Erbfeind und Sehnsuchtsland

Von unserer Hassliebe zu Italien und den Italienern

Das Verhältnis der Deutschen und insbesondere der Österreicher zu Italien und den Italienern ist ein ambivalentes. Einerseits ist das Land seit mehr als zwei Jahrtausenden das Sehnsuchtsland all jener, die aus dem Norden kommen. Das Land wo die Zitronen blühen, das Land des Weines und des hervorragenden Essens. Das Land der Kunst, der Musik und der schönen Frauen. Das Land, durch das wir das Erbe der Antike erhalten haben, über zwei Jahrtausende Zentrum der Christenheit und Inbegriff großer Kultur. Und genauso ambivalent ist das Verhältnis zu den Menschen, die dieses Land bewohnen, also zu den Italienern. Einerseits gelten sie uns als kultiviert, elegant, als Schöpfer großer Kunstwerke, als Meister der weltbesten Küche und der edelsten Weine, als Erzeuger der elegantesten Mode und überhaupt also ein Volk, begnadet für das Schöne, für Farben und Formen.
Andererseits war und ist uns dieses Italien über Jahrhunderte Gegner, wenn nicht gar Erbfeind gewesen. Bereits unseren germanischen Vorfahren waren die Römer als Eroberer und Zwingherren verhasst. Und andererseits versuchten sie permanent, dieses südliche Sehnsuchtsland zu erobern, zu plündern und zu beherrschen. Im Mittelalter war dieses Italien, mit dem päpstlichen Rom im Zentrum der permanente Gegner der römisch-deutschen Kaiser. Von Karl dem Großen, über die Ottonen, die Staufer bis hin zu den Habsburgern mussten sie in schöner Regelmäßigkeit über die Alpen ziehen, um die unbotmäßigen Italiener, den Papst, die lombardischen Städte und was es da so alles gab, zur Räson zu bringen.
Und dann war da die italienische Einigungsbewegung, deren Hauptgegner natürlich das habsburgische Österreich war. Und schließlich der Verrat der Italiener im Ersten Weltkrieg, in dem sie uns als vormalige Verbündete in den Rücken fielen. Und danach der Zweite Weltkrieg, in dem sie zeitgerecht die Seiten wechselten, um im Gegensatz zu Deutschen und Österreichern letztlich zu den Siegern zu gehören. Und vom Ersten Weltkrieg bis herauf in unsere Tage das Problem mit Südtirol, das die Italiener uns raubten – so zumindest der Terminologie vergangener Jahrzehnte. Und so verhält es sich auch mit den italienischen Menschen. Auch sie gelten uns andererseits als leichtsinnig, als unzuverlässig, ja sogar verräterisch. Von der „welschen Tücke“ zu sprechen, war einst allgemein üblich. Und heute noch gilt es keineswegs als Ressentiment, wenn man der Ansicht ist, dass die Italiener in hohem Maße zur Korruption neigen, dass unter ihnen die Mafia weitgehend bestimmend ist und dass sie so etwas wie eine Affinität zum organisierten Verbrechen haben.
Und ähnlich verhält es sich auch hinsichtlich unserer Ansichten über die italienische Politik. Wir wissen natürlich, dass es seit Ende des Zweiten Weltkriegs in Italien mehrere Dutzend Regierungen gegeben hat und dass sich das politische System des Landes durch hohe Instabilität auszeichnet. Wir wissen auch, dass Italien jenes Land ist, das sich durch überaus hohe Staatsschulden auszeichnet und das damit in höchstem Ausmaß von EU-Hilfen abhängig ist, also von öffentlichen Mitteln, die im Wesentlichen von den europäischen Nettozahlern, also vor allem von den Österreichern und Deutschen, beglichen werden müssen. Und uns allen ist der allzu enge Kontakt der italienischen Politik zum organisierten Verbrechen – dies war zumindest zu Zeiten der Democrazia Christiana der Fall – bekannt.
Andererseits aber ist die politische Kultur in Italien eine, die längst nicht in so hohem Maße von der political correctness korrumpiert und traumatisiert wurde, wie das in deutschen Landen der Fall ist. Kein Zufall ist es nämlich, dass gerade Italien nunmehr vor der Regierungsübernahme des Rechts-Bündnis zwischen Fratelli d‘Italia, Lega Nord und Berlusconi-Partei steht. Zwar demonstrieren die Mainstream-Medien allesamt politischen Alarmismus und malen den Teufel an die Wand für den Fall einer rechten Regierung in Rom, die italienischen Wähler aber scheint dies kaum zu beeindrucken. So ist das Verhältnis von Deutschen und Österreichern zu Italien und den Italienern also ein über aus zwiespältiges. Unbestritten aber ist, dass unser südliches Nachbarland Stätte der höchsten Kultur ist, welche eine Vielzahl der bedeutendsten Kunstwerke der Menschheitsgeschichte hervorgebracht hat. Die politische Zerrissenheit Italiens seit dem Mittelalter hat eine Vielzahl von kulturellen Zentren entstehen lassen. Ähnlich wie in Deutschland, wo die Kleinstaaterei zum selben Ergebnis führte, haben die italienischen Stadtstaaten, von Mailand und Genua über Venedig und Florenz, bis hin zu Neapel und Messina eine Fülle von kulturellen Zentren geschaffen, die jeweils eine Vielzahl von künstlerischen Höchstleistungen ermöglichten.
Für den zeitgenössischen Kulturreisenden ist Italien schlichtweg das Eldorado. Die Fülle an sehenswerten historischen Städten, die Italien zu bieten hat, wird in keinem anderen europäischen Land überboten. Und in der Mitte Roma eterna, das Zentrum der Christenheit, der Sitz des Stellvertreters Gottes auf Erden in der Vatikanstadt. Und gleich daneben die Engelsburg, das Kolosseum und das Forum Romanum, Zeugen eines tausendjährigen Weltreichs. Und damit ist man wieder bei den Beziehungen Italiens zum deutschen Bereich, ist doch das Heilige Römische Reich Deutscher Nation der Erbe dieses antiken Imperium Romanum. Und waren doch Kaiser und Papst jenes Zwillingspaar, in sakraler wie in politischer Hinsicht, das die europäisch-abendländische Geschichte über ein Jahrtausend geprägt hat. Dass diese enge Beziehung zwischen Italienern und Deutschen letztlich dazu geführt hat, dass auch den Italienern der nördliche Nachbar einerseits eng vertraut, andererseits aber auch verhasst ist, gehört zu den Kuriositäten der abendländischen Geschichte.
Doch jenseits von Geschichte und Kultur, jenseits historischer Hypotheken und geschichtsmächtiger Gemeinsamkeiten zwischen uns und Italienern gibt es die ganz trivialen Realitäten des Alltagslebens: Die italienische Küche, die italienische Mode, den Tourismus, die italienische Autoindustrie und auch italienische Musik.
Was schließlich den Tourismus betrifft, so ist Italien nicht nur das weltweit wichtigste Reiseland, es ist auch der eigentliche Erfinder des Tourismus. Ironisch könnte man bereits die Germanen der Völkerwanderung als Italien-Touristen bezeichnen, ebenso die Romzüge der deutschen Kaiser mit ihren Ritterheeren. Ganz sicher eine Art von Tourismus waren bereits die Kulturreisen, wie sie bereits Johann Wolfgang von Goethe mit seiner Italienreise unternahmen. Und heute gibt es wohl kaum einen Deutschen oder Österreicher, der im Laufe seines Lebens nicht einmal oder öfter in Italien Urlaub gemacht hat.
Um zurückzukehren zur gegenwärtigen politischen Situation, muss gesagt werden, dass ein Rechtsruck in Italien durchaus ein Signal für das übrige Europa sein kann. Jene, die gemeint haben, der Höhenflug der sogenannten Rechtspopulisten in den EU-Staaten sei längst vorbei, könnten da eines Besseren belehrt werden. Italien, eine der großen EU-Nationen könnte im Verein mit den Visegrad-Staaten eine grundlegende Neu-
orientierung der europäischen Politik erzwingen, was möglicherweise auch in der aktuellen Problematik der Sanktionen gegen das kriegführende Russland Auswirkungen haben könnte. Und es könnte Impulse auf die anderen rechtsdemokratischen Freiheitsparteien innerhalb der EU, auch auf die österreichische FPÖ und die deutsche AfD, auslösen.
So bleibt Italien, dieses Sehnsuchtsland, mit dem uns diese historische Hassliebe verbindet, ein Schlüsselfaktor für die europäische Zukunft. In kultureller Hinsicht ist es ohnedies so etwas wie ein Hotspot der abendländischen und europäischen Kultur. In ökonomischer Hinsicht ist das Land bei allem Chaos, in dem es immer wieder versinkt, doch einer der innovativsten und kreativsten Faktoren in Europa. Nicht zu vergessen ist, dass der oberitalienische Raum eine der stärksten Wirtschaftsregionen des Planeten ist. Und dieser Raum strahlt naturgemäß auf Österreich die Schweiz und auch Deutschland aus.
Insgesamt sind also Wirtschaft, Kultur und Politik Italiens für uns Deutsche und Österreicher, aber wohl für die Europäer insgesamt von größter Bedeutung

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