Mit Verlaub, Herr Bundespräsident … ein offener Brief von Andreas Mölzer

26. Januar 2023

„Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein A…loch“, schleuderte der grüne Gesinnungsfreund unseres gegenwärtigen Staatsoberhaupts, Joschka Fischer, seinerzeit dem von der CDU gestellten Präsidenten des Deutschen Bundestags in einer Parlamentssitzung entgegen.

So weit wie der einstige linksextreme „Street Fighter“ und nachmalige deutsche Außenminister wollen wir nicht gehen. Allerdings wollen wir unserem frisch angelobten Staatsoberhaupt doch zurufen: Mit Verlaub, Herr Bundespräsident, Sie wollten doch ein Präsident für alle Österreicher sein! Und nun erklären Sie im ORF-Interview im Vorfeld ihrer Angelobung, dass sie nur Wert legen würden auf eine „gute Nachrede seitens der vernünftigen und intelligenten Österreicher“, zu denen sie die Sympathisanten und Wähler der Freiheitlichen Partei offenbar nicht zählen. Dieser Schluss ergibt sich nämlich denklogisch aus ihrer Aussage, den FPÖ-Chef im Falle seines Wahlsiegs entgegen aller Usancen der Zweiten Republik nicht mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Sie wüssten schon, dass sie sich damit „nicht nur Freunde machen“, aber sie wollen „kein feiger Präsident“ sein.

Nun müssen Sie, sehr geehrter Herr Bundespräsident, selbst beurteilen, ob es von großem politischen Mut zeugt, wenn man eine nahezu ein Drittel der Wähler umfassende Gruppe von Bürgern ausgrenzt, weil sie eine andere Weltanschauung hat als die eigene. Für einen in die Jahre gekommenen Grünen mit explizit linker Prägung ist es gewiss verständlich, wenn man nationalliberale Ideologie und die gegenwärtig fundamentaloppositionelle Politik der Freiheitlichen ablehnt. Für das Staatsoberhaupt der demokratischen Republik Österreich aber, für einen Bundespräsidenten, der nach eigener wiederholter Bekundung die Gräben in unserer Bevölkerung überwinden und die Spaltung der Gesellschaft bekämpfen will, ist eine solche Haltung unverzeihlich.

Zwar ist die verfassungsrechtliche Rolle des österreichischen Bundespräsidenten durch die Verfassungsreform von 1929 eine relativ starke. Und er hat ja tatsächlich, so wie seinerzeit der Kaiser in der K.u.K-Monarchie das Recht, die Regierung zu ernennen und auch zu entlassen. Ob er aber tatsächlich aus demokratiepolitischer Sicht legitimiert wäre, eine in demokratischen Wahlen siegreiche Partei von der Regierungsbeteiligung auszuschließen, ist mehr als fraglich. Und das Beispiel aus der jüngeren österreichischen Geschichte, nämlich die Regierungsbildung des Jahres 2000, demonstriert, dass Parteien mit einer entsprechenden parlamentarischen Mehrheit auch gegen den Willen des Staatsoberhauptes in der Lage sind, eine Regierung zu bilden.

Was nun jene Argumente betrifft, die Sie, Herr Bundespräsident, im gegenständlichen ORF-Interview ins Treffen geführt haben, um ihre Vorbehalte gegen die FPÖ und ihren Bundesparteiobmann zu begründen, so sind diese bei näherer Betrachtung auch in keiner Weise haltbar. Sie haben erklärt, dass sie eine „europafeindliche Partei“, die überdies den Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht verurteile, nicht auch noch fördern wollten.

Nun ergibt jede auch nur einigermaßen objektive Analyse der freiheitlichen Programmatik und der realen freiheitlichen Politik, dass die FPÖ zwar massiv EU-kritisch eingestellt ist, aber dezidiert und deklariert für die europäische Integration als solche eintritt. Und dass sich die freiheitliche Vision von diesem integrierten Europa wesentlich von der gegenwärtigen Brüsseler EU-Realität und auch von den zentralistischen Plänen für „Vereinigte Staaten von Europa“ unterscheidet, kann keineswegs als Beleg für Europafeindlichkeit gewertet werden. Vielmehr handelt es sich dabei um die Vision eines starken und selbstbewussten Europas der Vaterländer, der souveränen Nationen und der in ihrer Kultur und Identität gesicherten Völker und Volksgruppen, in guter Nachbarschaft in den historisch gewachsenen Regionen des Kontinents zusammen lebend.

Und was den Ukraine-Krieg betrifft, so waren es die Freiheitlichen und ihr Parteiobmann, die als einzige die Einhaltung und Betonung der verfassungsmäßigen österreichischen Neutralität gefordert haben. Und auch wenn seitens der FPÖ in Hinblick auf die Entwicklung hin zum Ukraine-Krieg und in Bezug auf dessen Hintergründe ein Gehör beider Seiten eingefordert wurde, gibt es keine einzige Stellungnahme, die den russischen Angriffskrieg als solchen gut geheißen hätte.  

Wenn dies im Zuge der innenpolitischen Auseinandersetzung und der parteipolitischen Polemik von FPÖ-kritischen Medien und politischen Mitbewerbern anders dargestellt wird, kann das den Bundespräsidenten nicht von seiner Pflicht entbinden, überparteilich und möglichst objektiv zu urteilen und zu handeln.

Deshalb, sehr geehrter Herr Bundespräsident, überdenken Sie Ihre gegenständlichen Aussagen und versuchen Sie doch wirklich, ein Präsident für alle Österreicher zu sein — auch für jene, die sich der freiheitlichen Gesinnungsgemeinschaft zugehörig fühlen!


Die blaue Blume – Aufblühen oder Verwelken

16. Juni 2021

Österreichs Freiheitliche vor einem Neuanfang

Die blaue Blume der deutschen Romantik – Novalis lässt grüßen – ist für das nationalliberale Lager, für den ursprünglich deutschnational-freisinnigen Bereich der politischen Landschaft, ähnlich symbolträchtig, wie es die rote Nelke für die Sozialdemokratie ist. Missbraucht von den illegalen Nationalsozialisten, geächtet von der Political Correctness unserer Tage, schien sie – heftig umstritten – gerade noch bei der einen oder anderen Angelobung neu gewählter freiheitlicher Parlamentarier im Nationalrat auf. Angesichts des freiheitlichen Neustarts, der dieser Tage am außerordentlichen Parteitag der FPÖ in Wiener Neustadt über die Bühne gehen soll, stellt sich die Frage, ob diese blaue Blume – symbolhaft versteht sich – vor dem Verdorren steht oder sich zu neuer prächtiger Blüte entfalten kann.
Zwei freiheitliche bzw. FP-nahe Intellektuelle sind es, die sich dieser Tage zum Zustand der FPÖ zu Wort meldeten: Der Rechtshistoriker und vormalige Dekan der juridischen Fakultät der Universität Wien, Wilhelm Brauneder, stellte sich die Frage, warum man die FPÖ überhaupt wählen solle. Und kommt dabei zum Schluss, dass es die Partei seit Jahren an intellektueller Kompetenz mangeln ließe. Und der Wiener Historiker Lothar Höbelt, Autor einer Vielzahl von wissenschaftlichen Werken zur Geschichte des Dritten Lagers und der Freiheitlichen, meint angesichts des überhasteten Rückzugs des vormaligen Obmanns Norbert Hofer, dass es in der FPÖ latent so etwas wie ein Bedürfnis gäbe, von den politischen Mitbewerbern gehasst zu werden. Von den Ereignissen des Innsbrucker Parteitages des Jahres 1986 über die Ereignisse in Knittelfeld im Jahre 2002 bis zum Skandal von Ibiza sehe er Belege für diese These.
Nun mögen beide in gewisser Hinsicht Recht haben. Was Brauneder betrifft, so ist es eine traurige Tatsache, dass im universitären Bereich und auch bei Hochschülerschafts-Wahlen freiheitliche Präsenz kaum mehr feststellbar ist. Dort, wo vor dem Umbruch des Jahres 1968 Korporierte dominierten, in der Hochschülerschaft nämlich und auch unter den akademischen Lehrern, wo es traditionell seit dem 19. Jahrhundert eine sattsame Zahl von nationalliberal orientierten Persönlichkeiten gab, gibt es heutzutage kaum mehr bekennende Freiheitliche. Und tatsächlich waren die Bemühungen der Strache-FPÖ in den letzten beiden Jahrzehnten, auch auf der intellektuellen Ebene den politischen Diskurs zu säen, überschaubar angesichts der Bemühungen zur Stimmenmaximierung. Und was Lothar Höbelt betrifft, so stellt seine pointierte Aussage zwar einen tatsächlich zu diagnostizierenden Ist-Zustand dar, er vergisst aber darauf, auf die Ursachen dafür hinzuweisen. Und diese liegen natürlich darin, dass die Freiheitlichen bzw. auch deren Vorgänger, der Verband der Unabhängigen, so etwas wie die Schmuddelkinder, die zu spät Gekommenen der Zweiten Republik sind.
Als sich im Frühjahr 1945 Schwarz und Rot unter der lästigen Teilhabe der unpopulären, bloß durch die sowjetische Besatzungsarmee gestützten Kommunisten. die wieder errichtete Republik aufteilten, stand das nationalfreiheitliche Lager bekanntlich abseits. Diskreditiert durch seine Berührungspunkte mit dem Nationalsozialismus, durch die NS-Gesetzgebung, ausgeschlossen von der politischen Partizipation, verblieben in diesem Bereich gewissermaßen nur die Unbelehrbaren. Jene, die die neue Staatsräson, basierend auf der Moskauer Deklaration von 1943, wonach Österreich das erste Opfer des Hitlerfaschismus sei, nicht mittrugen, die die Existenz einer österreichischen Nation nicht begriffen und sich nach wie vor als Deutsche fühlten. Und als Ende der 40er-Jahre der Verband der Unabhängigen eine neue politische Bewegung schuf, die all jenen eine Heimat bieten sollten, die sich einerseits dem klerikalen Bereich und andererseits jenen des Austromarxismus versagten, war es naheliegend, diese Bewegung mit der Nazikeule, mit der Stigmatisierung als Unbelehrbare, Ewiggestrige und Rechtsextreme zu bekämpfen. Und dieser Mechanismus blieb unter wechselnden gesellschaftlichen und politischen Bedingungen über nahezu 70 Jahre derselbe.
Und umgekehrt hat sich naturgemäß innerhalb dieses politischen Lagers so etwas wie ein genuin systemkritisches Bewusstsein verankert, das darin besteht, dass man sich selbst nicht als Teil des politischen Establishments, sondern als dessen fundamentalen Gegenentwurf versteht. Und naturgemäß führt diese psychopolitische Verfasstheit dieses Lagers dazu, dass die darauf basierende Parlamentspartei eher Opposition kann als regieren. Dieser Oppositionsreflex macht übrigens Regierungsbeteiligungen, wenn sie auf Grund des entsprechenden Wählerwillens möglich werden, möglicherweise schwieriger, als dies bei anderen Parteien ist.
All dies beantwortet allerdings noch nicht die von Wilhelm Brauneder aufgeworfene Frage, warum man denn die FPÖ überhaupt wählen solle. Nur gegen klerikal-schwarz bzw. links-austromarxistisch zu sein, nur auf Grund einer Aversion gegen das politische Establishment der Zweiten Republik, dürfte da wohl zu wenig sein. Und auch die historisch gegebenen ideologischen Motivationen, einerseits der Deutschnationalismus, andererseits der altliberale Freisinn, spielen gesamtgesellschaftlich und in der politischen Befindlichkeit der Bevölkerung kaum mehr eine Rolle. Auch wenn die Historikerin Margit Reiter dieser Tage wähnt, dass Deutschnationale innerhalb der Partei so viel Einfluss hätten wie nie zuvor, muss darauf hingewiesen werden, dass es längst im politischen christlich-konservativen Bereich, aber auch im Bereich der linken Parteien wesentlich stärkere Verbindungen zwischen Österreich und der Bundesrepublik gibt, als es im freiheitlichen Bereich der Fall ist. Deutschnationalismus im Sinne von Anschlussbestrebungen gibt es längst nicht mehr, und kulturnationale Bestrebungen schwinden angesichts der bundesdeutschen Leit­ideologie der Political Correctness auf der freiheitlichen Seite zunehmend zugunsten von Sympathien zu den Visegrad-Staaten.
Ähnlich verhält es sich beim Kampf um den freiheitlichen Rechts- und Verfassungsstaat, der im puristisch-ideologischen Sinne längst ein Minderheitenprogramm geworden ist. Dennoch ist es überaus erhellend, wenn man die freiheitliche politische Agitation der letzten Jahre auf ihre dogmengeschichtliche Fundierung abklopft. Das zentrale FPÖ-Thema, nämlich das Eintreten gegen Massenimmigration und Asylmissbrauch so wie gegen Bevölkerungsaustausch, wie er beispielsweise durch die von der Linken gegenwärtig vorgeschlagenen neuen Staatsbürgerschaftsregeln gegeben wäre, basiert zweifellos auf dem Eintreten für die Erhaltung der historisch gewachsenen nationalen Identität der autochthonen Österreicher. Was ist also im Grunde Ziel einer national orientierten Politik? Und das massive freiheitliche Auftreten gegen die Einschränkungen der Bürgerrechte im Zuge der Coronamaßnahmen der Regierung gründete zweifellos auf dem liberalen Beharren für Grund- und Freiheitsrechte. Beide politische Bereiche sind also Themen nationalliberaler Politik und beweisen so etwas wie dogmengeschichtliche Kontinuität in der politischen Agitation der FPÖ.
Natürlich gibt es zwischen der Politik der nationalliberalen Honoratiorenpartei der 60er- und 70er-Jahre unter Friedrich Peter, zwischen dem Bestreben der Steger-FPÖ nach „lupenrein liberaler“ Politik und der Ausformung des Rechtspopulismus in der Haider-FPÖ und in der Strache-FPÖ gewaltige Unterschiede. Diese nationalliberale Fundierung aber der jeweiligen Bestrebungen und der Anti-Establishment-Reflex, wie er ja während der ganzen Zweiten Republik im freiheitlichen Bereich bestimmend blieb, waren und sind Konstanten freiheitlicher Politik. Die in der Strache-FPÖ aufgekommene eher triviale Bezeichnung von der „Heimatpartei“ entsprach dem, was Jahre zuvor in der Haider-Ära der Politologe Plasser als „Arbeiterpartei neuen Typs“ bezeichnete. Eine politische Bewegung nämlich, die sich im Zuge der Stimmenmaximierung zuallererst um den viel zitierten „kleinen Mann“ kümmerte. Tatsächlich dürfte das soziale Element in der freiheitlichen Politik, das von politischen Gegnern natürlich als Erbe der NS-Volksgemeinschaftsideologie stigmatisiert wird, keine unwesentliche Rolle spielen. Bereits im Verband der Unabhängigen in den späten 40er-Jahren konnte man innerhalb der Arbeiterschaft in der verstaatlichten Industrie bedeutende Erfolge erzielen und in der Haider-FPÖ sowie in der Strache-FPÖ vermochte man durch dieses soziale Element in breite Bereiche der traditionellen SPÖ-Wählerschaft einzubrechen.
Ob eine derart orientierte Partei auf Basis der tradierten weltanschaulichen Elemente mit entsprechender tagespolitischer Ausrichtung Zukunft haben wird, ob also die Frage Brauneders, warum man denn die FPÖ wählen solle, positiv beantwortet werden kann, liegt nicht zuletzt an der Entwicklung der politischen Situation insgesamt. Die ÖVP unter Sebastian Kurz hat in den letzten Jahren gezeigt, dass man durch Plagiierung erfolgreicher Oppositionsthemen, wie etwa der freiheitlichen Politik im Migrationsbereich, Erfolg haben kann.
Die Versuch der ÖVP aber, die Freiheitlichen gewissermaßen politisch überflüssig zu machen, musste alleine deshalb misslingen, da der gelernte Österreicher sehr schnell feststellen konnte, dass der türkise Verbalradikalismus in Sachen Migration vorwiegend Lippenbekenntnis war und dass man der Lösung des Problems nicht näher kommt. Sprich, solange es die Gefährdung der national-kulturellen Identität der Österreicher gibt, wird nationalorientierte Politik seitens der Wähler gefragt sein. Und gleich verhält es sich im Bereich der Bürgerfreiheit: Auch wenn linke Parteien wie die Grünen Demokratie, Transparenz und Bürgerbeteiligungen ständig im Mund führen, müssen die Österreicher dennoch erkennen, dass eben dieselben politischen Kräfte für Gebote und Verbote, für Reglementierung und Gängelung der Bürger eintreten.
Und dass somit der Bedarf nach einer politischen Kraft, die kompromisslos für die Bürgerfreiheit eintritt, gegeben sein wird. Dies ist im Grunde die Überlebensgarantie einer Partei vom Schlag einer FPÖ.
Und was das soziale Element betrifft, so ist die Solidarität innerhalb der eigenen Solidargemeinschaft, ein funktionierender Generationenvertrag und das Eintreten gegen die Massenzuwanderung in das eigene Sozialsystem wohl die einzige Möglichkeit, das künftige Funktionieren eben dieser Systeme zu bewahren. Aus dieser Sicht könnten die Freiheitlichen sich zunehmend als Vertreter der sozial schwachen Schichten unter den autochthonen Österreichern positionieren und als Hüter jener Menschen, die im neuen Verdrängungswettbewerb am Arbeitsmarkt, am Wohnungsmarkt, insgesamt im sozialen Gefüge gegenüber einem Zuwanderungs-Subproletariat, unter die Räder zu geraten drohen. Nach den Turbulenzen von Ibiza und unter neuer einheitlicher Führung könnten die Freiheitlichen also beweisen, dass die Nachrichten vom politischen Ableben der FPÖ und vom Obsoletwerden dieser politischen Bewegung verfrüht waren. Die Hoffnungen, dass die blaue Blume verblühen würde, dürften also trügen. Vorläufig aber dürfte sie nicht als liebliche Glockenblume erblühen, sondern eher stachelig. Auch die Distel treibt nämlich blaue Blüten.


Drei Staatskrisen mit Blaustich

17. September 2020

Der „Putsch von Innsbruck“, die Implosion von Knittelfeld und das Ibiza-Video

Der gegenwärtig im österreichischen Hohen Haus tagende parlamentarische Ibiza-Untersuchungsausschuss war ursprünglich zweifellos als politisches Scherbengericht über die Freiheitlichen und die von ihnen mitgetragene Regierungs-Koalition zwischen 2017 und 2019 geplant. Allein, er hat eine andere Entwicklung genommen. Längst bieten die Untersuchungen dieses Ausschusses ein politisches Sittenbild der Zweiten Republik, wobei die nahezu dreieinhalb Jahrzehnte in ununterbrochener Regierungsverantwortung stehende ÖVP zunehmend in den Mittelpunkt dieses Sittenbilds gerückt ist. Das Fehlverhalten freiheitlicher Spitzenpolitiker erweist sich da eher als tölpelhafter Versuch, die unsauberen Usancen schwarzer und roter Machtpolitik, die sich im Zuge der Zweiten Republik entwickelt haben, nachzuvollziehen. Politische Auftragsvergabe, politische Postenbesetzung und politische Einflussnahme auf die Medien des Landes werden da thematisiert, wobei sich die Freiheitlichen da nur als Hilfsschüler erweisen, verglichen mit den Profimechanikern der Macht, wie sie aus den schwarzen und roten Dunstkreisen agieren.
Dennoch wird sich unter dem Stichwort „Ibiza“ in der österreichischen Zeitgeschichte fürderhin das Scheitern der dritten freiheitlichen Regierungsbeteiligung nachlesen lassen. Und da stellt sich zwangsläufig die Frage, warum alle vier bisherigen freiheitlichen Regierungsbeteiligungen, jene in der rot–blauen Koalition unter Fred Sinowatz, Franz Vranitzky und Norbert Steger, jene zwei in der schwarz–blauen Koalition unter Schüssel und Riess-Passer und schließlich jene in der türkis–blauen Koalition unter Kurz und Strache gewissermaßen mit einem politischen Knalleffekt endeten und jeweils so etwas wie eine Staatskrise, oder zumindest eine Regierungskrise, zeitigten.
Die erste freiheitliche Regierungsbeteiligung von 1983 bis 1986 war zweifellos eine Folge der politischen Annäherung der FPÖ oder Friedrich Peters an die Sozialdemokratie unter Bruno Kreisky. Als dieser bei der Nationalratswahl von 1983 die absolute Mehrheit einbüßte, war es nur logisch, dass Sozialisten und Freiheitliche unter Fred Sinowatz und Norbert Steger gemeinsam eine rot–blaue Koalition bildeten. Dabei hat die FPÖ unter dem Motto „Wandel durch Anbiederung“ Politik betrieben, der Kurs Norbert Stegers, der die FPÖ in eine „lupenrein liberale Partei“ verwandeln wollte, wurde durch einen Aufstand der eher national orientierten Parteibasis und die strategisch geplante innerparteiliche Machtübernahme des Kärntner Parteichefs Jörg Haider beendet. Dies war dann der Anlass für den indessen zum SPÖ-Chef und Bundeskanzler avancierten Franz Vranitzky, die Regierungskoalition platzen zu lassen. Grund dafür war zweifellos die bereits damals vorhandene Gewissheit, dass Haider die FPÖ auf einen rechtspopulistischen Kurs führen würde. Einerseits also war es die Revolte der Parteibasis gegen den linksliberalen Kurs der Parteispitze, angesichts des Absturzes der FPÖ in den Umfragen, die das Scheitern dieser Regierungskoalition nach sich zog, andererseits kündigte der sozialdemokratische Koalitionspartner das Regierungsbündnis sofort und ohne Zaudern in dem Moment, in dem die Anpassungswilligkeit und die politische Willfähigkeit der FPÖ nicht mehr bedingungslos gewährleistet war.
16 Jahre später, nach dem politischen Aufstieg der Haider-FPÖ und der Regierungsübernahme durch eine blau–schwarze Koalition, in der die FPÖ zwar der geringfügig stärkere Partner war, Jörg Haider aus taktischer Klugheit die Kanzlerschaft aber dem großen Wahlverlierer Wolfgang Schüssel überließ, kam es nach nur zweijähriger Regierungs­tätigkeit infolge der Ereignisse auf der freiheitlichen Delegiertenversammlung im obersteirischen Knittelfeld wiederum zum Platzen einer Regierungskoalition mit freiheitlicher Beteiligung. Diesmal war es weniger die Parteibasis als vielmehr ein in seiner Eitelkeit gekränkter politischer Leitwolf, nämlich der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider, der zur Implosion der von seiner Nachfolgerin Susanne Riess-Passer geleiteten Partei führte. Ähnlich wie zuvor beim Innsbrucker Parteitag war es auch diesmal nicht der Koalitionspartner, der die Krise geplant hat, der sie aber sehr wohl nutzte. Damals war es Franz Vranitzky, der es für den Absprung nützte, nunmehr war es Wolfgang Schüssel, der – zweifellos abgesprochen mit der freiheitlichen Regierungsmannschaft – die bisherige Koalition aufkündigte und Neuwahlen ausrief. Neuwahlen, bei denen er selbst 42 % der Stimmen erlangen sollte, um danach mit dramatisch geschwächter freiheitlicher
Beteiligung weiter zu regieren.
Auch im Zuge der ersten blau–schwarzen Koalition erwies sich, dass die aus der Opposition aufgestiegenen Freiheitlichen gegenüber den Regierungsprofis und Machtmechanikern der ÖVP in taktischer Hinsicht in keinerlei Weise gewachsen waren. Und ähnlich verhält es sich wiederum im Mai des Jahres 2019 beim Aufkommen des Ibiza-Skandals. Auch wenn man alle diesbezüglich kursierenden Verschwörungstheorien über eine politische Planung des Ibiza-Videos außer Betracht lässt, kann man zweifelsfrei feststellen, dass der türkise Koalitionspartner das Skandalvideo genutzt hat, um aus der damaligen Mitte-Rechts-Koalition abzuspringen.
Die heutigen Kenntnisse über den Abend in der vermeintlichen Oligarchen-Finca auf Ibiza würden eigentlich keineswegs den Rücktritt des damaligen Vizekanzlers und das Ende der Regierungskoalition bedeuten müssen. Die damalige Inszenierung allerdings über zwei bundesdeutsche Printmedien unter lebhafter Assistenz der linksgepolten Mainstream-Medien Österreichs und des ORF zog einen Sturz der Regierung nach sich, wobei Kanzler Kurz sein offenbar zuvor gegebenes Versprechen, unter geänderter personeller Besetzung mit den Freiheitlichen weiter regieren zu wollen, gebrochen hat.
Was ist nun aber die Lehre aus diesen Regierungs- beziehungsweise Staatskrisen mit Blaustich? Zum einen nun einmal wohl die Tatsache, dass die Freiheitlichen für die beiden großen staatstragenden Systemparteien ÖVP und SPÖ nur dann als Regierungspartner taugen, wenn sie sich in absoluter politischer und ideologischer Anpassung zu deren Machterhalt instrumentalisieren lassen.
Zum anderen muss man rein empirisch nach vier FPÖ-Regierungsbeteiligungen feststellen, dass die Freiheitlichen selbst immer wieder Anlässe oder auch nur Vorwände dafür liefern, Regierungs­koalitionen mit ihnen zu brechen: Seien es innerparteiliche Streitigkeiten zwischen liberal und national, zwischen fundamentalistisch und pragmatisch, oder seien es Aufstände der Parteibasis, persönliche Zwistigkeiten zwischen Führungsfiguren – in allen historischen Präzedenzfällen war es ein Leichtes, der FPÖ aufgrund derlei Vorgänge die Schuld am Scheitern der jeweiligen
Regierungskoalition zuzuschieben.
Dies mag an den inneren Widersprüchen der freiheitlichen Gesinnungsgemeinschaft liegen. Das nationale Lager zeichnete sich schon immer durch eine starke Neigung zur „deutschen Zwietracht“ aus. Es mag auch daran liegen, dass ein ausgegrenztes politisches Lager einen deutlich größeren Narrensaum haben mag, als etablierte politische Bewegungen. Und es wird zweifellos in erster Linie daran liegen, dass dieses Lager in einem Maße beobachtet, denunziert, ja kriminalisiert wird wie kein anderes im Lande. Können bei Rot, Schwarz oder Grün Skandale unter den Teppich gekehrt werden, werden sie auf der blauen Seite gnadenlos ausgeschlachtet. Alles , was Strache und Gudenus in jener unseligen Nacht in Ibiza als politische Möglichkeiten debattiert haben (nicht goutiert, sondern debattiert), ist in der politischen Realität der von Rot–Schwarz dominierten Zweiten Republik längst und vielfach realisiert worden: politische Postenbesetzung, politische Auftragsvergabe, politische Einflussnahme auf Medien.


Bin weg, bin wieder da

19. Juni 2019

Jörg Haider war es, der als irrlichternder Polit-Star die Positionen in seiner Partei wechselte wie andere das Hemd. „Ich bin weg, ich bin wieder da“, wird er zitiert. Und auch in Phasen seiner politischen Karriere, da er nicht Parteichef, Spitzenkandidat, Klubobmann oder gar Regierungsmitglied war, waren es Vertraute, Susanne Riess-Passer oder seine Schwester oder Mitglieder seiner Buberlpartie, die an seiner statt und für ihn die Zügel in der Hand hielten. Tatsächlich jedenfalls war Haider vom Innsbrucker Parteitag des Jahres 1986 bis zu seinem Unfalltod im Jahre 2008 der starke Mann der FPÖ bzw. BZÖ. Einen „Deal“ wittern natürlich auch die Kritiker der FPÖ – und das sind bekanntlich 98 Prozent der politisch-medialen Wortspender der Republik – im Hinblick auf die jüngsten Entscheidungen von Ex-
Parteichef Heinz-Christian Strache: Da habe die neue Parteiführung den Ex-Chef mühsam dazu bewegt, auf das ihm aufgrund von 45.000 Vorzugsstimmen zustehende EU-Mandat zu verzichten, um der FPÖ im bevorstehenden Nationalratswahlkampf nicht zu schaden. Natürlich hätte man den Freiheitlichen das Ibiza-Video tagtäglich um die Ohren gehaut, dies wird man aber trotz des Strache-
Verzichts zweifellos auch tun.
Und – so mutmaßen die FPÖ-Kritiker – der Deal beinhalte auch die Positionierung von Straches Gattin an wählbarer Stelle für den Nationalrat, binnen Jahr und Tag angeblich die Spitzenkandidatur bei der Wiener Wahl und zusätzlich einen satten Beratervertrag. Und dieser Deal rieche nach Korruption und Nepotismus. Kurios ist nur, dass gleichzeitig niemand grundsätzlich die Eignung von Frau Strache für ein Nationalratsmandat in Zweifel zieht: Dass sie über politische Erfahrung verfügt, dass sie in einem speziellen Politbereich, nämlich in jenem des Tierschutzes, hervorragend engagiert ist, dass sie über einen entsprechenden Bekanntheitsgrad und über öffentlichkeitswirksames Auftreten verfügt, wagt kaum einer in Zweifel zu ziehen. Wer also Philippa Straches Antreten zur Nationalratswahl ablehnt, muss sich den Vorwurf der Sippenhaftung gefallen lassen.
Was schließlich den ehemaligen, langjährigen FPÖ-Obmann selbst betrifft, so hat er sich entschlossen, vorläufig einfaches Parteimitglied zu bleiben. Auch das erinnert bekanntlich an Jörg Haiders Aussagen. Heinz-Christian Strache tut gut daran, selbst möglichst aktiv für die juristische Klärung und vor allem für die Erhellung des Hintergrundes der Entstehung des Ibiza-Videos beizutragen. Wenn die Justiz, der österreichische Rechtsstaat also, zur Ansicht käme, dass er keinerlei Verstöße gegen das Strafgesetz zu verantworten hat und wenn gleichzeitig wirklich bewiesen wäre, welchen schmutzigen Tricks und welchem hohen finanziellen Aufwand hier mittels geheimdienstlicher Methoden von Psychopharmaka bis zu suggestiver Fragestellung ein erfolgreicher Politiker in eine Falle gelockt wurde und vor allem, wenn absehbar wäre, wer die Auftraggeber und die wahren Hintermänner des ganzen Skandals sind, dann müsste die Rolle Straches klar als jene des Opfers erkannt werden. Dann mögen auch die FPÖ-Kritiker und die Strache-Jäger erklären, warum ein solches Opfer nicht weiter politisch tätig sein könne in dieser, unserer, Republik.
Dass etwa die Übernahme der Spitzenkandidatur der Wiener FPÖ bei den kommenden Wiener Landtags- und Gemeinderatswahlen eine überaus schwierige Aufgabe sein dürfte, muss Strache ja klar sein, nicht nur wegen des Ibiza-Videos, sondern auch wegen der gesamtpolitischen Entwicklung, wegen der ethnisch-kulturellen Veränderung des Wiener Elektorats durch die Massenzuwanderung, oder wegen des relativen Aufstiegs der Wiener ÖVP, bestünde die Gefahr, dass der jeweilige Spitzenkandidat dann nämlich eine Niederlage zu verwalten hätte. Dass die Wiener Freiheitlichen noch einmal 30 Prozent zu erreichen vermögen, muss aufgrund der genannten Fakten mit Fug und Recht bezweifelt werden.
Und was schließlich einen kolportierten Konsulentenvertrag für Strache betrifft, so wird kaum jemand bezweifeln können, dass einer, der 14 Jahre Parteichef war und in der Spitzenpolitik tätig war, Kompetenz und Fachwissen besitzt, auf das beispielsweise der Freiheitliche Parlamentsklub ohne Not kaum verzichten sollte.
All diese Argumente werden die FPÖ-Kritiker nicht überzeugen können. Die Frage ist aber, ob sie die potentiellen FPÖ-Wähler zu überzeugen vermögen. Klar ist aber, dass es für die gegenwärtige freiheitliche Parteiführung nicht leicht ist, das Verhältnis mit dem zurückgetretenen Langzeitobmann und ehemaligen Vizekanzler zu klären. Dass er, der tiefverwurzelte Freiheitliche im besten Mannesalter, der sich zu Recht als Opfer einer unglaublichen politischen Verschwörung sieht, nicht einfach in der Versenkung verschwinden will, ist verständlich. Im Gegensatz zu ehemaligen Spitzen-Sozialdemokraten, die samt und sonders bei der russischen Gazprom oder beim kasachischen Diktator anheuern, im Gegensatz zu Ex-ÖVP-Chefs, die sich von „Falter“-Redakteuren Biografien schreiben lassen und im Gegensatz zu grünen Parteichefs, die dann bei Glücksspielkonzernen anheuern, will Strache in seiner ureigensten politischen Heimat in der FPÖ tätig bleiben. Wer kann ihm das verübeln?


60 Jahre FPÖ: Ein österreichischer Sonderfall

8. April 2016

Nach dem Willen der Alliierten hätte es im Nachkriegs-Österreich keinen Platz für eine nationalliberale Partei geben sollen. Dennoch wurde die FPÖ gegründet, die dreimal in der Regierung vertreten war, einmal zusammen mit Rot, zweimal mit Schwarz. Bei allen Regierungsbeteiligungen stürzten die Freiheit lichen in der Wählergunst ab. Heute sind sie in Umfragen die unangefochtene Nummer 1.

Menschen pflegen in unseren Breiten im Alter von 60 Jahren bekanntlich den mehr oder minder wohlverdienten Ruhestand anzupeilen. Im Falle von politischen Bewegungen ist eine derart lange Zeitspanne des Bestehens zumeist Gewähr dafür, dass der Schmelz des Neuen und die damit verbundene Aufbruchsstimmung längst passé sind. Im Falle der beiden heimischen Regierungsparteien, die erst im Vorjahr ihren Siebziger begingen – zumindest was ihre Neugründung in der Zweiten Republik betrifft – wird dem auch kaum jemand widersprechen. Anders verhält es sich allerdings mit der größten Oppositionspartei der Republik, welche dieser Tage ihr 60-jähriges Bestandsjubiläum – wohl auch als Wahlkampf-Event für die Präsidentschaftswahl nutzbar – begeht.
Den einen im Bereich des politisch-medialen Establishments sind diese Freiheitlichen des Heinz-Christian Strache „xenophobe Hetzer“, den anderen „rechtspopulistische Mundwerksburschen“, die in der Bevölkerung Ressentiments und Ängste schüren. Und tendenziell immerhin für ein Drittel der Bevölkerung dürften sie – glaubt man den seit Jahr und Tag konstant drauf hinweisenden Umfragen – die einzige Hoffnung auf politischen Wandel und auf eine Rückbesinnung der Politik auf die vitalen Interessen des eigenen Landes und des eigenen Volkes sein. Wie auch immer, dem Urteil der etablierten Politikwissenschaft, dass diese im Jahre 1956 gegründete FPÖ eigentlich ein Betriebsunfall der jüngeren österreichischen Geschichte ist, kann man kaum widersprechen. Ein Betriebsunfall, weil es schlicht und einfach gemäß der Nachkriegsplanungen der alliierten Kriegssieger und der von ihnen lizensierten politischen Parteien im politischen System der Zweiten Republik keinen Platz hätte geben sollen für eine nationalliberale Partei. Die Deutschnationalen, das waren jene, die allein schon durch ihre Existenz der in der Moskauer Deklaration verbrieften Rolle Österreichs als „erstes Opfer des Hitler-Faschismus“ widersprachen. Und wenn es sie schon gab, dann sollten sie zumindest die Alleininhaber der Erblast der Naziverbrechen sein. Und somit sui generis von der Teilhabe an der politischen Gestaltung der wiedererrichteten Republik ausgeschlossen seien.
Allein der Ende der 40er Jahre aufflammende Kalte Krieg und das bereits damals kurios kurzsichtige Kalkül der beiden Großparteien ermöglichten eben diesen Betriebsunfall. Der Verband der Unabhängigen (VdU), die Vorläuferorganisation der FPÖ, im Wesentlichen eine Partei der ehemaligen (minderbelasteten) Nationalsozialisten, wurde nicht zufällig in Salzburg in der USamerikanischen Besatzungszone gegründet, von den zwei Journalisten Viktor Reimann und Herbert Alois Kraus, deren Kontakte zum amerikanischen Geheimdienst CIC nicht die schlechtesten gewesen sein dürften. Und als dann 1956, nach Abschluss des Staatsvertrages, eben die Freiheitliche Partei als dezidiert nationale Gruppierung aus der Taufe gehoben wurde, war einerseits das klamm-heimliche Wohlwollen der Sozialisten über eine künftige Spaltung der „rechten“ und „bürgerlichen“ Reichshälfte deutlich bemerkbar. Vice Versa trug es zweifelsfrei zum Wohlbehagen der ÖVP-Führung bei, wenn es dem VdU anfangs gelang, beispielsweise einen beträchtlichen Anteil der Linzer VOEST-Arbeiterschaft für sich zu gewinnen und somit der SPÖ abspenstig zu machen.
Und so kam es also, dass das Dritte Lager zuerst als politische Emanzipationsbewegung der ehemaligen, von der politischen Mitgestaltung ausgeschlossenen Nationalsozialisten und dann zunehmend im Rückgriff auf die klassische nationalliberale Honoratiorenpartei, wie man sie aus der Monarchie und der Ersten Republik kannte, auch in der politischen Landschaft der Zweiten Republik wieder eine Rolle spielte.
Nach der Parteigründung 1956 längst nicht in jener quantitativen Dimension, die man sich erhofft hatte – die deutschnationale Karte stach eben in zunehmend geringeren Maße – aber doch in beachtlicher parlamentarische Qualität. Die FPÖ-Abgeordneten der 60er Jahre, van Tongel, Brösigke, Zeillinger, Gredler, Mahnert, Scrinzi, sie prägten so manche Parlamentsdebatte der Vor-Kreisky- Ära. Und sie vermochten geschickt, die Rolle des Züngleins an der Waage zu spielen. Die Persönlichkeit des Parteigründers Anton Reinthaller entsprach noch völlig dem ursprünglichen Ziel des VdU und der frühen FPÖ, nämlich der Re-Integration ehemaliger Nationalsozialisten in das politische Gefüge der Republik.
Als hochrangiger NS-Bauernführer, der – dem Urteil seiner Zeitgenossen nach – persönlich integer und anständig geblieben und gewissermaßen als „Idealist“ politisch tätig gewesen war, brachte er nach den chaotischen Streitereien in der Endphase desVdU die nötige integrative Kraft auf. Sein Nachfolger Friedrich Peter, der die Partei immerhin zwei Jahrzehnte lang führte, wurde einerseits als Vertreter der Front-Generation wegen seines Kriegsdienste als Offizier der Waffen-SS akzeptiert, anderseits wurde ihm vom politischen Establishment seine demokratische Läuterung – unzweifelhaft mit maisonischer Unterstützung – insbesondere durch seine Bereitwilligkeit zur Kooperation mit den Sozialisten abgenommen.
Auf diese Weise konnte er mittels der Unterstützung der Kreiskyschen Minderheitsregierung im Jahre 1970 das kleinparteienfreundliche Wahlrecht erkämpfen und solcherart die weitere Existenz seiner Partei, die zwischen fünf und sieben Prozent herumzukrebsen pflegte, sichern. Und es gelang ihm gegen Ende der Ära Kreisky, eine Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen an der Seite der Sozialisten herbeizuführen. Dass sollte dann den vermeintlichen Durchbruch in die Reihen des politischen Establishment der Republik darstellen.
Dass Friedrich Peters Erbe, Norbert Steger, nach dem nur einjährigen Zwischenspiel der Obmannschaft des Grazer Bürgermeister Alexander Götz und dessen Tendenz zu einer „bürgerlichen“, eher ÖVP-orientierten Kooperation, die freiheitliche Präferenz für eine Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie fortführte, war selbstverständlich. Steger und die damals aus dem Attersee-Kreis kommende junge Garde der blauen Spitzenfunktionäre hatten in der Ära des Sozialdemokratismus und der Neuen Linken als einzige mögliche zukunftsfähige ideologische Orientierung eine strikte Hinwendung zu einem dezidiert liberalen Kurs definiert. „Kellernazis“ (O-Ton Norbert Steger) hätten in der Partei nichts zu suchen, die als eine „lupenrein liberale“ gleich wie das bundesdeutsche Vorbild FDP in einer länger andauernden Koalition mit den Sozialisten mitregieren wollte. Der darauffolgende Vertrauensverlust im Kernwählerbereich des nationalliberalen Lagers war ein dramatischer, und der daraus resultierende Aufstieg des Steger-Herausforderers Jörg Haider ein logischer. Sozialisiert in den verschiedenen Kernbereichen dieses Dritten Lagers, in der Pennalie, in akademischen Burschenschaften, vom Turnverein bis hin zum Ring Freiheitlicher Jungend und zum Attersee-Kreis, mochte der nach Kärnten migrierte Oberösterreicher sehr rasch auf allen politischen Klavieren zu spielen: Zuerst im Habitus des parlamentarischen Sozialrevolutionärs, dann in dem des Kärntner Heimatschützers und schließlich in jenem des fundamental-oppositionellen Herausforderers der rotschwarzen Koalition. In Zeiten, in denen Glasnost und Perestroika die Sowjetunion zur Abwicklung brachten, in denen der „real existierende Sozialismus“ mitsamt Ostblock und Warschauer-Pakt zusammenbrach, in einer Ära, in der sich auch die Parteienlandschaft in den westlichen Demokratien grundlegend wandelte, in einer solchen Zeit fand sich die von Wahl zu Wahl stärker werdende Haider-FPÖ plötzlich in der Rolle, wonach sich die kleine, aber feine nationalliberale Honoratiorenpartei zur systemüberwindenden Erneuerungsbewegung mauserte – zumindest im eigenen verbalen Anspruch.
In Kärnten schaffte Haider bereits 1989 den Durchbruch, um dann wegen des eigenen losen Mundwerks zwei Jahre später wieder zu scheitern. Im Bund gelang dieser Durchbruch zehn Jahre später im Jahr 1999: Die Haidersche Chuzpe, den offensichtlichen Wahlverlierer, ÖVP-Chef Schüssel, zum Bundeskanzler zu machen, und die nach wie vor stärkste Partei, die SPÖ, ebenso auszubremsen wie den widerwilligen, noch bei der Angelobung angeekelt dreinschauenden Bundespräsidenten, diese Chuzpe sucht in der Zweiten Republik schon ihresgleichen. „Österreich neu regieren“ und „der Marsch durch die Wüste Gobi“ sollten allerdings nur kurze Zeit möglich sein. Am populärsten war das blau–schwarze Kabinett wohl in den Monaten der EU-Sanktionen gegen Österreich. Nach der Implosion von Knittelfeld in seiner Neuauflage unter umgekehrten Vorzeichen, in derdie Schüssel-ÖVP mit „freiheitlicher Behinderung“ regierte, war das Ende mit Schrecken zumindest auf freiheitlicher Seite schon absehbar.
Die Erfolge dieser blau–schwarzen–orangen Regierung im Bereich des Wirtschaftsstandorts Österreich dürfen zwar nicht unerwähnt bleiben, der nach dem Abtreten dieser Regierung aufbrechende Korruptionssumpf – tunlich geschürt von den linkslastigen Medien –, der aus dem persönlichen Umfeld Jörg Haiders gespeist wurde, überdeckt diese Leistungen allerdings bis zum heutigen Tag.
Nachdem der widerspenstige Kernwählerbereich den politischen Kurs Haiders immer weniger gewillt war mitzutragen und dieser sich in wesentlichen Fragen nicht mehr durchzusetzen vermochte, glaubte er die Notbremse ziehen zu müssen. Und mit der Haiderschen Kopfgeburt „Bündnis Zukunft Österreich“ gab es nach Norbert Burgers Nationaldemokraten in den frühen 60er Jahren und Heide Schmidts Liberalen Forum in den frühen 90er Jahren die dritte Abspaltung von der FPÖ. So unterschiedlich diese drei Abspaltungsparteien waren, so sehr gleichen sie sich in der politischen Erfolglosigkeit. Und die mehrfach totgesagte FPÖ feierte fröhliche Urständ.
Nun war der Bärentaler zwar ohne Zweifel eine der schillerndsten politischen Persönlichkeiten der Zweiten Republik und auch eine der prägendsten. Jene Frage aber, die der alte Otto Schulmeister bei einem diskreten Mittagessen in Wiener „Schwarzen Kameel“ dem Autor dieser Zeilen Anfang der 90er Jahre gestellt hatte, nämlich ob denn Haider „eine catilinarische Persönlichkeit“ sei, kann man getrost mit Ja beantworten. Ein Volkstribun, ein Systemüberwinder und in vielen Ansätzen – bei denen es aber auch meist geblieben ist – auch ein Erneuerer war der Bärentaler.
Für Österreichs Freiheitliche über zwei Jahrzehnte Dreh- und Angelpunkt der Politik – im Guten wie im Schlechten. Sein ebenso catilinarischer Abgang – Phaeton versus Hydrant – erübrigt die Frage, wohin sein Kurs das freiheitliche Lager letztlich geführt hätte, ob zur seriellen Befassung der Korruptionsstaatsanwaltschaft oder wirklich zu einer anderen politischen Landschaft der Republik. Die FPÖ jedenfalls feierte unter H.-C. Strache, der zu Beginn seiner Karriere als billiges Haider-Plagiat abgetan wurde, fröhliche Urständ.
Die Unkenrufe und die Häme der politischen Mitbewerber sind nun längst verstummt, hat sich der indessen auch ins beste Mannesalter gekommene Oppositionsführer doch als politischer Steher erwiesen, mit langem Atem und bemerkenswerter Konsequenz. Dass der Aufstieg der Strache-FPÖ frappierend in Hinblick auf Wahlergebnisse und zeitliche Abstände an jenen der Haider-FPÖ erinnert, ist nur am Rande interessant. Wirklich bemerkenswert ist allerdings, dass das national-freiheitliche Lager, der Kernwählerbereich der FPÖ, in struktureller Hinsicht, aber auch in ideologischer eine beachtliche Überlebensfähigkeit beweist. Und dass dazu bei entsprechend gegebener Problemlage, konkret der Gefahren für die österreichische Identität und die Souveränität, ein guter Teil der Bevölkerung bereit und willens ist, den politischen Vorstellungen dieses Lagers und der Strahlkraft seiner Spitzen-Exponenten zu folgen. Man kann getrost darüber philosophieren, woran es liegt, dass Heinz-Christian Strache und die FPÖ nunmehr seit Jahr und Tag in allen Umfragen unangefochten an der Spitze stehen und dass sie in den ganz realen Ergebnissen der jüngsten Landtagswahlen wirklich erdrutschartige Siege einfuhren. Liegt es vorwiegend an der Schwäche der Mitbewerber, an der Sub-Mediokrität der Faymanns und Mitterlehners? Oder liegt es tatsächlich an den vitalen Überlebensfragen der Republik, die sich im evidenten EU-Versagen, in der nach wie vor tödlich schwelenden Staatsschuldenkrise und der Zivilinvasion aus dem Nahen Osten und der übrigen Dritten Welt mit dem drohenden Kollaps des gewachsenen Sozialsystems äußern? Oder ist es primär das Charisma des Oppositionsführers, das hier gut ein Drittel der Österreicher beeindruckt?
Wahrscheinlich ist es von allem etwas. Unbestreitbar aber ist, dass durch die dadurch gegebene Stärke der FPÖ die Übernahme von Regierungsverantwortung in einer quantitativ wie qualitativ völlig anderen Art und Weise möglich erscheint, wie dies seinerzeit unter Haider und zuvor unter Steger der Fall war. Nun könnte man tatsächlich einmal nicht als Juniorpartner oder als Mehrheitsbeschaffer in eine Regierung gehen, sondern als dominanter und bestimmender Faktor. Gewiss ist das zweimalige Scheitern der FPÖ in einer Regierungskoalition, das eine Mal in Kooperation mit den Sozialisten, das andere Mal in einer solchen mit der Volkspartei, nicht auf eine generelle Regierungsunfähigkeit der Partei zurückzuführen. Zuallererst lag es vielmehr wohl daran, dass man in beiden Koalitionsvarianten schlicht und einfach zu schwach war, die eigenen Inhalte wirklich durchzusetzen. Mit einem Wahlergebnis von kaum fünf Prozent war man im Jahre 1983 eben wirklich nur der Mehrheitsbeschaffer für die Post-Kreisky-SPÖ. Und im Jahre 2000 musste man mittels der erzwungenen Präambel zum Regierungsübereinkommen mit der ÖVP vorweg zentralen freiheitlichen Inhalten, wie etwa der EU-Kritik, abschwören. Zwei Jahre später, nach der Implosion von Knittelfeld, war man wiederrum nur mehr Mehrheitsbeschaffer für die siegreiche Schüssel-ÖVP. Regierungsarbeit wirklich zu prägen, vermochte man also in beiden Koalitionen nicht.
Das dritte Mal will man es nun klüger, grundsatzorientierter und prinzipientreuer anstellen! Sollte die FPÖ, wie alle Umfragen gegenwärtig ausweisen, tatsächlich bei der nächsten Nationalratswahl stärkste Partei werden und damit den Kanzleranspruch erheben können, wäre dies wohl wirklich der Auftakt zu einer neuen und damit Dritten Republik. Gewiss nicht zu einer autoritären, wie man es mit Hinweis auf Polen und auf Ungarn von seiten der FPÖ-Gegner behauptet. Wohl aber zweifellos wäre das endgültige Ende des bipolaren rot–schwarzen Proporzsystems und der Auftaktzu einer erneuerten und stärkeren Betonung der österreichischen Souveränität und der Beginn der bewussten Pflege der österreichischen Identität in kultureller Hinsicht. Dass Entwicklungen dieser Art dem Land und seinen Leuten dienlich wären, darf man getrost annehmen.


Ein Untoter namens Jörg

23. September 2015

Inzwischen wäre er über 65, dem Alter nach also Pensionist. Oder doch in Sachen Hypo Kunde des heimischen Strafvollzugs – mit Fußfessel etwa? Oder doch nach wie vor politischer Grenzgänger, der sich listenreich als Volkstribun im gegenwärtigen Asylchaos ein weiteres Mal zu profilieren verstünde?
Wie auch immer, nunmehr ist Jörg Haider, vormals nahezu ein Jahrzehnt Landeshauptmann von Kärnten, jedenfalls schon sieben Jahre tot. Und doch geistert er immer wieder durch die Medien, ein politischer Untoter gewissermaßen. Nicht nur, weil seine parteipolitischen Epigonen am Ort seines Unfalls alljährlich zu einem einigermaßen skurrilen Memorialritual laden. Sondern auch als Protagonist in Film- und Druckwerken, Vorgeführt zu guter Letzt von Möchtegern-Witwe Petzner, der in Buchform vorgibt, seinen Lebensmenschen entzaubern zu wollen und sich doch nur selbst entblödet, den geläuterten Warner vor dem bösen Rechtspopulisten zu spielen.
Oder davor vom ehemaligen ORF-Anchorman, der nunmehr im Straßburger EU-Parlament in Vergessenheit gerät, in einem nicht minder feindlichen Kriminalroman „Der Tod des Landeshauptmanns“, verursacht von kroatischen Mafiosi, israelischen Mossad-Agenten – wer weiß. Und davor all jene Elaborate der diversen Verschwörungstheoretiker, die den verunfallten Phaeton-Lenker zum Attentatsopfer stilisierten. Oder auch in einem Kinofilm einer belgischen Filmemacherin, die nahezu naiv „Fang den Haider“ postuliert, um den Bärentaler politisch absolut korrekt in der über weite Strecken lächerlich anmutenden Filmreflexion als Schutzherrn des Kärntner Blondviehs und als Warnung vor anderen zeitgenössischen europäischen Rechtspopulisten an den Pranger zu stellen.
Dass Haider so etwas wie eine catilinarische Persönlichkeit war, ist heute ziemlich unbestritten, ebenso aber auch, dass er ein politisches Talent mit unerhörtem Ideenreichtum und großer Tatkraft war. Ohne ihn ist es in der Kärntner Politik jedenfalls ziemlich langweilig geworden – was viele allerdings auch als Segen empfinden. Gewiss, in seinem Umfeld tummelten sich auch Glücksritter und Korruptionisten, die nicht nur dem Land im Zuge vieler halbseidener Projekte großen Schaden zufügten, sondern gesamtösterreichisch auch nachhaltig großen Schaden für Haiders ursprüngliche politische Heimat, das national-freiheitliche Lager, verursachte.
Er war aber auch einer, der die andauernde Diffamierung des Landes, die De-facto-Bankrotterklärung Kärntens, nicht kampflos hingenommen hätte. Auch wenn er sich in der Wahl seiner Mittel durch Kleinigkeiten wie Gesetz und Moral kaum beeinflussen ließ, versuchte er zweifelsfrei für Kärnten Visionen zu realisieren: Fluglinie, Fußballstadion, Seebühne und dergleichen mehr, und sei es auch nur zum höheren Ruhm seiner selbst. Zum Pflichtprogramm der heutigen Landespolitik gehört es, all diese Projekte zu demontieren.
Angesichts der Eintönigkeit und Einfallslosigkeit eben derselben Landespolitik könnte er einem heute beinahe abgehen. So ist er ein Untoter in der Kärntner Landespolitik, aber ein Untoter, der – vielleicht Gott sei Dank – keinen Wiedergänger gefunden hat. Jörg Haider, Langzeitlandeshauptmann von Kärnten, Schrecken des rot-schwarzen Proporzsystems, erfolgreicher Oppositionsführer und Prototyp des europäischen Rechtspopulisten, verunfallt vor sieben Jahren in der Nacht nach den Feiern zum Kärntner 10. Oktober, der Kranzniederlegung in Annabichl, der Feier im Landhaushof, dem Besuch eines Schwulenlokals und einer überschnellen Autofahrt mit mordsmäßig Alkohol im Blut. Auch ein Kärntner Schicksal …


Aufsplitterung der Zerstrittenen

18. April 2013

Indessen sind es sage und schreibe vier Parteien, die sich in der Nachfolge Jörg Haiders in der politischen Landschaft Kärntens tummeln: Die kleine FPÖ Landesgruppe, welche nach der Haiderschen orangen Abspaltung des Jahres 2005 übrig geblieben ist, dann das Rest-BZÖ der Buchers und Petzners, welche wiederum nach der Rückkehr der Landespartei in die „freiheitliche Familie“ abseits geblieben war.
Zu einem gewissen Teil auch Onkel Franks karantanisches Team, in dem sich ja Leute wie etwa Franz Schwager, vormaliger FPÖ-Landesobmann, umtun. Und natürlich das FPK, bis vor kurzem noch Landeshauptmann-Partei. Letzterem droht – glaubt man den Medien-Analysen – noch eine weitere Spaltung durch eine Gegenkandidatur auf dem dieser Tage ins Haus stehenden Parteitag. Vermehrung durch Zellteilung könnte man meinen, die Aufsplitterung eines völlig zerstrittenen und nach einem Wahldebakels desorientierten Haufens.
Oder etwa nicht? Rein rechnerisch ist das Kärntner Wählerpotential des Dritten Lagers – addiert man FPK/FPÖ-Stimmen, BZÖ und einen Teil des Team Stronach zusammen – bei jenem Drittel der Kärntner gelandet, über das es historisch seit jeher verfügt. Und die „Freiheitliche Partei Kärntens“ selbst ist nach drei Jahrzehnten bei jenem Stand, den sie vor Beginn der Ära Haider hatte. Das Haider-Projekt ist jedenfalls mit dem 3. März 2003 beendet – und wohl auch gescheitert.

Und nun sind es Haiders Diadochen von unterschiedlicher politischer Potenz, die einander bekämpfen. Es mag überzogen sein, von „Diadochen“ zu sprechen. Der Bärentaler hat ja nicht wie der Makedonier Alexander ein Weltreich begründet, sondern sich nur ein kleines österreichisches Bundesland politisch unter den Nagel gerissen. Das Zerwürfnis, der Neid und der Hader zwischen seinen Nachfolgern aber sind durchaus mit den historischen Diadochen-Kämpfen vergleichbar.

Format und Stil haben indessen nur zwei der Haider-Erbfolger bewiesen. Nämlich jene, die als einzige wirklich aus dem Dritten Lager kommen: die vielgescholtenen Gebrüder Scheuch. Ihr Totalrückzug aus der Politik nach der Hinrichtung durch Medien und Justiz mag allerdings nicht eine Konsequenz ihrer politischen Moral sein, sondern schlicht und einfach der Tatsache entsprießen, daß sie als einer der wenigen Akteure der österreichischen Innenpolitik über genug Privatvermögen und beruflichen Hintergrund verfügen, um auch ohne Politik leben zu können. Sie benötigen eben weder Bundesrats-Ausgedinge noch wohldotierte Konsulentenverträge.

Andererseits wissen sie aber auch ganz genau, daß die Landtagswahlen vom März 2013 in eben jenem Maße Anti-Scheuch-Wahlen waren, wie die des Jahres 2009 Haider- Gedächtnis-Wahlen darstellten. Der in diesen Zeiten amtierende Landeshauptmann hat dabei entgegen seiner offensichtlichen Selbsteinschätzung keine nennenswerte Rolle gespielt. Offenbar weder im Guten noch im Bösen, weder im Hinblick auf Sieg noch auf die Niederlage. Mit seinem Beharren auf politische Versorgung allerdings hat er es nach der Landtagswahl in wenigen Wochen geschafft, die zweifellos vorhandenen Früchte seiner vierjährigen Arbeit an der Spitze des Landes vergessen zu machen. Ein Bild des Jammers. Ebenso kleinkariert fällt der spät-orange Klein-Triumph der Buchers und Petzners aus, da sie sich mit dem Umfragen-gesicherten Ausscheiden aus der gesamt-österreichischen Politik damit allenfalls einen Kärntner Schmollwinkel gesichert haben. Und über Onkel Franks Jubel-Perser bzw. deren Einfluß auf die Zukunft Kärntens braucht man wohl wenig Worte verlieren.
Bleibt das FPK, das nach Überwindung der „Schock-Starre“ wohl flugs unter das Dach der gegenwärtig um neuen Rückenwind ringenden Bundes-FPÖ flüchten dürfte – ganz gleich ob unter Krenn oder Ragger. Beide werden sie mit einer auf ausdrücklichen Wunsch des Bärentalers weitgehend entideologisierten und damit ihrer Wurzeln beraubten Landespartei die vielfältigen Hypotheken der Ära Haider aufarbeiten müssen. Hypotheken, deren Benennung das neue rotgrün-schwarze Regime ihnen nicht ersparen wird. Um die schonungslose Analyse des „Systems Haider“, das Einbekennen der dunklen Flecken dieser Periode, werden die neuen Akteure an der Spitze des Dritten Lagers in Kärnten nicht herumkommen. Die Medien, die gegenwärtig triumphierenden etablierten Parteien und natürlich auch eine gerade diesbezüglich bemerkenswert aktive Justiz wird ihnen das nicht ersparen. Dort wo neue Kräfte am Werk sind, wie etwa der FPÖ-Landesobmann und nunmehrige Klubchef im Landtag, Christian Leyroutz, wird dies zweifellos leichter möglich sein, als im Falle von langjährigen Spitzen-Repräsentanten des „System Haiders“, wie es nun einmal ein Landesrat und ein Wirtschaftskammer-Vize zwangsläufig waren.

Eine Persönlichkeit mit Charisma, die in der Lage wäre, die gegenwärtig auf vier politische Parteien aufgeteilten vormaligen Haider-Wähler zusammenzuführen, ist jedenfalls – noch? – nicht erkennbar. Und die Möglichkeiten, seitens der Bundesspitze des freiheitlichen Lagers hier einzugreifen, sind mehr als dürftig. Die aus diesem Bild des Haders resultierende negative Dynamik für das national-freiheitliche Lager insgesamt quer durch Österreich ist hingegen sehr wohl geblieben. Und ob dies bei den kommenden Nationalratswahlen durch die über das FPK zu erwartenden Kärntner Stimmen in wirklich erhöhtem Maße ausgeglichen wird, ist ungewiß. Die Gefahr, daß ausgerechnet Kärnten, jahrzehntelang zentrale Stütze des Dritten Lagers in Österreich, nunmehr zum Sargnagel für den Erfolg der Strache-FPÖ werden könnte, stellt also tatsächlich ein politisches Paradoxon dar.