Götter­dämmerung

11. August 2022

Vom Herrenmenschen zum alten Weißen Mann

Als die Herren der Welt konnten sich die Europäer im 19. Jahrhundert, in jener Periode des Imperialismus, mit Fug und Recht fühlen. Alle europäischen Nationen, die Briten, Franzosen, Italiener, Portugiesen, Spanier und auch die Holländer verfügten über ein Kolonialreich. Die Deutschen, jene zu spät gekommene Nation, konnte sich ein spätes Kolonialreich erkämpfen. Naturgemäß unter hass-
erfüllter Konkurrenz mit den alten Kolonialmächten, den Briten und Franzosen.
Der weiße Mann, der Europäer also, beherrschte die Welt und das Bild dieser Welt, das Bild der Geschichte war eines, in dem Europa im Mittelpunkt stand. Man versuchte, die Welt und die Weltgeschichte also nur mittels eines eurozentrischen Weltbildes zu verstehen. Europäische Sitten und Gebräuche, all jene Errungenschaften zivilisatorischer Natur, auf die sich die Europäer so viel zugute hielten, wurden weltweit kopiert: Europäische Kleidung, europäische Staatsformen, europäisches Essen, all dies übernahm weltweit die Dominanz.
Und selbstverständlich herrschte bei den Europäern selbst die feste Überzeugung, in den von ihnen beherrschten Territorien den dort lebenden Menschen, den Eingeborenen also, auch Gutes zu tun, indem man ihnen das Christentum aufzwang und den europäischen Lebensstil. Und klarerweise nahm sich der weiße Mann gleichzeitig das Recht heraus, diese von ihm Beherrschten auch auszubeuten. In archaischen Zeiten geschah dies noch in Form der Sklaverei, später dann durch die unbeschränkte Nutzung der Rohstoffe und der Arbeitskraft der Kolonialvölker.
Den ideengeschichtlichen Hintergrund dieser Entwicklung bildete der Sozialdarwinismus und das Denken in rassischen Kategorien, Nietzsches Thesen über das Herrenmenschentum, die Auslassungen des Grafen Gobineau, Chamberlains Mythos des 20. Jahrhunderts und ähnliche Werke.
Die Europäer fühlten sich also als Herrenmenschen und tatsächlich beherrschten sie die Welt auch wirklich. Bei aller innereuropäischen Konkurrenz einte sie dieses Denken trotzdem. Deutlich wurde dies bei gemeinsamen imperialistischen Unternehmungen wie etwa jene, die Anfang des 20. Jahrhunderts im Falle des chinesischen Boxersaufstands durchgeführt wurde. Ein Aufbegehren gegen die europäische Dominanz und die Weltherrschaft der Kolonialmächte wurde nicht wirklich geduldet Die damals jungen Vereinigten Staaten von Amerika galten gewissermaßen als Ableger Europas. Nur Japan vermochte sich dem Zugriff Europäer zu entziehen, indem es das zaristische Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts militärisch besiegte.
Und dann kam die Epoche der beiden Weltkriege, die auch so etwas wie ein europäischer Bürgerkrieg waren. Darauf folgte das Ende der alten Kolonialreiche und die Teilung der Welt in einen westlichen und einen östlichen Einflussbereich. Die europäischen Flügelmächte, die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjetunion, übernahmen die Weltherrschaft. Beides waren ursprünglich auch Staatsgebilde, die vom weißen Mann dominiert waren, die US-Amerikaner als Kinder des britischen Weltreichs und die Sowjetunion als ein Imperium, das von den europäischen Russen beherrscht wurde.
Die mühsame europäische Integration nach dem Krieg konnte sich erst nach dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts und Sowjetrusslands gesamteuropäisch entfalten. Zwar wurde die Europäische Union zu einem der größten Wirtschaftsräume des Planeten, machtpolitisch aber standen die Europäer weiterhin im Schatten der USA. Parallel dazu kam es zum Aufstieg Chinas, das zum Konkurrenten der einzig verbliebenen Supermacht USA werden sollte. Während sich also mit Beginn des 21. Jahrhundert so etwas wie eine multipolare Weltordnung abzeichnete, scheint das alte Europa, dessen Einigung nach wie vor nicht vollendet ist, im Abstieg begriffen zu sein. Und mit ihm offenbar der weiße Mann insgesamt.
Das liegt zuallererst wohl an der Tatsache, dass sowohl die Vereinigten Staaten von Amerika als auch die Europäische Union nur mehr bedingt als weiße Staaten angesehen werden können. Die Massenzuwanderung der vergangenen Jahre und Jahrzehnte haben aus den meisten europäischen Staaten längst multiethnische und multikulturelle Gebilde gemacht. Und in den USA ist es die Zuwanderung aus dem lateinamerikanischen Bereich und das starke Anwachsen der afroamerikanischen Bevölkerung, was die weiße Dominanz grundlegend in Frage stellt.
Darüber hinaus gibt es im metapolitischen Bereich Entwicklungen, die die Dominanz des weißen Mannes als überholt, wenn nicht gar als verbrecherisch darstellen. All die politisch korrekten Modeerscheinung die in den vergangenen Jahren im Zuge der political correctness weltweit zum Tragen gekommen sind, wie etwa „Black Lives Matters“ oder „Wokeness“, haben indessen den sogenannten „alten weißen Mann“ zum zentralen Übeltäter der Weltgeschichte gemacht. Aus dem einstigen europäischen Herrenmenschen ist der böse „weiße alte Mann“ geworden.
In einer Welt, in der die machtpolitische und kulturelle Dominanz Europas längst außer Kraft ist, in dieser Welt ist naturgemäß auch unser altes eurozentrisches Weltbild hinfällig. Zwar sind es weiterhin die zivilisatorischen Standards Europas, die weltweit gelebt werden, selbst chinesische Kommunisten, afrikanischen Stammeshäuptlinge und lateinamerikanische Revolutionäre tragen europäische Anzüge und englisches Schuhwerk, Mercedes, BMW und Audi finden sich in den Fuhrparks aller Staatskanzleien quer über den Planeten. Und Englisch ist unangefochten weltweit Lingua Franca.
Machtpolitisch aber ist Europa längst in die zweite Liga abgestiegen und kulturell spielt es nur mehr eine geringfügige Rolle. All die positiven Errungenschaften, die der weiße Mann in Wissenschaft, Kultur aber auch in staatspolitischer Hinsicht, etwa in Sachen Demokratie, für die Menschen geleistet hast, sie sind offenbar nicht mehr sonderlich wichtig. Dass der Zustand des Planeten und auch die Sorge um die Zukunft desselben noch immer in jenen Breiten am besten und am intensivsten ist, die vom ach so bösen weißen Mann bewohnt und gestaltet werden, ist offenbar auch nur mehr von untergeordneter Bedeutung.
Dieser Abstieg der weißen europäischen Völker im globalen Geschehen wird aber auch durch eigenes Verschulden der Menschen auf dem alten Kontinent mit verursacht. Es sind nicht nur politisch korrekte Modeerscheinungen, die mittels political correctness aus den USA importiert werden, es ist auch eine zunehmende Dekadenz der europäischen Gesellschaft, die für diesen Abstieg mitverantwortlich ist. Insbesondere in West- und Mitteleuropa, also auch in Deutschland und in Österreich hat sich eine kinderlose überalterte Gesellschaft zunehmend dem Hedonismus und der individuellen Selbstverwirklichung verschrieben. Dem entspricht auch die Abkehr der meisten europäischen Völker vom historisch gewachsenen Christentum. Ausnahmen bilden dabei wohl nur die ostmitteleuropäischen Nationen in den Visegrad-Staaten.
Hand in Hand geht diese zunehmende Krise der europäischen Gesellschaft mit dem nicht zu übersehenden Unwillen, das eigene Gemeinwesen, also das jeweils eigene Volk zu verteidigen. Gerade in Zeiten des Ukrainekrieges wird deutlich, dass Europa selbst längst nicht mehr in der Lage wäre, sich zu verteidigen. Dies bedingt einmal mehr eine Unterordnung der europäischen Sicherheitspolitik unter den Nordatlantikpakt und die Führung der USA. Dementsprechend gering ist das machtpolitische Gewicht der Europäer im globalen Machtgefüge. Und dieses Europa ist eben nach wie vor jener Kontinent, dem der weiße Mann entstammt.
Wenn sich also die Europäer einst als Herrenmenschen, gewissermaßen als Halbgötter auf diesem Planeten gefühlt haben mochten, dann hat für sie längst die kulturelle und politische Götterdämmerung stattgefunden. Aus diesen Herrenmenschen sind also missachtete dekadente Jammergestalten geworden, die sich global als Ziel des gegenwärtig grassierenden antiweißen Rassismus der allgemeinen Missachtung preisgegeben sehen.


Über unsere Zivilreligion

7. April 2022

Von politisch korrekten ­Dogmen, Kultstätten, Priestern und ­Abspaltungs-Sekten

Die Facetten jener Zivilreligion, die sich rund um den Begriff der political correctnes in den letzten Jahren und Jahrzehnten aufgebaut haben, sind mannigfaltig, ja nahezu schon unübersichtlich. Begonnen hat das alles mit dem Pflicht-Antifaschismus der Nachkriegszeit, im Zuge dessen die Kriegspropaganda der Sieger zu den Geschichtsbildern der Besiegten gemacht wurde. Die absolut notwendige und legitime Ächtung der NS-Herrenmenschenideologie mit ihrem Antisemitismus und Rassismus fand etwa in Österreich über das Verbotsgesetz Eingang in die Rechtsordnung, und in anderen europäischen Ländern wurden entsprechende Rechtsnormen gegen Verhetzung beziehungsweise Leugnung des Holocausts institutionalisiert.
Überdies aber nahm dieser Pflicht-Antifaschismus bald liturgische Formen an. Da entwickelten sich entsprechende Rituale, wurden Kultstätten begründet und es traten Hohepriester auf. Rituale wie etwa die Befreiungsfeiern in den diversen ehemaligen Konzentrationslagern, Kultstätten wie Holocaustdenkmäler in Wien und Berlin und Hohepriester, wie sie im Gefolge einstiger Nazijäger, wie es Wiesenthal war und schließlich Antisemitismus-Experten und Rechtsextremismus-Experten bis zum heutigen Tage sind. Diese Hochämter der Vergangenheitsbewältigung werden nach wie vor zelebriert, die Kultstätten sind sakrosankt und die einschlägigen Zeremonienmeister dürfen sich nach wie vor als vornehmste Repräsentanten des Zeitgeists empfinden.
Danach kamen dann die diversen emanzipatorischen Bewegungen in der Folge der 68er-Bewegung. Unter dem ideologischen Schutzmantel der Frankfurter Schule gab es dann die Anti-Vietnamkrieg-Bewegung, die Anti-Atom-Bewegung, die Bewegung gegen die NATO-Nachrüstung der frühen 80er Jahre, natürlich den Feminismus und schließlich die Begründung der ach so umweltbewegten Grün-Bewegung. Deren jüngster Ausläufer ist die Bewegung zum Zwecke des Klimaschutzes. Und während zu Beginn all dieser sich als emanzipatorisch verstehenden Bewegungen Transparenz, Toleranz und Liberalität gepredigt wurden, sind es längst eiserne Dogmen und sakrosankte Maximen, die in unseren Tagen das ideologische Gerüst all dessen bilden.
Zwar hat man gewisse Bereiche dieser emanzipatorischen Bewegungen wie etwa die Nutzung der frühkindlichen Sexualität und Pädophilie ad acta gelegt, dafür aber Homosexualität und Transsexualität in all ihren Facetten nahezu zum gesamtgesellschaftlichen Ideal erhoben.
Und dann kam da aus den gesegneten Gefilden des angloamerikanischen Raums das Phänomen der politischen Korrektheit. Ausgehend wohl von den Bestrebungen, jegliche Form des Rassismus zu tilgen, wurden hier die US-amerikanischen Universitäten zur Brutstätte von neuen Dogmen, auf welche Art und Weise der zeitgeistgerecht lebende Mensch sich zu verhalten habe. Was sich vordergründig als Schutz von gesellschaftlichen Minderheiten ausgab, wurde sehr rasch zum gnadenlosen Diktat für die Mehrheit der Bevölkerung und seit dem hetzt eine politisch korrekte Mode die nächste: Das Gendern in der Sprache, die „Black Lives Matter“-Bewegung, Wokeness, Cancel Culture und ähnlicher Unfug treffen – gefördert durch das weltweite Netz und die sozialen Medien – sehr rasch auch auf Europa und damit auch auf die Alpenrepublik und den deutschen Sprachraum über.
Neben Facebook, Twitter und ähnlichen Internetphänomenen waren und sind es die Mainstreammedien, die sich als treibende Kräfte dieser Phänomene erwiesen. Und dabei entwickelten die Träger dieser Bewegungen zunehmend sektenähnliche Verhaltensweisen. Da gibt es jeweils so etwas wie einen strengen Kodex, wie man zu formulieren hat, welches Verhalten an den Tag zu legen sei, was man sagen darf und was nicht, und – noch schlimmer – was man denken soll und was nicht.
Und natürlich treten mediale Sittenwächter auf den Plan, die Abweichler, also Ketzer gegen den jeweiligen Spiritus Rector, der entsprechenden Sekte scharf verurteilen und nach Möglichkeit auch bestrafen. Bis hin zu ganz realen Religions­kriegen, wie wir sie im 16. und 17. Jahrhundert zwischen Protestanten und Katholiken erlebten, ist da nicht weit.
Während das historisch gewachsene religiöse Bekenntnis, insbesondere im Bereich des Christentums, zunehmend schwindet beziehungsweise veräußerlicht wird, gewinnt die politisch korrekte Zivilreligion mit all ihren sektoiden Facetten offenbar an Gewicht. Es scheint so etwas wie eigene anthropologische Konstante zu sein, dass der Mensch Bindungen religiöser oder quasi religiöser Art braucht und auch sucht.
Und wenn die spirituellen Führer der herkömmlichen Religionsgemeinschaften versagen, gewinnen die Sektenprediger der neuen zeitgeistigen Zivilreligion an Terrain. Einen großen Unterschied gibt es allerdings zwischen den herkömmlichen Weltreligionen, insbesondere den monotheistischen, und der neuen politisch korrekten Zivilreligion: Erstere versprechen uns die ewige Glückseligkeit im Jenseits, letztere hingegen nur das Elend einer Existenz im Diesseits voller Dogmen, Vorschriften und sinnentleerter Regeln.