Vom Sieg der Anarchie

Das Phänomen des weltweiten Netzes

Seit rund drei Jahrzehnten gibt es nun schon das Internet, das weltweite Netz. Und irgendwie erscheint dieses Netz wie eine unsichtbare Wolke, bestehend aus Daten, Informationen und Meinungen, aus verschriftlichten Fakten, aus bewegten und stehenden Bildern, die schlichtweg das gesamte Wissen der Menschheit insgesamt umfassen. Es ist so als lägen das kollektive Denken, Fühlen und Wissen der Menschheit insgesamt wie ein unsichtbarer Schleier über unserem Planeten, ein Schleier allerdings, in den jedermann sein Denken und Wissen einzuspeisen vermag und ebenso jedermann auch wieder abrufen kann. So etwas also wie ein globaler Speicher allen menschlichen Denkens und Wissens.
Die ungeheure Vielfalt aber, die sich in diesem weltweiten Netz manifestiert, hat etwas Anarchisches, etwas absolut Unkontrollierbares an sich. Vielen ist das Netz daher der letzte Raum der Freiheit, der Freiheit der Meinung, des Denkens und auch der Information. Allerdings lädt dieser anarchische Charakter des weltweiten Netzes natürlich auch zum Missbrauch ein. Das Netz ist jene Plattform, in der Verschwörung und Lüge, Diffamierungen und jede Form von Abartigkeiten transportierbar sind. Es muss nicht das Darknet sein, um Verbrecherisches und Abartiges abzurufen oder selbst einzuspeisen, es ist dies auch im ganz normalen Netz möglich und auch gang und gäbe.
Von der Pornographie, die sicher einen Hauptanteil im Internet ausmacht, bis hin zum Drogenhandel, zum Waffenhandel, bis zur Anleitung zum Bau von Bomben für Selbstmordattentäter, alles findet sich im weltweiten Netz. Auf der anderen Seite aber ist es möglich, jeden Wissensbereich der Menschheit recherchieren zu können und jede wissenschaftliche Information zu erlangen. Das absolut Böse und das Gute, Edle und Schöne finden sich im Netz also gleichermaßen und massenhaft. Es ist wie beim menschlichen Denken, das so unglaublich vielschichtig und vielfältig ist. Und wie das menschliche Denken sind die Inhalte des Netzes und dessen Mechanismen auch anarchisch.
In einer Zeit, in der Big Brother, der Staat oder geheime Kräfte im Hintergrund alles zu kontrollieren, alles zu lenken und zu manipulieren vermögen, in einer solchen Zeit ist dieses weltweite Netz aber auch ein Ort der Freiheit, der Kreativität und der individuellen Selbstentfaltung für jeden seiner Nutzer. Und es ist auch ein Ort, in dem sich jede Verschwörungstheorie, jegliches Halbwissen schrankenlos entfalten kann. Und das ist eine der großen Gefahren des Netzes, weil es scheinbare Realität, scheinbares Wissen transportiert, seinen Nutzern die vermeintliche Gewissheit vermittelt, die letztgültige Wahrheit zu erfahren.
Und natürlich ist dieses weltweite Netz auch jener Ort, in dem sich die menschliche Niedertracht schrankenlos entfaltet. Die augenblickliche und allzu rasche Verfügbarkeit des Netzes, und die Möglichkeit, sofort und ohne nachzudenken zu reagieren, fördern offenbar das, was gegenwärtig als „Hass im Netz“ heftig diskutiert wird. Und natürlich auch die Anonymität, die Möglichkeit, Niederträchtiges und Widerwärtiges abzusondern, ohne die eigene Identität preisgeben zu müssen. Nun sind Eigenschaften wie Hass, Neid, eben die Niedertracht, offenbar nicht zu übersehende Eigenschaften, die dem Menschen innewohnen. Sie zu beherrschen ist ein Gebot des sozialen Lebens und wird von den gesellschaftlichen Konventionen, aber auch vom Strafrecht gefordert. Anders ist dies allerdings im Netz, wo niemand die Sorge haben muss, bestraft oder zur Rechenschaft gezogen zu werden, wenn er derlei Verhaltensweisen anonym auslebt.
Und da setzen natürlich jene Forderungen an, die Regulierung, Kontrolle oder gar Zensur des Netzes verlangen. Gewiss sind Forderungen wie die Verpflichtung, sich mit Klarnamen hinter jedes Posting zu stellen, berechtigt. Und natürlich würde damit auch vieles von dem, was gegenwärtig als Hass im Netz abgesondert wird, unterbleiben. Aber allzu häufig haben die Forderungen nach Zensur des Internets auch einen anderen Hintergrund, nämlich jenen, unliebsame Meinungen zu unterdrücken und politisch korrekte Denkverbote durchzusetzen. Und da ist dann natürlich eine Güterabwägung notwendig, wobei man entscheiden muss was wichtiger ist: Die Möglichkeit, völlig frei seine Meinung zu äußern und auch zu diskutieren, oder die Vermeidung von Hass im Netz. In einer Welt, die von völliger Kontrolle und von zunehmender Reglementierung aller Lebensbereiche geprägt ist, spricht allerdings viel dafür, die negative Begleiterscheinung der anarchischen Freiheit im Netz, nämlich den Hass im Netz, den es immer wieder gibt, in Kauf zu nehmen.
Abgesehen davon aber gibt es einen weiteren Faktor, der im Zusammenhang mit dem weltweiten Netz und seiner Nutzung für Bedenken sorgen muss. Es sind dies jene Kräfte im Hintergrund, jene Konzerne, die die großen sozialen Medien betreiben. Welche Interessen haben Konzerne wie Google, Facebook und Twitter? Und was machen sie mit jener unglaublichen Fülle an Daten, die sie über ihre Plattformen von den Nutzern bekommen?
In diesem Zusammenhang muss man sich wohl die Frage stellen, ob die vermeintliche anarchische Freiheit im Netz nicht nur eine Tarnkappe ist für ökonomische, möglicherweise aber auch globale gesellschaftspolitische Interessen, die mittels Algorithmen und ähnlicher Mechanismen absolute Macht über die Menschen anstreben oder sogar schon ausüben.
Wenn man dies zu Ende denkt, könnte man zur Ansicht kommen, dass dieses unglaublich beeindruckende Phänomen des weltweiten Netzes, an dem zunehmend alle Menschen Anteil haben, als Nutzer und als Einspeiser, nicht so sehr ein Ort der Freiheit und ein Triumph der Anarchie ist, sondern die elektronische und digitale Strategie zur Beherrschung und Lenkung und Manipulation der Menschheit darstellt. Und da muss man sich dann fragen, welche Kräfte stehen im Hintergrund und beherrschen das Netz und was sind die Ziele dieser Kräfte. Gewiss, man soll sich hüten, auch diesbezüglich in Verschwörungstheorien abzugleiten, vielleicht sind es ja nur ökonomische Interessen und das Streben nach Gewinn und wirtschaftlichem Erfolg, die dahinterstehen. Anzunehmen ist aber wohl, dass es weitreichendere Interessen sind, die hier im Mittelpunkt stehen.
Dieses weltweite Netz ist also ein unglaublich beeindruckendes Phänomen. Eine virtuelle Welt, die wie gesagt alles menschliche Wissen, Denken und Fühlen im Guten wie im Bösen umfasst und solcherart von jedermann, der über die Zugangsgeräte, die dazu notwendig sind verfügt, nutzbar ist. Und dieses weltweite Netz ist, wie ausgeführt Ein Ort der Freiheit im Guten wie im Bösen aber es bietet auch ultimative Möglichkeiten, die Menschen zu manipulieren und damit auch zu versklaven – das darf man nicht vergessen!

2 Responses to Vom Sieg der Anarchie

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