Vom Ende des Christentums

13. April 2022

Europa ist längst ein gottloser Kontinent

Die Kirchen in Europa sind leer. Zwar sind die Kathedralen, die wehrhaften romanischen Kaiserdome am Rhein, die gotischen Leuchttürme Gottes von Reims und Chartres, von Ulm und St. Stephan in Wien, nach wie vor vorhandene Zeugen von der Kraft des Christentums. Sie zeugen aber nur von einer vergessenen Spiritualität, so wie die Paläste Versailles, der El Escorial, Schönbrunn vom einstigen Glanz einstiger Monarchen sprechen, so eben diese Dome von der einstigen Bedeutung des Christentums.
Doch heute hat Jesus Europa, das alte, ehemals christliche Abendland offenbar verlassen. Möglich, dass er bisweilen noch in Polen und in Kroatien präsent ist, ansonsten aber ist dieses Christentum zwar noch ein Faktor, der gewissermaßen als kultureller Unterbau den Jahreslauf und auch den Lebenslauf der Menschen bestimmt. Die christliche Lehre insgesamt, die Katholische Kirche mit ihren Dogmen, ist nur mehr eine geradezu verdrängte Erinnerung. Die Dreifaltigkeit mitsamt Gottvater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, die Auferstehung, der jüngste Tag, das Paradies, die Engel und schließlich Satan und die Hölle, das Fegefeuer, all dies sind religiöse Postulate, an die kaum mehr jemand in Europa zu glauben vermag.
Zwar ist mit der Orthodoxie im Osten, in der slawischen und christlichen Welt noch eine Sonderentwicklung vorhanden, die in den postkommunistischen Staaten noch einmal Wirkmächtigkeit zu entfalten vermochte. Das Lutheranertum, der Protestantismus, ist längst zur politisch korrekten Lebenshilfe-Organisation verkommen. Die römische Kirche taumelt von der Aufarbeitung eines Missbrauchs-Skandals zum nächsten, und der emeritierte bayerische Papst ist längst entrückt, während sein argentinischer Nachfolger mittels platter Signale vorgeblicher Bescheidenheit nur dem Zeitgeist hinterher hechelt.
Und so ist das Christentum, allzumal das römisch-katholische, längst einer politisch korrekten Zivilreligion gewichen, in der Cancel Culture und Wokeness wichtiger sind als die zehn Gebote. Und vormals sich christlich nennende politische Parteien haben das „hohe C“ bei ihrem Namen längst verdrängt und die christliche Sozialllehre auf dem Altar eines spätlinken Zeitgeists geopfert.
Was war dieses Christentum einst? Ursprünglich wohl so etwas wie eine jüdische Sekte in der Nachfolge eines legendenumwobenen Messias, die dann erst von Paulus, dem römischen Bürger, zur Kirche gemacht wurde, die den Anspruch erhob, allen Menschen zugänglich zu sein. Dieses Christentum war in der Nachfolge des Judentums natürlich eine monotheistische Religion. Eine Religion aber, die noch in den ersten Jahrhunderten ihres Bestehens mit Spaltungen, Glaubensstreit, Schisma und vielfältigen Konflikten eine Religion mit der Dreifaltigkeit, mit Engeln, mit zahllosen Heiligen, mit kultisch verehrten Gegenständen, Bildern, Reliquien und ähnlichem wurde. Eine Religion, deren jüdische Wurzeln mit den Mechanismen der römischen Staatsreligion und nach der Völkerwanderung mit germanischen spirituellen Vorstellungen angereichert wurde, eine Religion, die solcherart für die romanische, die germanische und die slawische Welten Europas zum zentralen geistigen und spirituellen Faktor wurde.
Und im Namen dieser Religion wurden Millionen Menschen gemetzelt, wurden Ströme an Blut vergossen, wurden Glaubenskriege geführt, Hexen verbrannt und Ketzer verfolgt. Die Christianisierung Alteuropas mag ein Bekehrungsprozess gewesen sein, begleitet wurde dieser aber von Blutbädern sonder Zahl. Die Kreuzzüge des Hochmittelalters mögen im Kampf um die Befreiung des Grabes Christi geführt worden sein, sie waren auch mörderische Eroberungskriege. Die Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts bis hin zum Dreißigjährigen Krieg dezimierten die Bevölkerung Europas in ähnlichem Maße wie die Pest.
Dennoch, das Christentum als monotheistische Religion, deren zentrales Gebot die Nächstenliebe ist, war wohl der maßgebliche Faktor einer Entwicklung, die man als kulturelle Evolution, als Ansporn für die christlich geprägte Menschheit, der Gewalt zu entsagen, definieren kann. Und heute, da die universalen Menschenrechte theoretisch im Mittelpunkt der neuen Zivilreligion stehen, muss gesagt werden, dass auch diese ohne den Anspruch des Christentums, wonach alle Menschen mit der gleichen Würde geboren seien, Kaiser, König, Edelmann, Bürger Bauer, Bettelmann, Sklave die Basis dafür darstellt.
Nun scheint es so, als stünde dieses Christentum im alten Europa vor seinem Ende. Gewiss, in diesen Tagen wird auch in unseren Tagen das Osterfest begangen, mit allerlei folkloristischen Weihwerk, vom Osterhasten, den Ostereiern, bis hin zur Kärntner Fleischweihe, und dennoch muss die Frage gestellt werden, wer dabei noch an die Auferstehung Christi, an die Himmelfahrt und an das dem jeweiligen Individuum bevorstehende Jüngste Gericht denkt. Der argentinische Papst in Rom mag da die Füße irgendwelcher Obdachloser waschen, und seinen Segen Urbi et orbi mögen viele Millionen Menschen via Bildschirm mitbekommen, bedeuten tut all dies kaum etwas.
Vielleicht ist das Christentum längst zu einer Religion der Dritten Welt geworden, die in Schwarzafrika, in Lateinamerika und vielleicht sogar in Teilen Südostasiens eine Rolle spielt. Dass der Papst ein Lateinamerikaner ist, trägt dem ja Rechnung. Konsequenter Weise sollte man allerdings auch den Sitz des Kirchenoberhaupts nach Schwarzafrika oder nach Lateinamerika verlegen und aus dem Vatikan ein einziges Museum machen.
Tatsache ist jedenfalls, dass die Europäer das Christentum vergessen, wenn nicht gar verdrängt haben. Zwar lässt man seine Kinder taufen und bemüht einen Geistlichen bei Eheschließungen und Begräbnissen, begeht das Weihnachtsfest und wie schon erwähnt das Osterfest. Die spirituelle Bedeutung all dessen aber ist längst in hohem Maße in den Hintergrund gerückt. Stattdessen gibt es in den zeitgeistigen Kreisen eben die neue Zivilreligion der Political Correctness mit all ihren Begleiterscheinungen wie dem Plicht-Antifaschismus, dem radikalen Feminismus, das Gendern und neuerdings eben mit Wokeness, Cancel Culture und Black Lives Matter und ähnlichem Irrsinn.
Jene Bereiche der ganz normalen Menschen, an denen diese Moden des Zeitgeists eher vorübergehen, sind deswegen allerdings auch kaum mehr Christen im wahrsten Sinne des Wortes, sie sind vielmehr Teil einer absolut materialistischen Kultur, die einerseits wirtschaftlichen Wachstumsfetischismus lebt, andererseits Hedonismus und sehr oberflächliche Selbstverwirklichung anstrebt.
Statt der ewigen Seligkeit im Jenseits strebt man die Maximierung des eigenen Wohlergehens im Diesseits an, und das Postulat der christlichen Nächstenliebe wird durch eine diffuse politisch korrekte Allerwelts- und Fernstenliebe ersetzt, die sich meist mit schönen Worten und Wohlmeinung begnügt. Der Anspruch, ein christliches Leben zu führen und ein guter Christenmensch zu sein, gilt als lächerlich und antiquiert, und mit dem Begriff Sünde oder gar der Vergebung der Sünden durch Beichte und Absolution verbindet die Menschen kaum mehr etwas. Und so muss man unter Beachtung all dieser Entwicklungen zum traurigen Schluss kommen, dass das Christentum in Europa wohl vor seinem Ende steht.


Es war einmal…ein katholisches Land

4. April 2012

Dieser Tage feiern wir also Ostern, das – wir entsinnen uns – höchste christliche Fest im Jahreslauf. Schon am Palmsonntag ist der eine oder andere zur Palmweihe mit dem Buschen Palmkatzerln in die Kirche gegangen, am Gründonnerstag hat’s Spinat gegeben, am Karfreitag vielleicht kein Fleisch, dafür aber am Karsamstag in den Alpenländern die Fleischweihe und danach eine zünftige Osterjause. Eier wurden gefärbt, Schinken und Kren verzerrt und der eine oder andere geht am Ostersonntag vielleicht auch in die Kirche. Christliches Brauchtum prägt diese Tage also, vermischt ein wenig mit älteren, heidnischen – der Osterhase lässt grüßen. Ob viele Österreicher dieses Fest allerdings als ein wirklich christliches, als das Gedenken an die Passion, den Tod und die Auferstehung des Messias begehen, ist eine andere Frage.

Österreich das war einmal ein katholisches Land, nicht nur in der Monarchie als der Habsburger Kaiser der wichtigste katholische Fürst des Abendlandes war, nicht nur im Ständestaat, der ein bewusst christlich-katholischer war, auch danach noch, in der Republik bis in die 50-er, 60-er Jahre hinein. Heute ist Österreich vielleicht so etwas wie ein post-katholisches Land. Der Lebensrhythmus wird noch von den vormaligen Bräuchen, den Dogmen und Sakramenten beeinflusst, man lässt die Kinder zum großen Teil noch taufen, man heiratet auch kirchlich und man geht vielleicht ein, zweimal im Jahr, eben zu Ostern und zu Weihnachten zur Messe. Die Austrittswelle aus der katholischen Kirche ist aber ungebremst, nicht erst seit den Missbrauchsvorwürfen. Heiraten wollen am ehesten noch Schwule und katholische Priester. Und eine kirchliche Eheschließung ändert nichts daran, dass jede zweite Ehe im Land geschieden wird. Wie viele Eltern mit ihren Kindern am Abend vor dem Schlafengehen noch beten, weiß man nicht. Ja und dann, wenn einer stirbt, legt man schon Wert darauf, dass ein Priester den Betreffenden unter die Erde bringt.

Was die paar Hunderttausend Protestanten im Lande betrifft, so ist bei ihnen der Verlust des Religiösen nicht minder dramatisch als bei den Katholiken. Gläubig sind hierzulande nur mehr die Muslime und von ihnen gibt es wahrscheinlich schon mehr als Protestanten, nämlich rund eine halbe Million, mit steigender Tendenz. Sie verlangen absoluten Respekt vor ihrem Glauben und ihren heiligen Schriften. Der Katholizismus hingegen, vom Heiland beginnend bis hin zu den Kirchenfürsten, ist längst den Kabarettisten preisgegeben und allenfalls noch Lebensinhalt für alte Muatterln. So schaut’s aus im einst katholischen Österreich.