Nun haben sich also Schweden und Finnland entschlossen, die Neutralität aufzugeben und dem Nordatlantikpakt beizutreten. Die jeweiligen Regierungsparteien haben dies beschlossen, und die Parlamente der beiden Staaten werden es absegnen. Zwar gab es keine Volksabstimmung dazu, Umfragen besagen aber, dass sowohl die schwedische als auch die finnische Bevölkerung in der breiten Mehrheit für den NATO-Beitritt ist.
Die Ursache dafür ist natürlich der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Im Falle Finnlands ist der Entschluss wohl verständlich, die Erinnerung an den finnisch-sowjetischen Winterkrieg ist da wohl noch sehr präsent. Was Schweden betrifft, das seit den Napoleonischen Kriegen bündnisfrei beziehungsweise neutral ist, sieht es schon anders aus. Für die Schweden war die Neutralität eine Frage der Identität – ähnlich wie es heute bei uns in Österreich ist.
Apropos Österreich: Nun sind wir als neutraler Staat innerhalb der Europäischen Union ziemlich einsam. Nur noch der kleine Inselstaat Malta und Irland sind so wie wir in der EU neutral. Aber von wegen neutral, spätestens seit dem EU-Beitritt sind wir durch die Verpflichtung, solidarische Beistandspflicht im Falle eines Angriffs auf ein anderes EU-Land zu üben, ohnedies nicht mehr wirklich neutral.
Und so stellt sich die Frage, ob diese unsere immerwährende Neutralität, für die Umfragen zufolge mehr als 70 Prozent der Österreicher ganz entschieden eintreten, nicht doch so etwas wie eine Lebenslüge der Republik darstellt. Eine Lebenslüge war es zweifellos in den Zeiten des Kalten Krieges. Hätte es nämlich damals einen Angriff des Warschauer Pakts es auf Österreich gegeben, wären wir militärisch wohl ziemlich hilflos gewesen.
In militärischer Hinsicht ist es heute wohl kaum anders. Das Österreichische Bundesheer ist in einem derart desolaten Zustand, dass eine wirkliche militärische Landesverteidigung kaum denkbar wäre. Kaum denkbar ist allerdings auch ein Angriff eines Nachbarlandes auf Österreich. Zum einen handelt es sich dabei samt und sonders um EU-Mitgliedstaaten, zum anderen sind sie mit Ausnahme der Schweiz und Liechtenstein auch alle NATO-Mitglieder.
So dürften die Österreicher also in ihrer breiten Mehrheit hoffen, sich auch künftig genüsslich der immerwährenden Neutralität hinzugeben, während die anderen Kriege führen mögen. Und auch die gegenwärtigen Beteuerungen, dass man nunmehr dem Bundesheer endlich entsprechende Mittel zuführen wolle, könnten sich im Zuge dieser Einstellung bald wieder in Wohlgefallen auflösen.
Aus historischer gesamtpolitischer Sicht allerdings scheinen die Österreicher so etwas wie ein gutes Gespür zu haben. Ein NATO-Beitritt würde nämlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt lediglich die Unterwerfung unter die US-amerikanischen militärischen Interessen bedeuten. Die NATO ist ja nach wie vor absolut am Gängelband Washingtons, so etwas wie eine Emanzipation des europäischen Teils der NATO hat noch nicht stattgefunden und wird wohl auch in näherer Zukunft nicht stattfinden. Und nur wenn es die NATO als eigenes und souveränes Sicherheitssystem für Europa gäbe, könnte man der Alpenrepublik mit Fug und Recht raten, diesem beizutreten.
Abschied von der Neutralität
19. Mai 2022Der ukrainische Präsident und unsere Neutralität
31. März 2022Der ukrainische Präsident Selenski ist in diesen Tagen gewiss am Höhepunkt seiner Karriere – weniger als Politiker, sondern als Schauspieler. Tägliche Auftritte vor der Kulisse des Parlaments von Kiew, bekleidet mit einem Militär-T-Shirt, stilisieren ihn zum Helden der Abwehrschlacht hoch. Und dann sind da noch seine Videoauftritte in einer Reihe von Parlamenten der westlichen Welt. In den heiligen Hallen des Kapitols in Washington war er ebenso zu sehen wie im Europäischen Parlament und genauso im deutschen Bundestag und, und, und. Nur das österreichische Parlament hat einen solchen Auftritt, in dem der ukrainische Präsident einerseits massive Hilfe fordert, andererseits ausschließlich die ukrainische Position darstellt, nicht gestattet, und zwar wegen der ablehnenden beziehungsweise zögerlichen Haltung der Freiheitlichen und der Sozialdemokraten. Die SPÖ wollte sich angeblich nur darüber beraten und hat deswegen nicht gleich zugestimmt, die Freiheitlichen waren aus Gründen der österreichischen Neutralität prinzipiell dagegen. Sie haben sich damit natürlich wieder die Schelte der gesamten etablierten Politik und der Medien eingehandelt.Da muss man allerdings schon einmal nachfragen dürfen, ob es wirklich mit dem Selbstverständnis eines neutralen Staates zusammen passt, wenn man bei kriegsführenden Parteien einer Seite die Darstellung ihrer Sicht der Dinge im eigenen Parlament gibt und der anderen Seite nicht. Der Einwand, dass die russische Seite der Aggressor ist und dass die Ukrainer sich in einer Abwehrschlacht befinden, ist da wohl kaum zu entkräften. Und die gängige Lesart der etablierten Politik im Lande, die da behauptet, unsere Neutralität könne niemals eine moralische sein, sondern nur die Weigerung, irgendeinem der Militärbündnisse beizutreten, ist mit Ausnahme der FPÖ längst Allgemeingut geworden.
Nun zeigt die Schweiz allerdings, dass es auch anders gehen kann. Die Eidgenossen haben nämlich jeglichen Transport von Waffen über ihr Territorium verboten, gleich von wem und gleich in welche Richtung. In Österreich hingegen ist in den vergangenen Wochen jede Menge von Waffen in Richtung Ukraine geschleust worden. Und natürlich hat es auch Überflüge von NATO-Luftwaffe-Einheiten gegeben. Schwedens Ministerpräsidentin hat dieser Tage die Wahrheit über die Neutralität gesagt. Sie meinte, ihr Land sei seit dem EU-Beitritt nicht mehr neutral und die Neutralität sei gewissermaßen damit gestorben. Österreich hat sich damit bislang durchgeschwindelt und kaum ein ernstzunehmender Politiker hat es je gewagt, die Wahrheit zusagen. Stattdessen wird behauptet, man bleibe natürlich „immerwährend neutral“, man sei nur im Rahmen der europäischen Beistandspflicht zur Hilfe genötigt. Dass man wahre Neutralität – und das sieht man im aktuellen Konflikt zwischen Russland und Ukraine ganz deutlich – längst relativiert oder gar völlig hinter sich gelassen hat, wagt man nicht öffentlich zuzugeben. Allzu positiv ist diese Neutralität in der österreichischen Bevölkerung vorhanden, die Wahrheit, dass nämlich nur mehr die FPÖ für diese Neutralität eintritt, die will man in den etablierten Medien und in den Politbüros der etablierten Parteien schon gar nicht zugeben.
So ist also die Empörung, dass man dem ukrainischen Präsidenten nicht gestattet hat, im österreichischen Parlament zu sprechen, nur allzu verständlich. Verfassungskonform, weil nämlich dem Geiste der immerwährenden Neutralität entsprechend, haben sich da wohl nur die Freiheitlichen verhalten. Aber wohl auch das wird man in diesen Tagen von keiner Seite hören. Und die Kühnheit, neben dem ukrainischen Präsidenten auch den russischen im österreichischen Parlament über Videoschaltung zu Wort kommen zu lassen, um gewissermaßen als Neutraler beide Seiten nach dem Prinzip audiatur et altera pars zu hören, dieseKühnheit hat wohl niemand.
Neutralität und Landesverteidigung: Realität und Vision
17. März 2022Gut 70 Prozent der Österreicher sind laut aktuellen Umfragen für die Beibehaltung der Neutralität. Und nahezu genauso viele Menschen sprechen sich dafür aus, dass unsere Alpenrepublik Teil eines europäischen Verteidigungssystems werden solle. Für den Beitritt in eine US-dominierte NATO ist also, wenn überhaupt, nur eine Minderheit.
Tatsächlich gab es vor gut 20 Jahren, während der ÖVP-FPÖ-Koalition unter Wolfgang Schüssel und Susanne Riess-Passer, eine kurze Phase, in der sich eine Europäisierung des Nordatlantikpaktes und damit eine Emanzipation der Europäer von der US-amerikanischen Dominanz andeutete. Damals schien es so, als könnte sich die NATO zu einem auf die EU-Staaten reduziertes Verteidigungsbündnis entwickeln. Der Kauf der 24 Eurofighter durch die ÖVP-FPÖ-Koalition – eigentlich war es ja eine FPÖ-ÖVP-Regierung – sollte eigentlich so etwas wie ein österreichischer Beitrag zu einer europäischen Luftraumverteidigung sein und die damals andiskutierten Battlegroups der Europäischen Union wären wohl als Kern einer europäischen Armee gedacht gewesen. Wie eine solche EU-Armee im Hinblick auf die Militärpotenziale der beiden Atommächte Großbritannien und Frankreich funktioniert hätte, war damals noch nicht einmal andiskutiert worden. Auf jeden Fall hätte eine EU-Armee mit einem Nuklearpotenzial der beiden Atommächte die Stärke entwickeln können, um den anderen militärischen Großmächten gleichwertig zu sein.
Nein, es kam anders: Bei allen militärischen Fehlschlägen und bei allen militärischem Chaos, das die US-Streitkräfte bei ihren globalen Einsätzen zwischen Afghanistan und Lateinamerika hinzunehmen hatten, blieb die Dominanz der Amerikaner innerhalb des Nordatlantikpaktes nicht nur bestehen, sie verstärkte sich sogar wieder. Unter dem Präsidenten Donald Trump schien es so, als würden sich die Amerikaner wieder auf die Monroe-Doktrin und auf eine „splendid desolation“ zurückziehen. Nunmehr, unter dem demokratischen Präsident Biden, ist es wieder ganz anders – insbesondere im Hinblick auf den geopolitischen Gegner Russland. Historisch gesehen waren es überhaupt zumeist demokratische US-Präsidenten, die Amerika in Kriege und weltweite militärische Konflikte verwickelten. Joe Biden ist nur ein weiterer in dieser Reihe und er hat mit der von den Amerikanern massiv betriebenen NATO-Osterweiterung weit in Bereiche des ehemaligen Warschauer Pakts, ja der ehemaligen Sowjetunion hinein, nahezu so etwas wie eine Einkreisung Russlands betrieben. Die Reaktionen der Europäischen Union, aber auch der stärksten europäischen Mächte Frankreich und Deutschland sowie das aus der EU ausgetretenen Vereinigte Königreich in der aktuellen kriegerischen Auseinandersetzung um die Ukraine zeigen deutlich, dass die Europäer hier innerhalb der NATO den US-amerikanischen Vorgaben geradezu sklavisch folgen.
Aufgerüttelt wurden die Europäer, insbesondere die Deutschen, aber auch die neutralen Österreicher durch den Ukrainekrieg insofern, als sie sich eingestehen mussten, dass ihre jeweiligen Armeen in keiner Weise verteidigungsfähig wären und allfälligen Angriffen von außen nichts entgegen zu setzen hätten. Zwar gab und gibt es keinerlei Anzeichen und nicht die geringsten Indizien für russische Angriffsabsichten auf EU-Staaten und NATO-Mitglieder, dennoch war dieser Weckruf offenbar fruchtbar und bitter notwendig. Die deutsche Regierung unter Olaf Scholz stellte sofort 100 Milliarden Euro für die Wiederaufrüstung der Bundesregierung in Aussicht und auch in Österreich war man plötzlich bereit, das minimale Wehrbudget zu erhöhen. Und dann gab es sogar Stimmen innerhalb der Alpenrepublik, die erklärten, nur ein NATO-Beitritt könnte dem Land Sicherheit bescheren.
Nun wissen wir, dass die immerwährende Neutralität, die wir im Umfeld des Staatsvertrages auf sowjetischen Druck hin auf uns nahmen, im Lauf der Jahre zu einem offenbar von der Mehrheit der Bevölkerung geschätzten Teil der österreichischen Identität wurde. Sicherheitspolitisch stellte sie während des Kalten Krieges natürlich eine Lebenslüge dar, da das Bundesheer auch damals nicht in der Lage gewesen wäre, einem Angriff aus dem Bereich des Warschauer Pakt stand zu halten. Insgeheim war man sich in Kreisen des österreichischen Bundesheers damals klar, dass man im Kriegsfalle nur einen Hilferuf an die NATO hätte absetzen können und vielleicht kurzen Widerstand zu leisten im Stande gewesen wäre. Und das hat sich nach dem Ende des Kalten Krieges in keiner Weise gebessert. Als Teil der Europäischen Union, umringt von NATO-Mitgliedern, wähnte man in Wien, auch in Kreisen des Bundesheers, dass die militärische Landesverteidigung eigentlich nicht mehr so wirklich ernst zu nehmen wäre. Das Bundesheer sei eine bessere Zivilschutzorganisation, eine bessere Feuerwehr, die im Katastrophenfall Hilfsdienst leisten müsse, allenfalls im Assistenzeinsatz an der Staatsgrenze illegale Migranten abzufangen habe. Mittels unzähliger Reformen seit der Ära Kreisky hatte man das Heer in langen Jahrzehnten ausgedünnt, seine Bewaffnung ist veraltet, das Konzept der Miliz hat man schlicht und einfach schubladisiert und sogar die allgemeine Wehrpflicht war zeitweise in Frage gestellt. Durch die Möglichkeit zum Zivildienst und durch die übertrieben vorsichtigen Kriterien bei der Assentierung der Wehrpflichtigen wurde diese allgemeine Wehrpflicht ohnedies massiv ausgehöhlt. Und so ist das Heer zum heutigen Tag nur noch bedingt einsatzfähig, verfügt weder über moderne Waffen, noch über eine wirklich funktionierende Luftüberwachung, hat dem Vernehmen nach kaum die nötigen Treibstoffe für die Fahrzeuge und die für einen Einsatz notwendige Munition.
Angesichts dieser Fakten, was die Neutralität und die tatsächliche Wehrbereitschaft des Landes betrifft, gilt es Zukunftsstrategien zu entwickeln, die die Republik einerseits tatsächlich verteidigungsfähig machen und die andererseits einen längst überfälligen Aufbau eines europäischen militärischen Sicherheits- und Verteidigungssystems ermöglichen. Sollten die schönen Worte seitens der verantwortlichen Politik tatsächlich wahr werden und ein adäquates Budget für die Landesverteidigung bereitgestellt werden, müsste das Bundesheer möglichst rasch – auch das müsste zweifellos Jahre dauern – nach Schweizer Muster aufgerüstet werden. Massive Investitionen müssten in die Ausrüstung und die Ausbildung des Kaderpersonals fließen, das gewissermaßen als Berufsarmee den Kern einer breit aufgestellten Milizarmee bildet.
Für eine solche Milizarmee müsste die allgemeine Wehrpflicht auf eine allgemeine Dienstpflicht für alle jungen Staatsbürger erweitert werden. Junge Männer wie junge Frauen sollten im Zuge dieser Dienstpflicht verpflichtete werden, ein Jahr entweder im Wehrdienst oder im Sozialdienst und im Zivilschutz staatsbürgerliche Solidarität zu leisten. Es gibt kein stichhaltiges Argument, warum diese Dienstpflicht für Frauen nicht gelten sollte, da es längst die Gleichstellung von Mann und Frau in allen rechtlichen und sozialen Bereichen durchzusetzen gilt. Selbstverständlich wäre eine solche Milizarmee völlig gleichwertig auch für Frauen offen und müsste im Vergleich zu den sozialen Diensten und jenen im Bereich des Zivilschutzes mit gewissen Vorteilen finanzieller Natur ausgestattet sein, um die entsprechende Mannschaftsstärke zu gewährleisten. Eine solch modern aufgerüstete und bestens ausgebildete Milizarmee mit einer Berufsarmee im Kern, sollte willens und fähig sein, das Land selbständig zu verteidigen. Damit wäre sie aber auch ein Garant für die militärische Neutralität Österreichs, so lange diese aufrechterhalten wird.
Wenn die Europäische Union in der Lage wäre, sich zu einem „global player“ auch in sicherheitspolitischer Sicht zu entwickeln, wäre dazu naturgemäß die Emanzipation von den US-Amerikanern vonnöten. Ob dies nun durch eine Europäisierung des Nordatlantikpaktes oder durch ein Austreten der Europäer aus demselben wäre, ist zweitrangig. Auch wenn weiter so etwas wie eine transatlantische Wertegemeinschaft der demokratisch organisierten großen Mächte, also der USA und Europas, existieren muss, wäre ein eigenständiges sicherheitspolitisches und geopolitisches Agieren der Europäischen Union als Voraussetzung der Wahrung der eigenen Interessen unverzichtbar. Und dies wäre natürlich auch die Voraussetzung, um die österreichische Neutralität in militärischer Hinsicht zugunsten der Teilhabe an einer EU-Armee aufzugeben.
Bereits seit dem EU-Beitritt gilt ja die einigermaßen realitätsferne These, dass die Neutralität Österreichs zwar weiter bestehe, dass sie aber zugunsten einer europäischen Solidarität im Falle des militärischen Ernstfalles obsolet wäre. Bei der Schaffung eines europäischen Sicherheits- und Verteidigungssystems, dessen Teil auch das österreichische Bundesheer sein müsste, wäre unsere Neutralität, ebenso wie jene der anderen bislang neutralen EU-Staaten Irland, Schweden und Finnland, wohl hinfällig. Was dieser Tage der vormalige Spitzenmilitär Höfler sagte, wonach es für Österreich gegenwärtig nur zwei Möglichkeiten gäbe, nämlich eine adäquate Aufrüstung des Bundesheeres oder den NATO-Beitritt, wäre somit überholt. Eine entsprechende und effektive Aufrüstung unserer Armee unter vorläufiger Beibehaltung der Neutralität bis zur Schaffung eines gesamteuropäischen Sicherheits- und Verteidigungssystems wäre vielmehr einzige realistische, aber auch visionäre Möglichkeit, das Land sicherheitspolitisch stabil zu halten. Und diese Armee müsste dann eben in dieses europäische Sicherheitssystem eingegliedert werden und könnte dort als integrativer Bestandteil und als Beitrag Österreichs sinnvoll militärische Potenz entwickeln. Der pseudopazifistische Traum vom ewigen Frieden ist ausgeträumt, das sehen wir in diesen Tagen. Sicherheitspolitische Erfordernisse für unsere Republik, aber auch für das gemeinsame Europa, müssen nun raschest bewerkstelligt werden. Ansonsten laufen wir, nicht nur Österreich, sondern die Länder der Europäischen Union insgesamt, Gefahr, zu drittklassigen Trittbrettfahrern der Weltpolitik zu werden.
Unsere Pseudoneutralität
23. Februar 2022Da weilt unser Außenminister, der Herr von Schallenberg, in Kiew, um den verängstigten Ukrainern Mut zuzusprechen. Gemeinsam mit seiner bundesdeutschen Kollegin Baerbock und dem EU-Außenbeauftragten Borrell versichert er mit schmeichelweicher Stimme, dass Österreich im Falle einer russischen Offensive die schärfsten Sanktionsmaßnahmen mittragen werde. Und der Herr Bundeskanzler erklärt währenddessen in Wien, dass Österreich noch nie neutral gewesen sei, wenn es um den Frieden gehe.
Dabei bleibt die Logik einigermaßen auf der Strecke, da Neutralität ja nur im Falle von Auseinandersetzungen kriegerischer oder diplomatischer Natur einen Sinn gibt. Zweifellos ist richtig, dass unser Land längst nicht mehr neutral ist. Bereits vor 30 Jahren in einem der Irakkriege erlaubte die damalige große Koalition Überflüge von NATO-Flugzeugen über unser Territorium und den Transport von schweren Waffen. Und spätestens seit dem EU-Beitritt müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass europäische Solidarität wichtiger wäre also unsere angeblich immerwährende Neutralität. Dass Bundesheersoldaten auf der Seite der NATO in Afghanistan standen – ein kleines Kontingent zwar, aber immerhin – und dass das Bundesheer unter NATO-Kommando am Balkan tätig war, ist dann nur noch wenig überraschend. Und so spielt die immerwährende Neutralität in unserem Land im aktuellen Konflikt zwischen Russland und der NATO offenbar überhaupt keine Rolle mehr. Wenn Österreich noch im Kalten Krieg als neutraler Staat Treffpunkt für die mächtigsten Politiker der damaligen Welt, für den US-Präsidenten Kennedy und den sowjetischen KPdSU-Generalsekretär Chruschtschow war, ist es heute allenfalls ein minimaler Faktor im Rahmen der EU, die ja selbst kaum ein Gewicht hat bei der Schlichtung des gegenwärtigen Konflikts. Da spielen nur der US-Präsident Biden und der Großrusse Wladimir Putin eine Rolle. Und wenn sich diese treffen, dann wird es wohl kaum im nicht mehr neutralen Österreich sein.Überhaupt ist die Idee, dass unser Land als neutraler Staat in der Mitte Europas eine Vermittlerrolle in solchen Konflikten spielen oder zumindest ein neutraler Treffpunkt für Gespräche sein könnte, völlig verschwunden. Auch ist keinerlei Bemühen seitens unserer Regierung feststellbar, die Problemlage aus dem Blickwinkel beider Konfliktparteien zu sehen. Da wird zwar die territoriale Integrität der Ukraine beschworen, dass es aber auch legitime russische Interessen geben könnte, wird völlig missachtet. Das neutrale Österreich könnte etwa darauf hinweisen, dass es in der Ostukraine bis zu neun Millionen ethnische Russen gibt, für die der Kreml legitimerweise die Schutzmacht ist, und man könnte darauf aufmerksam machen, dass es in den baltischen Staaten bis zu 40 Prozent russische Bevölkerung gibt, die nach wie vor in der ach so demokratischen EU eingeschränkte Bürgerrechte haben. Österreich könnte auch darauf hinweisen, dass es ein „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ gibt und man in umstrittenen Gebieten, wie etwa der Ostukraine, doch unter internationaler Aufsicht Plebiszite durchführen könnte, um die Frage, wohin das Territorium nach dem Willen der Bevölkerungsmehrheit solle, zu klären.
Aber derlei Überlegungen werden in Wiener Regierungskreisen in keiner Weise erwogen. Man hat sich von der immerwährenden Neutralität längst verabschiedet und beschwört diese allenfalls in Sonntagsreden. Zwar hat man bislang vermieden, offiziell einem Militärbündnis beizutreten, de facto aber marschiert man mehr oder weniger unkritisch mit in den Reihen der NATO-Staaten.
Denn eines ist klar, eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik gibt es nach wie vor nicht, und die vor langen Jahren angedachte Europäisierung des Nordatlantikpaktes hat niemals stattgefunden. Dieser ist nach wie vor der verlängerte Arm der US-Amerikaner und das vorgeblich immerwährend neutrale Österreich ist somit nicht mehr und nicht weniger als ein zwar wenig bedeutender, aber doch eindeutiger Erfüllungsgehilfe der Politik dieses Militärbündnisses. Und so erweist sich die immerwährende Neutralität, die angeblich ein unverzichtbarer Bestandteil der österreichischen Identität in der Zweiten Republik geworden ist, längst als heuchlerische Konstruktion, die in den politischen Realitäten weitestgehend bedeutungslos geworden ist.
Nein zur Teilnahme Österreichs an allfälligem EU-Einsatz in Libyen
3. März 2011Ich spreche mich entschlossen gegen eine Entsendung von österreichischen Soldaten bei allfälligen EU-Einsätzen in Libyen aus. Die Beteiligung an derartigen Einsätzen, etwa durch sogenannte EU-Battlegroups, wäre mit unserer Neutralität nicht zu vereinen. Österreich hat sich zwar innerhalb Europas solidarisch zu verhalten, aber nach außen hin ist unbedingt die Neutralität zu wahren.
Ich möchte auf das Problem aufmerksam machen, daß eine eigenständige europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik nicht gegeben ist. Die EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird nicht in europäischen Institutionen bestimmt, sondern in Washington bzw. im NATO-Hauptquartier. Und solange sich die Europäische Union nicht außen- und sicherheitspolitisch von den USA emanzipiert, hat sich Österreich auf seine Neutralität zu besinnen.
Bezüglich eines möglichen EU-Einsatzes in Libyen gibt es durchaus europäische Interessen. Hier sind insbesondere die Bekämpfung der illegalen Zuwanderung und die Sicherung der Energieversorgung Europas zu nennen, was für die Europäische Union ein langfristiges Ziel mit höchster Priorität sein sollte. Allerdings würde ein Militäreinsatz unter der Führung der USA ablaufen, die wiederum ihre eigenen Interessen verfolgen, und der EU wohl ihre Meinung aufdrängen würde. Daher besteht die Gefahr, daß sich Europa einmal mehr vor den Karren der USA spannen läßt, weil man offensichtlich nicht in der Lage ist eigenständige und von den USA unabhängige Politik zu betreiben.