Ein politischerUntoter geht um

4. Mai 2023

Über das Phänomen des österrei­­ch­ischen Neo-Kommunismus

Ein politisches Gespenst geht um in Europa – der Kommunismus. Mit diesen Worten begann das Kommunistische Manifest, das Karl Marx und Friedrich Engels im Februar 1848 veröffentlichten. Heute ist es kein Gespenst, sondern ein Untoter, und es ist nicht Europa, in dem dieser umgeht, sondern Österreich.
Dieser politische Untote präsentiert sich in der zweitgrößten Stadt des Landes, in Graz, im Kleide der Bürgermeisterin, einer freundlichen älteren Tante namens Elke Kahr. Und er tritt in diesen Tagen in der Festspielstadt Salzburg im Gewande eines alerten Jung-Historikers namens Kay-Michael Dankl auf. Diesem gelang es immerhin, bei den Salzburger Regionalwahlen, mit seinem – vorläufig nur verbalen – Eintreten für „leistbares Wohnen“ an die zwölf Prozent der Wähler und sogar 20 Prozent in der Landeshauptstadt zu gewinnen. Und nun prognostizieren die Meinungsforscher gar, dass die solcherart in zwei bislang eher als bürgerlich geltenden Städten des Landes erfolgreiche KPÖ auch bei der nächsten Nationalratswahl erfolgreich sein könnte und in den Nationalrat kommen würde.
Wie aber kommt es zu diesem Phänomen, dass eine historisch krachend gescheiterte Ideologie und eine politische Bewegung, die immer in Unfreiheit und Diktatur und wirtschaftlichem Elend geendet hat, nunmehr in Österreich, in einem der reichsten Länder der Europäischen Union, Erfolge feiern können? Liegt es an einer neu erwachten Faszination am Marxismus, oder nur am Versagen der etablierten Parteien? Oder auch nur daran, dass die Mehrheit der Menschen geschichtsvergessen ist und schlicht und einfach nicht mehr weiß, dass der Kommunismus für gewaltige Verbrechen, Millionen Tote und größtes Elend verantwortlich war?
Gewiss ist jedenfalls, dass die zentralen Dogmen des Marxismus, die Überwindung des Privateigentums und die Vergesellschaftung der Produktionsmittel, dass der Klassenkampf hin zur „klassenlosen Gesellschaft“ und die „Diktatur des Proletariats“, sowie insgesamt das Bestreben, einen „neuen Menschen“ zu schaffen, ideologische Irrwege mit katastrophalen Folgen waren. Und der „real existierende Sozialismus“, wie er in der Sowjetunion und deren kommunistischen Satellitenstaaten verwirklicht wurde, stellte totalitäre Systeme mit wirtschaftlichem Versagen und völliger Unfreiheit der Menschen dar.
Die Geschichte der kommunistischen Partei in Österreich nunmehr ist auch keine sehr glorreiche. Schon ihre Gründung im Jahre 1918 stand unter keinem glücklichen Stern. Die Sozialdemokratie mit ihrer Ideologie des Austromarxismus stand so weit links, dass es der kommunistischen Partei eigentlich im Lande nicht bedurfte.
Und auch am Beginn der Zweiten Republik wurde die Hoffnung der Kommunisten, bei den Nationalratswahlen großartig abzuschneiden, bitter enttäuscht. Zwar blieben sie während der gesamten Besatzungszeit, protegiert von der sowjetischen Besatzungsmacht, im Parlament vertreten, 1959 schieden sie aber aus dem Nationalrat, um weiterhin außerparlamentarisch tätig zu sein.
Ihre Existenz allerdings blieb allein schon deshalb gesichert, da sie dank der sowjetischen Besatzungsmacht über ein gewaltiges Vermögen verfügen konnten. Bekanntlich hatten die Sowjets in ihrer Besatzungszone das sogenannte „deutsche Eigentum“ beschlagnahmt, um dieses in Form der „USIA-Betriebe“ für ihre Interessen zu nützen. Ein Teil dieser Vermögenswerte wurde von den Sowjets bei ihrem Abzug der Kommunistischen Partei übergeben. Diese konnte somit mittels eines weit verzweigten Netzwerkes von Strohmännern über ein veritables Industrieimperium verfügen.
Überdies kam es beim Zusammenbruch der „DDR“ über die legendäre „rote Fini“ Steindling noch zum Transfer gewaltiger Summen aus dem „ersten deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staat“ hin zur kommunistischen Bruderpartei in Österreich. Einen Teil davon konnte die Bundesrepublik zwar erfolgreich zurückfordern, wieviel aber letztlich bei der KPÖ verblieb, ist bis heute weitgehend ungeklärt.
Offenkundig wurden die Industriebeteiligungen der heimischen Kommunisten spätestens, als die KPÖ Ende der Achtziger-Jahre den Mineralöl-Konzern „Turm Öl“ von einem ihrer Treuhänder bei Gericht zurückerstreiten musste. Zwar wurde dieser Konzern dann Jahre später an eine private Firma veräußert, die Erlöse aber blieben naturgemäß bei der KPÖ. Wie groß der verbliebene Bestand an Beteiligungen und Eigentumsrechten an Industriebetrieben bis zum heutigen Tag geblieben ist, weiß man nicht. Die Behauptung aber, dass die KPÖ eine arme und mittellose Partei sei, ist gewiss unwahr. Oder aber ihre Funktionäre haben im Verlauf der letzten Jahrzehnte Millionen privatisiert oder verschleudert.
Letzteres allerdings ist nicht anzunehmen, vielmehr ist das mutmaßliche Vermögen der KPÖ wohl der Grund, warum sich junge Linke, wie der neue Salzburger Polit-Star, der alten, historisch belasteten Kommunistischen Partei anschließen. Dieses Vermögen war es jedenfalls mit Sicherheit, was dem Grazer kommunistischen Politiker Ernest Kaltenegger erlaubte, den Neustart der KPÖ in Österreich einzuleiten. Er war es, der als Grazer Wohnungs-Stadtrat durch großzügige Zuwendung – angeblich sein gesamtes Politiker-Gehalt – für die Sanitärausstattung Grazer Sozialwohnungen Popularität erlangte. Damit schuf er die Basis für den Aufstieg der Kommunisten in der steirischen Landeshauptstadt und für den Erfolg der gegenwärtigen kommunistischen Bürgermeisterin.
Die gegenwärtige Entwicklung jedenfalls zeigt, dass die Linksparteien in Österreich so etwas wie kommunizierende Gefäße darstellen. Wenn die SPÖ wie zur Zeit schwach ist, steigen die Wahlerfolge der Grünen und nunmehr auch jene der Kommunisten. Und das Führungspersonal dieser Parteien kann offenbar problemlos von einer zur anderen wechseln. Herr Dankl war zuerst bei den Grünen und ist nun eben KPÖ-Chef in Salzburg. Und der eine oder andere Kommunist ist in diesen Tagen flugs der SPÖ beigetreten, um die Wahl des Andreas Babler zu unterstützen. Und Letzterer, der ja nunmehr um den Vorsitz in der Sozialdemokratie kämpft, erweist sich ganz offen als lupenreiner Marxist, der mit seinen Forderungen durchaus auch in einer kommunistischen Partei Platz hätte.
So gibt es also einerseits eine gewisse Einheitlichkeit in diesem linken Lager, über alle Parteigrenzen hinweg, die wohl auf einer gemeinsamen marxistischen Grundhaltung beruht. Andererseits aber schwelen unter der Decke jene alten ideologischen Konflikte, die es schon seinerzeit zwischen Trotzkisten, Stalinisten, Leninisten und Maoisten, zwischen demokratischen Sozialisten und fundamentalistischen Sektierern aller Art gegeben hat.
Überhaupt scheint sich im linken Lager nunmehr so etwas wie eine Dreiteilung anzubahnen. Die alte Tante SPÖ, gestützt vor allem durch Wähler im Pensionsalter, wird wohl dabei – primär durch ihre Nähe zu mächtigen Gewerkschaft – die stärkste Kraft bleiben. Die Grünen, getragen von zeitgeistigen, pseudointellektuellen und urbanen Schichten, dürften zwar demnächst wieder aus der Bundesregierung ausscheiden, sie bleiben aber ein Faktor. Und eine neu erstarkende kommunistische Partei dürfte zusätzlich die jungen Radikalen, vor allem Studenten, und die übrigen Hardliner sammeln. Nach aktuellen Meinungsumfragen umfasst das Wählerpotenzial des linken Lagers, also aller drei Linksparteien, ungefähr ein Drittel der wahlberechtigten Bevölkerung.
Tatsächlich aber scheint der Marxismus, der Sozialismus in all seinen Ausprägungen, von der Sozialdemokratie bis hin zum Kommunismus, so etwas wie ein ideologischer Untoter zu sein. Und in Zeiten der multiplen Krise, der allgemeinen Verunsicherung, der Zukunftsangst und der größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich gibt es eben einen Bereich der Gesellschaft, der linken Utopien und den ideologischen Gleichmachern Glauben schenkt.


Die alte Tante SPÖ

24. März 2018

Über Glanz und Elend des Austromarxismus

Es begann vor 130 Jahre in der kleinen Ortschaft Hainfeld im Wienerwald: Der Armenarzt Victor Adler vermochte die verschiedenen Gruppierungen und Strömungen der Arbeiterbewegung in den habsburgischen Landen zu einer einzigen sozialdemokratischen Partei zu einigen. Der Mediziner mit großbürgerlichem Hintergrund aus jüdischer Familie und sein Mitstreiter Engelbert Pernerstorfer waren ursprünglich Mitkämpfer des alldeutschen Georg Ritter von Schönerer gewesen. Sie hatten noch in den frühen 80er Jahren am Linzer Programm Schönerers mitgearbeitet und waren als Studenten für wenige Jahre Burschenschafter gewesen. Liberales Denken und deutschnationales Fühlen waren den Parteigründern also nicht fremd. Ab der Parteigründung des Jahres 1888 aber, war es der Marxismus, der – wenn auch in relativ gemäßigter Art und Weise – Adlers und Pernerstorfers Denken bestimmen sollte.
Von Anbeginn an orientierte sich die österreichische Sozialdemokratie an der reichsdeutschen Schwesterpartei. Diese war vom Burschenschafter Ferdinand Lassalle, ebenfalls Jude, der nach einer Frauengeschichte in einem Duell fallen sollte, gegründet worden und in ihrer Frühzeit maßgeblich vom Corpsstudenten August Bebel beeinflusst. Diese Bindungen zur deutschen Sozialdemokratie fanden einen ersten Höhepunkt in den Jahren unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, als die österreichischen Sozialdemokraten die primäre treibende Kraft des Anschlusses an die damals ebenso sozialdemokratisch regierte Weimarer Republik waren.
Noch in den Tagen Bruno Kreiskys gab es so etwas wie ein Sonderverhältnis zwischen der österreichischen SPÖ und der bundesdeutschen SPD des Willy Brandt. Die große deutsche Sozialdemokratie war eben das leuchtende Vorbild für die österreichischen „Roten“.
Diese allerdings waren aber in ideologischer Hinsicht um einiges radikaler als die reichsdeutschen Genossen, was sich insbesondere in der Ersten Republik in der Person des Chefideologen Otto Bauer manifestierte. Diese Radikalität, die sich im Theoriegebäude des Austromarxismus niederschlug, deckte aber das gesamte linke Spektrum derartig umfassend ab, dass in der Ersten Republik in Österreich keine nennenswerte kommunistische Partei Fuß fassen konnte.
Die roten Garden, wie sie etwa unter der Teilnahme des „fliegenden Reporters“ Egon Erwin Kisch bei der Ausrufung der Republik am 12. November 1918 eine Schießerei vom Zaun brachen, sollten eine Kleingruppe bleiben. Eine Kleingruppe allerdings, die während der Ersten Republik als einzige neben den habsburgischen Legitimisten gegen den Anschluss an Deutschland auftrat und die ab 1945 unter der Patronanz der sowjetischen Besatzungsmacht für die Anfangsjahre der Zweiten Republik ein nicht unwesentlicher Faktor sein sollte. Ein Faktor, der im Jahre 1950 noch einmal so etwas wie einen Putschversuch unternahm, der jedoch von Innenminister Franz Olah rigoros unterbunden wurde.
Doch zurück zu den Gründerjahren: Neben dem Kampf um eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der arbeitenden Menschen, wie etwa einer Verkürzung der täglichen Arbeitszeit, des Verbots von Kinderarbeit und anderen Arbeitnehmerrechten, war es vor allem der Kampf um das allgemeine und gleiche Wahlrecht, der von der Sozialdemokratie in den letzten Jahrzehnten der Monarchie vorangetragen wurde.
Erst mit der Abschaffung des Zensuswahlrechts, das ja bekanntlich die vermögenderen Bevölkerungsschichten, insbesondere das Bürgertum, bevorzugt hatte, vermochte die Sozialdemokratie zu einer nicht zu übersehenden Kraft im Reichsrat der cisleithanischen Reichshälfte aufzusteigen. Gemindert wurde diese Stärke allerdings bald durch die Abspaltung der nichtdeutschen sozialdemokratischen Parteien, die in der österreichischen Reichshälfte der Monarchie ihren eigenen Weg zu gehen trachteten.
Trotz des theoretischen revolutionären Impetus des Austromarxismus war die „k. u. k.-Sozialdemokratie“ des Victor Adler dem Kaiserhaus gegenüber weitgehend loyal. Nach Erlangung des allgemeinen gleichen Wahlrechts für Männer wurde die Sozialdemokratie bei den Wahlen des Jahres 1911 zur stärksten Partei im Reichsrat, wobei allerdings die in eine Reihe von Clubs und Einzelparteien zerfallenen deutschnationalen und deutschliberalen Parteien insgesamt stärker waren.
Trotz ihrer extrem linken Ausrichtung geriet die österreichische Sozialdemokratie in den Monaten nach dem Ersten Weltkrieg niemals in Versuchung, so wie in München oder in Budapest ein räterepublikanisches System nach Sowjetmuster aufzuziehen. Als klug erwies sich in diesem Zusammenhang die Entscheidung der bürgerlichen Parteien, einen Exponenten der Sozialdemokratie, nämlich den hochrangigen Parlamentsbeamten Karl Renner, zum Vorsitzenden des Staatsrats der provisorischen Regierung zu wählen. Mit dieser Maßnahme bewegte man die Sozialdemokratie dazu, die Straße und allfällige Protestdemonstrationen unter Kontrolle zu halten und eine tatsächliche Revolution zu verhindern.
Zweimal stand die Sozialdemokratie federführend an der Wiege der Republik. Und sowohl im Herbst 1918 als auch im Frühling 1945 war es die Person des Karl Renner, der die Staatsspitze stellte.
Als Staatsratsvorsitzender des Jahres 1918 arbeitete er die erste provisorische Verfassung aus und leitete die österreichische Delegation bei den Friedensverhandlungen in Saint-Germain-en-Laye. Im Jahr 1920 allerdings musste sich die gesamte Sozialdemokratie in die Opposition verabschieden. Die Koalition mit den Christlichsozialen war geplatzt, und diese sollten für die weiteren Jahre der Ersten Republik bis 1934 mit den nationalliberalen Parteien und danach in Form des autoritären Ständestaats an der Regierung bleiben.
Karl Renner, der in die Jahre des Zweiten Weltkriegs und der NS-Zeit in seiner Villa in Gloggnitz verbracht hatte, sollte dann auch wieder an der Wiege der Zweiten Republik stehen und das nicht zuletzt, weil er als politischer Pragmatiker – ein Pragmatismus, der bisweilen schon an Opportunismus grenzte – den „Genossen Stalin“ briefliche Lobeshymnen übermittelte und solcherart mit der Bildung einer provisorischen Staatsregierung betraut wurde.
Deshalb wurde er auch zum ersten Bundespräsident der Zweiten Republik. Unmittelbar nach der Gründung der Republik im Herbst 1918 gaben sich die Sozialdemokraten als die Anschluss-Partei schlechthin. Neben den Deutschnationalen waren sie es, die bis zum Jahre 1933 am entschiedensten für die Vereinigung mit dem Deutschen Reich eintraten. Die Sozialdemokratie hatte den Anschluss jedenfalls bis zum Jahre 1933, bis zur Machtübernahme durch Hitler, verfochten, und noch im Jahre 1938, nach dem Anschluss an das Reich, erklärte der führende Theoretiker der Sozialdemokratie Otto Bauer im Pariser Exil: Es könne nicht die „reaktionäre Parole“ der Wiedererrichtung eines unabhängigen Österreich sein, sondern vielmehr die gesamtdeutsche Revolution, die die Sozialdemokratie anzustreben habe. Nach dem Krieg wurde die Sozialdemokratie gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner ÖVP zum entschiedenen Verfechter einer ethnisch eigenständigen „österreichischen Nation“ und des „österreichischen Menschen“, der alles sein konnte, nur kein Deutscher. Einzig Friedrich Adler, der Sohn des Parteigründers erklärte, dass er, vor die Wahl gestellt, ob er sich für die Nation Goethes, Schillers und jene Sprache, in der Freiligrath seine revolutionären Lieder geschrieben habe, entscheiden müsse oder für eine österreichische Nation, dass er dies vorbehaltlos für erstere tun würde.
In ideologischer Hinsicht war die Sozialdemokratie während der Ersten Republik – wie gesagt –relativ radikal. Noch im Parteiprogramm von 1926 erklärte sie, die „Diktatur des Proletariats“ zum politischen Ziel. Der Weg dorthin allerdings sei die Demokratie, was aber die Sozialdemokraten nicht hinderte, im Februar 1934 mit ihrer paramilitärischen Formation, dem Schutzbund nämlich, in den Bürgerkrieg zu ziehen.
Dieser wurde insbesondere im „roten Wien“ besonders heftig ausgefochten. Dieses „rote Wien“ war überhaupt die Hochburg der Sozialdemokratie und zwischen 1920 und 1934 so etwas wie das sozialdemokratische Gegenmodell zur Bürgerblock-Regierung. Neben dem sozialen Wohnbau, wie er sich in den großen Gemeindebauten manifestierte, waren es vor allem Projekte der Arbeiterbildung und der Arbeiterwohlfahrt, die in Wien unter sozialdemokratischer Führung der Ersten Republik vorbildlich verwirklicht wurden. Und auch nach 1945 blieb dieses „rote Wien“ bis zum heutigen Tag die eigentliche Hochburg der österreichischen Sozialdemokratie.
In der Ersten Republik wurde die Sozialdemokratie als „Judenpartei“ geschmäht. Tatsächlich gab es von der Gründung an eine Reihe von bedeutenden jüdischen Funktionären, angefangen von Victor Adler bis hin zu Otto Bauer und in der Zweiten Republik Bruno Pittermann und Bruno Kreisky. Der Antisemitismus aber, der sich im 19. Jahrhundert von einer religiösen Motivation hin zu einer rassisch-begründeten entwickelte, machte auch vor der österreichischen Sozialdemokratie nicht halt. Während die deutschfreiheitlichen Parteien in der Ersten Republik, also die Großdeutsche Volkspartei und der Landbund ebenso einen Arierparagraphen gegen die Aufnahme von jüdischen Mitgliedern hatten wie die Christlichsozialen, gab es in der SPÖ allerdings nur die informelle Vereinbarung, dass im Parteivorstand nicht mehr als eine gewisse Anzahl jüdischer Funktionäre sitzen sollten, um deren Einfluss in Grenzen zu halten.
Und nach 1945 ließ der Parteivorsitzende Adolf Schärf immerhin noch Briefe an im ausländischen Exil befindlichen Genossen jüdischer Herkunft schreiben, sie mögen doch nicht nach Österreich zurückkommen, da sie der SPÖ schaden würden. In der Zweiten Republik war die SPÖ, waren die „Sozialisten“ , wie sie sich nunmehr nannten, über mehr als zwei Jahrzehnte von 1945 bis 1966 in einer von der christlichsozialen ÖVP geführten Regierungskoalition. Den ÖVP-Spitzenpolitikern Figl, Raab, Gorbach und Klaus standen von SPÖ-Seiten neben den beiden altgedienten Staatsmännern Karl Renner und Theodor Körner die Parteivorsitzenden Adolf Schärf, Bruno Pittermann und Bruno Kreisky gegenüber. Ihnen folgten dann Fred Sinowatz, Franz Vranitzky, Viktor Klima, Alfred Gusenbauer, Werner Faymann und schließlich Christian Kern.
Von Anbeginn der Zweiten Republik verstand sich die Sozialdemokratie als staatstragende Partei und sui generis auch als Regierungspartei.
Nur in den Jahren zwischen 1966 und 1970 und dann wieder von 2000 bis 2006 war die SPÖ nicht in der Bundesregierung vertreten. Der schwarz- rote bzw. rot- schwarze Proporz und die Sozialpartnerschaft, bei der die SPÖ durch die Gewerkschaft und die Arbeiterkammer entsprechend vertreten waren, bilden dabei einen Macht- und Repräsentationsanspruch der SPÖ, von dem viele Sozialdemokraten bis zum heutigen Tag glauben, dass sie durch den kurz- oder mittelfristigen Wählerwillen gar nicht abgelöst oder gar getilgt werden können.
Die bislang prägendste Persönlichkeit in den Reihen der Sozialdemokratie in der Geschichte der Zweiten Republik ist zweifellos Bruno Kreisky: Der Spross aus jüdisch-großbürgerlicher Familie, der lange Jahre im schwedischen Exil verbracht hatte und sich in Österreich erst als Außenpolitiker bereits bei den Staatsvertragsverhandlungen profilieren konnte, war der politische „Sonnenkönig“ jeder sozialdemokratischen Ära, die in den 70er Jahren in Europa von Willy Brandt und Olaf Palme, aber eben auch von Bruno Kreisky selbst geprägt wurde. Seine Nachfolger von Fred Sinowatz bis Christian Kern brachten es allesamt nicht mehr zustande, so wie er das Bild eines charismatischen, sozialdemokratischen Spitzenpolitikers zu bieten.
Heute ist die SPÖ in der Opposition, und allenthalben wird darüber diskutiert, dass sie sich neu erfinden müsse. Eine Arbeiterklasse im historischen Sinne, gibt es kaum mehr. Die einstigen Proletarier sind längst kleinbürgerliche Konsumenten geworden und das Gutmenschen-Postulat, die Partei der sozialen Gerechtigkeit und des konsequenten Antifaschismus sein zu wollen, scheint auch nicht zu reichen.
Ob also die parlamentarische Opposition für die Sozialdemokratie eine Art politischer Frischzellenkur sein wird oder die politische Palliativstation, bleibt abzuwarten.


Vom Scheitern des „neuen Menschen“

11. November 2017

Der Marxismus-Leninismus als Irrlehre – ein Abgesang

Vor 100 Jahren fand also die Oktoberrevolution statt, die keine Revolution war, sondern nur ein Putsch und auch nicht im Oktober, sondern im November stattfand. Die russischen Bolschewiki, die sich da unter der organisatorischen Führung von Trotzki an die Macht putschten, boten Lenin die Möglichkeit, den rückständigen Bauernstaat Russland mit seiner vom Krieg zermürbten Bevölkerung in ein totalitäres Sowjetsystem umzubauen und zum Gründervater des real existierenden Sozialismus zu werden.
„Marxismus-Leninismus“ wurde das ideologische System, auf dem dieser Umbau beruhte, in der Folge genannt. Und ganze 70 Jahre  vermochte der Sowjetstaat und die ihm zu Grunde liegende Ideologie des Marxismus-Leninismus zu bestehen.
Dabei erwies sich der Sowjetstaat vom Anbeginn bis zu seinem Ende, bis in die Zeit von Glasnost und Perestroika, als Terrorsystem. Ein Terrorsystem, das in seinen Hochzeiten unter der Despotie Stalins viele Millionen Opfer kostete, das sogenannte „Klassenfeinde“ mit Willkür-Justiz und  einem Sklaven- und Arbeitslagersystem Marke „Archipel Gulag“ verfolgte. Willkür, Menschenverachtung,  Terror und Massenmord blieben die Kennzeichen einer Despotie finsterster Ausprägung.
In ökonomischer Hinsicht gelang es der sowjetischen Planwirtschaft niemals, in irgendeiner Phase ihrer Existenz den Charakter als extreme Mangelwirtschaft abzulegen. Zwar machte der Stalinismus aus dieser Not eine Tugend, indem  er den ökonomischen Mangel, der bis zu gewaltigen Hungersnöten ging, als Massentötungsmittel von Klassenfeinden, der Kulaken eben, benützte, insgesamt aber konnte die Planwirtschaft niemals auch nur annähernd eine Leistungsfähigkeit entwickeln, die eine freie Marktwirtschaft aufzuweisen hat.
Und in ideologischer Hinsicht erwies sich der Marxismus-Leninismus als völlig wahnwitzige Heilslehre, die geradezu zwangsläufig scheitern musste. Die klassenlose Gesellschaft und der wirkliche Sozialismus, die der Sowjetkommunismus herbeiführen sollte, erwiesen sich nicht nur als völlig weltfremde Utopie. Das vermeintliche Streben danach zeitigte vielmehr sogar ein widerwärtiges System einer Funktionärs- und Bonzenwirtschaft, deren Privilegien jenen der alten feudalen Aristokratenherrschaft in nichts nachstand.
Gescheitert dabei ist vor allem die Ideologie vom „neuen Menschen“. Dieser „neue Mensch“, der seit den Tagen der Jakobiner-Herrschaft in Frankreich Ziel linker Utopien und auch des Marxismus sein sollte, dieser „neue Mensch“ erwies sich als lebensfremdes Konstrukt. Eine geradezu unmenschliche Utopie, weil deren Herstellung auch schrankenlos über Hekatomben von Menschenopfern gehen sollte. Dieser „neue Mensch“ durfte keine Familienbindung haben, also mussten die Familien zerschlagen werden. Dieser „neue Mensch“ durfte keine religiöse Bindung haben, da Religion „Opium für das Volk“ sei. Dieser „neue Mensch“ durfte auch keine berufsständische Bindung haben, also musste das Bürgertum, der Bauernstand, Handwerk und Gewerbe zerschlagen bzw.. nivelliert werden. Und dieser „neue Mensch“ durfte selbstverständlich auch keine nationale Bindung haben, also musste man die Völker und die kulturelle Vielfalt zwangsweise und gewaltsam einebnen.
All das hat der Sowjetkommunismus in der Folge der Oktoberrevolution bis herauf in die Tage Gorbatschows gegen Ende des 20. Jahrhunderts versucht. Und er ist glorios dabei gescheitert. Die menschliche Gier, das Streben nach Besitz und Privateigentum erwies sich bereits in den Sowjetzeiten als nicht auszurottende Konstante der menschlichen Natur. Das Kastensystem der privilegierten Sowjetbonzen bewies dies augenfällig. In welch starkem Ausmaß die russisch-orthodoxe Kirche die Jahrzehnte der Sowjetdiktatur überlebte, ist auch verwunderlich. Heute spielt sie bekanntlich in Russland eine maßgebliche Rolle. Und was die nationale Identität betrifft, so vermochte bereits Stalin im Zweiten Weltkrieg das Überleben seines Systems nur durch die Ausrufung  des „Großen Vaterländischen Kriegs“ zu gewährleisten. Und  nach dem Einsturz der sowjetkommunistischen Käseglocke erhoben sich all die Völker des  östlichen Mitteleuropas und Osteuropas  und darüber hinaus die  Zentralasiens und Nordasiens, bis hin nach Wladiwostok, in  unglaublicher, bis dahin längst vergessener Vielfalt. Der „neue Mensch“ in der klassenlosen Gesellschaft blieb Utopie und wurde trotz millionenfacher Menschenopfer nie realisiert.
Dass auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des real existierenden Sozialismus im Ostblock kommunistische  Diktaturen wie etwa in China oder auf Kuba weiter existierten, war dann nur noch ein Paradoxon der Geschichte. Der chinesische Staatskapitalismus, der formal noch von einer kommunistischen Partei dominiert wird, ist nichts anderes als die Herrschaft einer Oligarchie, die sich im kommunistischen Mäntelchen der Macht-Mechanismen mit geradezu unverschämter Brutalität bedient.
Und Kuba unter den greisen Castro-Brüdern stellt nicht mehr als eine karibische Kommunismus-Nostalgie dar, die aber über kurz oder lang von der Bildfläche verschwinden wird.
Heute existiert der real existierende Sozialismus, der so schmählich versagt hat, nur mehr als Kultur-Marxismus in den Reihen der politisch korrekten Pseudo-Eliten der westlichen Industriestaaten, insbesondere der europäischen, fort. Dieser Kultur-Marxismus wird von den Alt-68ern und spätlinken Apologeten der Frankfurter Schule getragen und hat sich bis heute so etwa die intellektuelle Hegemonie in den liberalen westlichen und marktwirtschaftlich orientierten Systemen bewahren können. Das Scheitern des Sowjetkommunismus und der marxistisch-leninistischen Ideologie konnte die Dominanz dieses Kultur-Marxismus bislang nicht brechen. Die Despotie des Zentralkomitees in Moskau wurde beendet, der KGB-Terror wurde gebrochen, der Warschauer Parkt musste sich auflösen. Der real existierende Sozialismus ist nur noch eine düstere Erinnerung. Nunmehr gilt es noch, die kulturelle Hegemonie dieses Kultur-Marxismus zu brechen.


Von Kommunisten, Korrupten und Chaoten

27. November 2012

Wir leben fürwahr in einer skurrilen, absolut desorientierten Zeit. Bald ein Vierteljahrhundert nach dem Zusammenbruch des Sowjetkommunismus gibt es da just in Graz – dieser erzkonservativen steirischen Metropole – wieder eine kommunistische Partei, die ein Viertel der Wähler wieder auf sich zu vereinen vermag. Gewiss, es ist eine freundliche Wohnbaustadträtin, die einen Teil ihres Gehalts für Bedürftige spendet und gewissermaßen als Mieter-Ombudsfrau für die Leute da ist. Eben diese Leute aber wissen doch bei zumindest rudimentärer Bildung, dass der Kommunismus mit einer der menschenverachtendsten Ideologien des 20. Jahrhunderts war, die zig Millionen Menschenleben auf dem Gewissen hat. Da müsste die Frau Wohnbau-Stadträtin sich schon völlig von dieser Ideologie und eben dieser Partei distanzieren, um gewählt werden zu dürfen. Aber den verwirrten Menschen in ihrem Überdruss ist das offenbar absolut gleichgültig oder sie wissen schlicht und einfach nicht mehr genug über den Kommunismus. Beides ist schlimm genug.

Ein anderes Bild: Da sitzt der ehemalige Innenminister, zuständig für Polizei und innere Sicherheit, einer der mächtigsten Männer der Republik vor dem Strafrichter, um sich mit einer dumm-dreisten Agentengeschichte vor massiven Korruptionsvorwürfen zu verteidigen. Ebenso dumm-dreist wie seine Verteidigungslinie ist die Geschichte selbst, die ihm zum Vorwurf gemacht wird: Auf Betreiben von einigermaßen primitiv agierenden, britischen Undercover-Korruptionsjägern Gesetzesänderungen gegen Barzahlung erwirken zu wollen. Wie auch immer das Verfahren gegen Ernst Strasser ausgehen wird, es zeigt in jedem Fall die Torheit der Mächtigen und ihre Gier und ihre völlige Gewissenlosigkeit. Ein Bild, das die desorientierten Bürger quer durch die europäischen Staaten weiter in die Politikverdrossenheit treibt und weiterhin das Sterben aller politischen Autoritäten und Institutionen beschleunigen wird.

Und schließlich, nach den Kommunisten und den Korrupten die Chaoten: Da sitzen sie im Monatsabstand in Brüssel zusammen und führen einen Schicksals-EU-Gipfel nach den anderen, lassen sich medial immer wieder zuvor als die ultimativen Retter des krisengeschüttelten Europas hochstilisieren, um regelmäßig nach Ende der Tagung ihr Scheitern zugeben zu müssen: Jene Eurokraten, die sich längst den Titel EU-Chaoten verdient haben. Erst jüngst wieder sind sie im Bemühen, ein sparsames und vernünftiges EU-Budget mit gerechter Lastenverteilung und ebenso gerechter Ausschüttung zusammenzubringen, jämmerlich gescheitert. Und die steten Verhandlungen, die eben dieselben EU-Chaoten seit Jahr und Tag immer wieder zur Griechenland-Rettung veranstalten, werden vom sonst politisch interessierten Publikum längst nur mehr ignoriert. Ökonomischer Schwachsinn, politischer Stumpfsinn und demokratiegefährdender Unsinn werden dort nur mehr verzapft. Gerettet wird hier gar nichts, weder die Griechen, noch der europäische Steuerzahler.

Und das Bedrückende an dem Ganzen: Derlei Skurrilitäten regen die Menschen quer durch Europa kaum noch auf. Man gewöhnt sich an alles, offenbar auch an die absolute Dekadenz und an die Verblödung.