Vom ewigen Un-Frieden

2. März 2023

Gewalt und Krieg als ­anthropologische Konstante

Aus christlich-religiöser Sicht sind die Dinge relativ einfach: Gott hat den Menschen nach seinem Abbild erschaffen, als schön und gut. Und dann kam der Sündenfall, Adam konnte der Versuchung nicht widerstehen, aß vom Apfel der Erkenntnis und wurde aus dem Paradies vertrieben. Nun war er sterblich und musste um sein Überleben kämpfen. Und damit kamen eben der Kampf, die Gewalt, der Bruderzwist und letztlich der Krieg in die Welt.
Auch aus der Sicht der Evolutionstheorie ist die Angelegenheit nicht minder einfach: Der Mensch ist ein Raubtier, ernährt sich von pflanzlicher, aber auch tierischer Kost. Und diese Nahrung muss er sich erjagen. Und dabei geht es schlicht und einfach nicht ohne Gewalt. Und dabei kommt es natürlich auch mit seinesgleichen zu Konkurrenzkämpfen. Er jagt also nicht nur seine tierische Beute, er verjagt auch menschliche Mitbewerber. Er kämpft von Anbeginn seiner Existenz gegen Konkurrenten im Bereich der Fortpflanzung und im Bereich der Nahrungssuche. Dabei waren Knüppel, Steinbeil, schließlich Lanze und Pfeil sein primäres Handwerkszeug, in der Folge Maschinengewehr und Interkontinentalrakete.
Schwieriger wird die Angelegenheit allerdings, wenn man davon ausgeht, dass es so etwas wie „kulturelle Evolution“ gibt. Dabei stellt sich die Frage, ob der Mensch in der Lage ist, aus der Geschichte zu lernen und ob er schließlich das Prinzip, wonach der Mensch des Menschen Wolf sei – homo hominem lupus –, überwinden kann.
Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts musste man ja leider davon ausgehen, dass das Gegenteil der Fall ist. Die Kriege der Menschheitsgeschichte steigerten sich nämlich bis hin zu zwei apokalyptischen Weltkriege. Doch bereits im Zeitalter des Kalten Kriegs glaubte man, gelernt zu haben, dass – vielleicht motiviert durch die nukleare Drohung der ultimativen Vernichtung der Menschheit – so etwas wie dauerhafter Frieden möglich sein müsse. Insbesondere nach dem Ende der Supermachtkonfrontation durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und des Warschauer Pakts glaubte man, dass sich so etwas wie ewiger Frieden abzeichne, gestört nur durch lokale Konflikte, allenfalls Bürgerkriege und territorial begrenzte Grenzkämpfe.
Der Ukraine-Krieg zeigt uns indessen allerdings, dass dies nicht mehr als eine Illusion war. Der Rückfall in die Politik der militärischen Gewalt, der kriegerischen Grenzverschiebungen und des imperialistischen Anspruchsdenkens durch Russland macht uns deutlich, dass sich im menschlichen Verhalten, beziehungsweise in der interkontinentalen Politik nichts geändert hat. Abgesehen von den Kämpfen in der Ukraine und vom möglichen Ausgang derselben – ob nun Russland gewinnt oder das Regime in Kiew – wird sich danach zwangsläufig so etwas wie ein neuer Kalter Krieg, eine neue globale Frontstellung ergeben. Auf der einen Seite die Vereinigten Staaten von Amerika, die NATO und die Europäische Union, auf der anderen Seite Russland mit China im Hintergrund. Diese Frontstellung der Zukunft bedeutet alles andere als Frieden. Sie stellt allenfalls so etwas wie einen „eingefrorenen Krieg“ dar, und sicher keine Friedensordnung.
Ebenso wie kriegerische Auseinandersetzungen offenbar in der Menschheitsgeschichte zur unausrottbaren Tatsache gehören, ist Gewalt gegen den Mitmenschen im individuellen Bereich scheinbar so etwas wie eine anthropologische Konstante. Zwar hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in unseren Breiten so etwas wie eine Kultur der Gewaltlosigkeit durchgesetzt. Man schlägt seine Kinder nicht, physische Gewalt zwischen Ehepartnern wird nicht nur bestraft, sie ist auch zu einem gesellschaftlichen Tabu geworden. Und Wirtshausraufereien, wie die in früheren Tagen etwa im Alpenraum gang und gäbe waren, sind nicht einmal mehr als Folklore vorhanden.
Diese zunehmende Gewaltlosigkeit in den mitteleuropäischen Friedensgesellschaften wird allerdings durch die Zuwanderung testosterongesteuerter junger Männer aus Kriegs- und Krisengebieten und aus Gewaltkulturen konterkariert. Dies schlägt sich auch klar in der heimischen Kriminalstatistik nieder, wo die Gewaltverbrechen zu einem hohen Prozentsatz von jungen Männern mit Migrationshintergrund begangen werden und autochthone Österreicher kaum noch vorkommen. Dabei gibt es Schießereien allenfalls noch im Bereich der Bandenkriminalität, die häufigste spontane Tatwaffe ist auf ganz archaische Art und Weise das Messer.
Dies wird von der politisch korrekten Sozialwissenschaft und den Sozialarbeitern des heimischen Wohlfahrtsstaates natürlich entschuldigend mit der Traumatisierung dieser Menschen aufgrund der Krisen in ihren Herkunftsländern begründet. Dass etwa der Islam Gewaltanwendung gegenüber Andersdenkenden längst nicht in der Weise stigmatisiert, wie dies in unserer Kultur üblich ist, wird verdrängt. Und dass eben derselbe Islam Frauen als Menschen zweiter Kategorie betrachtet, gegen die Gewalt durchaus auch zulässig ist, ebenso.
Diesbezüglich scheint also im mitteleuropäischen Bereich so etwas wie „kulturelle Evolution“ in Richtung auf Gewaltlosigkeit stattzufinden. Die sogenannte „toxische Männlichkeit“ allerdings, jene Art von Aggression, die Männern gewissermaßen genetisch zu eigen ist, wird dadurch allerdings allenfalls unterdrückt und keineswegs ausgerottet. Da kann man Knaben im Vorschulalter vielleicht das spielerische Raufen austreiben und die Aggressionen junge Männer durch Leistungssport kanalisieren, das männliche Gewaltpotenzial bleibt dennoch vorhanden.
So wie man zwischenstaatliche Gewalt und kriegerische Willkürakte im Bereich der hohen Politik durch das Völkerrecht kanalisieren und möglichst unterbinden will, so gibt es natürlich den gesamtgesellschaftlichen Versuch zwischenmenschliche Gewalt im zivilen Leben zu stigmatisieren oder völlig zu verhindern. Dies gelingt im politischen Bereich auch immer wieder, die „Pax Romana“ des Augusteischen Zeitalters ist ebenso ein Beweis dafür, wie in der jüngeren Geschichte die Friedensordnung nach dem Wiener Kongress oder die „Pax Americana“ in den vergangenen Jahrzehnten.
Und natürlich entwickeln sich menschliche Gesellschaften auch immer wieder hin zu weitgehender Gewaltlosigkeit. Ein funktionierender Rechtsstaat und eine Zivilgesellschaft mit sozialer Gerechtigkeit, Konsens- und Dialogbereitschaft wird naturgemäß gewaltloser sein als eine Kasten-, Konflikt- und Ghettogesellschaft, wie sie sich in unseren Tagen durch die Massenzuwanderung abzeichnet. Gerade diese Massenzuwanderung ist es aber, die die kulturelle Evolution hin zu mehr Gewaltlosigkeit in unserer Gesellschaft beenden dürfte. Auch im Bereich der autochthonen Bewohner des Landes wird sich – schon aus Gründen der Notwehr – wieder ein höheres Maß an Gewaltbereitschaft breit machen.
Damit aber erweist sich, dass im Bereich der Machtpolitik die Geschichte längst nicht zu Ende ist. Der ewige Frieden bleibt eine Illusion, zwischenstaatliche Gewalt, vom diplomatischen Konflikt bis hin zum Angriffskrieg, bleiben Faktoren der internationalen Politik. Und was den Einzelmenschen und sein Verhalten in der Gesellschaft betrifft, dürfte Gewaltlosigkeit auch ein schöner Wunschtraum bleiben. Nicht nur dass Gewaltanwendung im Bereich der Kriminalität weiterhin bestehen wird, nein, auch im täglichen Verhalten des Durchschnittsmenschen wird sie weiter existieren. Ob stigmatisiert oder akzeptiert, Gewalt und tätliche Aggression bleiben so etwas wie eine anthropologische Konstante. Und die linken Träume von der Schaffung des „neuen Menschen“, gewaltfrei, aggressionslos und politisch korrekt haben sich längst als Sackgasse entpuppt, die nur in Entmenschlichung, Manipulation und Totalitarismus mündete.


Die Wiederkehr des deutschen Militarismus

10. Februar 2023

Satte 100 Milliarden Euro will die rot–grün–gelbe Regierung der Bundesrepublik Deutschland in ihre Armee pumpen. So ließ es uns Bundeskanzler Olaf Scholz nach dem Ausbruch des Ukrainekrieges wissen. Man werde die in den letzten Jahrzehnten nahezu totgesparte Bundeswehr massiv aufrüsten und solcherart in der NATO, beziehungsweise in deren europäischem Teil, wiederum zum stärksten militärischen Partner werden.
Und abgesehen von dieser bisher nur als Ankündigung erfolgten Aufrüstung der bundesdeutschen Armee hat sich in der politischen Landschaft Deutschlands so etwas wie eine allgemeine Kriegsbegeisterung breitgemacht. Allen voran die einst als Pazifisten geltenden Grünen, gefolgt aber auch von der christdemokratischen Opposition, ist man für massive Waffenlieferungen an die Ukraine und damit für eine weitere Eskalation des militärischen Konflikts in Osteuropa. Zuvor hatte es insbesondere von linker Seite immer geheißen, von deutschem Boden dürfte kein Krieg mehr ausgehen, nunmehr möchte man am liebsten neben den Leopard-Panzern auch Jagdflugzeuge, Kriegsschiffe und möglicherweise auch Kampftruppen für den Krieg gegen Russland stellen. Am zurückhaltendsten war diesbezüglich noch Bundeskanzler Olaf Scholz mit seiner SPD. Doch auch auf ihn war letztlich der Druck so stark, dass er sich diesem allgemeinen neuen deutschen Bellizismus fügen musste.
Kritische Beobachter fragen sich nun, ob der alte gefürchtete deutsche Militarismus nunmehr im grünen Gewande fröhliche Urständ feiert. Tatsächlich sind es vor allem führende Grün-Politiker, die sich in Deutschland als Kriegstreiber profilieren. Die Außenministerin Frau Baerbock erklärt den Russen leichterhand gleich den Krieg, der grüne Star Habeck plädiert für massive Waffenlieferungen, und der bayerische Grüne Hofreiter würde am liebsten offenbar bereits in Uniform vor die Kameras treten. Die einstigen friedensbewegten Ostermarschierer und deklarierten Pazifisten scheinen plötzlich eine merkwürdig vertraute deutsche Freude für Militär und Krieg entwickelt zu haben.
Tatsächlich hat der deutsche Militarismus ja eine glorreiche, aber auch höchst fatale Geschichte, eine Geschichte, die in hohem Maße mit Preußen und dem Preußentum zu tun hat. Und genau das war wohl auch der Grund, warum die alliierten Kriegssieger den Staat Preußen nach 1945 für aufgelöst erklärten. Der Große Generalstab, Stechschritt, Pickelhauben und feldgraue Uniformen sollten jedenfalls der Vergangenheit angehören.
Begonnen hatte alles mit den „langen Kerls“, die der erste König von Preußen als Kern seiner neuen schlagkräftigen Armee um sich sammelte. Und weiter ging’s mit dieser preußischen Armee und ihren glorreichen Siegen unter Friedrich dem Großen, vorwiegend gegen Österreich und Maria Theresia. Und dann kamen die Befreiungskriege gegen Napoleon und die Reformen eines Clausewitz und die Entwicklung des preußischen Generalstabs, der über nahezu zwei Jahrhunderte eine schier unüberwindliche Militärmaschinerie befehligte. Die triumphalen Siege von Königgrätz und dann bei Sedan bildeten wohl die Höhepunkte in der Erfolgskette dieser Militärmaschinerie. Im Ersten Weltkrieg allerdings sollte diese dann unter der Führung von Hindenburg und Ludendorff trotz opferreicher Siege letztlich erfolglos bleiben. Und im zweiten großen Krieg sollte dieser preußisch-deutsche Militarismus trotz der beeindruckenden Erfolge in den Blitzkriegen schließlich seine finale welthistorische Niederlage erleiden. Und das war’s dann….
Alles, was an deutscher Militärgeschichte danach kam, war eigentlich dem Kalten Krieg zwischen den Supermächten geschuldet. Die Neuaufstellung der Bundeswehr – zum großen Teil wohl mit gedienten Wehrmachtsoffizieren – zeitigte den „Bürger in Uniform“ mit „innerer Führung“. Und diese Bundeswehr war eine Armee mit massiven Legitimationsproblemen und ebenso großen Identifikationsproblemen. Die alte deutsche Tradition des Soldatentums und des Militarismus galten als Tabu, die Rolle der Armee in der neuen deutschen Demokratie war ungeklärt.
Eine klare Aufgabenstellung für die Bundeswehr gab es im Grunde nur im Rahmen des nordatlantischen Militärbündnisses NATO. Dort sollte die Armee der Bundesrepublik Deutschland so etwas wie den Festlandsdegen der US-Amerikaner gegen den Warschauer Pakt spielen. Klar war jedenfalls, dass im Falle einer wirklichen militärischen Konfrontation zwischen NATO und Warschauer Pakt Deutschland der Kriegsschauplatz gewesen wäre und die Armeen in der beiden deutschen Staaten, in die Bundeswehr und die Nationale Volksarmee der DDR, an vorderster Front gegeneinander gestanden wären.
Mit dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts und dem Ende der sowjetischen Hegemonie über Osteuropa, sowie der darauffolgenden kleindeutschen Wiedervereinigung war diese Aufgabenstellung der Bundeswehr hinfällig. Zwar war sie dann mit der Frage konfrontiert, ob sie legitimerweise an internationalen Einsätzen der NATO, etwa bei den Balkankriegen oder in Afghanistan, teilnehmen dürfe, letztlich aber erlitt sie dann über Jahre einen permanenten Niedergang. Sie wurde totgespart im Glauben, dass inmitten von EU-Staaten und NATO-Partnern auf die Bundesrepublik Deutschland eine unmittelbare militärische Herausforderung gar nie mehr zukommen könnte. Und dann kam der Ukraine-Krieg …
Sollte also nun tatsächlich seitens der aktuellen Linksregierung in Berlin eine massive Aufrüstung der Bundeswehr beschlossen und finanziert werden, wird die deutsche Armee wohl auch vor der Aufgabe stehen, sich ein neues Selbstbewusstsein und eine neue Zielrichtung zu erarbeiten. Wie weit dabei die Traditionen des preußisch-deutschen Militarismus – zumindest subkutan – wieder eine Rolle spielen werden, bleibt abzuwarten. Erinnert muss in diesem Zusammenhang daran werden, dass es auch positive Traditionen des preußischen Soldatentums gibt. Ohne patriotische Hingabe, ohne Disziplin und ohne Pflichtbewusstsein wird auch eine moderne deutsche Armee nicht existieren können.
Und überdies stellt sich natürlich die Frage, wie eine solche hochgerüstete neue deutsche Armee in ein europäisches Sicherheits- und Verteidigungssystem eingefügt wird und welche Rolle sie künftig innerhalb der NATO spielen soll. Die Antwort darauf hängt natürlich von der zukünftigen Positionierung der Europäischen Union gegenüber der westlichen Supermacht USA ab. Wenn die Europäer weiterhin nur die machtpolitischen Trittbrettfahrer der USA im Rahmen der NATO bleiben und die militärische Führung vorbehaltlos dem Pentagon überlassen, wird auch die erneuerte deutsche Bundeswehr letztlich nur eine Hilfstruppe der US-Army bleiben. Ob sie damit gemäß ihrem Fahneneid ausschließlich dem Wohl und Wehe des deutschen Volkes dient, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden.


Die Russen waren’s – wer sonst?

6. Oktober 2022

Da wurden dieser Tage also die Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 in der Ostsee gesprengt. Ein schwieriges Unterfangen, das zweifellos nicht von irgendwelchen Nebenerwerbs-Terroristen durchgeführt werden konnte, sondern schon spezielles militärisches Know-how erforderte. Ein Anschlag jedenfalls, der Europas Versorgung mit russischem Gas endgültig unterband und der überdies zeigte, wie verletzlich Europas lebenswichtige Infrastruktur ist.
Und natürlich hieß es von Seiten der Mainstream-Medien und der etablierten Politik sofort: die Russen waren’s! Wieder einmal habe Wladimir Putin, jener ultimative Bösewicht der Weltgeschichte, einen Anschlag gegen den Westen verüben lassen und – wenn es auch noch nicht letztendlich bewiesen ist – neuerlich gezeigt, wozu er fähig ist. Nach seinem, wie es heißt, völlig unmotivierten Angriffskrieg gegenüber der Ukraine, neben seinen ständigen Drohungen mit der Atombombe, nunmehr eben auch terroristische Anschläge auf unsere kritische Infrastruktur. Diese Russen – schlimmer als Dschingis Khan und Hitlers SS …
Und überdies müssen diese Russen, allen voran Wladimir Putin, verdammt irrational und unlogisch denken und handeln. Warum würden sie sonst eine ihrer wirksamsten Waffen gegenüber ihren westlichen Gegnern, nämlich die Möglichkeit Gas zu liefern oder eben nicht zu liefern, durch das Kappen der Pipelines entkräften? Und warum machen sie sich die Mühe, diese Pipelines aufwändig und umständlich am Meeresboden zu zerstören, anstatt sie schlicht und einfach auf russischem Boden abzudrehen? Schon merkwürdig, diese Russen.
Dass der US-Präsident Biden bereits zu Jahresbeginn davon gesprochen hat, den Betrieb der Pipelines mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterbinden, spielt natürlich keine Rolle. Und dass erst kürzlich in eben jener Region der Ostsee, in der jetzt die Explosionen hoch gegangen sind, Seemanöver der NATO und der USA stattgefunden haben, ist natürlich auch völlig irrelevant. Das alles ist ebenso uninteressant wie die Tatsache, dass Polens Präsident Duda bereits im August den Abriss der Pipeline Nord Stream 2 gefordert hat und dass Greenpeace bereits im Juni mit polnischen Aktivisten zu den Pipelines getaucht ist, um gegen diese zu demonstrieren.
All dies ist natürlich Ausdruck des westlichen, beziehungsweise US-amerikanischen Willens, die Gaslieferungen Russlands an die Europäer zu unterbinden. Und genau dieser Willen stellt natürlich auch das einzig logische Motiv für die Sprengung der Pipelines dar. Einzig und allein die antirussischen Kräfte, also die USA, die NATO und allenfalls die Ukraine selbst, können ein Interesse an der Zerstörung von Nord Stream 1 und Nord Stream 2 haben. Und natürlich auch die EU-Europäer selbst, da sie machtpolitisch längst Trittbrettfahrer der Amerikaner geworden sind: ohne ihre eigenen Interessen im Auge zu haben und in geradezu sklavischer Abhängigkeit, militärisch wie politisch.
Auch hierzulande wissen dies die Menschen, zumindest jene, die noch zu einigermaßen kritischem Denken fähig sind. Die Politik allerdings und die meisten Medien des Landes verkünden mehr weniger lautstark das Gegenteil: Die Russen sind schuld! Und darum müssen wir die Sanktionen natürlich aufrechterhalten und möglicherweise sogar noch verschärfen. Deshalb müssen wir auch dafür sein, dass die Ukraine in die NATO kommt, koste es was es wolle! Und sogar, wenn dies den Atomkrieg bedeutet. Und die am lautstärken in dieses Horn stoßen, sind die Grünen und die übrigen Linken, jene die von sich behaupten, Pazifisten zu sein. Wahrlich eine verrückte Welt …


In der Strompreis-Falle

31. August 2022

Auf der Stromrechnung, die der Autor dieser Zeilen dieser Tage bekam, stand klein gedruckt vermerkt: „98 Prozent aus heimischer Wasserkraft“. Nun mag die Stromproduktion, die in den österreichischen Kraftwerken an unseren Flüssen erbracht wird, durch die Trockenheit der vergangenen Wochen auch gelitten haben. Aber eine Verdreifachung des Preises, wie sie uns offenbar ins Haus steht, wäre damit zweifellos nicht gerechtfertigt.
Dies liegt nun am gegenwärtig viel zitierten „Merit-Order-Prinzip“, welches besagt, dass das teuerste Kraftwerk, gegenwärtig eben die Stromerzeuger durch Gas, den Strompreis bestimmen. Und da fällt uns die große Liberalisierungswelle der Neunzigerjahre auf den Kopf, die unter anderem auch den Strommarkt liberalisiert und europäisiert hat. Hätten wir nämlich noch die Zustände davor, wonach die Stromerzeugung eine rein österreichische Sache war und die Elektrizitätskonzerne im Staatseigentum standen, könnten wir jetzt unsere Strompreise nehr oder weniger nach eigenem Gutdünken bestimmen. Und da wäre eben die dominierende Wasserkraft in keiner Weise von der gegenwärtigen Teuerungswelle betroffen. Durch diese Liberalisierung sind wir nunmehr hingegen europäischen Entwicklungen und dem Gewinnstreben multinationaler Energiekonzerne ausgeliefert. Und eben diesem unseligen Merit-Order-Prinzip, das für die gegenwärtige Vervielfachung der Energiepreise sorgt.
Nun hat der Herr Bundeskanzler dieser Tage zwar angekündigt, dass er mit aller Kraft auf europäischer Ebene dafür eintreten wolle, dass dieses Prinzip aufgehoben wird und dass die Koppelung des Strompreises an den Gaspreis beendet wird. Der gelernte Österreicher allerdings weiß ganz genau, wie schnell, beziehungsweise wie langsam die Dinge auf der europäischen Ebene geschehen. Bis sich da alle Mitgliedsländer geeinigt haben, ist die Hälfte der Österreicher in ihren ungeheizten Wohnungen bereits an Unterkühlung verstorben.
Doch Ironie beiseite, Tatsache ist, dass die Regierung nunmehr rasch und energisch handeln muss. Der bereits vor Wochen angekündigte Strompreisdeckel kann nicht ad infinitum diskutiert werden, er muss sofort eingeführt werden. Und die Politik der milden Gaben und Almosen in Form von Einmalzahlungen hat schnellstens beendet zu werden. Stattdessen bedarf es der energischen Bekämpfung der Inflation. Und die litaneiartig wiederholte Beschwörung, wonach man nur die sozial Schwachen durch Ausgleichszahlungen für die Inflation entlasten müsse, sollte auch beendet werden. Im Sinne der sozialen Gerechtigkeit geht es doch darum, alle Bürger vor der Inflation zu schützen und nicht jene, nämlich den Mittelstand zu bestrafen, die durch ihre Steuerleistung alles, auch alle Sozialleistungen finanzieren.
Natürlich hat der Staat dafür zu sorgen, dass die Bezieher der niederen Einkommen nicht verelenden. Er muss aber auch gegen die Verarmung aller anderen Bevölkerungsschichten ankämpfen, insbesondere auch jener, die für ihre Leistungsbereitschaft nunmehr bestraft werden, indem sie als Bezieher höherer Einkommen keinerlei Ausgleich für die Inflation und die dramatisch angestiegen Energiekosten erhalten sollen.
Insgesamt und längerfristig allerdings sollte man sich überlegen, ob Österreich nicht gut daran täte, in Sachen Energie – sowohl was Erdgas als auch was Stromerzeugung betrifft – vom Ausland wieder so gut wie möglich unabhängig zu werden.
Und das gilt nicht nur für eine Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen, sondern auch für eine Unabhängigkeit von diesen europäischen Netzwerken, die uns nunmehr gefangen halten und für den explosionsartig gestiegenen Strompreis sorgen.


Eine ­Epoche multipler Krisen

5. August 2022

Längst hat die Menschheit die 8-Milliarden-Grenze überschritten. Der Planet ist überbevölkert und die Ernährung der Erdbevölkerung wird immer schwieriger. Indessen harren die Getreideschiffe im Hafen von Odessa ihrer Ausfahrt. Und nach Schätzungen der Vereinten Nationen werden durch den Ukraine-Krieg rund 100 Millionen Menschen in extreme Armut fallen, wenn nicht gar realen Hunger leiden.
Soziale Spannungen, vielleicht sogar Bürgerkriege und Armutsrevolten werden die Folge dieser Entwicklung sein, wobei zuerst gescheiterte Staaten in Schwarzafrika, in Südostasien und in anderen Teilen der Dritten Welt betroffen sein dürften. Zu Jahresbeginn gab es schon Aufstände in Kasachstan wegen der explosionsartig angewachsenen Treibstoffpreise. Dann war es in jüngster Zeit Sri Lanka, das von solchen Unruhen betroffen war. Demnächst könnte es Pakistan sein, das offenbar vor einer Explosion steht. Und ähnlich wird es sich mit all jenen Staaten verhalten die, so etwa in Schwarzafrika, durch die ausfallenden Getreidelieferungen aus der Ukraine zunehmende Bedrängnis geraten.
In Schwellenländern, die durch die massiv steigende Energiekosten und ebenso explosiv anwachsenden Kosten für Lebensmittel, sowie durch desolate Staatshaushalte betroffen sind, steigt die Gefahr sozialer Spannungen und ganz realer gewalttätiger Konflikte. Wer nun glauben sollte, dass dies nur auf die Dritte Welt beschränkt, wäre der irrt. Auch in den westlichen Industriestaaten wird die tatsächlich hereinbrechende Verarmung breite Teile der Bevölkerung betreffen und das soziale Gefüge erschüttern, wenn nicht gar zerstören. Insbesondere in jenen Ländern, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten durch massive Massenzuwanderung destabilisiert wurden, wird es zwangsläufig zu Auseinandersetzungen zwischen der autochthonen Bevölkerung und den Zuwanderungsgruppen kommen. Spätestens dann, wenn die staatlichen Transferleistungen für die Bevölkerung mit Migrationshintergrund geringer werden oder gar gänzlich ausbleiben, sind veritable Verteilungskämpfe, die bis hin zu offenen Bürgerkriegen gehen könnten, unausbleiblich.
Jenseits der Sozialutopien, wie sie sich in der Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle gezeigt haben, wird es in der auf uns zukommenden Mängelgesellschaft zweifellos eine Verarmung, wenn nicht gar eine Verelendung breiter Gesellschaftsschichten geben. Aus sozialen Spannungen könnten bürgerkriegsähnliche Zustände bis hin zu Hungerrevolten werden. Und diese könnten durch ethnische Konflikte unter den Zuwanderer-Gruppierungen verstärkt werden, so wie wir es aus den Auseinandersetzungen zwischen Türken und Kurden kennen, wie sie vor Jahr und Tag in Wien statt bereits stattgefunden haben.
Es wäre eine Illusion, anzunehmen, dass Europa von solchen Entwicklungen ausgenommen wäre. Nicht nur, dass der Krieg in Form des russischen Angriffs auf die Ukraine längst nach Europa zurückgekehrt ist. Konflikte, am Balkan etwa zwischen Kosovo und Serbien, drohen auch wieder aufzubrechen. Und dieser Bereich ist von Österreich, unserer Insel der Seligen, nur wenige Autostunden entfernt.
Und sogar in Friedensregionen wie etwa im Alpen-Adria-Bereich könnten durch die sozialen Probleme und deren Verschärfung alte, längst tot geglaubte Konflikte, die bislang verdrängt oder vergessen waren, wieder entflammen. Sogar längst historisierte Auseinandersetzungen wie etwa jene zwischen Österreichern und Italienern, zwischen Kärnten und Slowenien, zwischen Friulanern und ihren kroatischen und slowenischen Nachbarn könnten sich neuerlich entzünden. Dort, wo man sich noch vor drei Generationen zu zehntausenden dann gegenseitig hinmordete, etwa bei den Isonzo-Schlachten des Ersten Weltkriegs, wäre es auch nicht ausgeschlossen, dass alter Hass neu ausbricht.
Dies sind nun scheinbar doch weit hergeholte Horrorvisionen, ausgeschlossen jedoch ist das Aufbrechen alter Konflikte unter schwierigen sozialen Bedingungen keineswegs. Und dies nicht nur in Österreichs Nachbarschaft, sondern weltweit. Gerade in Osteuropa und in Südosteuropa gibt es eine derartige Fülle von alten ungelösten ethnischen, sozialen und ökonomischen Streitfällen, dass es ein Wunder wäre, wenn diese nicht im Falle dramatischer wirtschaftliche Entwicklungen wieder zum Tragen kämen. Die Auseinandersetzungen in der Ukraine, die natürlich nunmehr unter Kriegsbedingungen stattfinden, zeigen uns dies nur allzu deutlich.
Wenn überdies die wirtschaftlichen und machtpolitischen Interessen externer Mächte mitspielen, verschärft dies die Konflikte zumeist noch. So ist etwa die militärische Unterstützung der USA für die Ukraine keineswegs uneigennützig.
Wenn Großmächte wie etwa die Vereinigten Staaten von Amerika oder auch Russland oder das ostasiatische China glauben, ihre Einflusssphäre ausdehnen oder auch nur bewahren, geht es zumeist zu Lasten der regionalen Staaten.
So ist etwa die militärische Unterstützung der USA für die Ukraine gewiss nicht nur von freundschaftlichem Einsatz für die Souveränität des Landes motiviert, sondern zweifellos auch durch globale Großmachtinteressen.
Und wenn China in Schwarzafrika in gewaltigem Maße investiert, so ist dies wohl kaum durch den Einsatz für Völkerfreundschaft begründet, sondern durch ganz reale wirtschaftliche und machtpolitische Interessen.
Insgesamt scheinen der Planet und die Menschheit auf eine Epoche multipler Krisen zuzusteuern. Die Überbevölkerung und die Ernährungskrise, sowie die weltweite massive Verteuerung von Lebensmitteln und Energie erzeugen in zunehmendem Maße in vielen Staaten Versorgungskrisen und damit sich zuspitzende Verteilungskämpfe. In den bereits als gescheitert geltenden Staaten der Dritten Welt ist die Folge davon das totale Chaos, die völlige Anarchie und zumeist die Übernahme durch autoritäre Systeme. In Schwellenländern fördert diese krisenhafte Entwicklung ebenso die Entwicklung antidemokratischer Strukturen. Und in den westlichen Demokratien ist das, gepaart mit der Zuwanderung, einfach ein Faktor zunehmender Destabilisierung.
Es sind somit keine schönen Aussichten für die Menschheit, die sich da auftun. Die offenbar nunmehr auslaufende Coronakrise, der Ukraine-Krieg, die Inflation in den westlichen Industriestaaten und die globale Tendenz zu massenhafter Verarmung scheinen uns tatsächlich in eine Epoche des Chaos und der Krise zu stürzen.
Wo sind die Staatsmänner, wo sind die politischen Kräfte, die sich dem entgegenstemmen und Konzepte für die Bekämpfung dieser Multi-Krisen-Entwicklung haben?
Tröstlich ist nur, dass wir eines wissen: Wenn die Gefahr groß ist, wächst auch das Rettende. Hoffen wir, dass der Klassiker recht behält.


Ein Blitzkrieg sieht anders aus!

8. Juli 2022

Die Russen erobern nunmehr also eine Stadt des Donbass nach der anderen. Die Region Lugansk ist bereits völlig in ihrer Hand, die Landbrücke im Süden in Richtung Krim ist längst gesichert und das erste Kriegsziel des Kremls, nämlich die „Befreiung“ des weitgehend von Russen bewohnten östlichen Teils der Ukraine ist nahezu abgeschlossen. Damit, so lassen uns die Experten wissen, ist die zweite Phase des Krieges in der Ukraine beendet.
Die erste Phase war der versuchte Vorstoß der russischen Einheiten in Richtung Kiew. Nachdem dieser Vorstoß aufgegeben wurde, bedeutete dies das Ende der ersten Phase. Nunmehr, mit der weitgehenden Eroberung des Donbass, war das eben die zweite Phase.
Optimisten hoffen nun, dass Wladimir Putin erklären könnte, er habe seine Kriegsziele erreicht und sei nun zu ernsthaften Verhandlungen bereit. Andere allerdings meinen, dass jetzt eine dritte Phase des Ukraine-Kriegs vor der Tür stünde. Eine dritte Phase, die entweder gekennzeichnet sein könnte durch die Rückeroberung großer Teile des Landes durch ukrainische Einheiten, oder aber durch einen weiteren Vormarsch der Russen.
Die Äußerungen westlicher Politiker, wie zuletzt etwa jene des bundesdeutschen Kanzlers Olaf Scholz, dass Wladimir Putin den Krieg auf keinen Fall gewinnen dürfe und der offenbar kompromisslose Wille der US-Amerikaner, Russland militärisch und machtpolitisch dramatisch zu schwächen, deutet darauf hin, dass der Krieg noch lange andauern könnte.
Allerdings mehren sich die Stimmen, die darauf hinweisen, dass ein militärischer Sieg der Ukraine eigentlich illusionär ist. Natürlich spielt Kiew auf Zeit. Je länger der Krieg andauert und je realistischer die Lieferung modernster westlicher Angriffswaffen wird, desto größer werden die Chancen, die russische Armee stoppen zu können.
Das Risiko dieser Strategie besteht allerdings darin, dass ein in die Enge getriebener Kremlherr weitere Eskalationsstufen des Konflikts in Angriff nehmen würde. Und da gibt es für Putin nicht nur die Möglichkeit, den Gashahn völlig zuzudrehen, er könnte auch die Lieferung nuklearer Brennstäbe für die europäischen Atomkraftwerke stoppen und damit wäre es mit unserer Stromversorgung wirklich zu Ende.
Und natürlich gäbe es für Putin da auch noch militärische Möglichkeiten zu eskalieren. Er könnte beispielsweise mit massiven Raketenangriffen die ukrainischer Hauptstadt Kiew in Schutt und Asche legen. Er könnte nukleare Gefechtsfeldwaffen einsetzen. Und schließlich gibt es da die ultimative Eskalationsstufe, nämlich den Einsatz strategischer Atomwaffen.
Der Gedanken, Russland militärisch völlig niederwerfen zu können, sollte also sehr rasch aufgegeben werden. Zu groß wäre die Gefahr aus einem bislang begrenzten militärischen Konflikt einen europäischen Krieg, wenn nicht einen Weltkrieg zu machen. Das Säbelrasseln, das zuletzt von der NATOTagung in Madrid zu hören war, sollte als bloße Drohgebärde betrachtet werden. Dass auch auf westlicher Seite Vernunft einkehren könnte, sah man zuletzt an der Deeskalation, die im Falle von Kaliningrad/Königsberg geübt wurde.
Sollte also auf allen Seiten die Vernunft die Oberhand gewinnen – was keineswegs der Fall sein muss – so wäre folgendes Szenario denkbar und vor allem wünschenswert: Die Ukraine erkennt, dass sie den Ostteil des Landes auf Dauer nicht rückerobern und schon gar nicht halten kann. Sie ist bereit, einen Waffenstillstand und damit einen „eingefrorenen Krieg“ mit Russland zu akzeptieren.
Der Westen und die NATO erkennen, das weitere Waffenlieferungen nur den Krieg verlängern würden, keineswegs aber einen Sieg über die russische Armee erzwingen könnten. Und der Kreml akzeptiert, dass die Zerschlagung der Ukraine als Gesamtstaat weder politisch noch militärisch möglich ist. Und letztlich müsste ein solcher Waffenstillstand Verhandlungen möglich machen, die eine militärische Neutralität der Rest-Ukraine zum Ziele hätten, wobei ein EU-Beitritt eine längerfristige Perspektive sein sollte.
Insgesamt muss das wiederholt werden, was an dieser Stelle schon öfter gesagt wurde: Neben der Ukraine, die gewaltige menschliche und materielle Verluste zu verzeichnen hat, ist der zweite große Verlierer dieses Kriegs zweifellos Russland. Ein Blitzkrieg, wie ihn Wladimir Putin offenbar geplant hatte, sieht zweifellos anders aus. Und derZermürbungskrieg, durch den die Russen nunmehr einen Teil der Ost-Ukraine gewinnen konnten, ist etwas, das sowohl sinnlos als auch allzu kostenintensiv – menschlich wie militärisch – ist.


Vom Fluch der linken Heuchelei

2. Juni 2022

Wie aus Pazifisten Kriegshetzer wurden

Wer die gegenwärtige Debatte um den Ukraine-Krieg analysiert, muss schnell zum Schluss kommen, dass die größten Kriegshetzer gegenwärtig aus den Reihen der europäischen Linken kommen. Der Ruf nach der Lieferung von schweren Waffen, nach immer stärkerem Engagement zu Gunsten Kiews und in manchen Fällen schon die Forderung nach einem aktiven Eingreifen in den Konflikt, kam in den letzten Wochen am heftigsten, ja am hysterischsten, von Seiten der linken Exponenten des politischen Spektrums.
Wer etwa die bundesdeutsche Grünen, angefangen von der größten Außenministerin aller Zeiten bis hin zum zottelhaarigen Vorsitzenden der bayrischen Grünen, hört, der weiß, dass sich hier eine Partei von veritablen Bellizisten gebildet hat, die den einstigen Pazifismus der 68er-Revolte und der Neuen Linken gründlich hinter sich gelassen hat. Damals hieß es „Pflugschare statt Schwerter“ und „Frieden schaffen ohne Waffen“ und man demonstrierte gegen den Vietnamkrieg und gegen die NATO-Nachrüstung. Heute sind es die Epigonen dieser einstigen Neuen Linken, die den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz massiv kritisieren, weil er nicht schwere Angriffswaffen in die Ukraine zu liefern bereit ist.
Wie ein solch radikaler Wandel in der grundlegenden Einstellung der Linken zu Krieg und Frieden erklärbar ist, bedarf der näheren Analyse. Zum einen liegt es natürlich am aktuellen Kriegsgegner. Wladimir Putin ist seit langem das idealtypische Feindbild der Linken, da er mit seinen wertkonservativen Positionen im Hinblick auf Patriotismus, Familie und die Einstellung gegenüber Homosexuellen all das verkörpert, was die Linke hasst und ablehnt. Da wird dann Wladimir Putin flugs mit Adolf Hitler verglichen und politikwissenschaftliche Wortspender sprechen leichterdings davon, dass die gegenwärtige Kremlherrschaft natürlich ganz realer Faschismus sei. Mäßigende Stimmen, die darauf hinweisen, dass Putin weder eine ethnische noch eine soziale Gruppe mit der Ausrottung bedrohe und dass zum Faschismus die organisatorische Durchdringung der Bevölkerung und aller Bereiche der Gesellschaft gehört, werden da ignoriert. Das Feindbild Putin und der böse russische Imperialismus reichen als Motiv für die neue linke Kriegsbegeisterung allemal.
Eine weitere Ursache für diesen ideologischen Paradigmenwechsel der Linken ist wohl die längst verinnerlichte Heuchelei, die man sich in diesem Bereich konkret in der Funktion des Gutmenschen angewöhnt hat. Dieses linke Gutmenschentum, das sich insbesondere in der Frage der Massenmigration der vergangenen Jahre herausgebildet hat, vermag natürlich locker in der selbstgefälligen Pose der moralischen Überlegenheit auch Urteile in Sachen Krieg und Frieden zu fällen. Da sind plötzlich die Ukrainer und deren Präsident Selenski, die zuvor noch als eines der korruptesten Länder mit einem überaus korrupten Staatspräsidenten gegolten haben, jene, die einen gerechten Krieg, nämlich einen Verteidigungskrieg führen, wohingegen Putin als verrückter, blutrünstiger Tyrann an der Spitze eines ebenso blutrünstigen Regimes und einer nicht minder blutrünstigen Armee dargestellt wird. Und dagegen ist dann der Einsatz von schweren Waffen das Mindeste.
In der bundesdeutschen Politik und Medienlandschaft trifft sich die kriegslüsterne Linke kurioserweise mit den Christdemokraten des Friedrich Merz und der publizistischen Polemik der „Bild-Zeitung“. Während die Sozialdemokratie unter Olaf Scholz bremst und sich im Hinblick auf die Lieferung schwerer Waffen zögerlich gibt, sind es diese beiden Bereiche, die sich geradezu als Kriegstreiber profilieren. Und jeder, der eine vorsichtige Haltung in Bezug auf die Parteinahme im Ukraine-Krieg setzt, wird da leichterdings als „Putin-Versteher“ diffamiert.
Zwar mehren sich in den Medien die Stimmen, die erkannt haben, dass eine totale militärische Niederlage der Russen schlicht und einfach undenkbar ist und dass jede weitere Eskalation und Ausweitung des Krieges hin zu einem europäischen Konflikt oder gar zu einem Weltkrieg um jeden Preis zu vermeiden ist, dennoch scheint die einzig logische Konsequenz aus dieser Erkenntnis, dass nämlich ein Verhandlungsfriede anzustreben ist, noch in weiter Ferne zu liegen. Gespräche zwischen Moskau und Kiew haben sich in den vergangenen Wochen als Scheinverhandlungen erwiesen und sind ohnedies ohne Ergebnis gescheitert.
Vermittlungsversuche wie etwa vom Türken Erdogan oder von Seiten Israels sind bisher im Sande verlaufen, und die kolportierten telefonischen Kontakte, die es etwa zwischen Macron und Putin oder Scholz und Putin geben soll, haben wohl auch kaum etwas gebracht. Gar nicht zu reden von den eher lächerlichen Versuchen des österreichischen Bundeskanzlers, mit dem Kreml-Herrn zu kommunizieren. Dennoch bleibt es eine Tatsache, dass es irgendwann einmal ernsthafte Verhandlungen geben muss. Und diese werden davon ausgehen müssen, dass ein möglicher Friedenskompromiss natürlich auch die russische Seite berücksichtigen wird müssen, sprich die russischen Geländegewinne im Osten und Südosten der Ukraine werden wohl auf Dauer erhalten bleiben müssen. Die linken Bellizisten im Westen wollen davon nichts hören. Und auch die Scharfmacher in Downing Street 10 und im Weißen Haus in Washington wollen uns bis zum heutigen Tag weis machen, dass nur eine völlige Niederlage der Russen den Krieg beenden könne. All dies ist allerdings illusorisch und birgt nur die Gefahr einer weiteten Eskalation bis hin zum nuklearen Weltkrieg.
Und so erweisen sich die linken Kriegsfreunde ebenso wie die angloamerikanischen Russenhasser als die wirklich große Gefahr für den Weltfrieden. Das ändert natürlich nichts daran, dass Wladimir Putin und Russland einen völkerrechtlich durch nichts zu rechtfertigenden Angriffskrieg vom Zaun gebrochen haben. Nichtsdestotrotz bleiben Verhandlungen die einzige Möglichkeit, um diesen auch zu beenden. Und dazu wird man Putin ein Ausstiegs-Szenario eröffnen müssen. Mit Kriegsgeilheit, die man heuchlerisch als Verteidigung westlicher Werte tarnt, wie dies die Linke gegenwärtig tut, wird ein Kriegsende und eine friedliche Lösung jedenfalls unmöglich sein.


Abschied von der Neutralität

19. Mai 2022

Nun haben sich also Schweden und Finnland entschlossen, die Neutralität aufzugeben und dem Nordatlantikpakt beizutreten. Die jeweiligen Regierungsparteien haben dies beschlossen, und die Parlamente der beiden Staaten werden es absegnen. Zwar gab es keine Volksabstimmung dazu, Umfragen besagen aber, dass sowohl die schwedische als auch die finnische Bevölkerung in der breiten Mehrheit für den NATO-Beitritt ist.
Die Ursache dafür ist natürlich der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Im Falle Finnlands ist der Entschluss wohl verständlich, die Erinnerung an den finnisch-sowjetischen Winterkrieg ist da wohl noch sehr präsent. Was Schweden betrifft, das seit den Napoleonischen Kriegen bündnisfrei beziehungsweise neutral ist, sieht es schon anders aus. Für die Schweden war die Neutralität eine Frage der Identität – ähnlich wie es heute bei uns in Österreich ist.
Apropos Österreich: Nun sind wir als neutraler Staat innerhalb der Europäischen Union ziemlich einsam. Nur noch der kleine Inselstaat Malta und Irland sind so wie wir in der EU neutral. Aber von wegen neutral, spätestens seit dem EU-Beitritt sind wir durch die Verpflichtung, solidarische Beistandspflicht im Falle eines Angriffs auf ein anderes EU-Land zu üben, ohnedies nicht mehr wirklich neutral.
Und so stellt sich die Frage, ob diese unsere immerwährende Neutralität, für die Umfragen zufolge mehr als 70 Prozent der Österreicher ganz entschieden eintreten, nicht doch so etwas wie eine Lebenslüge der Republik darstellt. Eine Lebenslüge war es zweifellos in den Zeiten des Kalten Krieges. Hätte es nämlich damals einen Angriff des Warschauer Pakts es auf Österreich gegeben, wären wir militärisch wohl ziemlich hilflos gewesen.
In militärischer Hinsicht ist es heute wohl kaum anders. Das Österreichische Bundesheer ist in einem derart desolaten Zustand, dass eine wirkliche militärische Landesverteidigung kaum denkbar wäre. Kaum denkbar ist allerdings auch ein Angriff eines Nachbarlandes auf Österreich. Zum einen handelt es sich dabei samt und sonders um EU-Mitgliedstaaten, zum anderen sind sie mit Ausnahme der Schweiz und Liechtenstein auch alle NATO-Mitglieder.
So dürften die Österreicher also in ihrer breiten Mehrheit hoffen, sich auch künftig genüsslich der immerwährenden Neutralität hinzugeben, während die anderen Kriege führen mögen. Und auch die gegenwärtigen Beteuerungen, dass man nunmehr dem Bundesheer endlich entsprechende Mittel zuführen wolle, könnten sich im Zuge dieser Einstellung bald wieder in Wohlgefallen auflösen.
Aus historischer gesamtpolitischer Sicht allerdings scheinen die Österreicher so etwas wie ein gutes Gespür zu haben. Ein NATO-Beitritt würde nämlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt lediglich die Unterwerfung unter die US-amerikanischen militärischen Interessen bedeuten. Die NATO ist ja nach wie vor absolut am Gängelband Washingtons, so etwas wie eine Emanzipation des europäischen Teils der NATO hat noch nicht stattgefunden und wird wohl auch in näherer Zukunft nicht stattfinden. Und nur wenn es die NATO als eigenes und souveränes Sicherheitssystem für Europa gäbe, könnte man der Alpenrepublik mit Fug und Recht raten, diesem beizutreten.


Europas ­„Bloodlands“

6. Mai 2022

Von Schlachtfeldern und Friedensregionen (Teil II)

Die „Bloodlands“ zwischen Baltikum und Schwarzen Meer – die Ukraine: Der amerikanische Historiker Timothy Snyder schilderte in seinem heftig diskutierten Buch „Bloodlands“ drei miteinander verknüpfte Geschichten, nämlich Stalins Terrorkampagnen, Hitlers Holocaust und den Hungerkrieg gegen die Kriegsgefangenen und die Zivilbevölkerung. Blutige Tragödien, die sich zur gleichen Zeit und am gleichen Ort, nämlich im Raum rund um die Ukraine zugetragen haben. Damit wirft er einen Blick auf diesen tragischen Teil der Geschichte des 20. Jahrhunderts, der zeigt, dass es dieses dritte zentrale Schlachtfeld zwischen Bug und Don, zwischen Baltikum und Karpaten war, in dem sich unsägliche Tragödien abspielten.
Natürlich gab es in diesem Raum auch im Laufe der Jahrhunderte vor den zwei Weltkriegen und vor unseren Tagen blutiges Völkerringen. Die Gründung des Reichs der Rus-Wikinger in Kiew und dann die Expansion des zaristischen Russlands seit Iwan dem Schrecklichen war mit gewaltigem Blutvergießen verbunden. Davor die Herrschaft der Mongolen, der Goldenen Horde, stellte ebenso eine blutrünstige Despotie dar. Auch die Kriegszüge des schwedischen Königs Karl XII. forderten zahlreiche Opfer.
Einen ersten Höhepunkt des kriegerischen Schlachtens stellt zweifellos der Napoleonische Russ­landfeldzug aus dem Jahr 1812 dar. Die zaristische Strategie der verbrannten Erde, der Untergang der französischen Grande Armée und die Opfer der russischen Zivilbevölkerung und der Streitkräfte Kutusows deuteten bereits an, was ein Jahrhundert später in dieser Region stattfinden sollte: Im Ersten Weltkrieg war die Ostfront zwischen dem Ostseestrand und den Karpaten gekennzeichnet von beispiellosen Menschenmorden.
Allein die k. u. k. Armee verlor in Galizien, das heute bekanntlich zur Ukraine gehört, in den ersten Kriegsmonaten im Herbst des Jahres 1914 mehr als eine Million Soldaten. Und die Russen trieben die zum Teil schlecht ausgebildeten und schlecht bewaffneten Muschiks in den Schlachten gegen die preußisch-deutschen Armeen im Norden und im Karpatenbereich gegen die habsburgischen Truppen gnadenlos an die Front. Menschenopfer zählten nur wenig. Bis zum Ende des Zarenreichs und bis zum Frieden von Brest-Litowsk Anfang März 1918 fielen Millionen Soldaten, Russen, Österreicher und Deutsche auf dem Territorium dieser „Blood­lands“. Und der darauffolgende Bürgerkrieg zwischen roten und weißen Einheiten in den frühen Jahren der Sowjetunion forderte weitere zahllose Opfer.
Doch damit nicht genug, forderte Stalins „Holodomor“ insbesondere in der ukrainischen Sowjetrepublik Millionen Todesopfer. Die vom sowjetischen Diktator mutmaßlich willentlich verursachte Hungernot und die politischen Säuberungen und die Maßnahmen gegen die Kulaken verursachten insgesamt wohl an die 30 Millionen Tote.
Das solcherart geschundene Land, vergrößert durch Ostpolen, das durch den Hitler-Stalin-Pakt in den Machtbereich der Sowjets fiel, sollte in der Folge zum Hauptkriegsschauplatz des deutschen Russlandfeldzuges werden. Keineswegs nur die gefallenen Soldaten, sondern Millionen sowjetischer Kriegsgefangener wurden zum Opfer des Vernichtungskriegs der Nationalsozialisten.
Vice versa kamen in der Folge Millionen deutscher Kriegsgefangener in sowjetischen Lagern um. Und auf dem gleichen Territorium fanden die von den sogenannten Einsatzgruppen verursachten Massenmorde an der jüdischen Bevölkerung statt, wobei diese bereits vor dem Einmarsch der Deutschen im hohen Maße als „Klassenfeinde“ Opfer der sowjetischen Geheimdiensteinheiten geworden waren. Blutgetränkte Erde also in dieser europäischen Großregion zwischen Baltikum und Schwarzem Meer, zwischen Bug und Don, „Bloodlands“, wie es Timothy Snyder, der amerikanische Historiker formuliert.
Wenn man gehofft hatte, dass nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts und mit der Gründung demokratischer Staaten, beziehungsweise Systeme, den ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts die Chance für die Entwicklung einer dauerhaften Friedensregion gegeben wäre, sollte letztlich in unseren Tagen dann auch eines Besseren belehrt werden.
Nach der vorübergehenden Schwäche Russlands unter Boris Jelzin war es das Bestreben des Kremls unter dem neuen „Zaren“ Wladimir Putin, die Großmachtstellung Russlands wiederherzustellen. „Make Russia great again“, mochte sich der Kremlherr in Anlehnung an die Devise Donald Trumps gedacht haben, als er erst im Kaukasus, dann auf der Krim und in der Ostukraine militärische Gewalt obwalten ließ. Die Hoffnung des Westens, insbesondere der EU-Europäer, dass die Demokratisierung der Staaten Mittel- und Osteuropas auch Russland erfassen könnte, blieb Illusion.
Die EU-Ostererweiterung festigte allerdings den Staatengürtel zwischen Baltikum und Balkan. Der NATO-Beitritt der meisten dieser Länder allerdings musste im Kreml das Bedrohungsszenario einer militärischen Einkreisung hervorrufen. Wladimir Putins aktueller Einmarsch in der Ukraine darf zwar als Reaktion auf diese Entwicklung definiert werden, dies stellt aber keinesfalls auch nur irgendeine Form von Rechtfertigung dafür dar.
Und wieder ist die Ukraine Schlachtfeld. Und so erweist sich, dass die Balkankriege der 90er Jahre keineswegs die letzte militärische Auseinandersetzung in Europa darstellten. Die „Blood­lands“ im Osten Europas werden neuerlich zur Stätte großflächiger militärischer Gewalt. Die Zerstörung von Städten und Dörfern, Flucht und Vertreibung von Millionen Menschen, zehntausende gefallene Soldaten und traumatisierte Zivilisten sind die Folge dieses Angriffskriegs. Von der Möglichkeit, in diesem Bereich Osteuropas auch nur langfristig so etwas wie eine Friedensregion, vergleichbar etwa mit der Alpen-Adria-Region oder dem deutsch-französischen Bereich westlich des Rheins herzustellen, wagt man nicht einmal mehr zu träumen.
Auf den europäischen Schlachtfeldern rund um Verdun und auch im Tal der Soca, wie der Isonzo heute heißt, künden nur mehr Soldatenfriedhöfe und Gedenkstädten vom einstigen großen Morden. Dort hat man sich längst auf gemeinsame Geschichtsbilder geeinigt und ist nicht mehr auf gegenseitige Schuldzuweisungen an den einstigen Gräueln angewiesen.
Friedensregionen zeichnen sich durch gemeinsames und grenzüberschreitendes Opfergedenken aus. Ein gemeinsames Opfergedenken, wie es etwa durch die Aktivitäten der Kärntner Konsensgruppe im südlichsten Bundesland Österreichs im Hinblick auf die Opfer des Nationalsozialismus und auf jene der Partisanenverbrechen längst üblich ist. Im Herzen des Balkans rund um die Schädelstätte von Srebrenica ist man allerdings noch nicht so weit. Vorläufig schweigen dort aber wenigstens die Waffen. Im Donbass tobt der Kriegsfuror weiter, wird das alte Schlachtfeld neuerlich mit frischem Blut gedüngt.


Neutralität und ­Landesverteidigung: Realität und Vision

17. März 2022

Gut 70 Prozent der Österreicher sind laut aktuellen Umfragen für die Beibehaltung der Neutralität. Und nahezu genauso viele Menschen sprechen sich dafür aus, dass unsere Alpenrepublik Teil eines europäischen Verteidigungssystems werden solle. Für den Beitritt in eine US-dominierte NATO ist also, wenn überhaupt, nur eine Minderheit.
Tatsächlich gab es vor gut 20 Jahren, während der ÖVP-FPÖ-Koalition unter Wolfgang Schüssel und Susanne Riess-Passer, eine kurze Phase, in der sich eine Europäisierung des Nordatlantikpaktes und damit eine Emanzipation der Europäer von der US-amerikanischen Dominanz andeutete. Damals schien es so, als könnte sich die NATO zu einem auf die EU-Staaten reduziertes Verteidigungsbündnis entwickeln. Der Kauf der 24 Eurofighter durch die ÖVP-FPÖ-Koalition – eigentlich war es ja eine FPÖ-ÖVP-Regierung – sollte eigentlich so etwas wie ein österreichischer Beitrag zu einer europäischen Luftraumverteidigung sein und die damals andiskutierten Battlegroups der Europäischen Union wären wohl als Kern einer europäischen Armee gedacht gewesen. Wie eine solche EU-Armee im Hinblick auf die Militärpotenziale der beiden Atommächte Großbritannien und Frankreich funktioniert hätte, war damals noch nicht einmal andiskutiert worden. Auf jeden Fall hätte eine EU-Armee mit einem Nuklearpotenzial der beiden Atommächte die Stärke entwickeln können, um den anderen militärischen Großmächten gleichwertig zu sein.
Nein, es kam anders: Bei allen militärischen Fehlschlägen und bei allen militärischem Chaos, das die US-Streitkräfte bei ihren globalen Einsätzen zwischen Afghanistan und Lateinamerika hinzunehmen hatten, blieb die Dominanz der Amerikaner innerhalb des Nordatlantikpaktes nicht nur bestehen, sie verstärkte sich sogar wieder. Unter dem Präsidenten Donald Trump schien es so, als würden sich die Amerikaner wieder auf die Monroe-Doktrin und auf eine „splendid desolation“ zurückziehen. Nunmehr, unter dem demokratischen Präsident Biden, ist es wieder ganz anders – insbesondere im Hinblick auf den geopolitischen Gegner Russland. Historisch gesehen waren es überhaupt zumeist demokratische US-Präsidenten, die Amerika in Kriege und weltweite militärische Konflikte verwickelten. Joe Biden ist nur ein weiterer in dieser Reihe und er hat mit der von den Amerikanern massiv betriebenen NATO-Osterweiterung weit in Bereiche des ehemaligen Warschauer Pakts, ja der ehemaligen Sowjetunion hinein, nahezu so etwas wie eine Einkreisung Russ­lands betrieben. Die Reaktionen der Europäischen Union, aber auch der stärksten europäischen Mächte Frankreich und Deutschland sowie das aus der EU ausgetretenen Vereinigte Königreich in der aktuellen kriegerischen Auseinandersetzung um die Ukraine zeigen deutlich, dass die Europäer hier innerhalb der NATO den US-amerikanischen Vorgaben geradezu sklavisch folgen.
Aufgerüttelt wurden die Europäer, insbesondere die Deutschen, aber auch die neutralen Österreicher durch den Ukrainekrieg insofern, als sie sich eingestehen mussten, dass ihre jeweiligen Armeen in keiner Weise verteidigungsfähig wären und allfälligen Angriffen von außen nichts entgegen zu setzen hätten. Zwar gab und gibt es keinerlei Anzeichen und nicht die geringsten Indizien für russische Angriffsabsichten auf EU-Staaten und NATO-Mitglieder, dennoch war dieser Weckruf offenbar fruchtbar und bitter notwendig. Die deutsche Regierung unter Olaf Scholz stellte sofort 100 Milliarden Euro für die Wiederaufrüstung der Bundesregierung in Aussicht und auch in Österreich war man plötzlich bereit, das minimale Wehrbudget zu erhöhen. Und dann gab es sogar Stimmen innerhalb der Alpenrepublik, die erklärten, nur ein NATO-Beitritt könnte dem Land Sicherheit bescheren.
Nun wissen wir, dass die immerwährende Neutralität, die wir im Umfeld des Staatsvertrages auf sowjetischen Druck hin auf uns nahmen, im Lauf der Jahre zu einem offenbar von der Mehrheit der Bevölkerung geschätzten Teil der österreichischen Identität wurde. Sicherheitspolitisch stellte sie während des Kalten Krieges natürlich eine Lebenslüge dar, da das Bundesheer auch damals nicht in der Lage gewesen wäre, einem Angriff aus dem Bereich des Warschauer Pakt stand zu halten. Insgeheim war man sich in Kreisen des österreichischen Bundesheers damals klar, dass man im Kriegsfalle nur einen Hilferuf an die NATO hätte absetzen können und vielleicht kurzen Widerstand zu leisten im Stande gewesen wäre. Und das hat sich nach dem Ende des Kalten Krieges in keiner Weise gebessert. Als Teil der Europäischen Union, umringt von NATO-Mitgliedern, wähnte man in Wien, auch in Kreisen des Bundesheers, dass die militärische Landesverteidigung eigentlich nicht mehr so wirklich ernst zu nehmen wäre. Das Bundesheer sei eine bessere Zivilschutzorganisation, eine bessere Feuerwehr, die im Katastrophenfall Hilfsdienst leisten müsse, allenfalls im Assistenzeinsatz an der Staatsgrenze illegale Migranten abzufangen habe. Mittels unzähliger Reformen seit der Ära Kreisky hatte man das Heer in langen Jahrzehnten ausgedünnt, seine Bewaffnung ist veraltet, das Konzept der Miliz hat man schlicht und einfach schubladisiert und sogar die allgemeine Wehrpflicht war zeitweise in Frage gestellt. Durch die Möglichkeit zum Zivildienst und durch die übertrieben vorsichtigen Kriterien bei der Assentierung der Wehrpflichtigen wurde diese allgemeine Wehrpflicht ohnedies massiv ausgehöhlt. Und so ist das Heer zum heutigen Tag nur noch bedingt einsatzfähig, verfügt weder über moderne Waffen, noch über eine wirklich funktionierende Luftüberwachung, hat dem Vernehmen nach kaum die nötigen Treibstoffe für die Fahrzeuge und die für einen Einsatz notwendige Munition.
Angesichts dieser Fakten, was die Neutralität und die tatsächliche Wehrbereitschaft des Landes betrifft, gilt es Zukunftsstrategien zu entwickeln, die die Republik einerseits tatsächlich verteidigungsfähig machen und die andererseits einen längst überfälligen Aufbau eines europäischen militärischen Sicherheits- und Verteidigungssystems ermöglichen. Sollten die schönen Worte seitens der verantwortlichen Politik tatsächlich wahr werden und ein adäquates Budget für die Landesverteidigung bereitgestellt werden, müsste das Bundesheer möglichst rasch – auch das müsste zweifellos Jahre dauern – nach Schweizer Muster aufgerüstet werden. Massive Investitionen müssten in die Ausrüstung und die Ausbildung des Kaderpersonals fließen, das gewissermaßen als Berufsarmee den Kern einer breit aufgestellten Milizarmee bildet.
Für eine solche Milizarmee müsste die allgemeine Wehrpflicht auf eine allgemeine Dienstpflicht für alle jungen Staatsbürger erweitert werden. Junge Männer wie junge Frauen sollten im Zuge dieser Dienstpflicht verpflichtete werden, ein Jahr entweder im Wehrdienst oder im Sozialdienst und im Zivilschutz staatsbürgerliche Solidarität zu leisten. Es gibt kein stichhaltiges Argument, warum diese Dienstpflicht für Frauen nicht gelten sollte, da es längst die Gleichstellung von Mann und Frau in allen rechtlichen und sozialen Bereichen durchzusetzen gilt. Selbstverständlich wäre eine solche Milizarmee völlig gleichwertig auch für Frauen offen und müsste im Vergleich zu den sozialen Diensten und jenen im Bereich des Zivilschutzes mit gewissen Vorteilen finanzieller Natur ausgestattet sein, um die entsprechende Mannschaftsstärke zu gewährleisten. Eine solch modern aufgerüstete und bestens ausgebildete Milizarmee mit einer Berufsarmee im Kern, sollte willens und fähig sein, das Land selbständig zu verteidigen. Damit wäre sie aber auch ein Garant für die militärische Neutralität Österreichs, so lange diese aufrechterhalten wird.
Wenn die Europäische Union in der Lage wäre, sich zu einem „global player“ auch in sicherheitspolitischer Sicht zu entwickeln, wäre dazu naturgemäß die Emanzipation von den US-Amerikanern vonnöten. Ob dies nun durch eine Europäisierung des Nordatlantikpaktes oder durch ein Austreten der Europäer aus demselben wäre, ist zweitrangig. Auch wenn weiter so etwas wie eine transatlantische Wertegemeinschaft der demokratisch organisierten großen Mächte, also der USA und Europas, existieren muss, wäre ein eigenständiges sicherheitspolitisches und geopolitisches Agieren der Europäischen Union als Voraussetzung der Wahrung der eigenen Interessen unverzichtbar. Und dies wäre natürlich auch die Voraussetzung, um die österreichische Neutralität in militärischer Hinsicht zugunsten der Teilhabe an einer EU-Armee aufzugeben.
Bereits seit dem EU-Beitritt gilt ja die einigermaßen realitätsferne These, dass die Neutralität Österreichs zwar weiter bestehe, dass sie aber zugunsten einer europäischen Solidarität im Falle des militärischen Ernstfalles obsolet wäre. Bei der Schaffung eines europäischen Sicherheits- und Verteidigungssystems, dessen Teil auch das österreichische Bundesheer sein müsste, wäre unsere Neutralität, ebenso wie jene der anderen bislang neutralen EU-Staaten Irland, Schweden und Finnland, wohl hinfällig. Was dieser Tage der vormalige Spitzenmilitär Höfler sagte, wonach es für Österreich gegenwärtig nur zwei Möglichkeiten gäbe, nämlich eine adäquate Aufrüstung des Bundesheeres oder den NATO-Beitritt, wäre somit überholt. Eine entsprechende und effektive Aufrüstung unserer Armee unter vorläufiger Beibehaltung der Neutralität bis zur Schaffung eines gesamteuropäischen Sicherheits- und Verteidigungssystems wäre vielmehr einzige realistische, aber auch visionäre Möglichkeit, das Land sicherheitspolitisch stabil zu halten. Und diese Armee müsste dann eben in dieses europäische Sicherheitssystem eingegliedert werden und könnte dort als integrativer Bestandteil und als Beitrag Österreichs sinnvoll militärische Potenz entwickeln. Der pseudopazifistische Traum vom ewigen Frieden ist ausgeträumt, das sehen wir in diesen Tagen. Sicherheitspolitische Erfordernisse für unsere Republik, aber auch für das gemeinsame Europa, müssen nun raschest bewerkstelligt werden. Ansonsten laufen wir, nicht nur Österreich, sondern die Länder der Europäischen Union insgesamt, Gefahr, zu drittklassigen Trittbrettfahrern der Weltpolitik zu werden.