Über das Phänomen des österreichischen Neo-Kommunismus
Ein politisches Gespenst geht um in Europa – der Kommunismus. Mit diesen Worten begann das Kommunistische Manifest, das Karl Marx und Friedrich Engels im Februar 1848 veröffentlichten. Heute ist es kein Gespenst, sondern ein Untoter, und es ist nicht Europa, in dem dieser umgeht, sondern Österreich.
Dieser politische Untote präsentiert sich in der zweitgrößten Stadt des Landes, in Graz, im Kleide der Bürgermeisterin, einer freundlichen älteren Tante namens Elke Kahr. Und er tritt in diesen Tagen in der Festspielstadt Salzburg im Gewande eines alerten Jung-Historikers namens Kay-Michael Dankl auf. Diesem gelang es immerhin, bei den Salzburger Regionalwahlen, mit seinem – vorläufig nur verbalen – Eintreten für „leistbares Wohnen“ an die zwölf Prozent der Wähler und sogar 20 Prozent in der Landeshauptstadt zu gewinnen. Und nun prognostizieren die Meinungsforscher gar, dass die solcherart in zwei bislang eher als bürgerlich geltenden Städten des Landes erfolgreiche KPÖ auch bei der nächsten Nationalratswahl erfolgreich sein könnte und in den Nationalrat kommen würde.
Wie aber kommt es zu diesem Phänomen, dass eine historisch krachend gescheiterte Ideologie und eine politische Bewegung, die immer in Unfreiheit und Diktatur und wirtschaftlichem Elend geendet hat, nunmehr in Österreich, in einem der reichsten Länder der Europäischen Union, Erfolge feiern können? Liegt es an einer neu erwachten Faszination am Marxismus, oder nur am Versagen der etablierten Parteien? Oder auch nur daran, dass die Mehrheit der Menschen geschichtsvergessen ist und schlicht und einfach nicht mehr weiß, dass der Kommunismus für gewaltige Verbrechen, Millionen Tote und größtes Elend verantwortlich war?
Gewiss ist jedenfalls, dass die zentralen Dogmen des Marxismus, die Überwindung des Privateigentums und die Vergesellschaftung der Produktionsmittel, dass der Klassenkampf hin zur „klassenlosen Gesellschaft“ und die „Diktatur des Proletariats“, sowie insgesamt das Bestreben, einen „neuen Menschen“ zu schaffen, ideologische Irrwege mit katastrophalen Folgen waren. Und der „real existierende Sozialismus“, wie er in der Sowjetunion und deren kommunistischen Satellitenstaaten verwirklicht wurde, stellte totalitäre Systeme mit wirtschaftlichem Versagen und völliger Unfreiheit der Menschen dar.
Die Geschichte der kommunistischen Partei in Österreich nunmehr ist auch keine sehr glorreiche. Schon ihre Gründung im Jahre 1918 stand unter keinem glücklichen Stern. Die Sozialdemokratie mit ihrer Ideologie des Austromarxismus stand so weit links, dass es der kommunistischen Partei eigentlich im Lande nicht bedurfte.
Und auch am Beginn der Zweiten Republik wurde die Hoffnung der Kommunisten, bei den Nationalratswahlen großartig abzuschneiden, bitter enttäuscht. Zwar blieben sie während der gesamten Besatzungszeit, protegiert von der sowjetischen Besatzungsmacht, im Parlament vertreten, 1959 schieden sie aber aus dem Nationalrat, um weiterhin außerparlamentarisch tätig zu sein.
Ihre Existenz allerdings blieb allein schon deshalb gesichert, da sie dank der sowjetischen Besatzungsmacht über ein gewaltiges Vermögen verfügen konnten. Bekanntlich hatten die Sowjets in ihrer Besatzungszone das sogenannte „deutsche Eigentum“ beschlagnahmt, um dieses in Form der „USIA-Betriebe“ für ihre Interessen zu nützen. Ein Teil dieser Vermögenswerte wurde von den Sowjets bei ihrem Abzug der Kommunistischen Partei übergeben. Diese konnte somit mittels eines weit verzweigten Netzwerkes von Strohmännern über ein veritables Industrieimperium verfügen.
Überdies kam es beim Zusammenbruch der „DDR“ über die legendäre „rote Fini“ Steindling noch zum Transfer gewaltiger Summen aus dem „ersten deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staat“ hin zur kommunistischen Bruderpartei in Österreich. Einen Teil davon konnte die Bundesrepublik zwar erfolgreich zurückfordern, wieviel aber letztlich bei der KPÖ verblieb, ist bis heute weitgehend ungeklärt.
Offenkundig wurden die Industriebeteiligungen der heimischen Kommunisten spätestens, als die KPÖ Ende der Achtziger-Jahre den Mineralöl-Konzern „Turm Öl“ von einem ihrer Treuhänder bei Gericht zurückerstreiten musste. Zwar wurde dieser Konzern dann Jahre später an eine private Firma veräußert, die Erlöse aber blieben naturgemäß bei der KPÖ. Wie groß der verbliebene Bestand an Beteiligungen und Eigentumsrechten an Industriebetrieben bis zum heutigen Tag geblieben ist, weiß man nicht. Die Behauptung aber, dass die KPÖ eine arme und mittellose Partei sei, ist gewiss unwahr. Oder aber ihre Funktionäre haben im Verlauf der letzten Jahrzehnte Millionen privatisiert oder verschleudert.
Letzteres allerdings ist nicht anzunehmen, vielmehr ist das mutmaßliche Vermögen der KPÖ wohl der Grund, warum sich junge Linke, wie der neue Salzburger Polit-Star, der alten, historisch belasteten Kommunistischen Partei anschließen. Dieses Vermögen war es jedenfalls mit Sicherheit, was dem Grazer kommunistischen Politiker Ernest Kaltenegger erlaubte, den Neustart der KPÖ in Österreich einzuleiten. Er war es, der als Grazer Wohnungs-Stadtrat durch großzügige Zuwendung – angeblich sein gesamtes Politiker-Gehalt – für die Sanitärausstattung Grazer Sozialwohnungen Popularität erlangte. Damit schuf er die Basis für den Aufstieg der Kommunisten in der steirischen Landeshauptstadt und für den Erfolg der gegenwärtigen kommunistischen Bürgermeisterin.
Die gegenwärtige Entwicklung jedenfalls zeigt, dass die Linksparteien in Österreich so etwas wie kommunizierende Gefäße darstellen. Wenn die SPÖ wie zur Zeit schwach ist, steigen die Wahlerfolge der Grünen und nunmehr auch jene der Kommunisten. Und das Führungspersonal dieser Parteien kann offenbar problemlos von einer zur anderen wechseln. Herr Dankl war zuerst bei den Grünen und ist nun eben KPÖ-Chef in Salzburg. Und der eine oder andere Kommunist ist in diesen Tagen flugs der SPÖ beigetreten, um die Wahl des Andreas Babler zu unterstützen. Und Letzterer, der ja nunmehr um den Vorsitz in der Sozialdemokratie kämpft, erweist sich ganz offen als lupenreiner Marxist, der mit seinen Forderungen durchaus auch in einer kommunistischen Partei Platz hätte.
So gibt es also einerseits eine gewisse Einheitlichkeit in diesem linken Lager, über alle Parteigrenzen hinweg, die wohl auf einer gemeinsamen marxistischen Grundhaltung beruht. Andererseits aber schwelen unter der Decke jene alten ideologischen Konflikte, die es schon seinerzeit zwischen Trotzkisten, Stalinisten, Leninisten und Maoisten, zwischen demokratischen Sozialisten und fundamentalistischen Sektierern aller Art gegeben hat.
Überhaupt scheint sich im linken Lager nunmehr so etwas wie eine Dreiteilung anzubahnen. Die alte Tante SPÖ, gestützt vor allem durch Wähler im Pensionsalter, wird wohl dabei – primär durch ihre Nähe zu mächtigen Gewerkschaft – die stärkste Kraft bleiben. Die Grünen, getragen von zeitgeistigen, pseudointellektuellen und urbanen Schichten, dürften zwar demnächst wieder aus der Bundesregierung ausscheiden, sie bleiben aber ein Faktor. Und eine neu erstarkende kommunistische Partei dürfte zusätzlich die jungen Radikalen, vor allem Studenten, und die übrigen Hardliner sammeln. Nach aktuellen Meinungsumfragen umfasst das Wählerpotenzial des linken Lagers, also aller drei Linksparteien, ungefähr ein Drittel der wahlberechtigten Bevölkerung.
Tatsächlich aber scheint der Marxismus, der Sozialismus in all seinen Ausprägungen, von der Sozialdemokratie bis hin zum Kommunismus, so etwas wie ein ideologischer Untoter zu sein. Und in Zeiten der multiplen Krise, der allgemeinen Verunsicherung, der Zukunftsangst und der größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich gibt es eben einen Bereich der Gesellschaft, der linken Utopien und den ideologischen Gleichmachern Glauben schenkt.