Vom Ende der Pax Americana

Als Francis Fukuyama, der US-amerikanische, japanisch-stämmige Politologe nach dem Zusammenbruch des Sowjetkommunismus prophezeite, dass nunmehr das „Ende der Geschichte“ gekommen sei, ging er davon aus, dass die liberale Demokratie westlicher Prägung sich nunmehr weltweit durchsetzen werde. Drei Jahrzehnte später wissen wir, dass dies eine Illusion war. Auch der von Samuel Huntington diagnostizierte „Clash of Civilizations“, der Kampf der Kulturen, entwickelte sich in eine völlig andere Richtung als ursprünglich von Huntington gedacht. Nicht an geopolitischen und kulturellen Grenzlinien findet dieser Kampf der Kulturen heute statt, sondern vielmehr durch die weltweite Massenmigration in Form von offenen oder latenten innerstaatlichen Konflikten, die bis zu veritablen Bürgerkriegen gehen können. Die „Black Lives Matter-Bewegung“ in den USA und die Auseinandersetzungen mit dem militanten Islamismus in Europa sind der beste Beweis dafür.
Auch die Annahme, dass nach dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts die Vereinigten Staaten von Amerika die einzig verbleibende militärische und ökonomische Supermacht auf dem Planeten sein werde, erwies sich als irrig. Eine „Pax Americana“, eine Weltordnung also mit den USA als Weltpolizist, als militärische Vormacht und demokratiepolitisches Vorbild, deutete sich zwar im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts an, sie ließ sich allerdings nie wirklich realisieren. Die kurzfristige Demokratisierung Russlands unter Gorbatschow und Jelzin und in der frühen Phase Putins blieb bekanntlich Episode. Die Erweiterung der europäischen Integration auf Mittelosteuropa und Osteuropa und die damit Hand in Hand gehende Erweiterung des nordatlantischen Militärbündnisses auf Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts lösten zwar die Supermachtkonfrontation, die es zwischen NATO und Warschauer Pakt in Europa gegeben hatte, auf, führte aber nicht dazu, dass dieses sich integrierende Europa selbst zu einer Weltmacht ersten Ranges werden konnte. Vielmehr wurden die zentrifugalen Kräfte innerhalb der EU – Stichwort: Brexit – stärker, gepaart mit einer zunehmenden Eigenwilligkeit der neuen EU-Mitglieder im östlichen Mitteleuropa zwischen Baltikum und Balkan.
Die Ära Donald Trumps in den USA sollte Anfangs den Beginn eines weltpolitischen Rückzugs der US-Amerikaner bedeuten. Trumps Kritik an der NATO, die von ihm initiierte Lockerung des Bündnisses mit den Europäern, der anfänglich angedeutete Ausgleich mit Putins Russland und seine Versuche, mit Staaten wie Nordkorea und China Konfliktlösungen herbeizuführen, signalisierten so etwas wie eine neue „Splendid isolation“ der USA. Indes scheint es so, als sollte diese Ära Donald Trumps ein weltpolitisches Zwischenspiel bleiben. Der neue US-Präsident Joe Biden scheint die Weichen auf eine Rückkehr zur traditionellen US-amerikanischen Politik zu stellen: Einerseits heuchlerisch politisch korrekt, mit Beteuerung der Bündnistreue gegenüber den Europäern und der Rückkehr der USA zu allen politischen modischen Bewegungen, wie etwa im Bereich des Klimaschutzes, andererseits aber mit dem klaren machtpolitischen Anspruch, dass Amerika Hegemonialmacht sein müsse. Im Gegensatz zur Ära Trump könnte die US-amerikanische Außenpolitik tatsächlich von mehr Berechenbarkeit und Rationalität getragen sein. Bidens Versprechen, etwa im Hinblick auf den Iran an den Verhandlungstisch zurückzukehren, die Verlängerung von Nuklear­waffenbeschränkungen gemeinsam mit Russland stellen zweifellos begrüßenswerte Signale dar. Tatsache bleibt aber, dass Joe Biden offenbar in der Tradition jener demokratischen Präsidenten zu stehen scheint, die jeweils den Startschuss zu militärischen Abenteuern der Vereinigten Staaten gegeben hatten.
Der Anspruch der USA, unter ihrer neuen Führung allerdings weltweit als Ordnungsmacht aufzutreten, ist von der Realität längst überholt. Die militärische Präsenz der Amerikaner im Nahen und Mittleren Osten ist von geringem Erfolg begleitet und hat nachhaltig nur dazu geführt, dass die USA zum zentralen Feindbild der islamischen Welt wurden. Im eigenen geopolitischen Vorhof, in Mittel- und Südamerika, ist der Einfluss der USA zwar nach wie vor bedeutend, sie sind aber ein ungeliebter Partner oder aber eher noch das Ziel illegaler Zuwanderung. Dies vor allem, seit das Projekt einer Grenzmauer zu Mexiko, wie es Donald Trump favorisierte, obsolet ist.
Was das transatlantische Bündnis mit Europa betrifft, so sind seit Joe Bidens Amtsantritt die Lippenbekenntnisse zwar lautstark und demonstrativ herzlich geworden, allerdings dürfte sich die Europäische Union trotz ihrer Schwäche und Zerrissenheit, wie sie sich in der Corona-Krise neuerlich zeigte, auch so etwas wie passiven Widerstand gegen eine erneuerte US-amerikanische Hegemonialpolitik leisten. Und sogar das meist überaus willfährige Berliner Regime der Angela Merkel ist nicht mehr bereit, US-amerikanische Forderungen, wie etwa das Abdrehen des Nord-Stream-2-Projekts, wodurch Gas und Erdöl aus Russland nach Europa kommen soll, zu befolgen. Und ehemals kommunistische Staaten, die heute wie beispielsweise Ungarn EU-Mitglieder sind, orientieren sich immer häufiger in Richtung Moskau als in Richtung Brüssel oder gar
Washington.
In ökonomischer Hinsicht ist längst China zum eigentlichen globalen Konkurrenten der USA und des Westens insgesamt geworden. Nicht nur in der Dritten Welt, allzumal in Schwarzafrika, sind die überaus finanzkräftigen und offensiven Chinesen omnipräsent, auch im geschwächten Europa fassen sie zunehmend Fuß. Sie positionieren sich als Konkurrenten im Bereich der Telekommunikation und des Internets und die Chinesen beweisen insgesamt, dass der von der kommunistischen Partei gesteuerte Staatskapitalismus in ökonomischer und technologischer Hinsicht durchaus in der Lage ist, den westlichen bzw. US-amerikanischen Modellen Paroli zu bieten.
Ein weiterer weltpolitischer Faktor, der den US-amerikanischen Hegemonialanspruch massiv relativiert, ist natürlich Wladimir Putins Russland. Längst sind die Russen zurück in der Weltpolitik, längst spielen sie in zentralen Konflikten im Nahen und Mittleren Osten wieder eine bestimmende Rolle, längst sind sie in der Lage, den Vormarsch der US-dominierten NATO im östlichen Europa – man denke an die Ukraine – Einhalt zu bieten. Und auch in staatspolitischer Hinsicht hat sich Russland entschieden, den für den größten Flächenstaat der Erde traditionellen paternalistischen Weg mit der neuen starken autoritativen Staatsführung zu gehen. Patriotismus, Traditions- und Geschichtsbewusstsein, eine auf die Erhaltung der eigenen Identität orientierte Politik und eine Stärkung der Familien sind die Maximen dieser neuen russischen Politik. Damit positioniert sich Putins Russland auch als globales dogmengeschichtliches Gegengewicht zur westlichen Dekadenz und zur politisch korrekten Heuchelei westlicher Politik, allzumal der US-amerikanischen.
Diese Politik der USA und insgesamt deren Gesellschaftsmodell, der „American Way of Life“, haben den Anspruch, so etwas wie ein Leuchtturm der Demokratie und der Menschenrechte zu sein, überhaupt längst verloren. Nicht Demokratie, Rechtsstaat, Aufklärung und Rationalismus sind es, die in früheren Zeiten von den USA ausgegangen sind, sondern eine Reihe von unsinnigen, destruktiven und dekadenten Erscheinungen und Bewegungen. Man denke zum Beispiel an die „MeToo“-Bewegung, an „Fridays for Future“ oder die bereits zitierte „Black Lives Matter“-Bewegung. All das, verbunden mit der Unfähigkeit, globale militärische Konflikte zu lösen, signalisiert letztendlich das Scheitern einer globalen „Pax Americana“.
Wenn das 19. Jahrhundert ein europäisches Jahrhundert war, in dem die Europäer weltweit über den Imperialismus und Kolonialismus dominant waren, wenn das 20. Jahrhundert rund um zwei Weltkriege ein amerikanisches Jahrhundert war, so dürfte das 21. Jahrhundert – zumindest in ökonomischer Hinsicht – ein chinesisches Jahrhundert werden. Ob dies zum Segen der Menschheit und des Planeten gedeihlich sein wird, darf wohl mit Fug und Recht bezweifelt werden. Eine Rückkehr zu einer US-amerikanischen globalen Hegemonie vermag man sich deshalb noch lange nicht zu
wünschen.

1 Responses to Vom Ende der Pax Americana

  1. Wolfgang Zedrosser sagt:

    Wie immer eine glasklare Formulierung der realen Situation. Danke Herr Mölzer – Grüße aus Fazana

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