Würdiger Staatsakt zum Republikjubiläum

15. November 2018

Am 12. November fanden sich die Spitzen der Republik in der Wiener Staatsoper zusammen, um, begleitet von der Musik Mozarts, Mahlers und Beethovens der Ausrufung der Republik vor 100 Jahren feierlich zu gedenken. Und die Feier war – was man im Vorfeld vielleicht erhoffen, aber nicht unbedingt erwarten konnte – dem Anlass entsprechend würdig. In ihren Reden verzichteten Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka allesamt auf Schuldzuweisen oder das Wechseln von politischem Kleingeld und stellten stattdessen das Gemeinsame vor das Trennende.
Die Festrednerin, die Schriftstellerin Maja Haderlap, leistete sich zu Beginn ihrer Ausführungen einen kleinen Eklat, indem sie Vizekanzler Strache als einzigen Spitzenrepräsentanten des Landes nicht begrüßte. Aber dennoch gebührt der Kärntner Slowenin Anerkennung, weil sie im Gegensatz zur Rede des Autors und linken Gutmenschen Michael Köhlmeier anlässlich zur Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestags des Anschlusses die Einladung nicht dazu missbrauchte, um über die Mitte-Rechts-Regierung im Allgemeinen und das Dritte Lager im Besonderen herzuziehen, sondern einen Aspekt ansprach, der uns alle betrifft: Haderlap warnte vor einer Ökonomisierung der Gesellschaft, die eine Gefahr für die Demokratie sei.
Der Staatsakt zeigte im diesjährigen Jubiläumsjahr einmal mehr, wie sich die Republik sieht: Er war von einem entsprechenden Patriotismus mit einer europäischen Perspektive getragen, der aber die unbestreitbaren Verdienste des nationalliberalen Lagers um die res publica weitgehend ausklammert. So war es einzig und allein Vizekanzler Heinz-Christian Strache vorbehalten, die Leistungen Dritten Lagers, der deutsch-freiheitlichen Abgeordneten und Franz Dinghofers, einer der drei Präsidenten der Provisorischen Nationalversammlung, bei der Gründung der Republik entsprechend zu würdigen.
Anlass zur Kritik gibt auch das offizielle Geschichtsverständnis zu Jahren 1914 bis 1955. So wichtig und richtig es war, Holocaust-Überlebende zum Staatsakt in die Wiener Staatsoper einzuladen, so stellt sich dennoch die Frage, warum nicht aller Opfer gedacht wird. Etwa der hunderttausenden Gefallenen im Ersten Weltkrieg, jenen der Hungersnot in der Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, der etwa 260.000 Österreicher, die als Soldaten der Wehrmacht gefallen sind, der zivilen Opfer des Zweiten Weltkriegs, insbesondere jener, die Bombenhagel der Alliierten zu Tode kamen.
Und noch etwas wurde beim offiziellen Republik-Gedenken verschwiegen. Dass nämlich das Staatsgebiet Österreichs, wäre das von US-Präsident Woodrow Wilson vollmundig verkündete Selbstbestimmungsrecht der Völker auch für die Verlierer des Ersten Weltkriegs tatsächlich verwirklicht worden, heute um einiges größer wäre. So saßen auch Vertreter Südtirols, der Untersteiermark, und Deutschböhmens in der Provisorischen Nationalversammlung. Sie alle wollten Teil der neuen Republik sein, durften es aber nach dem Willen der Siegermächte nicht.
Und viele bezahlten ihr Eintreten für die junge Republik mit ihrem Leben. Etwa, als am 27. Jänner 1919 das Militär des SHS-Staates beim Marburger Blutsonntag auf Demonstranten schoss, die friedlich ihren Willen bekundeten, bei Österreich zu bleiben und nicht an das neu gegründete Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen angeschlossen zu werden. Oder am 4. März 1919, als 54 Sudetendeutsche getötet wurden, die für den Verbleib bei Österreich demonstrierten.
Aber vielleicht kann man dieser Opfer am
10. September 2019 gedenken, wenn sich die Unterzeichnung des Staatsvertrags von St. Germain zum 100. Mal jährt.


100 Jahre „Selbstfindung“?

26. Oktober 2018

Am vergangenen Sonntag, am 21. Oktober des Jahres 2018, wurde der Auftakt zu den Feiern zum 100. Geburstags der Republik begangen. Am 21. Oktober 1918 kamen bekanntlich die deutschen Abgeordneten des ehemaligen habsburgischen Reichsrats zusammen, um sich als Provisorische Nationalversammlung zu konstituieren. Am 30. Oktober kam es dann zur Staatsgründung Deutsch-Österreichs, am 12. November zur Ausrufung der Republik. Und bei all diesen Sitzungen der Provisorischen Nationalversammlung hatten die 111 deutsch-freiheitlichen Abgeordneten die klare Mehrheit. Dementsprechend war es auch Dinghofer, der deutsch-nationale Präsident der Provisorischen Nationalversammlung, der diese Sitzungen leitete und schließlich am 12. November 1918 die Republik ausrief.
Beim Auftakt der 100-Jahr-Feierlichkeiten nun hat Nationalratspräsident Sobotka erklärt, dass dieser 21. Oktober 1918 der Auftakt der „Selbstfindung als Nation“ gewesen sei. Und er hat natürlich insofern recht, als damals die deutschen Abgeordneten des ehemaligen cisleithanischen Reichsrats vor der Frage standen, was denn nun angesichts des Zerfalls des Habsburgerstaates zu tun sei. Ihre damalige Antwort war das Streben nach dem Anschluss an das ebenso wie die Habsburger Monarchie im Weltkriege schwer geschlagene Deutsche Reich. Nur so vermeinten sie den damals als nicht lebensfähig geltenden deutschen Rest der Habsburger Monarchie in die Zukunft führen zu können.
Dieser Wunsch wurde ihnen bekanntlich versagt, Deutsch-Österreich musste sich in Republik Österreich umbenennen und auf den Anschluss auf demokratischem und friedlichem Weg verzichten. Dieser kam dann dafür gewaltsam im März 1938.
Und was die „Selbstfindung“ als Nation betrifft, so sahen sich alle maßgeblichen politischen Kräfte in der ersten Republik als Teil der deutschen Nation. Dies wurde den Österreichern erst in den Jahren der NS-Despotie ausgetrieben und nach 1945 in den zehn Jahren der alliierten-Besatzung trug ein gerütteltes Maß an österreichischem Opportunismus dazu bei, das Bekenntnis zu einer ethnisch und kulturell eigenständigen „österreichischen Nation“ wachsen zu lassen. Wer gehört schon gern zu den Besiegten von 1945? Indessen aber, 100 Jahre nach der Republikgründung, dürfen wir stolz darauf sein, dass Österreich in der Zweiten Republik tatsächlich eine Erfolgsgeschichte geworden ist. Und natürlich hat dieses Österreich damit eine eigenständige unverwechselbare Identität entwickelt, die die allgemeine unbestrittene Zustimmung zu einer eigenständigen Staatsnation umfasst. Davon völlig unberührt bleibt die Tatsache, dass dieses Österreich in der Mehrheit seiner Bevölkerung zur deutschen Sprachgemeinschaft zählt und einen bedeutenden Anteil an der deutschen Geschichte sein eigen nennt. Das Sich-Hinausstehlen aus dieser deutschen Geschichte mittels Opfermythos ist spätestens seit der Waldheim-Affäre, seit dem Bekenntnis des damaligen Bundeskanzlers Franz Vranitzky zur österreichischen Mitverantwortung an den Verbrechen des Dritten Reichs und – das ist besonders bedeutsam – seit der Hinwendung des Dritten Lagers zum Österreich-Patriotismus unausgesprochen, aber denklogisch zur unbestreitbaren Tatsache geworden.
Heute allerdings ist diese „österreichische Nation“ in vielerlei Hinsicht gefährdet: Just ihre demonstrativsten Apologeten aus dem vormaligen rot–schwarzen Proporz-Establishment der Zweiten Republik haben sie einerseits der Europäisierung und damit der Nivellierung durch die Globalisierung preisgegeben und andererseits durch das Zulassen der Massenmigration mit dem Höhepunkt des Ansturms im Jahre 2015 der ganz offensichtlichen Ethnomorphose („Umvolkung“ ist ja ein Pfui-Wort).
100 Jahre nach der Republiksgründung befindet sich Österreich nunmehr in einer Transformation: Einerseits hat sich die scheinbar so festgefügte etablierte politische Landschaft der Zweiten Republik grundlegend verändert, und jenes nationalliberale Lager, das vor 100 Jahren an der Spitze der politischen Klasse stand, ist zurückgekehrt in die politische Verantwortung für diese Republik. Die Freiheitlichen des Heinz-Christian Strache sind bekanntlich in der Regierung. Andererseits ist Österreich zu einem De-Facto-Zuwanderungsland geworden, mit einer fragmentierten, zunehmend multiethnischen Bevölkerung, wobei die Kinderlosigkeit und Überalterung der autochthonen Bevölkerung von kinderreichen Migranten herausgefordert wird. Und parallel dazu ist dieses Land geprägt von einer Gesellschaft mit zunehmend folgenschweren Kultur- und Zivilisationsbrüchen, einerseits durch die Entchristianisierung der autochthonen Bevölkerung und die islamistische Radikalisierung in weiten Bereichen der Zuwanderungspopulation.
Die von Sobotka angesprochene „Selbstfindung“ Österreichs ist also ausgerechnet 100 Jahre nach der Republiksgründung in eine neue und womöglich viel dramatischere Phase getreten, als es sie jemals in den letzten 50, 60 Jahren gab. Feiern sollte man die Erfolgsgeschichte Österreich dennoch.