Die Themen desVorwahlkampfs

25. Mai 2023

Drei Themen sind es, die gegenwärtig den Vorwahlkampf im Lande dominieren. Die Angst-Lust des gesamten Parteienspektrums im Hinblick auf den FPÖ-Chef Herbert Kickl. Dann der Führungszwist in der SPÖ. Und schließlich die gegenseitige Dauerblockade der beiden noch regierenden Koalitionspartner ÖVP und Grüne.
Tatsächlich gerät die Debatte um die Frage, wie hältst du es mit Herbert Kickl, immer mehr ins Zentrum der politisch-medialen Auseinandersetzung. Die Gazetten sind voll mit Analysen über den Wiederaufstieg der Freiheitlichen und psychologisierenden Ferndiagnosen über die Persönlichkeitsstruktur des blauen Parteichefs. Der bereits über lange Monate andauernde Höhenflug der FPÖ in den Umfragen und die Kooperation von Volkspartei und FPÖ in Niederösterreich und Salzburg nähren die Sorge des medialen Mainstreams und des politischen Establishments, dass womöglich tatsächlich eine Kanzlerschaft Kickls im Raum stehen könnte. Und so sehr man auch die Kooperation der beiden bürgerlichen Parteien in den Bundesländern kritisiert, obwohl es dort ja nur um die Absicherung der ÖVP-Dominanz mit freiheitlicher Hilfe geht, so sehr glaubt man sicher sein zu können, dass umgekehrt die Volkspartei den FPÖ-Chef nicht zum Kanzler wählen würde.
Oder etwa doch? Klar ist jedenfalls, dass Kickl nicht so wie im Jahr 2000 Haider vom Anspruch auf die Führung der Bundesregierung zurücktreten würde. Und da würde sich dann die Frage stellen, ob die ÖVP die Kraft und den Willen hätte, die freiheitliche Dominanz in einer gemeinsamen Koalition zu akzeptieren. Das einzige Argument dafür wäre wohl der unbedingte Wunsch der schwarzen Reichshälfte, um jeden Preis in der Regierung und damit an den Futtertrögen der Macht zu verbleiben – und sei es auch als Juniorpartner.
Die zweite Frage, die das Land im Vorwahlkampf bewegt, ist die Führungsdiskussion innerhalb der Sozialdemokratie. Ganz gleich, wer sich nun am Parteitag durchsetzt – zur Zeit der Abfassung dieses Textes war dies noch nicht klar – der Zwist wird deshalb nicht ausgestanden sein. Neben der Frage der Persönlichkeiten geht es aber auch um die inhaltliche und ideologische Weichenstellung innerhalb der traditionsreichen alten Arbeiterpartei. Bleibt die SPÖ unter Rendi-Wagner eine Partei der linksliberalen Schickeria oder wird sie unter Doskozil eine populistische Bewegung oder unter Babler eine Linksaußen-Gruppierung, das ist die Frage.
Fest stehen dürfte allerdings, dass es im linken Lager der Republik künftig eine gewisse Dreiteilung der Kräfte geben wird: einerseits die Sozialdemokratie, die vorwiegend von den Pensionisten gewählt wird, dann die linke Schickimicki-Partie der Grünen und eine sozialradikale KPÖ. Und alle drei gemeinsam haben Wählerpotenzial, das deutlich unter 50 Prozent liegt.
Schließlich ist da als drittes Thema im Vorwahlkampf noch die gegenseitige Blockade der beiden Regierungsparteien. Volkspartei und Grüne stellen längst nicht mehr „das Beste aus zwei Welten“ dar, sondern allenfalls noch die einander hassenden Partner einer Zwangsehe. Während die Grünen in den vergangenen Jahren angesichts der ob der Korruptionsfälle desorientierten ÖVP glauben konnten, in der Regierung alles durchsetzen zu können, hat die Führung der Volkspartei nunmehr ganz offensichtlich umgeschaltet. Demonstrativ konterkariert der Bundeskanzler nun die grüne Klimapolitik und gönnt dem kleinen Koalitionspartner für den Rest der Legislaturperiode offenbar nicht mehr den geringsten politischen Erfolg.
Zusätzlich scheint man in der ÖVP auf das Erfolgsrezept des Jahres 2017 zu setzen. Man kopiert freiheitliche Inhalte, insbesondere eine harte Linie in der Migrationspolitik und hofft solcherart, die Wähler zurück zu bekommen. Tatsächlich gibt es in den Meinungsumfragen Anzeichen für eine zarte Erholung der ÖVP durch diesen neuen Kurs. Dennoch liegt sie nach wie vor deutlich abgeschlagen hinter den Freiheitlichen, womit sich rund um die nächste Nationalratswahl für Nehammer wohl die Gretchenfrage stellen wird: Wie hältst du es mit Herbert Kickl?


Parteien­landschaft im Umbruch

1. April 2023

Österreichs Parteien zwischen Entideologisierung, neuen Zivil­religionen und Massenmigration

Es war der renommierte Historiker Adam Wandruszka, der einmal meinte, Österreichs politische Landschaft sei gewissermaßen gottgewollt von drei politisch–ideologischen Lagern bestimmt. Da sei einmal als ältestes Lager das nationalliberale, deutsch-freiheitliche. Dann das konservativ-christlichsoziale und schließlich das marxistisch-sozialdemokratische. Diese, aus der Monarchie stammende Dreiteilung hat tatsächlich die Erste Republik und über mehrere Jahrzehnte auch die Zweite Republik politisch geprägt. Zwar wurde das nationalliberale Lager nach der Gründung der Republik in quantitativer Hinsicht zum „dritten Lager“ herabgestuft, es blieb aber doch bis zum heutigen Tag – mit dem verhängnisvollen nationalsozialistischen Zwischenspiel – ein Faktor der österreichischen Innenpolitik.
Die weit linksstehende österreichische Sozialdemokratie übernahm mit der Person Karl Renners eine führende Rolle bei der Gründung der Republik. Durch ihre ideologische Radikalität vermochte sie das Aufkommen einer wirklich bedeutenden kommunistischen Bewegung zu verhindern. In Form des Proporz-Systems konnte sie in der Zweiten Republik eine tragende Rolle übernehmen, die ihren Höhepunkt in der Ära Kreisky fand.
Was schließlich das christlich-konservative Lager betrifft, so konnte dieses in der Person von Ignaz Seipel gemeinsam mit den deutschennationalen Parteien die demokratische Phase der Ersten Republik dominieren. Die ständestaatliche Diktatur, die dann Engelbert Dollfuß errichtete, stellt den autoritären, antidemokratischen Irrweg dieses Lagers dar. In der Zweiten Republik konnte die Volkspartei das erste Vierteljahrhundert prägen, um dann nach dem Zwischenspiel der Ära Kreisky wieder für drei Jahrzehnte mit zuregieren.
In den letzten beiden Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts erodierten diese drei politischen Lager allerdings. Einerseits kam es in allen Bereichen zu einer gewissen Entideologisierung, andererseits versuchten Persönlichkeiten aus den Randbereichen dieser drei Lager eigene politische Wege zu gehen. Dies äußerte sich in einer Reihe organisatorischer und wohl auch ideologischer Abspaltungen.
Im linken, austromarxistischen, sozialdemokratischen Lager war das neben der KPÖ jene Abspaltung, die der Gewerkschaftsführer und vormalige Innenminister Franz Olah konstituierte. Diese konnte der SPÖ zwar kurz schaden und die Errichtung der ÖVP-Alleinregierung unter Josef Klaus ermöglichen, letztlich aber scheiterte sie. Die Kommunisten selbst führten mit Ausnahme der unmittelbaren Nachkriegsjahre während der ganzen Zweiten Republik ein Schattendasein. Bis sie in Graz vor kurzem den Sessel des Bürgermeisters erobern konnten. Als Spätfolge der Achtundsechziger-Revolte konnte die Neue Linke die Ökologiebewegung vereinnahmen, um die grüne Partei zu gründen. Diese Grünen entwickelten sich zu einer linksextremen Kaderpartei, die auf der Basis der neuen Zivilreligionen, Political Correctness, Wokeness, Cancel Culture und Klimapolitik zu einer gesamtgesellschaftlichen Bewegung wurde, die einen nahezu totalitären Anspruch erhebt. Was das christlich-konservative Lager betrifft, so sind wohl die NEOS als Abspaltungsprodukt zu bezeichnen. Sie sind zumindest in wirtschaftspolitischer Hinsicht eher liberal-konservativ, gesellschaftspolitisch aber entsprechen sie dem linken Mainstream.
Die meisten Abspaltungen hat allerdings das national-freiheitliche Lager zu verzeichnen. Da ist einmal schon in den Sechziger-Jahren die Gründung der Nationaldemokratischen Partei durch Norbert Burger zu nennen. Diese endete mit einem polizeilichen Verbot. Keine wesentliche Wirkung entfalteten politische Splittergruppen wir die „Aktion Neue Rechte“ oder Otto Scrinzis „Nationalfreiheitliche Aktion“. Wesentlich größere politische Bedeutung hatte jene Abspaltung von der FPÖ, die Heide Schmidt mit dem „Liberalen Forum“ wagte. Aber auch dieses endete, ähnlich wie Jörg Haiders Abspaltung, das „Bündnis Zukunft Österreich“, nach wenigen Jahren parlamentarischer Aktivität in der politischen Bedeutungslosigkeit. All diese politischen Abspaltungs-Produkte änderten nichts daran, dass ÖVP, SPÖ und FPÖ die dominanten politischen Kräfte der Zweiten Republik bleiben.
Der Wähler ist in den letzten Jahren zunehmend volatil geworden. Da wandern Stimmen zwischen der Volkspartei und den Freiheitlichen in großem Umfang innerhalb kürzester Zeit hin und her. Jene 27 Prozent etwa, die Jörg Haider 1999 erreichte, wurden zwei Jahre später zu 42 Prozent für Wolfgang Schüssel. Und das, was Sebastian Kurz 2019 erntete, wird im nächsten Jahr wohl Herbert Kickl an Wähler-Zustimmung einfahren. Ähnlich verhält es sich innerhalb der linken Reichshälfte. Wenn die Sozialdemokratie, wie in unseren Tagen wegen der ungeklärten Führungsfrage schwächelt oder gar von Spaltung bedroht ist, profitieren die Grünen davon. Und wenn diese es mit ihrer paternalistischen Verbots- und Vorschriftspolitik übertreiben, deshalb geschwächt werden oder gar aus dem Nationalrat fliegen, stärkt das natürlich die SPÖ. Sowohl das linke Lager, als auch das bürgerliche, rechte stellen also so etwas wie kommunizierende Gefäße dar. Allerdings scheint es in Österreich eine linke Mehrheit seit dem Abtreten von Bruno Kreisky nicht mehr zu geben. Nach Kreiskys Abgang vermochte bekanntlich Jörg Haider einen Teil der ehemaligen sozialdemokratischen Wähler aus dem Bereich der Arbeitnehmer für die FPÖ zu vereinnahmen. Damit schuf er offenbar auf Dauer so etwas wie eine rechte, bürgerlich–freiheitliche Mehrheit im Lande.
Allerdings könnte sich die politische Landschaft in unseren Tagen grundlegend verändert. Die massiven Dissonanzen, die es gegenwärtig innerhalb der SPÖ gibt, scheinen auf eine weitere Spaltung des linken Lagers hinauszulaufen. Neben der traditionellen Sozialdemokratie, den Grünen und den erstarkenden Kommunisten könnte sich eine weitere Linkspartei etablieren. Diese vier Linksgruppierungen könnten gemeinsam – wenn sie aus ideologischen Gründen zur Zusammenarbeit fähig wären – kaum jemals über 50 Prozent der Wählerstimmen kommen. Sie wären nur in Kooperation mit einer der rechten oder liberalen Gruppierungen regierungsfähig.
Was das rechte, nationalliberale und konservative Lager betrifft, so dürfte sich eine Verschiebung des Schwergewichts auf Dauer in Richtung der Freiheitlichen ergeben. Die Volkspartei, die sich ursprünglich auf die katholische Soziallehre berufen hatte, leidet allein schon aus dogmengeschichtlicher Sicht massiv unter dem Bedeutungsverlust des Christentums. Die Freiheitlichen hingegen vermögen offenbar ihre plebiszitäre Politik auf alle Schichten der Bevölkerung auszudehnen, um solcherart so etwas wie eine Volkspartei neuen Typs zu werden. Eine Volkspartei, die einerseits Protest, andererseits grundlegend andere Politik-Ansätze glaubhaft zu vermitteln versteht.
Im Wesentlichen dürfte sich der alte Gegensatz zwischen links und rechts, wie er sich ursprünglich in moderater Form in der Zweiten Republik in der Konkurrenz zwischen christlich-konservativer Volkspartei und postmarxistischer Sozialdemokratie äußerte, auf den politischen Konflikt zwischen Freiheitlichen und Grünen fokussieren. Wobei die Grünen für eine apokalyptisch grundierte, tendenziell autoritäre Verbots- und Vorschriftspolitik stehen, wohingegen die Freiheitlichen einen nicht minder fundamentalistischen Populismus repräsentieren, der perpetuierten Protest der Bürger und gewissermaßen institutionalisierte Skepsis gegenüber Institutionen und politischen Abläufen artikuliert und kanalisiert.
Wie weit eine Veränderung der politischen Landschaft dieser Art auf Dauer tragfähig und konstruktiv für die weitere Entwicklung der rot–weiß–roten res publica sein kann, wird sich weisen. Aus der traditionellen Konsens-Demokratie, wie sie sich durch den rot–schwarzen Proporz in der Zweiten Republik konstituierte, wird damit zwangsläufig ein konfrontatives System. Um ein solches System der demokratischen Konfrontation friedlich und fruchtbringend zu gestalten, ist ein hohes Maß an demokratischer Reife auf beiden Seiten notwendig. Diese zu entwickeln, dürfte für das Land die Aufgabe der unmittelbaren Zukunft sein.


Kriterium Kickl

26. März 2023

Nachdem vor wenigen Tagen die Führungsorgane der heimischen Sozialdemokratie beschlossen hatten, eine Mitgliederbefragung und danach einen Sonderparteitag abzuhalten, um zu klären, wer denn an die Parteispitze treten und damit auch der Spitzenkandidat bei der kommenden Nationalratswahl sein solle, äußerten sich die beiden Kontrahenten vor den Medien.
Befragt, was denn der Unterschied zwischen ihr und dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil sei, erklärte Pamela Rendi-Wagner gegenüber dem ORF-Interviewer, dass es in erster Linie ihre klare und unmissverständliche Ablehnung jeglicher Zusammenarbeit mit dem FPÖ-Chef Herbert Kickl sei, die sie von ihrem Kontrahenten unterscheide. Und dieser wiederum meinte seinerseits, dass er mit dem blauen Gottseibeiuns der heimischen Innenpolitik nicht kooperieren wolle, eine Zusammenarbeit mit der FPÖ allerdings schloss er im Gegensatz zu Rendi-Wagner nicht dezidiert aus.
Aber nicht nur in der Sozialdemokratie, nein, auch im Kreise der ÖVP-Spitzenpolitiker scheint die Frage, wie weit man mit Kickl kooperieren dürfe, zum eigentlichen Hauptkriterium der politischen Zukunftsentwicklung zu sein. Nach dem Abschluss der türkis–blauen Koalition in Niederösterreich gab es massive Kritik an diesem Bündnis. Und das nicht nur von diversen linken Künstlern, von der Israelitischen Kultusgemeinde und von den linken Parteien, nein, auch aus dem Kreise der ÖVP. Und wieder war es einmal mehr der EU-Abgeordnete Othmar Karas, selbst auch aus Niederösterreich, der hier am lautstärksten protestierte.
Auf die Vorhaltung diverser Medien und politische Analytiker, dass Niederösterreich ein Probelauf für eine Neuauflage der schwarz–blauen Koalition auf Bundesebene sein könne, äußerten sich allerdings auch andere ÖVP-Spitzenpolitiker, dass das mit Kickl wohl sehr schwer denkbar sei. Jene allzu apodiktischen Absagen aber an jede Kooperation mit der FPÖ, die noch vor wenigen Wochen aus dem Munde von ÖVP-Chef und Bundeskanzler Nehammer gekommen waren, gehören nach dem niederösterreichischen Bündnis offenbar der Vergangenheit an. So scheinen die Strategen in den beiden Altparteien der Republik, also innerhalb der Volkspartei und der Sozialdemokratie, ihre politischen Zukunftsplanungen voll und ganz an Hand des Verhältnisses zu den Freiheitlichen und deren Parteichef auszurichten.
Von zentraler Bedeutung dürfte dies vor allem deshalb werden, weil den gegenwärtigen Umfragen zufolge eine Zweier-Koalition ohne Herbert Kickl und FPÖ nach den kommenden Nationalratswahlen keine Mehrheit haben dürfte. Eine Neuauflage der alten großen Koalition zwischen SPÖ und ÖVP käme keineswegs auf mehr als 50 Prozent, ebensowenig wie eine rot‑–grün–pinke Ampel aus SPÖ, Grünen und Neos.
Das bedeutet aber nicht mehr und nicht weniger, als dass außer einer höchst instabilen Dreier-Koalition der beiden Altparteien mit einer der beiden kleinen Parteien nur eine wirklich tragfähige Zweier-Koalition unter Führung der FPÖ infrage käme. Und jene Erörterungen, die man gegenwärtig häufig hört, ob denn eine solche FPÖ-geführte Regierung ohne Kickl möglich wäre, ist von vornherein als Illusion, als bloßes Wunschdenken der FPÖ-Gegner zu betrachten. Herbert Kickl wird jenen Fehler, den sein Vorgänger Jörg Haider im Jahre 2000 machte, nämlich eine Regierung ohne seine Beteiligung, gewiss kein zweites Mal begehen.


Kärnten: Alles ist möglich

10. März 2023

Vor exakt 34 Jahren, am 12. März 1989, wurde Kärnten durch ein politisches Erdbeben erschüttert. Die bis dahin mit absoluter Mehrheit regierende SPÖ unter dem Nachfolger Leopold Wagners als Landeshauptmann, dem damals jungen Sozialdemokraten Peter Ambrozy, war auf kaum 46 Prozent zurückgefallen. Und Jörg Haiders Freiheitliche erreichten knapp 29 Prozent. Gemeinsam mit der ÖVP, die auf etwa 19 Prozent gekommen war, beanspruchte Haider nun erfolgreich den Sessel des Landeshauptmanns, gemäß dem zuvor postulierten Wahlkampf-Motto „tausche Jörg gegen Ambrozy“.
In unseren Tagen nun, bei der jüngsten Kärntner Landtagswahl, ist Peter Kaisers SPÖ von einer nahezu absoluten Mehrheit auf 39 Prozent zurückgestutzt worden. Und die Freiheitlichen, die ÖVP und am stärksten das Team Kärnten konnten zulegen und hätten nunmehr im Landtag eine satte Mehrheit.
Daher muss man natürlich anerkennen, dass die Sozialdemokratie in Österreichs südlichstem Bundesland trotzdem noch immer mit Abstand die stärkste Partei ist. Daher wird sie wohl legitimerweise neuerlich die Position des Landeshauptmanns beanspruchen.
Allerdings riecht es nach der „politischen Watsch’n“ für die SPÖ in Kärnten doch nach Wandel. Peter Kaiser hat diesmal mit minus 9 Prozent mehr verloren als seine Vorgänger 1988, und seine Sozialdemokratie ist mit 39 Prozent wesentlich schwächer als damals mit 46 Prozent. Aber FPÖ-Bundesparteichef Kickl könnte meinen, dass nun, ein gutes Jahr vor der entscheidenden Nationalratswahl eine regierende FPÖ in einem Bundesland hinderlich wäre für seine so erfolgreiche Fundamentalopposition. Vergessen sollte er allerdings nicht, dass Jörg Haider damals mit seinem Griff nach dem Landeshauptmann in Kärnten eine nahezu 25 Jahre währende blaue Vorherrschaft zu begründen vermochte.
Allerdings wären die Verhältnisse für einen völligen politischen Wandel in Kärnten schon schwieriger als seinerzeit zu Haiders Zeiten. Da wäre einmal die Tatsache, dass ein solcher Wandel eben nur mit einem Drei-Parteien-Bündnis möglich wäre. Und ein solches Bündnis wäre natürlich relativ fragil. Abgesehen davon stellt sich die Frage, ob der pragmatische Populist Köfer sich mit der Rolle als Juniorpartner in einer solchen Koalition zufriedengeben würde. Und das gleiche Problem könnte man mit der auf 17 Prozent angewachsenen ÖVP des Herrn Gruber haben. Natürlich müssten in einem solchen Bündnis die Freiheitlichen unter Erwin Angerer den Landeshauptmann stellen. Sie wären mit 25 Prozent doch wesentlich stärker als die beiden Partner-Parteien.
Denkbar wäre in Kärnten aber auch eine Koalition zwischen den geschwächten Sozialdemokraten und den Freiheitlichen. Klarerweise würden in einer solchen Koalition die Roten den Führungsanspruch erheben, es wäre dies aber vielleicht ein Signal für eine künftige Kooperation auf Bundesebene nach den kommenden Nationalratswahlen. Und damit könnte das Herbert Kickl durchaus ins Konzept passen.
Und noch eine weitere strategische Variante wäre in Kärnten denkbar: Man könnte andenken, irgendeinen politischen Deal in Hinblick auf die in sechs Wochen ins Haus stehenden Landtagswahlen in Salzburg zu machen. Dort könnte man nämlich ebenso mit den Sozialdemokraten gegen den bislang amtierenden schwarzen Landeshauptmann paktieren.
Man sieht also deutlich, dass in Kärnten und in der Folge in Salzburg allerhand politische Veränderungen denkbar wären.


Kaiser-Land oderKickl-Land?

24. Februar 2023

Nach Niederösterreich ist nun also Kärnten an der Reihe – mit den Wahlen zum Landesparlament. In Nieder­österreich war es bekanntlich ein veritabler blauer Triumph, da die FPÖ die dort über Jahrzehnte dominierende Volkspartei abräumen konnte. In Kärnten ist die Lage anders. Da gibt es nur eine schwache ÖVP, von der man wohl nur mehr dann Stimmen generieren könnte, wenn man die letzte Pfarrerköchin umstimmen würde. Da heißen die Mitbewerber der Freiheitlichen Gerhard Köfer und Peter Kaiser. Das Team Kärnten und die SPÖ sind die politischen Bewegungen, gegen die sich die FPÖ in Kärnten behaupten muss.
Nun war Kärnten bekanntlich über lange Jahre unter Jörg Haider und zuletzt unter Gerhard Dörfler die freiheitliche Hochburg schlechthin in Österreich. Bei den letzten Wahlen vermochte die FPÖ allerdings nur mehr 23 Prozent zu erlangen, ein Stimmenanteil, den ihr die Umfragen gegenwärtig auch zuschreiben. Im Lande selbst tritt mit Erwin Angerer ein hochanständiger Politiker als FPÖ-Spitzenkandidat an, der allerdings bislang noch nicht jene Strahlkraft zu entwickeln vermochte, wie sie seinerzeit etwa ein Jörg Haider hatte. Und nachdem der rote Landeshauptmann eigentlich keine schweren Fehler gemacht hat – mit Ausnahme vielleicht seiner Haltung in der Corona-Pandemie –, und nachdem mit Köfer ein überaus listenreicher Populist als Konkurrent auftritt, hat es die FPÖ In Kärnten derzeit eben schwer.
Allerdings gibt es da nunmehr einen politischen Bundestrend, der die freiheitlichen Wahlchancen auch im südlichsten Bundesland entsprechend erhöht. Als FPÖ-Chef Herbert Kickl dieser Tage auf Wahlkampftour in Kärnten weilte, kam es zu regelrechten Volksaufläufen. Nach eigenem Bekunden versucht er, in Gegenden zu gehen, die von der Politik normalerweise außer Acht gelassen werden. So drängten sich etwa in Stall im Mölltal an die 400 Menschen in und um ein Wirtshaus, in dem Kickl eine Kundgebung abhielt. Und nachdem die FPÖ gegenwärtig in allen Umfragen österreichweit die stärkste Partei zu sein scheint, dürfte sich dies auch im Kärntner Wahlergebnis niederschlagen.
Dabei allerdings spielen landespolitische Themen offenbar nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr ist das Unbehagen der Bürger über die vormaligen Corona-Maßnahmen, die Sorge vor der Massenmigration und ihren Folgen, sowie die soziale Problematik infolge von Inflation und Energiekrise das eigentliche Wahlmotiv für die Menschen im Lande. Und in all diesen Bereichen der multiplen Krise, unter der wir gegenwärtig leiden, sind die Freiheitlichen die einzige politische Kraft im Lande, die eine klare und stringente Haltung haben.
Demgemäß ist die Sorge der gegenwärtig in Kärnten regierenden Parteien, also der SPÖ und der ÖVP, groß, dass der kommende Wahlgang doch gravierendere Verluste für sie bringen könnte, als ursprünglich angenommen. Peter Kaisers Sozialdemokraten, die bei den letzten Wahlen knapp an der absoluten Mehrheit standen, könnten doch dramatischer verlieren als ursprünglich gedacht, und mit einer gestärkten FPÖ, einem über zehn Prozent kommenden Team Kärnten und der ÖVP ginge sich sogar eine Landtagsmehrheit gegen die Sozialdemokratie und damit ein anderer Landeshauptmann aus.
Nach wie vor dürfte die SPÖ die stärkste Partei in Kärnten bleiben und das Land wird im Vergleich zu anderen Bundesländern wohl nicht mehr als schlechthin die freiheitliche Hochburg gelten können. Wenn selbst im traditionell für die FPÖ schwierigen Nieder­österreich die blaue Riege stärker oder nahezu gleich stark wie die Kärntner FPÖ ist, kann man das klar erkennen. Der freiheitliche Aufwärtstrend dürfte aber anhalten, da nach Kärnten wenige Wochen später in Salzburg gewählt wird. Und dort ist die Ausgangsposition wieder eine wesentlich andere, da die FPÖ unter der sehr talentierten Marlene Svazek dort wiederum den Landeshauptmann-Partei ÖVP beerben könnte.


Schwarzer Konkurs, roter Konflikt, blauer Höhenflug

18. Dezember 2022

Wenn man den Umfragen Glauben schenkt, kann sich die schwarz–grüne Bundesregierung auf kaum mehr 30 Prozent der heimischen Wähler stützen. Und auch die bis vor kurzem in eben denselben Umfragen so dominante SPÖ ist im permanenten Rückgang begriffen. Die Freiheitlichen profitieren, sie sind bereits seit Wochen in nahezu allen Meinungsumfragen die stärkste Partei im Lande.
Während sich die schwarze Kanzler-Partei darin gefällt, Scheinaktivitäten gegen den Zustrom illegaler Migranten zu setzen, indem sie etwa den Schengen-Beitritt von Bulgarien und Rumänien verhindert, haben die Freiheitlichen als einzige Partei diesbezüglich eine glasklare Linie. Und das offensichtliche Unvermögen der Bundesregierung, die Energiekrise und die nahezu schon galoppierende Inflation zu bekämpfen, tut das ihrige. Immer, wenn es Österreich und den Österreichern schlecht geht – so könnte man überspitzt sagen –, geht es der freiheitlichen Oppositionspartei gut, da die Mehrheit der Menschen im Lande dann in der FPÖ den letzten Nothelfer zu erkennen glaubt.
Es sind aber nicht zu sehr irgendwelche politischen Großtaten oder besondere Leistungen der freiheitlichen Opposition, die diesen Höhenflug in den Umfragen verursachen, sondern eher die Schwäche der politischen Konkurrenz. Die ÖVP ist ja in erster Linie damit beschäftigt, den eigenen politischen Konkurs zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern. Immer neue Erkenntnisse der Korruptionsermittler und ständig neue politische Fehlleistungen sorgen dafür, dass die nach wie vor stärkste Parlamentspartei des Landes wohl auf Dauer im Tief verbleiben wird.
Und die Sozialdemokratie, die bis vor kurzem noch geglaubt hat, dass Frau Rendi-Wagner schon sehr bald im Kanzleramt residieren wird, sie verliert auch zunehmend an Sympathien. Dies zu allererst wohl wegen ihrer unklaren Haltung in der Migrationsfrage und wegen des Dauerkonflikt zwischen dem burgenländischen Landeshauptmann und der Parteichefin. Diese Auseinandersetzung geht soweit, dass sich die Spitzen der SPÖ gegenseitig sogar vorwerfen, keine echten Sozialdemokraten zu sein. Und der lachende Dritte bei diesem Streit ist natürlich der freiheitliche Parteichef. Aber wie auch immer, Tatsache ist, dass die Freiheitlichen bereits im Jahre 2015, bei der letzten großen Migrationswelle, über Monate hindurch in den Umfragen die stärkste Partei des Landes waren.
Die gegenwärtige Situation erinnert an die damaligen Umstände. Bei den Nationalrats­wahlen zwei Jahre später wurden sie dann doch nur zweite, da ihnen die Volkspartei unter Sebastian Kurz das Thema Zuwanderung wegzunehmen vermochte. Ob das gegenwärtige Umfragehoch für die FPÖ bis zum wahrscheinlichen Wahltermin im Jahre 2024 anhalten wird, ist ungewiss. Die Chancen stehen aber besser als im Jahre 2017, da die Glaubwürdigkeit von ÖVP und SPÖ in der Migrationsproblematik keine große ist.
Um auch noch die gegenwärtige Lage der kleinen Parteien des Landes, also der Neos und der Grünen zu beleuchten, ist zu sagen, dass deren Bäume nicht in den Himmel wachsen. Die Grünen haben es nicht geschafft so etwas wie einen Regierungsbonus zu erwerben, sie scheinen vielmehr als Verhinderungs-, Verbots- und Reglementierungspartei zunehmend an Sympathien zu verlieren. Zynisch könnte man meinen, es bestünde die Hoffnung, dass sie so wie im Jahre 2017 aus dem Parlament fliegen könnten.
Jedenfalls scheint es so, als würde nach den nächsten Wahlen kaum eine Regierungskoalition ohne die FPÖ möglich sein. Sollten die gegenwärtigen Umfragewerte tatsächlich das künftige Wahlergebnis abbilden, so wäre eine Zweierkoalition ohne die FPÖ unmöglich, möglicherweise auch keine Dreierkoa­lition. Und Viererkoalitionen wären wohl politisch kaum zu realisieren. So scheint es also, als wäre der dieser Tage geäußerte Anspruch des FPÖ-Chefs, doch Bundeskanzler werden zu wollen, gar nicht so unrealistisch.


Spiel nicht mit den Schmuddelkindern!

27. Oktober 2021

Als Parias der Innenpolitik, gewissermaßen als politische Schmuddelkinder, gelten bekanntlich die Freiheitlichen. Vor jeder Wahl beteuern da die Parteichefs und Spitzenkandidaten der anderen, der etablierten Parteien, dass alles möglich sei an Zusammenarbeit, nur nicht mit der FPÖ. Die Gründe dafür variieren: Früher hieß es, die Freiheitlichen seien verkappte Nazis, dann erklärte uns der Schwarze Andreas Khol, die FPÖ stünde außerhalb des Verfassungsbogens, nun sagt man uns, der Grund dafür sei, dass Kickl und seine blauen Kämpen angeblich Corona-Leugner seien und mit irgendwelchen Verschwörungstheoretikern gemeinsame Sache machten.
Da gab es in der Sozialdemokratie die sogenannte Vranitzky-Doktrin, die der indessen in die Jahre gekommene Nadelstreif-Sozialist seinerzeit im Hinblick auf die Haider-FPÖ aufgestellt hatte. Dann gab es irgendwann Anfang der 2000er-Jahre sogar einen Parteitagsbeschluss, dass die SPÖ niemals mit der FPÖ dürfe. Und im roten Wien verdoppelte man dies von der SPÖ-Spitze unter Häupl und nunmehr unter Ludwig sogar, indem man noch einen zusätzlichen eigenen Beschluss in dieselbe Richtung fasste.
Nun konnten wir allerdings vor wenigen Tagen erleben, was dieser angebliche Cordon sanitaire wert ist, Als es nämlich darum ging, angesichts der korruptionsverdächtigen Vorgänge in der ÖVP ihren politischen Wunderknaben Sebastian Kurz loszuwerden, waren plötzlich alle Parteien bereit, mit der FPÖ gemeinsame Sache zu machen. Gespräche wurden geführt, die SPÖ-Chefin traf den FPÖ-Obmann und gar eine Vierer-Koalition mit Grünen, Roten und Neos war unter Einschluss der Freiheitlichen andiskutiert worden. Begründet wurde dies damit, dass es aufgrund des mutmaßlichen Staatsnotstands schlicht und einfach notwendig sei. Und im Nachhinein, als Sebastian Kurz dann abgetreten war, redete man das Ganze klein und behauptete, es seien ohnedies nur Gespräche gewesen.
Was derlei Ausgrenzung der Freiheitlichen betrifft, weiß man ja schon aus der Ära Wolfgang Schüssel/Andreas Khol von der ÖVP, was diese wert ist. Da waren die Freiheitlichen unter Jörg Haider noch angeblich außerhalb des Verfassungsbogens gestanden und dann, als es nach der Nationalratswahl 1999 darum ging, die schwer geschlagene ÖVP und deren Parteichef Wolfgang Schüssel ins Kanzleramt zu hieven, waren die blauen Schmuddelkinder die allerliebsten politischen Koalitionspartner. Und ähnlich war es schon Jahrzehnte zuvor in der Ära Kreisky gewesen, als die bösen angeblichen Altnazis unter Friedrich Peter herzlich gerne Mehrheitsbeschaffer für Kreiskys Minderheitenregierung im Jahr 1970 spielen durften. Und nach dem Verlust der absoluten Mehrheit der SPÖ redete sich deren Parteiführer Fred Sinowatz die Freiheitlichen unter Norbert Steger gar als „lupenreine Liberale“ schön, mit denen er eine Regierungskoalition einging. Auch im Jahre 2017 war das für die indessen türkis gewordenen schwarzen Parteigranden überhaupt kein Problem, mit den Freiheitlichen des bösen Rechtspopulisten Heinz-Christian Strache zu koalieren.
Ging es doch um die Macht und um die geht es auch heute noch. Da mögen die politischen Mitbewerber noch so oft ihre Abscheu vor den angeblich radikalen Rechtspopulisten äußern, wenn es um die Macht geht – und das wird auch künftig so sein – werden diese Freiheitlichen zweifellos von allen akzeptierte Gesprächs- und Koalitionspartner sein, immer unter Maßgabe, dass der Wähler ihnen ein entsprechendes Mandat und ein entsprechendes Wahlergebnis beschert. Und ein solches Mandat enthalten die Freiheitlichen vom Wähler nur dann, wenn sie konsequent und entschieden und durchaus auch radikal gegen das politische Establishment auftreten. Und damit schließt sich der Kreis, beißt sich die Katze gewissermaßen in den Schwanz: Wer die etablierten Parteien kritisiert, attackiert und in allen Bereichen konterkariert, wird von diesen natürlich gehasst und ausgegrenzt. Da gibt es dann eben diesen Cordon sanitaire, der, wie wir hier sehen, im Grunde gesehen rein gar nichts wert ist.


Koalition der Blender und Heuchler

6. Oktober 2021

Es sei die größte, die gewaltigste Steuerentlastung der Zweiten Republik, tönte dieser Tage der Bundeskanzler in den Medien im Hinblick auf die sogenannte „ökosoziale Steuerreform“. Assistiert vom grünen Vizekanzler und dem angeschlagenen Finanzminister schilderte er euphorisch, welche Wohltaten da auf Österreich zukämen. Da würde der Familienbonus erhöht und jedermann erhalte einmal im Jahr zwischen 100 und 200 Euro überwiesen und die CO2-Einpreisung werde gar nicht so sonderlich schlimm ausfallen. Aber das Ganze sei – so der grüne Vizekanzler – der Einstieg in die ökologische Besteuerung.
De facto wird es aber wohl so sein, dass die Österreicher mit Ausnahme des 100-Euro-Almosens nur feststellen werden, dass der Sprit fürs Autofahren und die Energie fürs Heizen wesentlich teurer werden. Und das mit einer geplanten Steigerung Jahr für Jahr.
Ansonsten wird von der steuerlichen Entlastung, insbesondere von der Herabsetzung der Grenzen der Steuerstufen, kaum etwas bleiben, da wir uns das durch die Beibehaltung der kalten Progression ohnedies selbst finanzieren. Und das war’s dann schon.
Wenige Tage davor durfte die grüne Infrastrukturministerin, jene Frau Gewessler, die immer wieder betonte, dass die gesamte grüne Klimapolitik nur für die Zukunft „unserer Kinder“ notwendig sei – wobei sie selbst keine hat – das sensationelle Klimaticket für alle Öffis in Österreich ankündigen.
Dieses kostet so rund um die 1.000 Euro per anno und wird zweifellos der „Gamechanger“ zur Rettung des Weltklimas. Oder etwa nicht?
Nach einem eher glücklosen ersten Halbjahr für die türkis–grüne Koalition, in dem Streit, Querelen, gegenseitige Verdächtigungen dominierten, versucht die Koalition, die bekanntlich „das beste zweier Welten“ vereint, nunmehr durch große Inszenierung sachpolitische Reformarbeit zu demonstrieren.
Im Grunde allerdings viel Lärm um Nichts, eher sachpolitisches Blendwerk, das scheinbar primär dazu dienen soll, die ­grüne Wählerschaft zu beruhigen.
Diese musste nämlich in den vergangenen Monaten erleben, wie diese einst so hochmoralische Ökopartei einen türkisen Skandal nach dem anderen ohne Mucken und Murren zu akzeptieren hatte. Dies ging bis zum gemeinsamen Abdrehen des parlamentarischen Ibiza-Untersuchungsausschuss, der ja bekanntlich geradezu zu einem Scherbengericht über die Kurz-ÖVP geworden war.
Nun allerdings soll wahrscheinlich eher zeitnah noch die Entscheidung fallen, ob Kanzler Kurz wegen falscher Zeugenaussage im Untersuchungsausschuss vor den Richter gestellt wird. Und auch da wird es wieder zu einer Nagelprobe für die Grünen kommen, wie weit sie gewissermaßen als Sesselkleber auf den Regierungsbänken wiederum bereit sind, die türkise „Krot“ zu schlucken.
Andererseits wird sich zeigen, wie weit Kanzler Kurz und seine türkise Buberlpartie willens sind, die dunkelrot gefärbte Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft weiter werken zu lassen.
Diese agiert ja wie der Jakobinerklub in der Französischen Revolution, scheut sich nicht, türkise Minister mit Hausdurchsuchungen zu beehren und türkise Höchstrichter zum Rücktritt zu zwingen.
So paart sich also mit dem sachpolitischen Blendwerk der Koalition ein gerütteltes Maß an pseudomoralischer Heuchelei, insbesondere auf Seiten der Grünen, die trotz politischer Hypermoral bereit sind, für den Machterhalt alle mutmaßlichen Korruptionsskandale beim türkisen Partner hinzunehmen, wenn nicht gar mitzutragen.
Man wird sehen, wie lange diese Koalition der Blender und Heuchler noch hält. Jene, die ihr kurzfristiges Ableben schon in den nächsten Monaten prognostiziert haben, könnten sich täuschen. Machterhalt und Regierungspfründe erfordern halt vielerlei faule Kompromisse. Das dürften sich die grünen Spitzenfunktionäre wahrscheinlich sagen. Und für die türkise Seite gilt wohl, dass man ein allfälliges Stimmungstief in der Wählerschaft, wie es nach dem Ibiza-Untersuchungsausschuss zweifellos gegeben war, durchzutauchen hat.


Europa muss umdenken!

30. September 2021

Die europäische Integration und die nationale Souveränität

Es ist eines der zentralen Dogmen der Europäischen Union, dass Gemeinschaftsrecht vor nationalem Recht gehen müsse. Und demgemäß vermag der Europäische Gerichtshof mit seinen Urteilen und Sprüchen auch die letztinstanzlichen und höchstgerichtlichen Entscheidungen der Mitgliedstaaten zu brechen oder zu relativieren. Ein Dogma und ein Mechanismus, der in vielfältiger Hinsicht, insbesondere in vitalen Überlebensfragen Europas, unselige Wirkungen zeitigt. Etwa in der Asylpolitik, wo der Europäische Gerichtshof, der Europäische Menschenrechtsgerichtshof, Entscheidungen gefällt hat, die eine restriktive Asylpolitik und die Verhinderung der illegalen Massenmigration nahezu verhindern oder zumindest massiv behindern.
Nun sind es insbesondere die Visegrád-Staaten-Staaten, allen voran Ungarn und Polen, welche dieses Dogma, wonach europäisches Recht vor nationalem Recht gehen müsse, in Frage stellen. Der starke Mann der polnischen PiS-Partei, Jaroslaw Kaczynski, wurde in der Vergangenheit ebenso heftig gescholten wie Ungarns Regierungschef Viktor Orbán. Beide gelten gewissermaßen für die „glühenden Europäer“ aller Mitgliedstaaten und für die Eurokraten in Brüssel als europapolitische Schmuddelkinder. Nun allerdings gesellte sich ein Eurokrat vom höchsten Grade, nämlich der französische konservative Präsidentschaftskandidat Michel Barnier, zu ihnen, indem er seinerseits auch forderte, dass in wesentlichen Fragen wie etwa der Asylproblematik und der Migrationsproblematik nationale Entscheidungen, nämlich jene Frankreichs, vor den EU-Entscheidungen stehen müssten. Barnier, der sich als aussichtsreicher Kandidat für die französische Präsidentschaft und offenbar bereits im Wahlkampfmodus sieht, geht noch weiter, in dem er einen absoluten Zuwanderungsstopp für längere Zeit und eine lückenlose Schließung der EU-Außengrenzen fordert und diesbezüglich im Falle seiner Wahl auch ein Referendum in Frankreich
ankündigt.
Insgesamt zeigt sich aber jenseits aller Wahlkampfrhetorik diesbezüglich generell die Frage, wie weit die europäische Integration und die Brüsseler Institutionen die nationale Souveränität der Mitgliedstaaten außer Kraft stellen können. Ein anderes Grundprinzip der Europäischen Union, nämlich jenes der Subsidiarität, verweist allerdings darauf, dass es sehr wohl so etwas wie konzentrische Kreise der politischen und damit wohl auch der rechtlichen Entscheidungsfindung quer durch Europa geben müsse. Subsidiarität bedeutet bekanntlich, dass politische Entscheidungen im jeweils engstmöglichen Bereich zu treffen sind. Zuerst einmal im kommunalen Bereich, dann im regionalen Bereich, darüber hinaus im nationalstaatlichen und erst zuletzt in all jenen Fragen, die nicht kommunal, regional und nationalstaatlich behandelt und gelöst werden können, auf der europäischen Ebene. Demgemäß hätte auch Rechtsprechung im engeren Bereich, also etwa auf der nationalstaatlichen Ebene, den Vorrang vor der europäischen Ebene. Demgemäß müsste auch nationales Recht stärker wiegen als europäisches Recht.
Dafür spräche auch die Tatsache, dass die nationale Rechtsetzung tatsächlich auch demokratisch unmittelbar durch die Wähler der jeweiligen EU-Mitgliedstaaten legitimiert ist. Die Gesetze der einzelnen Mitgliedstaaten werden durch die Parlamente, die in den EU-Mitgliedstaaten ja alle frei, unmittelbar und geheim gewählt werden, beschlossen. EU-Recht hingegen kann sich nicht in diesem Maße auf eine demokratische Legitimation berufen, da es zumeist Produkt jenes seltsamen Gefüges von Institutionen ist, das das Brüsseler System kennzeichnet. Die mangelnde Gewaltenteilung, die sich im Dreieck zwischen dem Rat, der ja von den Regierungen der Mitgliedstaaten gebildet wird, der EU-Kommission und einem EU-Parlament, das ja bekanntlich keine wirklichen parlamentarischen Befugnisse hat, zusammensetzt, vermag dem EU-Recht keine wirkliche demokratische Legitimation zu verleihen.
Letztendlich äußert sich in der Priorität des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht auch der Dominanz-Anspruch des Brüsseler Zentralismus. Jene Kräfte, die offen oder unausgesprochen die „Vereinigten Staaten von Europa“ anpeilen, treten selbstverständlich für das Vorrecht des Gemeinschaftsrecht ein, jene politischen Kräfte hingegen, die für ein Europa der Vaterländer sind, werden logischerweise für die Priorität des nationalen Rechts sein. Die Auseinandersetzung zwischen beiden Denkschulen ist gegenwärtig noch offen und nicht wirklich entschieden.
Wenn nunmehr, so wie es der Präsidentschaftskandidat Barnier geäußert hat, der so wichtige EU-Staat Frankreich auf die Linie der Souveränisten einschwenkt, hätte dies naturgemäß großes Gewicht. Tendenzen, die es immer auch im bundesdeutschen Höchstgericht, in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht, gegeben hat, sich nicht dem Vorrecht des Gemeinschaftsrechts zu beugen, könnten damit wesentlich gestärkt werden. Und die Kräfte im östlichen Bereich der Europäischen Union, in den Visegrád-Staaten, in Polen, Ungarn, aber auch in den anderen Ländern, die um die Erhaltung ihrer nationalen Souveränität im Rahmen der europäischen Integration kämpfen und damit auch für das Vorrecht ihrer eigenen Rechtssysteme, würden durch eine solche Entwicklung natürlich immens gestärkt werden.
Letztlich hängt diese Frage auch damit zusammen, welche Vision die jeweiligen Kräfte und die jeweiligen Staaten von der europäischen Zukunft haben. Wenn man einen europäischen Meltingpot, bestehend aus einem Amalgam der Reste der europäischen Völker und aus Zuwanderungspopulationen sieht, resultiert daraus natürlich auch ein Eintreten für einheitliches, zentral von oben gelenktes Rechtssystem, in dem regionale oder nationale Rechtssetzung nur mehr einen untergeordneten Rang einnehmen dürfte. Politische Kräfte allerdings, die eine Vision von einem Europa der nationalen kulturellen sowie sprachlichen Vielfalt haben, müssen vernünftigerweise auch für einen größtmöglichen Erhalt der nationalen Souveränität der Mitgliedstaaten und
damit natürlich auch für die Priorität der nationalen Rechtsetzung eintreten. Entscheiden wird sich diese Frage also erst dann, wenn sich diese grundsätzliche Frage klärt, wohin Europa in Zukunft gehen wird. Wird es ein zentralistisch regierter Meltingpot oder bleibt es ein Staatenverbund souveräner Mitgliedstaaten mit eigenständigen Kulturen, gesellschaftlichen und rechtlichen Systemen? Das ist die zentrale Frage.


Rotes Revival in Europa?

23. September 2021

Die Sozialdemokratie gibt ein Lebenszeichen von sich

Gegenwärtig wird die politische Ampel offenbar wieder einmal auf Rot geschaltet. Bei den norwegischen Parlamentswahlen konnte die Sozialdemokratie einen Erfolg verbuchen. Möglicherweise wird sie so wie in den anderen skandinavischen Länderm
(Schweden, Finnland, Dänemark) Regierungsverantwortung übernehmen. Und im benachbarten Deutschland scheint sich ein rotes Wunder anzubahnen. Die über Jahre darniederliegende SPD hat sich unter ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz auf die Spitze der Umfragewerte hinaufgearbeitet und den Merkel-Nachfolger Armin Laschet hinter sich gelassen. Knapp zwar, aber doch, könnte die alte und so traditionsreiche deutsche Sozialdemokratie wieder einmal in das Kanzleramt einziehen. Olaf Scholz könnte in der Nachfolge eines Willy Brandt, eines Helmut Schmidt und eines Gerhard Schröder die Geschicke des größten und bedeutendsten EU-Mitgliedstaats leiten.
Gibt es also nach den langen Jahren des politischen Niedergangs und der Misserfolge, nach der glücklosen Sinnsuche für die alte Arbeiterbewegung im 21. Jahrhundert endlich wieder so etwas wie einen Wiederaufstieg? Werden sozialdemokratische und sozialistische Parteien quer durch die Europäische Union und darüber hinaus wieder prägewirksam für die politische Landschaft?
Nun wissen wir zwar, dass der dritte Weg, wie ihn der britische Labourchef Tony Blair versucht hat einzuschlagen, letztlich keinen Erfolg brachte und wir wissen auch, dass die Arbeiterbewegungen im klassischen Sinne allein durch den Wegfall des soziologischen Substrats, nämlich der Arbeiterklasse, kaum wiederbelebt werden können. Allerdings scheint es so, dass die Sozialdemokratie dort, wo sie sich durchringen kann, nicht für zeitgeistkonforme Randgruppen und Schickeria-Cliquen Politik zu machen, sondern eben für den Durchschnittsbürger, für die einfachen Menschen mit ihren alltäglichen Sorgen, wieder Zukunft hat.
Wenn sie sich die soziale Gerechtigkeit und damit die Bewältigung der Alltagssorgen der Menschen auf ihr Panier schreibt und nicht so sehr die politisch korrekten Dogmen der Willkommenskultur und anderer zeitgeistiger Modeerscheinungen, scheint sie wieder Zuspruch zu bekommen. Vor allem dann, wenn sie sich im Bereich der Asyl- und Migrationspolitik so wie etwa in Dänemark auf einen pragmatischen und realitätsbezogenen Standpunkt zu einigen vermag. Die Themen der sozialen Gerechtigkeit, eines pragmatischen und vernünftigen Umwelt- und Klimaschutzes (im Gegensatz zu den diesbezüglich dogmatischen Grünen) und eine klar zuwanderungskritische Position können der Sozialdemokratie offenbar quer durch Europa zu so etwas wie einem Revival zu verhelfen.
Für Österreich kann man dies noch nicht behaupten. Die zwar sympathische und als Medizinerin mutmaßlich kompetente Pamela Rendi-Wagner, mit dem Charisma einer Vorzugsschülerin, die sich zur Klassensprecherin wählen lässt, ist wahrscheinlich doch eine politische Fehlbesetzung. Und die Antipathien des linken Parteiflügels gegenüber dem Doskozil-Kurs verunmöglichen eine Kurskorrektur der heimischen SPÖ im zuvor zitierten Sinne. Vorläufig. Sollte sich aber mittel- bis längerfristig herausstellen, dass auch die Bäume der türkisen Buberlpartie des Sebastian Kurz nicht in den Himmel wachsen, könnte auch die Stunde der österreichischen Sozialdemokratie wieder schlagen. Allerdings nur dann, wenn sie ihre politisch korrekte Populismusphobie abzulegen im Stande ist und wenn pragmatische Exponenten wie etwa der burgenländische Landeshauptmann das Sagen haben.
Vorläufig aber muss die SPÖ neidisch nach Berlin, nach Oslo, nach Stockholm und nach Kopenhagen blicken. Insbesondere aber der Blick in die dänische Hauptstadt könnte sie lehren, wie es auch hierzulande gehen könnte.