Sozialgeschichte Europas darstellen. Davor war es eben der Feudalismus und danach wird es ein System sozialer Ungleichheit sein, und die Solidargemeinschaft wäre nur eine historische Erinnerung.

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