Das Ende der Pax Americana

Vom Fall eines Imperiums

Es ist die Aufgabe und das Privileg des Historikers, den Ablauf des politischen, ökonomischen und sozialen Geschehens auf diesem Planeten in Epochen, in Perioden einzuteilen. Das kurze, das schreckliche 20. Jahrhundert währte bekanntlich von 1914, dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, bis 1989, dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums. Danach kam zwar nicht das „Ende der Geschichte“ durch den immerwährenden Sieg des westlichen Wertesystems und der Demokratie nach westlichem Muster, dafür aber zweifellos die Epoche der globalen Dominanz der einzig verbliebenen Supermacht, der Vereinigten Staaten von Amerika nämlich.
Diese Epoche dauerte immerhin gute drei Jahrzehnte an, nämlich wohl bis zum Ausbruch des nunmehr tobenden Kriegs Russlands gegen die Ukraine, der im Wesentlichen wohl eine Auseinandersetzung ist zwischen dem größten Flächenstaat der Erde, Russland eben, und dem Westen insgesamt, vertreten durch den Nordatlantikpakt. In dieser Periode, die immerhin beinahe ein halbes Jahrhundert andauerte, konnten die USA überall auf diesem Planeten und zu jeder Zeit ihre politischen und militärischen Interessen durchsetzen – zumindest theoretisch.
An Versuchen dies zu tun, mangelte es nicht. Ob mit dem Auftrag der Vereinten Nationen oder nicht, ob mit NATO-Verbündeten oder allein, die USA führten in diesem Zeitraum jedenfalls eine Unzahl an größeren und kleineren militärischen Operationen durch, die sie sich in ihrer Rolle als einzig verbliebene Supermacht und Weltpolizist anmaßten. Ob im Irak, in Afghanistan, in Somalia, auf dem Balkan oder in Lateinamerika, stets agierten die Amerikaner im Interesse ihrer globalen Machtposition und der Erfordernisse ihrer Wirtschaft. Natürlich wurde dabei stets die Wahrung des Friedens oder der Menschenrechte und die Durchsetzung der Demokratie vorgeschoben. Zumeist war dies nur Vorwand und fast immer war es erfolglos. In den meisten Fällen operierten die Amerikaner nämlich in den letzten 40 Jahren eher glücklos. Das Scheitern des Militäreinsatzes in Afghanistan und der ruhmlose Abzug der US-Truppen vor Jahr und Tag ist ein letzter Beweis dafür.
Der Widerpart Amerikas im Kalten Kriege war bis 1989 das Sowjet-Imperium, geführt von den russischen Herrn im Kreml. Nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus und des Warschauer Pakts kam es in den Neunziger-Jahren des vorigen Jahrhunderts auch zur Desintegration und zur Schwächung der Russischen Föderation. Weite Teile russisch dominierter Territorien, insbesondere auch im östlichen Europa, fielen unter Fremdherrschaft. Erst der Abstieg Russland in der Jelzin-Ära ermöglichte die globale Alleindominanz der USA.
Nun, unter Wladimir Putin erkämpfte sich Russland in den vergangenen Jahren so etwas wie einen machtpolitischen Wiederaufstieg. Es wurde wieder zum „global player“ und spielte in den weltweiten Konfliktbereichen, etwa im Nahen Osten, wieder eine weltpolitische Rolle. Mit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs, scheint es zwar vordergründig so zu sein, als würden die USA im Rahmen der NATO wieder eine dominante Rolle spielen und damit weiterhin als Weltpolizist fungieren, tatsächlich sind insbesondere die Europäer aufs Neue dazu gezwungen, der politischen und militärischen Führung der Amerikaner zu folgen. Andererseits aber positioniert sich das Russland von Wladimir Putin – gleich, ob es den Ukraine-Krieg nun tatsächlich militärisch gewinnt oder nicht – als weltpolitischer Gegenpart der Amerikaner. Während bislang noch so etwas wie eine Koexistenz mit der Supermacht USA anzunehmen war, ist es nunmehr wieder eine klare Frontstellung, die Russland einnimmt. Und damit gibt es wieder so etwas wie eine bipolare Weltordnung.
Überhaupt scheint es so, als würde durch den Faktor der BRICSStaaten, also durch Staaten wie Brasilien, Russland, Indien, China sowie künftig wohl auch dem Iran und anderen Ländern, eine multipolare Welt Ordnung entstehen, in der die USA nur mehr ein Faktor unter vielen ist. Ob diese multipolare Weltordnung auch in der Lage sein wird, globale Stabilität herzustellen, ob so etwas wie ein Gleichgewicht der Mächte entstehen kann, bleibt abzuwarten. Fest steht allerdings, dass die Pax Americana, die durch die USA dominierte Weltordnung, sich ihrem Ende zu neigt.
Nach wie vor sind die USA allerdings die dominierende Wirtschaftsmacht auf diesem Planeten. Die US-Industrie, von den Amerikanern dominierte multinationale Konzerne beherrschen die Weltwirtschaft. Das Innovationspotenzial der USA – Stichwort: Silicon Valley – ist nach wie vor global führend. Zwar ist das soziale Gefüge der US-amerikanischen Gesellschaft und das Bildungsniveau in rasantem Abstieg begriffen, dennoch sind die USA in Sachen neue Patente und der technologischen Entwicklung weiter führend. Wer aber etwa den Zustand der amerikanischen Infrastruktur kennt, weiß, dass das Land streckenweise im Zustand eines Entwicklungslandes verharrt.
Und in kultureller Hinsicht muss man zwar anerkennen, dass die globalen Modetrends, insbesondere die Torheiten der political correctness, von den USA ihren Ausgang nehmen. Abgesehen davon aber ist das soziokulturelle Gefüge des Landes dem Zerbrechen nahe. Dies liegt naturgemäß zu allererst an der Massenzuwanderung aus dem lateinamerikanischen Bereich und an der Zunahme der farbigen Bevölkerung.
Die Dominanz der weißen angelsächsischen Protestanten ist längst Geschichte, und die Vereinigten Staaten drohen ein multikulturelles Gebilde mit der Dominanz der farbigen Bevölkerung und der Latinos zu werden. Damit schreitet die „Drittweltisierung“ der USA voran und der Abstieg der führenden Weltwirtschaftsmacht beschleunigt sich von Jahr zu Jahr.
Ob nun republikanische Präsidenten wie zuletzt Donald Trump die Losung „Make Amerika great again“ ausgeben und einen eher isolationistischen Kurs anpeilen oder ob demokratische Präsidenten versuchen, die Führungsrolle der USA in der Welt wiederaufzunehmen, ist letztlich unerheblich. Tatsache ist, dass die USA sowohl in ökonomischer Hinsicht als auch bevölkerungspolitisch und kulturell ein Land mit zunehmenden Problemen und Konflikten sind. Damit aber wird Amerikas Anspruch, weltpolitisch die dominierende Supermacht zu bleiben obsolet. Und auch der Anspruch der USA, ihr politisches und gesellschaftliches Rollenbild zum weltweiten Ideal hochzustilisieren und dieses möglichst, wenn notwendig auch mit militärischen Mitteln, durchzusetzen, ist ebenso hinfällig.
So steht das amerikanische Imperium zwar noch nicht vor dem Zusammenbruch, sein Machtanspruch ist aber weitgehend hinfällig. Irgendwo ähnelt das amerikanische Imperium seinem gegenwärtigen Präsidenten – es scheint von Altersschwäche geprägt zu sein. Wie weit die Europäer in der Lage sein werden, die zunehmende Schwäche des US-amerikanischen Imperiums für die Stärkung ihrer eigenen Position zu nützen, ist abzuwarten. Gegenwärtig stehen sie ja absolut unter der Dominanz des Pentagons und spielen in der NATO sowohl militärisch als auch politisch nur die zweite Geige. Im derzeitigen Konflikt mit Russland vollziehen die EU-Staaten mehr oder weniger eins zu eins die amerikanischen Vorgaben nach. Die Hoffnung, die vor etwa 20 Jahren bestand, dass sich nämlich die Europäer in der NATO von der US-Dominanz emanzipieren könnten und dass eine europäisierte NATO zu einer eigenen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik führen könnte, besteht indessen längst nicht mehr.
Dennoch steht außer Zweifel, dass der Niedergang des amerikanischen Imperiums die Europäer zu eigenen und insbesondere zu eigenen militärischen Projekten zwingen müsste. Sogar die Selbstverteidigung der EU gegenüber einem zunehmend selbstbewusster und aggressiver auftretenden Russland wäre ohne die USA gegenwärtig schwierig. Sollten die Europäer in einer multipolaren Weltordnung eine Rolle spielen, so werden sie machtpolitisch und militärisch eigenständig werden und auch eigenständig Anstrengungen erbringen müssen. So gesehen ist der Abstieg des amerikanischen Imperiums eine Chance für die Europäer!

4 Responses to Das Ende der Pax Americana

  1. Waltraut Kupf sagt:

    Amerika versucht, seine Hegemonie mit Hilfe des nützlichen Idioten -Europa erste Reihe fußfrei aufrechtzuerhalten, was nicht funktionieren wird. Der gekaufte ukrainische Komödiant überspannt den Bogen mit pampigen Sprüchen und dreisten Forderungen. Daß in Grenznähe amerikabetriebene Bio- und Chemiewaffenlabors stationiert sind und sich dort auch ein Plutoniumlager befinden soll, wird möglichst verschwiegen, da ja kein Argument für den Einmarsch Putins geliefert werden soll. Mit Hilfe der Totgeburt EU wird weiter Kriegstreiberei betrieben, da sich damit ja auch etwas verdienen läßt. Die Völker sind an Frieden interessiert, die jeweiligen Regierungen konterkarieren das aber. Quousque tandem?

  2. […] source : Andreas Moelzer […]

  3. […] Andreas Mölzer: Vom Ende der Pax ­Ameri­cana Seite 40–41 […]

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