Eine kleine konservative Revolution?

Wahrnehmungen zum ­türkis–blauen Regierungsprogramm

Das Land braucht Veränderung, hieß es im vergangenen Nationalratswahlkampf, und unter diesem Schlagwort vermochte der juvenile ÖVP-Chef die Mehrheit der Wähler hinter sich zu versammeln. Wie diese „Veränderung“ aussehen soll, hat er im Wahlkampf nicht so wirklich präzisiert. Etwa 60 Prozent der Österreicher, die Wähler von ÖVP und FPÖ, haben diese Veränderung wohl so für sich interpretiert, wie sie die meisten politischen Beobachter und Analytiker deuteten: Kurz wurde wegen der sehr effektiven und offenbar glaubwürdigen Übernahme breiter Teile der freiheitlichen Oppositionsforderungen der letzten Jahre gewählt. Die Österreicher haben also in ihrer Mehrheit freiheitliche Programmatik – insbesondere in Sachen Migration und Ausländerfrage – als Maßstab für die notwendige Veränderung des Landes akzeptiert.
Das nunmehr vorliegende Regierungsprogramm scheint dem in weiten Teilen Rechnung zu tragen, und nicht umsonst wird es deshalb von der linken Opposition und den politisch-korrekten Gazetten als „retro“ – als reaktionär und rückwärtsgewandt – gebrandmarkt. Kommentatoren von Seiten des Boulevards (so etwa „Österreich“-Herausgeber Wolfgang Fellner) bewerten es hingegen als „brav“ und vielleicht sogar als notwendig im Hinblick auf viele Kurskorrekturen, aber als keineswegs großen Wurf.
Bei vordergründiger Betrachtung sieht es in der Tat so aus, als würde man in mancherlei Hinsicht, insbesondere in gesellschaftspolitischer, zurück in die Ära vor den sozialdemokratischen Reformen gehen. Das Bildungskonzept etwa sei ein Rückschritt in die 50er-Jahre, heißt es von oppositioneller Seite, und in der Tat versucht man, im Schulbereich ganz offensichtlich an jene Zeit anzuknüpfen, da Österreich eines der besten und effizientesten Schulsystem der Welt hatte, also in der Ära vor den linken Schulversuchen und ständigen Reformen und Experimenten. Man will leistungsorientiert sein, den Schülern ein klares Bewertungs- und Wertesystem vermitteln, die Lehrer in die Pflicht nehmen, zuallererst die grundlegenden Kulturtechniken Schreiben, Lesen und Rechnen vermitteln und sich an der Leitkultur des Landes – die verpflichtende Kenntnis der deutschen Staatssprache – orientieren.
Das mag in den Augen vieler Linker „retro“ sein, es ist aber vielmehr der bildungspolitische Versuch, dem Teufelskreis von Experimenten, Reformen und kulturmarxistischen Utopien zu entkommen und ein Bildungssystem wiederzubeleben, das sich über Generationen bewährt hatte. Eine Konzeption also wertkonservativ – im besten Sinne des Wortes.
Auch im wirtschaftspolitischen Bereich ist mit der angekündigten Senkung des Abgabenquote von 45 auf 40 Prozent und der geplanten Förderung des Wirtschaftsstandortes Österreich und all den ins Auge gefassten Unterstützungsmaßnahmen für den Mittelstand so etwas wie ein wertkonservativer Weg angedacht. Leistung soll sich wieder lohnen, risikofreudiger Unternehmergeist und eine sozial abgesicherte loyale Arbeitnehmerschaft sollen die sich gegenwärtig abzeichnende Belebung der Konjunktur stützen und steigern.
Im Bereich der Bevölkerungspolitik und der Zuwanderungsfrage wird es deutlich schärfere Bestimmungen geben, das Ende des Zeitalters der Massenzuwanderung sollte für die Alpenrepublik nunmehr anbrechen. An der Rückführung abgelehnter Asylsuchender und illegal im Land befindlicher Ausländer wird kein Weg vorbei führen, und für die übrigen im Land befindlichen Zuwanderer wird es eine Integrationspflicht geben, die sich zuallererst im Erwerb der deutschen Staatssprache manifestieren wird. Die durch die Massenzuwanderung in den letzten Jahren so häufig in Frage gestellte innere Sicherheit wird durch eine Stärkung der Exekutive bekämpft werden und die Landesverteidigung – gerade im Sinne des Schutzes der Außengrenzen – wird deutliche Priorität erhalten. „Home Security“ – wenn man schon den aus der Zwischenkriegszeit belasteten Begriff „Heimatschutz“ ablehnt – wird also eine vordringliche Aufgabe der neuen Regierung sein, und auch das darf als dezidiert wertkonservative Haltung eingestuft werden.
Im sozialpolitischen Bereich wird es zweifellos dazu kommen, dass die Transferleistungen des Staates primär den eigenen Staatsbürgern vorbehalten werden. Die bereits vor den Wahlen diskutierte Kürzung des Kindergeldes für im Ausland lebende Kinder ist ein Beispiel für diese Haltung. Die einheitliche Regelung der Mindestsicherung für Zuwanderer und Asylwerber stellt ebenso eine Maßnahme in diesem Sinne dar.
Auch die Verstärkung direkt-demokratischer Mechanismen durch die neue Bundesregierung darf als Teil eines wertkonservativen Programms gewertet werden. Parlamentarische, repräsentative Demokratie ist nämlich hierzulande wie auch in anderen west- und mitteleuropäischen Staaten tendenziell längst zur Funktionärs- und Parteibonzen-Politik-Demokratie degeneriert. Die Politikverdrossenheit weiter Kreise der Bevölkerung resultiert nicht zuletzt aus dem Gefühl, als Bürger ohnedies kaum oder nur minimal mitzubestimmen zu können. Wenn also nunmehr durch die Verstärkung direkt-demokratischer Elemente und der verstärkten Durchführung von Plebisziten wieder eine neue und starke Bürgerpartizipation eingeführt wird, vermag dies unter Umständen die Wertschätzung des demokratischen Systems im Bürgerbewusstsein zu heben. Natürlich gibt es auch die populistische Versuchung, solch plebiszitären Elemente zu politischen Kampagnen zu nützen, dem kann man allerdings entgegen halten, dass man eben ein gewisses Vertrauen in die Reife der Bürger und die Mündigkeit der Wähler setzen muss.
Der Wahlbürger als Souverän in der Demokratie muss schließlich und endlich die Gewissheit haben, dass das demokratische System so aufgebaut wird, dass sein Wille, der Wählerwille eben, möglichst unmittelbar und möglichst unverfälscht in der realen Politik umgesetzt werden kann. Wenn man aber schon das populistische Risiko einer verstärkten direkten Demokratie als Gegenargument anführt, muss man sich vor Augen halten, dass das diesbezügliche Risiko vor allem die jeweilige Regierung, in dem Fall also ÖVP und FPÖ, zu tragen hat. Sie riskiert nämlich, dass eine schlagkräftige Opposition, etwa linksorientierte Gewerkschaften oder ähnliche Großorganisationen, die neuen direktdemokratischen Instrumentarien nützten, um der Regierung das Leben schwer zu machen.
Wie weit in den Fragen der Kulturpolitik wieder österreichische Identität und eine lebendige Symbiose zwischen zeitgenössischer Kunst, Hochkultur und Volkskultur gefördert und propagiert werden wird, bleibt abzuwarten. Bei allem Respekt vor der Freiheit der Kunst und bei aller Toleranz gegenüber den Kunstschaffenden stellt sich doch die Frage, ob insbesondere im Bereich der Förderpolitik nicht neue Wege gegangen werden sollten, die nicht mehr in der Dauersubventionierung zeitgeistiger Vereine und allzu politisch-korrekter Staatskünstler ihr Ziel sieht, sondern in der Erweckung des Kreativ-Potenzials des Landes und seiner Menschen.
All das mag, wie gesagt, von linker und politisch korrekter Seite als rückwärtsgewandt und reaktionär angesehen werden, es stellt aber – zumindest als Absichtserklärung in Form eines Regierungsprogramms – so etwas wie eine kleine konservative Revolution dar. Eine konservative Revolution, die von einer seit Jahrzehnten wohl etablierten christlich-sozialen Partei im Bündnis mit einer rechtsdemokratischen – von ihren Gegnern als rechtspopulistisch diffamierten – Gruppierung getragen ist. Eine junge Führungstruppe in der alten Tante ÖVP, und eine über lange Oppositionsjahre gestählte freiheitliche Gruppierung könnten solcherart den Reformmotor für das Land darstellen. Für Reformen, die an den Prinzipien der Vernunft, des wohlverstandenen Eigeninteresses von Land und Leuten, der eigenen Identität und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit orientiert sind. Keine schlechte Perspektive, man darf also mit gedämpftem Optimismus in die Zukunft schauen.

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