Die PfeilerunseresSozialsystems

18. Mai 2023

Über den Generationenvertrag und die Solidargemeinschaft

Der Mensch ist ein soziales Wesen und als solches sorgt er vor. Für schlechte Zeiten, für Unfall, Krankheit und Unbill aller Art. Und das nicht nur für sich selbst, sondern auch für seinen Nächsten, für seine Familie und für Schwache, Kranke oder behinderte Angehörige seiner Gemeinschaft. Dies geschieht im privaten und persönlichen Bereich zumeist in der Familie, da man hier unmittelbar emotionale Bindung hat und auch eine unmittelbare Verpflichtung wahrnimmt. Im gesamtgesellschaftlichen Bereich ist es zumeist der Staat mit seinem Sozialsystem, der diese Verpflichtung auf sich nimmt. Aber auch im Bereich des Wirtschaftslebens gibt es engere Sozialsysteme, die etwa vom jeweiligen Arbeitgeber, von Konzernen oder Betrieben wahrgenommen werden.
Nachdem im konkreten Bedarfsfall – gerade in unserer modernen Gesellschaft – unter extremen Bedingungen gewaltige Kosten anfallen können, reicht die persönliche Vorsorge, die von der Einzelperson für sich selbst getätigt wird, häufig nicht aus. Zur entsprechenden Deckung der Kosten müssen also auch jene Beiträge herangezogen werden, die von jenen eingezahlt wurden, die der Hilfe nicht bedürfen. Und das funktioniert logischerweise nur in einem Verbund, der rational und emotional dazu bereit ist, für alle Mitglieder der Gemeinschaft entsprechende Sozialleistungen vorzustrecken. Immer unter der Maßgabe, dass man selbst die entsprechenden Leistungen im Notfall auch beanspruchen könnte.
Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass für ein funktionierendes soziales System – sei es im engen Familienbereich oder auch im gesamtstaatlichen Bereich – eine solidarische Gemeinschaft vonnöten ist. Dies ist für eine Familie als Solidargemeinschaft im engeren Sinne selbstverständlich, da hier die emotionale Bindung zwischen Eltern und Kindern, zwischen engen Verwandten gewissermaßen naturgegeben ist.
Was hingegen den Staat als Träger eines gesamtgesellschaftlichen Sozialsystems betrifft, so ist dies schon wesentlich schwieriger. Nachdem aber der klassische Nationalstaat, dessen Träger so etwas wie – horrible dictu – eine „Volksgemeinschaft“ war, im Grunde wie eine erweiterte Familie betrachtet wurde, vermochte man auch in diesem Rahmen den emotionalen Grund für eine solche Solidargemeinschaft zu bilden. Nationale Solidarität war also die Basis für jene Solidargemeinschaft, ohne die ein Sozialsystem im gesamtstaatlichen Bereich nicht funktionieren kann.
Nachdem aber die Aufgaben und Leistungen, die unsere gesamtstaatlichen Sozialsysteme zu bewältigen haben, immer umfangreicher wurden, reichte die Solidargemeinschaft alleine nicht aus. Sie musste von Anfang an durch einen Generationenvertrag über längere Zeiträume abgesichert werden, wobei eben zumindest drei Generationen – Eltern, Kinder, Enkel – durch ihre Leistungen für die Sozialkassen die Finanzierung des jeweiligen Sozialsystems zu gewährleisten vermochten.
Bedenkt man, dass in den westlichen Industriestaaten durch die gottlob gewaltig gestiegene Lebenserwartung der Menschen allein die Kosten für die Pensionen geradezu explodiert sind, so ist klar, welche Aufgaben ein solches Sozialsystem zu bewältigen hat. Bedenkt man weiters, mit welch großem technologischen Aufwand und damit mit welch gewaltigen Kosten die moderne Medizin arbeitet, wird zusätzlich klar, dass der Finanzierungsbedarf gerade in den letzten Jahrzehnten explodieren musste.
Die ökonomische Absicherung der solcherart belasteten Sozialsysteme ist also für nahezu alle modernen Industriestaaten ein schier unlösbares Problem geworden. Dieses ist nur durch gewaltige gemeinschaftliche Anstrengungen lösbar. Diese Anstrengungen allerdings werden in immer geringerem Maße erbracht, was an der zunehmenden Brüchigkeit der Solidargemeinschaft und auch am nicht mehr tragfähigen Generationenvertrag liegt.
In einer segregierten multiethnischen Konflikt- und Ghetto-Gesellschaft, die durch Massenzuwanderung destabilisiert wird, ist die Bereitschaft, Leistungen für eine Solidargemeinschaft zu bringen, verständlicherweise höchst gering. Den quasifamiliären Zusammenhalt, den es in der einstigen Volksgemeinschaft gegeben hatte, gibt es in einer solchen modernen Gesellschaft nicht mehr und damit auch nicht die Bereitschaft, für ein gemeinschaftliches Sozialsystem größtmögliche Leistungen zu erbringen.
Nun mag die gegenwärtige Krise des österreichischen Gesundheitssystems vielfältige strukturelle Ursachen haben und auch durch politische Fehlentscheidungen verschärft worden sein. Grundsätzlich aber ist diese Krise ganz sicher dadurch begründet, dass eben die gesamtgesellschaftliche Solidarität und die Generationen überschreiten die Opferbereitschaft für die Finanzierung des solchen Systems nicht mehr aufzubringen ist. Zuwanderer, die logischerweise noch nicht über Generationen in dieses System einbezahlt haben können, nehmen allerdings häufig horrende Leistungen in Anspruch. Prekäre Gesellschaftsschichten, die von Leistungen des Staates leben und überhaupt nie in die Sozialkassen einzahlen, nehmen ebenso gewaltige Leistungen in Anspruch. Und Sozialschmarotzer, die dieses System schamlos ausnutzen, gibt es natürlich auch.
Das aber bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass unsere herkömmlichen Sozialsysteme mittel- und längerfristig nicht mehr tragfähig sein werden. Die sozialen Netze werden jedenfalls reißen, wenn es keine Solidargemeinschaft und keinen Generationenvertrag mehr gibt. Und beides, Solidargemeinschaft und Generationenvertrag, kann es nur in einander fest verbundenen, emotional und rational solidarischen „Staatsbürger-Gemeinschaften“ geben. (Um in diesem Zusammenhang den Terminus „Volksgemeinschaften“ zu vermeiden).
Im Klartext und zusammenfassend bedeutet dies, dass unser Gesundheitssystem so wie unser Sozialsystem insgesamt nur erhalten werden kann und bestehen bleiben wird, wenn die Bewohner unserer Republik, so wie jene aller anderen Industriestaaten Gemeinschaftsgefühl, gemeinschaftliche Opfer- und Leistungsbereitschaft und emotionale Verbundenheit haben. Man mag dies „Volksgemeinschaft“ nennen oder auch anders. Ohne eine solche Verbundenheit kann es jedenfalls mit Sicherheit kein funktionierendes Sozialsystem geben.


Vom Ende der Solidar­gemeinschaft

1. Februar 2023

Unser Sozialsystem ist längst dramatisch überfordert. Die Solidargemeinschaft, die dieses Sozialsystem trägt, existiert im Grunde nur mehr in Restbeständen. Und der Generationenvertrag, der zur Erhaltung dieser Solidargemeinschaft notwendig ist, droht auch, obsolet zu werden. Die Ursachen für diese unselige Entwicklung sind vielfältig. Zum einen ist es natürlich die Überalterung, die daran schuld ist. Es gibt einfach im Vergleich zu den zu erhaltenden Pensionisten zu wenig jüngere Menschen im Arbeitsprozess als Einzahler ins Sozialsystem. Zum anderen ist es das allgemeine Sinken der Leistungsbereitschaft in unserer Gesellschaft und der ständig wachsende Hedonismus, das Streben nach egoistischer Selbstverwirklichung und der mangelnde Altruismus, der dazu führt. Und zu all diesen Dekadenzerscheinungen kommt dann noch die Massenzuwanderung von Menschen, die bislang nicht in unser Sozialsystem eingezahlt haben und mangels Integration und Brauchbarkeit für den Arbeitsprozess keine Leistungen in dieses System einbringen, sondern dieses vielmehr massiv belasten.
Das bislang bei uns geltende Sozialsystem mit all seinen Facetten, der Krankenversicherung, der Pensionsversicherung und der allgemeinen Absicherung von sozial Schwachen, Erkrankten und Erwerbsunfähigen, stammt bekanntlich aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Im wilhelminischen Deutschland war es die Bismarcksche Sozialgesetzgebung und sowohl dort als auch in der Habsburgermonarchie war natürlich die junge Sozialdemokratie eine treibende Kraft beim Entstehen dieses Sozialsystems.
Seine vollständige Ausformung fand dieses Sozialsystem sowohl in Deutschland als auch in Österreich erst in den Jahren der Republik nach dem Ersten Weltkrieg. Einen weiteren Schub erlebte die Sozialgesetzgebung während des Dritten Reichs, das sich explizit auf die Volksgemeinschaft bezog. Diese romantische Idee der Volksgemeinschaft, geboren im Nationalismus, der Zivilreligion des 19. Jahrhunderts, war es, die genuin die Basis für unsere Sozialsysteme schuf. Die Idee von einem geschlossenen Volkskörper, in dem alle gleichermaßen so etwas wie eine Basisversorgung erhalten sollten, die Leistungsstarken ebenso wie die sozial Schwachen, Kranken, Behinderten und Bedürftigen, ermöglichte die Entwicklung einer Solidargemeinschaft, die ein solches Sozialsystem ermöglichen und vor allem finanzieren sollte.
Dazu war eben nicht nur eine alle sozialen Schichten übergreifende Solidarität notwendig, sondern auch so etwas wie ein Generationenvertrag. Diesem entsprechend sollten Generationen in die Sozialkassen einzahlen, wobei die Eltern die Kindererziehung finanzieren sollten und die Jungen die Renten der älteren Generation. Das damit mögliche Versicherungssystem, wonach jede Generation in die Kassen einzahlen und jede Generation gleichzeitig die vorherige finanziert, funktioniert eben nur über Generationen.
Mit der Diskreditierung der Idee von der Volksgemeinschaft, die wegen der Verbrechen des Nationalsozialismus wohl zwangsläufig erfolgte, brach die Basis für diese generationenübergreifende Solidargemeinschaft eigentlich schon zusammen. Mit der zuvor geschilderten Entwicklung hin zu einer hedonistischen Gesellschaft und der parallel dazu erfolgten Massenzuwanderung von Menschen, die niemals adäquate Leistungen für die Sozialkassen erbrachten oder erbringen werden, war diese Solidargemeinschaft im Grunde hinfällig geworden. Nunmehr existiert sie gewissermaßen nur mehr in ihren Ausläufern und wird nach dem Motto „Loch auf, Loch zu“ über die kritischen Jahre gerettet. Und überdies ist sie nur mehr durch massive Zahlungen des Staates aus dem Steueraufkommen lebensfähig, aus ihrer eigenen Finanzierungskraft längst nicht mehr.
Die logische Folge dieses indessen offenbar unabänderlich gewordenen Endes der Solidargemeinschaft ist die Rückkehr zu einem Klassen- und Kastensystem im Bereich des Sozialwesens. Ähnlich wie in den USA wird es bestenfalls eine rudimentäre Basisversorgung geben und wirklich aufwendige und den wissenschaftlichen Standards der Zeit entsprechende Leistungen und Behandlungen wird es nur mehr für jene geben, die es sich leisten können, die dafür bezahlen. So etwas wie eine Zwei- oder Drei-Klassen-Medizin ist die logische Folge dieser Entwicklung.
Und natürlich wird es auch im Bereich der Altersversorgung maximal eine überaus geringfügige Basispension geben und darüber hinaus gehende, bis hin zum wirklichen Luxus reichende Pensionen wird es nur für Menschen geben, die dafür im Laufe ihres Arbeitslebens massiv bezahlen konnten. Selbstversorgung und Eigeninitiative in Hinblick auf Lebensversicherungen und ähnliches werden die einzige Möglichkeit sein, dieses heruntergefahrene Sozialsystem für die individuelle Versorgung aufzubessern.
In der multiethnischen Konflikt- und Ghetto-Gesellschaft, auf die wir offenbar auch im deutschsprachigen Mitteleuropa zusteuern, wird es also Sozialsysteme, die auf einer Solidargemeinschaft und einem Generationenvertrag basieren, im gesamtstaatlichen Bereich wohl nicht mehr geben. Ersetzt werden könnten diese bislang bestehenden Sozialsysteme vielleicht durch ein Wiederbeleben familiärer Verbände oder Sippenverbände oder durch einen sozialpolitischen Tribalismus, in dem gewisse Gruppen die Versorgung ihrer Mitglieder in sozialer Hinsicht übernehmen. Und dazu kommt eben die Selbstversorgung entsprechend begüterter Menschen und reicher Familien. In den Elendsvierteln und Parallelgesellschaften der Zukunft wird es so etwas wie gesamtstaatliche Volksgemeinschaft nicht mehr geben können
Was dieses Wegfallen der bisherigen, mit unserem Sozialsystem verbundenen Gefühle der sozialen Sicherheit für die Menschen in unserem Lande bedeuten wird, ist noch nicht abzusehen. Sicher ist jedenfalls, dass ein solches Wegbrechen der sozialen Sicherungssysteme den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt noch weiter schwächen wird. In einer fragmentierten und gespaltenen Gesellschaft wird es damit zweifellos zusätzlich zu Verteilungskämpfen und zu Auseinandersetzungen im Bereich des Arbeitsmarkts, des Wohnungsmarktes und der Bildungschancen kommen müssen.
Mit dem Zusammenbruch und Obsoletwerden der als nationalsozialistisch stigmatisierten Volksgemeinschaft sind auch die anderen Nebenerscheinungen derselben, nämlich gesamtgesellschaftliche Solidarität in allen eben genannten Bereichen, weggefallen. Ein Verlust, der durch die Klassen-Solidarität, wie sie die Sozialdemokratie und der Marxismus predigten, längst nicht mehr ausgeglichen werden kann, da es eben kein Klassenbewusstsein und keine Arbeiterklasse mehr gibt.
So könnte es sein, dass die Sozialsysteme, wie wir sie jetzt über ein Jahrhundert im deutschsprachigen Mitteleuropa genießen konnten, nur eine kurzfristige Episode in der Sozialgeschichte Europas darstellen. Davor war es eben der Feudalismus und danach wird es ein System sozialer Ungleichheit sein, und die Solidargemeinschaft wäre nur eine historische Erinnerung.