Das libysche Lehrstück

7. März 2011

Muammar Gaddafi ist also wieder ein Schurke, das, was er zu Beginn seiner politischen Karriere war. Nach einigen kurzen Jahren, in denen er als geradezu geachteter älterer Staatsmann galt – als Wirtschaftspartner und Öl-Lieferant war er ohnedies stets begehrt – ist er nunmehr gegen Ende seines politischen Lebens wieder in die Schurkenrolle zurückgekehrt. Er lässt regimekritische Demonstranten aus Dieselflugzeugen angreifen, verhöhnt die internationale Staatenwelt und wiederholt sich in der Behauptung, lieber ein Blutbad anzurichten, als dem Druck der Demonstranten und der Regime-Gegner zu weichen.

Gaddafi ist jedenfalls ein Despot, der nicht vor Gewalttätigkeit zurückschreckt, mag er auch ein geradezu bizarrer Irrer sein, eines ist er sicher nicht, ein politisches Weichei. So mir nichts, dir nichts ins Exil verschwindet er mit Sicherheit nicht. Vielmehr scheint er darauf zu vertrauen, dass es ihm gelingen könnte, die wichtigsten Positionen im Lande und das ist neben der Herrschaft über die Hauptstadt Tripolis die Kontrolle über die Erdölförderung, zurück zu erobern. Und da stellt sich dann die Frage, wie die internationale Staatenwelt, insbesondere die Europäer, sich dann gegenüber dem politischen Stehaufmännchen – so er es schafft – verhalten würde. Würde man wieder gute Miene zum bösen Spiel machen und dem Schurken sein Öl gegen harte Petro-Dollars abkaufen? Würde man seiner politischen Scharade wiederrum mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination zuschauen, seine Auftritte vor internationalen Gremien tolerieren, gar wiederrum Staatsbesuche mit Amazonen-Garde und Beduinenzelt in Kauf nehmen? Was weiß man.

Tatsache ist, dass Gaddafi schon vor Jahrzehnten mehr als nur verbale Sympathien für den arabischen Terrorismus übrig hatte, dass er sich selbst für Terroranschläge verantwortlich zeichnete und Regimegegner im eigenen Land stets gewaltsam unterdrückte. Was keineswegs hinderlich war, ihn international zu hoffieren. Und wir Österreicher haben dabei eine Vorreiterrolle gespielt. Bruno Kreisky und die ÖMV, Jörg Haider und die Hypo-Alpe-Adria, politische Sympathien für den Wüsten-Diktator und florierende Geschäfte mit dem Ölexporteur waren stärker als jegliche politische Moral und moralinsaure Demokratie-Bekundungen. Und natürlich waren wir Österreicher nicht die einzigen. Im Gegenteil: Vertreter aus nahezu allen europäischen Staatskanzleien und natürlich Repräsentanten der internationalen Konzerne, insbesondere jene die Erdöl verarbeiten, gaben sich in Tripolis die Türklinke in die Hand. Und der eine oder andere von Haider bis Berlusconi brüstete sich gar der Freundschaft Gaddafis und durfte sich angeblich sogar größerer finanzieller Zuwendungen erfreuen.

Heute ist das wieder aller anders. Nach tausenden Toten und hundertausenden Flüchtlingen, nach einem veritablen Krieg gegen das eigene Volk ist eben derselbe Gaddafi zum internationalen Paria geworden. Seine Konten werden eingefroren und möglicherweise gibt es demnächst einen internationalen Haftbefehl mit der Aussicht auf einen Prozess in Den Haag, wenn nicht vorher ein militärischer Schlag durch Amerikaner oder NATO durchgeführt wird. Dem alternden Berber-Löwen scheint all dies in seiner Blutrünstigkeit noch anzustacheln. Und Europa, der Westen insgesamt, auch die US-Amerikaner, schauen einigermaßen hilflos zu. Große Glaubwürdigkeit haben sie mit ihrer Empörung ohnedies nicht. Wirkliche Angst vermögen sie trotzt aller Drohgebärden dem lybischen Diktator auch nicht zu machen. Und Hilfe für die Aufständischen gibt es auch nicht. Nicht einmal ein Flugverbot über Lybien traut sich die Weltgemeinschaft zu, geschweige denn eine Bodenoffensive. Das überstiege – so Militärexperten – die gegenwärtigen militärischen Potentiale der Amerikaner. Kein Wunder, dass Gaddafi sich selbst in Auftritten vor der Fernsehkamera in höhnischem Gelächter ergeht, angesichts so viel internationaler Schwäche, Heuchelei und Haltlosigkeit. Damit drohen die lybischen Ereignisse aber zu einer Art Lehrstück für Dritt-Welt-Diktatoren aller Schattierungen zu werden. Für ein Lehrstück wie man mit diesem ohnmächtigen Westen, insbesondere mit den paralysierten Europäern umzugehen hat.


Ohnmächtiges Europa

28. Februar 2011

Die nordafrikanische Mittelmeerküste, das ist unmittelbare europäische Nachbarschaft und dort brennt es gegenwärtig. Die Explosionen, die da hochgegangen sind, zuerst in Tunesien, dann in Ägypten, nunmehr in Libyen, haben ihre Hitzewellen längst nach Europa geschickt. Zehntausende Flüchtlinge sind bereits gekommen, Hunderttausende stehen Gewehr bei Fuß. Der Brand droht also überzugreifen. Und in Europa diskutiert man, ob man die Feuerwehr einberufen soll, ob es nicht viel zu früh wäre, den Befehl „Wasser marsch“ zu geben und ob es überhaupt legitim wäre, die Löschfahrzeuge ausrücken zu lassen.

Solche Vergleiche mögen hinken, Tatsache ist jedenfalls, dass sich Europa angesichts der krisenhaften Entwicklung in Nordafrika und der schweren Kämpfe in Libyen wieder einmal als ohnmächtig erweist. Allzu zaghaft hat man zuerst einmal zugewartet, was passiert, um schließlich halbherzig abtretende Diktatoren zu verurteilen, mit denen man sich allzu lange arrangiert hat. Alle Welt, insbesondere auch die Europäer, waren mit Herrn Mubarak verhabert, der ja als absolut akzeptabler politischer Partner galt – nicht zuletzt im Hinblick auf den Nahost-Friedensprozess. Die Franzosen haben sich mit dem tunesischen Diktator vielfach ins Bett gelegt und insbesondere Italiener, aber auch wir Österreicher, waren mit den Libyern gut Freund. Gaddafis Konten dürften quer durch Europa und natürlich auch in den USA unter den diversen Namen gestreut sein und er selbst war mehrfach schlagzeilenträchtiger Gast in den europäischen Hauptstädten. Zuletzt erst schlug er sein Zelt in der ewigen Stadt Rom auf, um vor Berlusconi-affinen jungen Damen über den Islam zu plaudern.

Angesichts so intensiver Kameraderie ist es ja gerade verständlich, dass man sich nur langsam und bislang auch halbherzig dazu durchringen konnte, die Stimme gegen Gaddafi zu erheben. Nun da er Tausende in den Tod schickt, sein Land in Blut und Chaos versinken lässt, fällt den Europäern auch nicht mehr ein als die Drohung, seine Konten einfrieren zu lassen. Sanktionen gegen den Diktator oder gar militärisches Eingreifen, dazu sind die Europäer viel zu ängstlich.

Und für die Zukunft weiß man noch immer nicht, wie man sich gegenüber derlei Diktatoren verhalten soll. Und in Libyen heißt es, die US-Amerikaner – und da wird Brüssel dann nicht weit sein – erwägen die arabischen Könige in den Golfstaaten und insbesondere in Saudi-Arabien massiv zu stützen. Ganz so, als wären dieselben nicht ebenso antidemokratische und hoch korrupte Diktatoren. Man hat also offenbar nichts dazugelernt. Man legt sich mit den Autokraten ins politische Bett, um dann, wenn das Volk aufsteht, schwer überrascht zu sein und hilflos den revolutionären Ereignissen zuzusehen.

Insgesamt zeigt dies einmal mehr, wie ohnmächtig Europa nach außen hin ist. Allenfalls ist man bereit und fähig, als Zahler für alle Welt nunmehr auch für die nordafrikanischen Revolutionsstaaten einzuspringen, viel zu spät und viel zu halbherzig versucht man mit Milliardenzahlungen kommende Flüchtlingsströme abzuwenden, eine wirklich entschiedene Politik zur Durchsetzung europäischer Interessen und zur Unterstützung der betroffenen Völker bringt man jedoch nicht zustande.

Und einmal mehr erweist sich also, dass die Europäische Union ein merkwürdiges Gebilde ist, das zwar nach innen hin, gegenüber den Mitgliedsstaaten und den eigenen Bürgern, zunehmend paternalistisch, zentralistisch und intolerant agiert, das nach außen hin aber ein kraftloser Eunuch ist, unfähig zu entschlossenem Handeln, ignoriert von den wirklich starken Mächten und verachtet von den außereuropäischen Völkern. Ein wirklich trauriger Befund.


Solidarität unter Schurken?

23. Februar 2011

Es mag irgendwo verständlich sein, wenn die Ausgegrenzten für andere Ausgegrenzte Sympathien haben. Wer wie die ach so bösen Rechtspopulisten im europäischen Bereich zu Schmuddelkindern der jeweiligen Innenpolitik erklärt wird, hat möglicherweise gegenüber den Schmuddelkindern der internationalen Politik mehr Verständnis als andere. So verwundert es nicht, dass einer der letzten europäischen Politiker, der mit Saddam Hussein gesprochen hat, Jörg Haider war. Er, der einer der Ersten war, der wirklich gute Beziehungen zu Gaddafi entwickelte, tat sich insofern auch leicht, da er damit scheinbar auf den Spuren Bruno Kreiskys, des Altmeisters der österreichischen Politik, wandelte. Wenn Bruno Jassir Arafat küssen konnte, so mochte Haider – warum auch nicht – zumindest Gaddafis Sohn Saif herzen. Dies brachte Medienpräsenz und überdies – so die Gerüchte stimmen – die eine oder andere Million auf Liechtensteiner Konten.

Und natürlich ist es auch für die freiheitliche Fundamentalopposition unserer Tage eine reale Verlockung als die gefährlichen Schurken, zu denen sie von den etablierten Meinungsmachern abgestempelt werden, sich mit gefährlichen Schurken auf dem internationalen Parkett zu solidarisieren. Da mag der Serbe Nikolić, dessen Vorgänger Seselj immerhin seit Jahren in Den Haag sitzt, noch ein relativ harmloser Zeitgenosse sein, den HC Strache getrost treffen darf. Gefährlicher ist da schon ein Ahmadinedschad, dessen Holocaust-Konferenzen man denn doch lieber den Obskuranten überlässt. Und die lateinamerikanischen National-Sozialisten Chavez und Morales mit ihrem rigiden Antiamerikanismus beklatscht man allenfalls diskret aus der Ferne. Die Nordkoreaner – welcher Kim ist gerade an der Macht? – sind selbst den ach so bösen europäischen Rechtspopulisten zu bizarr. Interessanter sind da schon die ultraorthodoxen jüdischen Siedler im Westjordanland, die international ja auch als Parias gelten.

Aber es ist nicht nur die Solidarität der Ausgegrenzten und der allzu opportune Versuch, wenigstens irgendwelche internationalen Gesprächspartner zu haben, die hier zu tragen kommen. Nein, es ist auch die vermeintliche Gemeinschaft mit vermeintlichen Revolutionären, die sich an diesem Phänomen erweist. Gaddafi kam ja als Revolutionär an die Macht. Haider sah sich auch als ein solcher. Und Ahmadinedschad, Chavez und andere nehmen das selbe für sich in Anspruch: Revolutionäre zu sein gegen das jeweilige Establishment, gegen die US-amerikanisch dominierte Weltordnung, gegen die politisch korrekten Medien.

Kritisch wird’s dann allerdings, wenn die vormaligen Revolutionäre zu kruden Machterhaltern mutieren und diesen ihren Machterhalt gegenüber dem eigenen Volk und dessen Aufbegehren mit Gewalt und Terror durchsetzen wollen. Welcher europäischer Rechtspopulist, und mag er eine noch so radikale Fundamentalopposition betreiben, mag sich heute noch mit dem libyschen Tyrannen solidarisieren, nachdem dieser in die Menge schießen ließ? Und welcher rechte Radikaldemokrat, dessen politisches Lebenselixier das permanente Plebiszit ist, mag sich mit den auf lebenslange Präsidentschaft abzielenden Verfassungsänderungen des Herrn Chavez solidarisch erklären? Und wer mit den Nuklearplänen und der antiisraelischen Brachial-Rhetorik des Herrn Ahmadinedschad? Da hört sich das Kuscheln unter Schurken dann auf und kritische Analyse ist angesagt. Analyse, ob es wirklich legitim ist, sich mit Autokraten und Gewaltherrschern zu solidarisieren. Ob die politische Provokation und die mediale Aufmerksamkeit das Gemeinmachen mit politischen Gewalttätern rechtfertigt.

Diese Frage aber müssen sich nicht nur die ach so bösen Rechtspopulisten, sondern wohl auch die etablierten politischen Kräfte quer durch Europa stellen. Haben nicht sie, die diversen Regierungsspitzen, genauso mit den islamischen Potentaten kooperiert und paktiert, wenn es das wirtschaftliche oder politische Interesse erforderte? Waren sie nicht stets bereit, politische Kumpanei mit jenen zu üben, wenn es um Öl-Liefermengen, um Rohstoffsicherung und um hartes machtpolitisches Interesse ging? Es sind also nicht nur die politischen Schmuddelkinder, die sich in diesen Tagen des – hoffentlich – demokratischen Umsturzes in der arabischen Welt die Frage der Moral zu stellen haben.