Eidgenossen und ­Neid­genossen

31. August 2022

Über zwei höchst ­unterschiedliche Alpen-Republiken

Es sind zwei Kleinstaaten, die den Kamm der Alpen, des höchsten Gebirgszuges im Zentrum Europas, besetzen. Die Schweiz in den Westalpen und Österreich in den Ostalpen. Oberflächlich betrachtet könnte man von beiden sagen, dass sie aus historischer Sicht Abspaltungsprodukte der deutschen Geschichte darstellen. Die Mehrheit ihrer Bewohner spricht Deutsch, wenn es auch sowohl in der Schweiz als auch in Österreich wichtige andere Ethnien gibt. In der Schweiz eben Franzosen, Italiener und Rätoromanen, in Österreich die autochthonen Volksgruppen, primär Kärntner Slowenen und Burgenland-Kroaten.
Der historische Entstehungsprozess dieser beiden Kleinstaaten ist aber ein höchst unterschiedlicher. Die Eidgenossen erkämpften sich ihre Unabhängigkeit in erster Linie gegen das Haus Habsburg. Bestätigt wurde diese Unabhängigkeit bereits im Westfälischen Frieden im Jahre 1648. Österreich hingegen war bis 1866 das machtpolitische Zentrum Deutschlands und wurde 1918 gegen seinen Willen in die Eigenstaatlichkeit gedrängt, die es 1945 bereitwillig wieder aufnahm. Und beide Alpenrepubliken sind militärisch und politisch neutral – zumindest auf dem Papier. Die Schweiz ist seit vielen Generationen neutral und hat mit ihrer Politik der Begriff Neutralität gewissermaßen geprägt. Österreich hingegen ist erst seit dem Staatsvertrag von 1955 neutral, deklariertermaßen nach dem Vorbild der Schweiz. Gerade in den aktuellen Entwicklungen, etwa am Beispiel des Ukrainekrieges, zeigt sich aber, dass Österreich dem Schweizer Begriff von Neutralität längst nicht mehr gerecht wird.
Und dann kommt da noch ein anderer ganz wesentlicher Unterschied dazu: Österreich ist seit bald drei Jahrzehnten Mitglied der Europäischen Union, wohingegen die Eidgenossenschaft sich einer solchen Mitgliedschaft bis zum heutigen Tage zu entziehen vermochte.
Diese Mitgliedschaft hat natürlich Vor- und Nachteile. Einerseits muss die Schweiz EU-Richtlinien nachvollziehen, ohne sie mitbestimmen zu können, andererseits ist Österreich an EU-Entwicklungen gebunden, auch wenn diese den Interessen des Landes widersprechen. Solchen Zwängen ist die Eidgenossenschaft natürlich nicht ausgeliefert. Das war auch der Grund dafür, dass alle Initiativen der letzten Jahrzehnte, die Schweiz in die EU zu bringen, nicht von Erfolg gekrönt waren.
Einer der großen Unterschiede zwischen beiden Alpenrepubliken ist es auch, dass die Schweiz sich aus zwei Weltkriegen heraushalten konnte, während Österreich sowohl den Ersten Weltkrieg als auch den Zweiten Weltkrieg mit verloren hat. Die ungeheuren menschlichen und materiellen Schäden, die diese beiden Weltkriege für Österreich, Land und Leute, verursacht haben, sind der Eidgenossenschaft erspart geblieben.
Und überdies hat es die Schweiz durch ihre Neutralität, aber auch durch die ökonomische Tüchtigkeit der Alemannen geschafft, so etwas wie der Banktresor der Welt, einer der wichtigsten Finanzplätze nicht nur Europas, sondern des Planeten insgesamt zu werden. Das mag auch ein Grund dafür sein, dass die Schweiz im Zweiten Weltkrieg, als Hitler-Deutschland ganz Europa überrannt hatte, verschont geblieben war.
Überhaupt scheint die alemannische Mentalität, die wirtschaftliche Tüchtigkeit, der Erwerbssinn und die Sparsamkeit die eigentliche Basis für den historischen Erfolg der Eidgenossenschaft zu sein. So wie die sprichwörtlich sparsame „schwäbische Hausfrau“ in Baden-Württemberg und die Tüchtigkeit der Vorarlberger in Österreich ein Ausfluss dieser alemannischen Mentalität ist, so gründet darauf eben das Erfolgsmodell Schweiz. Wenn heute das Land In Zeiten der globalen Turbo-Inflation eine weit geringere Inflationsrate hat als alle anderen europäischen Staaten, wenn Bern stets ausgeglichene Staatshaushalte aufzuweisen hat, so ist dies kein Zufall. Nein, dies ist vielmehr typisch für die wirtschaftliche Tüchtigkeit der Alemannen.
Im Gegensatz dazu ist Österreich, die zweite kleine Alpenrepublik, mit einer ganz anderen Mentalität gesegnet. Hier sind die Einflüsse aus dem östlichen Mitteleuropa und vom Balkan unübersehbar. Während es bei den fleißigen Schwaben, auch Alemannen, heißt, „schaffe, schaffe, Häusle baue“, findet sich zwischen Bodensee und Neusiedlersee allzu häufig die Einstellung, dass man Leistung durch Freunderlwirtschaft und Fleiß durch Improvisation ersetzen kann.
Und dann gibt es da noch andere, eher unerfreulich Erscheinungen im Bereich der austriakischen Mentalität: den Neid, jene Form der Niedertracht, die dem Mitmenschen keinen Erfolg und nichts Positives gönnt. Zweifellos hat die österreichische Seele, wenn man das so pauschalieren darf, sehr viele positive Seiten: die Heiterkeit und Liebenswürdigkeit, die Musikalität und die barocke Lebensfreude. Sie hat aber eben auch ihre Schattenseiten: die Heuchelei und die Miesmacherei, den Zweckpessimismus und eben den Neid.
Und so könnte man Österreich überspitzt eben im Gegensatz zur Schweizer Eidgenossenschaft als rot–weiß–rote Neidgenossenschaft bezeichnen. Während man also in den Westalpen als Eidgenossen zusammenhält und das eigene Land und die eigenen Interessen verteidigt, neigt man in den Ostalpen und an der Donau allzu oft dazu, einander Wohlstand und Erfolg zu neiden.
Und der rot–weiß–rote Patriotismus beschränkt sich auf die Erfolge der heimischen Skifahrer, ist allerdings nicht bereit, die eigene Heimat auch zu verteidigen. Und das ist ein wesentlicher Unterschied zur Schweiz: Dort gibt es eine tatsächlich wehrhafte Neutralität mit einer ernstzunehmenden Armee, während die Neutralität in Österreich ein schöner Schein und zumeist nur der Vorwand ist, nicht Stellung beziehen zu müssen.
Allerdings schaffte es die Neutralität Österreichs auf diese Weise dennoch zum zentralen Identitätsmerkmal der östlichen Alpenrepublik zu werden. Eine Bevölkerung, die leidgeprüft zwei Weltkriege erleben musste, sieht nunmehr seit einem dreiviertel Jahrhundert, welche Vorteile es hat, ein neutraler Kleinstaat zu sein. Alle Großmachtträume, die Österreich einst im Rahmen der Donaumonarchie und des alten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation hatte, sind ausgeträumt und die Österreicher kuscheln beglückt miteinander in ihrer neuen kleinstaatlichen Mentalität.
Die Schweiz hingegen hat von Anbeginn die Existenz als selbstbewusster Kleinstaat gewählt. Ja, ihre kantonale Verfassung neigt dazu, noch kleinere Einheiten als staatlichen Rahmen zu nützen. Diese kantonale Gliederung ermöglicht es der Eidgenossenschaft auch, einen Ausgleich zwischen der Deutschschweizer Mehrheit und der italienischen und französischen Minderheit zu finden. Und während der österreichische Vielvölkerstaat, die Habsburger Monarchie nämlich, vor mehr als einem Jahrhundert auseinandergebrochen ist, hat sich die multinationale Schweiz als Modell Europas im Kleinen bewährt. Und diese Modellfunktion ist es vielleicht auch, die einen Beitritt zum EU-Europa unnötig macht.
Von der Schweiz können nämlich nicht nur die Österreicher, sondern vielmehr die Europäer insgesamt lernen! An die Stelle der Brüsseler Neidgenossenschaft könnte so etwas wie eine europäische Eidgenossenschaft treten.


Ergebnis der Schweizer Volksabstimmung ist zu respektieren

10. Februar 2014

Das Ergebnis der gestrigen Volksabstimmung in der Schweiz, bei der sich die Eidgenossen für eine Begrenzung der Zuwanderung, auch aus der EU, ausgesprochen haben, ist ohne Wenn und Aber zu respektieren. Keinesfalls darf es wie auch immer geartete Strafmaßnahmen gegen Bern, etwa in Form einer Kündigung anderer Abkommen zwischen der Schweiz und der EU, geben.

Außerdem ist die Brüsseler Hoch-Eurokratie daran zu erinnern, dass die Schweizer gute Gründe hatten, die Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“ zu unterstützen. Die Schweiz hat fast so viele Einwohner wie Österreich, ist aber nur halb so groß wie unser Land. Und wenn man bedenkt, dass der alpine Raum aus verständlichen Gründen nur dünn besiedelt werden kann, ist klar, dass die Aufnahmekapazitäten sehr beschränkt sind.

Deshalb ist festzuhalten, dass die Mehrheit der Schweizer nicht sogenannten Rechtspopulisten auf den Leim gegangen ist, sondern eine sachlich gerechtfertigte Entscheidung traf. Die Eidgenossen wollen Herren im eigenen Land bleiben, was bei einem Ausländeranteil von rund 23 Prozent auch alles andere als eine Überraschung ist.


Schweizer-Kracher

2. Dezember 2010

Statt der Film legendären „Schweizer-Macher“ sind es nun die helvetischen Ausländer-Ausschaffer, die das Bild der Eidgenossenschaft prägen. Christoph Blocher stößt ins Alphorn und es klingt wie ein Donnerhall zur Errettung der – nur vermeintlich oder möglicherweise doch real? –bedrohten Eidgenossenschaft. Nicht nur die Stimmbürger von Schwyz, Uri und Unterwalden folgen diesem Ruf, nein die große Mehrheit der Schweizer insgesamt. Im Vorjahr schon gegen die allzu augenfälligen Symbole der Islamisierung, für ein Minarettverbot also, und nunmehr zur „Ausschaffung“ – welch nüchtern-bürokratisches, möglicherweise typisch schweizerisches und doch seltsam brutales Wort – aller straffälligen Ausländer insgesamt.

Da mag die zeitgeistige Weltpresse sich empören. Da können die politisch korrekten Schweizer selbst – immerhin gerade noch ein Drittel – und ihre ausländischen Freunde sich erregen soviel sie wollen, dürfen die Menschenrechts-Charta der Vereinten Nationen, das Völkerrecht und eine angeblich höhere Moral ganz allgemein zitieren, es nützt alles nichts: Der Stimmbürger hat gesprochen, Regierung und Parlament der Schweiz haben es umzusetzen. Und nicht nur Mörder, Räuber und Vergewaltiger, nein auch Betrüger am Sozialsystem werden künftig hin automatisch abgeschoben. Nicht nur Gewaltverbrecher und Großbetrüger, nein, auch jene, die mittels kleiner Gewalttaten bei Schlägerein und ähnlichem gegen das Gesetz verstoßen, jene, die das soziale Netz widerrechtlich und in betrügerischer Absicht strapazieren, sie alle werden künftig hin die Eidgenossenschaft verlassen müssen.

Was Wunder, dass die Alarmisten quer durch Europa aufschreien, die Bedenkenträger in Depression verfallen und die politisch korrekten Wortspender von Betroffenheit nur so triefen. Und Beifall kommt natürlich – no na – nur von den xenophoben Ressentiment-Politikern der äußersten Rechten. Christoph Blochers europäischen Spießgesellen gewissermaßen. Dass sich die Mehrheit der Menschen, auch jene der gelernten Österreicher, unter Nutzung des ganz trivialen Hausverstandes, der bekanntlich allzu oft als „gesundes Volksempfinden“ diffamiert wird, fragen, ob es denn nicht selbstverständlich sei, dass Ausländer, die in einem fremden Land straffällig werden, des Landes verwiesen werden, geht dabei natürlich völlig unter. Bedacht wird von den Vertretern des sich nun empörenden Mainstreams allenfalls, dass das Schweizer Beispiel auch in anderen Ländern Schule machen könnte. Etwa wenn man sich in Österreich klar macht, dass bei Nachahmung des Schweizer Vorbilds die Gefängnisse des Landes wohl zu zwei Dritteln geleert würden. Und dass sich die Zahl der im Land lebenden Ausländer möglicherweise halbieren würde. Dass die chronisch leeren Kassen der Sozialversicherungen möglicherweise schlagartig entlastet wären und dergleichen mehr.

Gewiss, kleinkrimineller Sozialbetrug, etwa die angeblich weitverbreitete Usance, wonach ganze Sippschaften von im Lande lebenden Nicht-Österreichern mit ein und derselben E-Card den Arzt frequentieren, würden wohl nicht gleich zu strafrechtlicher Verurteilung und automatischer Abschiebung führen. Allein die Abschiebe-Drohung und eine strengere Kontrolle solcher Verhaltensweisen könnten diese Form des für den Steuerzahler sehr kostenintensiven Sozialbetrugs dramatisch vermindern. Und derlei Beispiele gäbe es noch zahllose.

Abgesehen davon bleibt es Tatsache, dass strafrechtliche Verurteilung in Österreich etwa zu einem Drittel Ausländer betrifft und dass die Haftanstalten etwa zur Hälfte von Ausländern besetzt sind. Allein diese Fakten beweisen, welch dramatische Folgen eine automatische Abschiebung straffällig gewordener Ausländer hätte.

Gewiss, die Menschenrechte und internationale Verträge allein würden schon derlei dramatisches Vorgehen verhindern. Und auch die Schweiz wird sich ja Gedanken machen müssen, wie sie mit ihren internationalen Verpflichtungen diesbezüglich klar kommt. Fragen muss man sich aber schon, wie viele der straffällig gewordenen Ausländer, sei es in der Schweiz oder auch in Österreich, wirklich mit der Abschiebung in ein Land bedroht sind, in dem sie die Todesstrafe zu befürchten haben. Nigerianische Drogendealer, rumänische Bankomat-Knacker, Anatolier, die der schweren Körperverletzung beschuldigt werden, ihnen darf die Härte ihres heimatlichen Strafrechts wohl zugemutet werden ohne dass man gleich die Menschenrechte insgesamt gefährdet sieht.

Den Österreichern jedenfalls wird dieser Tage vollmundig erklärt, dass hierzulande ohnedies radikal abgeschoben wird und dass die Schweiz mit ihrer neuen Initiative das österreichische Maß an Härte der Strafverfolgung kaum erreichen werde. Abgesehen von der Frage, warum man die Schweiz dann überhaupt attackiert, darf dies wohl als Placebo für den HC-Strache-gefährdeten Stammtisch gewertet werden. Die Versuchung, die eidgenössische Vorgehensweise, das heißt also eine der traditionsreichsten europäischen Demokratien, nachzuahmen, liegt ja auf der Hand. Ebenso die Taktik von politisch korrekter Seite, dem den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem man behauptet, es sei ohnedies bereits alles rot-weiß-rote Realität.

Abgesehen aber von solch politischem Kleingeld sollte man sich ernsthaft und grundsätzlich die Frage stellen, ob es generalpräventiven bzw. auch spezialpräventiven Nutzen durch die Schweizer Initiative geben wird. Werden sich Asylsuchende, Zuwanderer und Gastarbeiter aufgrund der Abschiebe-Automatik eher an die Gesetze ihres Gastlandes halten? Wird der für den Steuerzahler so teure Sozialbetrug eingeschränkt werden können? Wird die Explosion von Gewaltverbrechen gestoppt werden können, die nächtliche Unsicherheit auf den Straßen unserer Großstädte wieder reduziert werden und die Einbruchsserien geringer werden? Wenn man dies nur einigermaßen positiv beantworten kann, müsste man die Legitimität der Schweizer Initiative bejahen. Andernfalls aber wäre das Ganze nur ein Schweizer-Kracher gewesen – Getöse ohne wirkliche Sprengkraft.