Österreich schafft sich ab

27. Oktober 2022

Vor 77 Jahren ist die Republik Österreich aus den Trümmern des Großdeutschen Reiches im Chaos der letzten Kriegstage wiedererstanden. Der Staat, den niemand wollte, an dessen Lebensfähigkeit in der Ersten Republik jedermann zweifelte und der schließlich der „bessere deutsche Staat“ sein wollte, konstituierte sich wieder. Einerseits aufgrund des Willens der Sieger, die Deutschland naturgemäß schwächen und auseinanderreißen wollten, andererseits aus der Einsicht der Bevölkerung, dass der Anschluss an eben dieses Deutschland keine Option mehr für die Zukunft sein konnte. Und diese Zweite Republik darf nun zweifellos als Erfolgsgeschichte bezeichnet werden. Frieden, Freiheit und Wohlstand sind die Parameter diese Erfolgsgeschichte.
Nach den schweren Nachkriegsjahren und selbst in den langen Zeiten des Kalten Krieges konnte sich Österreich diesen Frieden, nicht zuletzt durch die ursprünglich dem Lande aufgezwungene „immerwährende Neutralität“ erhalten. Frieden in jenem Sinne, dass man in keinerlei kriegerische Ereignisse verwickelt wurde, bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass der innere Frieden damit gleichzeitig gewährleistet ist. Auch die kollektive Freiheit, die sich zu allererst in der Souveränität des eigenen Staatswesens äußert, muss noch lange nicht individuelle Freiheit für den einzelnen Staatsbürger, insbesondere im Bereich der Meinungsfreiheit bedeuten.

Dennoch, im Vergleich zu anderen historischen Epochen und anderen Weltgegenden ist Österreich, ist die Zweite Republik eine Erfolgsgeschichte. Österreich ist nach wie vor eines der reichsten Länder der Erde, verfügt wohl über die relativ höchste Lebensqualität, eine hohe Lebenserwartung der Bevölkerung und einen hohen Bildungsstand, sowie weitgehend sozialen Frieden und nach wie vor ein hohes Maß an innerer Sicherheit. Dennoch zeigen alle aktuellen Indikatoren in Hinblick auf Frieden, Freiheit und Wohlstand nach unten. Im zwischenstaatlichen Bereich wissen wir, dass der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist. Die Illusion vom ewigen Frieden zwischen den europäischen Nationen müssen wir uns abschminken. Und der innere Frieden ist längst gefährdet durch eine Massenzuwanderung illegaler Migranten, die nicht in unser Rechtssystem integrierbar sind, und durch die Bildung von Parallelgesellschaften, die eine Konflikt- und Ghetto-Gesellschaft erzeugen.

Was die Freiheit betrifft, so, so haben uns die staatlichen Maßnahmen während der Corona-Zeit bewiesen, wie schnell Bürgerrechte außer Kraft gesetzt werden können. Die in weiten Bereichen Europas, insbesondere in Deutschland und in Österreich, regierenden Grünen sind jene politische Kraft, die zunehmend für Verbote, Vorschriften und ein paternalistisches Gesellschaftssystem mit autoritären Tendenzen eintreten. Unter dem Vorwand der Klimakrise, der Pandemie und nunmehr der Energiekrise setzen sie es durch, dass die freie Marktwirtschaft durch planwirtschaftliche Eingriffe außer Kraft gesetzt wird, dass die Bürgerrechte durch polizeistaatliche Kontrollsysteme eingeschränkt werden und die Meinungsfreiheit durch eine zunehmend totalitär auftretende political correctness unterbunden wird.

Im Falle Österreichs nunmehr ergibt sich so etwas wie ein europäischer Sonderfall, da die Zweite Republik ja erst in den Nachkriegsjahren die Entstehung einer eigenständigen ethnisch und kulturell unabhängigen Nation, der „österreichische Nation“ also, betrieben hat. Wenn die Staatsräson der Ersten Republik die Behauptung war, der „bessere deutsche Staat“ zu sein, so sollte die eigentliche Staatsräson der Zweiten Republik die Feststellung sein, alles andere nur kein deutscher Staat zu sein. Zwar sprachen und sprechen die historischen und die ethnisch kulturellen Faktoren, aber auch die ökonomischen und kommunikatorischen Bindungen gegen eine solche Behauptung – man könnte sogar sagen, Österreich war nie so deutsch wie heute – dennoch fand in den letzten Jahrzehnten so etwas wie „nation building“ statt. Im Bewusstsein breiter Teile der österreichischen Bevölkerung ist die Existenz einer „österreichischen Nation“, die eben nicht mehr Teil der deutschen Nation ist, ein Faktum.

Geradezu skurril ist es allerdings, dass die staatstragenden Kräfte der Zweiten Republik, die so vehement für die Existenz einer eigenständigen „österreichischen Nation“ eingetreten sind, nunmehr seit langen Jahren deren Zerstörung zulassen oder sogar aktiv unterstützen. Da ist einmal die von Brüssel aus betriebene Europäisierung, die die Souveränität der Republik massiv untergräbt, und zum anderen ist da die Globalisierung, die die ökonomische Eigenständigkeit unseres Landes relativiert hat und die Auflösung unserer kulturellen Identität vorantreibt. Und dazu kommt die Massenzuwanderung außereuropäischer Menschen, die die ethnische und kulturelle Substanz der autochthonen Bevölkerung nicht nur massiv verändert, sondern sogar zu zerstören droht. In ethnischer und demographischer Hinsicht also bleibt von der eigenständigen „österreichischen Nation“ in wenigen Generationen nicht mehr viel übrig.

Aber die Kultur, könnte man einwenden, in kultureller Hinsicht bleibt Österreich doch eine Großmacht. Im Bereich der Hochkultur verfügen wir noch immer über die besten Theater und über spektakuläre Festspiele. Was die Volkskultur betrifft, gibt es ja nach wie vor quer übers Land Chöre und Blaskapellen, Trachtengruppen und Volkstänzer. und in Hinblick auf die zeitgenössische Kultur sind wir doch noch immer ein Land kreativer Köpfe, hervorragender Architekten, bedeutender Maler und noch großartigerer Musikschaffender.

Gut und schön, muss man nunmehr skeptisch einwenden: Im Bereich der Hochkultur ist der Direktor des Burgtheaters, immerhin einst das deutsche Nationaltheater, ein Kärntner Slowene. Und der Direktor der Staatsoper, angeblich das beste Opernhaus der Welt, ist ein aus Serbien stammen da Ö3-Disk-Jockey. Auf den Bühnen des Landes dominiert ein allzu zeitgeistiges Regietheater und die vielgepriesenen Festspiele sind zumeist Jahrmärkte der Eitelkeit. Was die Volkskultur betrifft, so ist sie halt oft nur mehr folkloristisches Spektakel und Touristenattraktion. Das zeitgenössische Kunstschaffen oszilliert zwischen Provinzialismus und Großmannssucht. So bleibt also auch von der kulturellen Identität Österreichs weniger, als es auf den ersten Anschein aussieht.
Was schließlich die politische Identität der Republik betrifft, so ist man gerade gegenwärtig dabei, deren primäres Identitätsmerkmal, nämlich die immerwährende Neutralität, vollends auszuhebeln. Einerseits wurde uns diese natürlich von den Siegermächten, insbesondere von der Sowjetunion, im Staatsvertrag von 1955 aufgezwungen. Andererseits wurde sie Jahrzehnte später, als sie längst ein verinnerlichter Teil der österreichischen Identität geworden ist, durch den Beitritt zur Europäischen Union bereits ganz wesentlich aufgeweicht. Und nunmehr, im Zuge des Ukrainekrieges, müssen wir feststellen, dass die Bundesregierung trotz verbaler Bekenntnisse zu eben dieser Neutralität de facto als Trittbrettfahrer der NATO und der USA die Sanktionen der Europäischen Union einigermaßen sklavisch nachvollzieht. Eine Neutralität nach Schweizer Muster, wie sie Österreich immer ihr Eigen nennen wollte, sieht anders aus.

Insgesamt also scheint es so, als würde sich Österreich gegenwärtig abschaffen. Die Zweite Republik, die für sich in Anspruch nehmen konnte, ein Garant für Frieden, Freiheit und Wohlstand der Bevölkerung zu sein, scheint auf dem besten Wege zu sein, genau diese Errungenschaften preiszugeben. Der äußere Frieden ist gefährdet, der innere längst dahin. Die Freiheit wird uns von grünen ultralinken Sektierern eingeschränkt. Und der Wohlstand wird von der drohenden Rezession und einer massiven Inflation aufgefressen.

Unsere kulturelle Identität ist durch Massenzuwanderung und Nivellierung massiv gefährdet, unser Sozialsystem ist längst nicht mehr finanzierbar und unsere staatliche Souveränität scheint auch nur mehr Makulatur zu sein. Was bleibt also von Österreich, von diesem Land, das wir lieben, für das unsere Ahnen über Generationen mit Blut, Schweiß und Tränen gearbeitet, gelitten und gekämpft haben, für das wir lebenslang Steuern gezahlt haben und das wir für unsere Kinder erhalten müssen? Was bleibt davon?


Neutralität und ­Landesverteidigung: Realität und Vision

17. März 2022

Gut 70 Prozent der Österreicher sind laut aktuellen Umfragen für die Beibehaltung der Neutralität. Und nahezu genauso viele Menschen sprechen sich dafür aus, dass unsere Alpenrepublik Teil eines europäischen Verteidigungssystems werden solle. Für den Beitritt in eine US-dominierte NATO ist also, wenn überhaupt, nur eine Minderheit.
Tatsächlich gab es vor gut 20 Jahren, während der ÖVP-FPÖ-Koalition unter Wolfgang Schüssel und Susanne Riess-Passer, eine kurze Phase, in der sich eine Europäisierung des Nordatlantikpaktes und damit eine Emanzipation der Europäer von der US-amerikanischen Dominanz andeutete. Damals schien es so, als könnte sich die NATO zu einem auf die EU-Staaten reduziertes Verteidigungsbündnis entwickeln. Der Kauf der 24 Eurofighter durch die ÖVP-FPÖ-Koalition – eigentlich war es ja eine FPÖ-ÖVP-Regierung – sollte eigentlich so etwas wie ein österreichischer Beitrag zu einer europäischen Luftraumverteidigung sein und die damals andiskutierten Battlegroups der Europäischen Union wären wohl als Kern einer europäischen Armee gedacht gewesen. Wie eine solche EU-Armee im Hinblick auf die Militärpotenziale der beiden Atommächte Großbritannien und Frankreich funktioniert hätte, war damals noch nicht einmal andiskutiert worden. Auf jeden Fall hätte eine EU-Armee mit einem Nuklearpotenzial der beiden Atommächte die Stärke entwickeln können, um den anderen militärischen Großmächten gleichwertig zu sein.
Nein, es kam anders: Bei allen militärischen Fehlschlägen und bei allen militärischem Chaos, das die US-Streitkräfte bei ihren globalen Einsätzen zwischen Afghanistan und Lateinamerika hinzunehmen hatten, blieb die Dominanz der Amerikaner innerhalb des Nordatlantikpaktes nicht nur bestehen, sie verstärkte sich sogar wieder. Unter dem Präsidenten Donald Trump schien es so, als würden sich die Amerikaner wieder auf die Monroe-Doktrin und auf eine „splendid desolation“ zurückziehen. Nunmehr, unter dem demokratischen Präsident Biden, ist es wieder ganz anders – insbesondere im Hinblick auf den geopolitischen Gegner Russland. Historisch gesehen waren es überhaupt zumeist demokratische US-Präsidenten, die Amerika in Kriege und weltweite militärische Konflikte verwickelten. Joe Biden ist nur ein weiterer in dieser Reihe und er hat mit der von den Amerikanern massiv betriebenen NATO-Osterweiterung weit in Bereiche des ehemaligen Warschauer Pakts, ja der ehemaligen Sowjetunion hinein, nahezu so etwas wie eine Einkreisung Russ­lands betrieben. Die Reaktionen der Europäischen Union, aber auch der stärksten europäischen Mächte Frankreich und Deutschland sowie das aus der EU ausgetretenen Vereinigte Königreich in der aktuellen kriegerischen Auseinandersetzung um die Ukraine zeigen deutlich, dass die Europäer hier innerhalb der NATO den US-amerikanischen Vorgaben geradezu sklavisch folgen.
Aufgerüttelt wurden die Europäer, insbesondere die Deutschen, aber auch die neutralen Österreicher durch den Ukrainekrieg insofern, als sie sich eingestehen mussten, dass ihre jeweiligen Armeen in keiner Weise verteidigungsfähig wären und allfälligen Angriffen von außen nichts entgegen zu setzen hätten. Zwar gab und gibt es keinerlei Anzeichen und nicht die geringsten Indizien für russische Angriffsabsichten auf EU-Staaten und NATO-Mitglieder, dennoch war dieser Weckruf offenbar fruchtbar und bitter notwendig. Die deutsche Regierung unter Olaf Scholz stellte sofort 100 Milliarden Euro für die Wiederaufrüstung der Bundesregierung in Aussicht und auch in Österreich war man plötzlich bereit, das minimale Wehrbudget zu erhöhen. Und dann gab es sogar Stimmen innerhalb der Alpenrepublik, die erklärten, nur ein NATO-Beitritt könnte dem Land Sicherheit bescheren.
Nun wissen wir, dass die immerwährende Neutralität, die wir im Umfeld des Staatsvertrages auf sowjetischen Druck hin auf uns nahmen, im Lauf der Jahre zu einem offenbar von der Mehrheit der Bevölkerung geschätzten Teil der österreichischen Identität wurde. Sicherheitspolitisch stellte sie während des Kalten Krieges natürlich eine Lebenslüge dar, da das Bundesheer auch damals nicht in der Lage gewesen wäre, einem Angriff aus dem Bereich des Warschauer Pakt stand zu halten. Insgeheim war man sich in Kreisen des österreichischen Bundesheers damals klar, dass man im Kriegsfalle nur einen Hilferuf an die NATO hätte absetzen können und vielleicht kurzen Widerstand zu leisten im Stande gewesen wäre. Und das hat sich nach dem Ende des Kalten Krieges in keiner Weise gebessert. Als Teil der Europäischen Union, umringt von NATO-Mitgliedern, wähnte man in Wien, auch in Kreisen des Bundesheers, dass die militärische Landesverteidigung eigentlich nicht mehr so wirklich ernst zu nehmen wäre. Das Bundesheer sei eine bessere Zivilschutzorganisation, eine bessere Feuerwehr, die im Katastrophenfall Hilfsdienst leisten müsse, allenfalls im Assistenzeinsatz an der Staatsgrenze illegale Migranten abzufangen habe. Mittels unzähliger Reformen seit der Ära Kreisky hatte man das Heer in langen Jahrzehnten ausgedünnt, seine Bewaffnung ist veraltet, das Konzept der Miliz hat man schlicht und einfach schubladisiert und sogar die allgemeine Wehrpflicht war zeitweise in Frage gestellt. Durch die Möglichkeit zum Zivildienst und durch die übertrieben vorsichtigen Kriterien bei der Assentierung der Wehrpflichtigen wurde diese allgemeine Wehrpflicht ohnedies massiv ausgehöhlt. Und so ist das Heer zum heutigen Tag nur noch bedingt einsatzfähig, verfügt weder über moderne Waffen, noch über eine wirklich funktionierende Luftüberwachung, hat dem Vernehmen nach kaum die nötigen Treibstoffe für die Fahrzeuge und die für einen Einsatz notwendige Munition.
Angesichts dieser Fakten, was die Neutralität und die tatsächliche Wehrbereitschaft des Landes betrifft, gilt es Zukunftsstrategien zu entwickeln, die die Republik einerseits tatsächlich verteidigungsfähig machen und die andererseits einen längst überfälligen Aufbau eines europäischen militärischen Sicherheits- und Verteidigungssystems ermöglichen. Sollten die schönen Worte seitens der verantwortlichen Politik tatsächlich wahr werden und ein adäquates Budget für die Landesverteidigung bereitgestellt werden, müsste das Bundesheer möglichst rasch – auch das müsste zweifellos Jahre dauern – nach Schweizer Muster aufgerüstet werden. Massive Investitionen müssten in die Ausrüstung und die Ausbildung des Kaderpersonals fließen, das gewissermaßen als Berufsarmee den Kern einer breit aufgestellten Milizarmee bildet.
Für eine solche Milizarmee müsste die allgemeine Wehrpflicht auf eine allgemeine Dienstpflicht für alle jungen Staatsbürger erweitert werden. Junge Männer wie junge Frauen sollten im Zuge dieser Dienstpflicht verpflichtete werden, ein Jahr entweder im Wehrdienst oder im Sozialdienst und im Zivilschutz staatsbürgerliche Solidarität zu leisten. Es gibt kein stichhaltiges Argument, warum diese Dienstpflicht für Frauen nicht gelten sollte, da es längst die Gleichstellung von Mann und Frau in allen rechtlichen und sozialen Bereichen durchzusetzen gilt. Selbstverständlich wäre eine solche Milizarmee völlig gleichwertig auch für Frauen offen und müsste im Vergleich zu den sozialen Diensten und jenen im Bereich des Zivilschutzes mit gewissen Vorteilen finanzieller Natur ausgestattet sein, um die entsprechende Mannschaftsstärke zu gewährleisten. Eine solch modern aufgerüstete und bestens ausgebildete Milizarmee mit einer Berufsarmee im Kern, sollte willens und fähig sein, das Land selbständig zu verteidigen. Damit wäre sie aber auch ein Garant für die militärische Neutralität Österreichs, so lange diese aufrechterhalten wird.
Wenn die Europäische Union in der Lage wäre, sich zu einem „global player“ auch in sicherheitspolitischer Sicht zu entwickeln, wäre dazu naturgemäß die Emanzipation von den US-Amerikanern vonnöten. Ob dies nun durch eine Europäisierung des Nordatlantikpaktes oder durch ein Austreten der Europäer aus demselben wäre, ist zweitrangig. Auch wenn weiter so etwas wie eine transatlantische Wertegemeinschaft der demokratisch organisierten großen Mächte, also der USA und Europas, existieren muss, wäre ein eigenständiges sicherheitspolitisches und geopolitisches Agieren der Europäischen Union als Voraussetzung der Wahrung der eigenen Interessen unverzichtbar. Und dies wäre natürlich auch die Voraussetzung, um die österreichische Neutralität in militärischer Hinsicht zugunsten der Teilhabe an einer EU-Armee aufzugeben.
Bereits seit dem EU-Beitritt gilt ja die einigermaßen realitätsferne These, dass die Neutralität Österreichs zwar weiter bestehe, dass sie aber zugunsten einer europäischen Solidarität im Falle des militärischen Ernstfalles obsolet wäre. Bei der Schaffung eines europäischen Sicherheits- und Verteidigungssystems, dessen Teil auch das österreichische Bundesheer sein müsste, wäre unsere Neutralität, ebenso wie jene der anderen bislang neutralen EU-Staaten Irland, Schweden und Finnland, wohl hinfällig. Was dieser Tage der vormalige Spitzenmilitär Höfler sagte, wonach es für Österreich gegenwärtig nur zwei Möglichkeiten gäbe, nämlich eine adäquate Aufrüstung des Bundesheeres oder den NATO-Beitritt, wäre somit überholt. Eine entsprechende und effektive Aufrüstung unserer Armee unter vorläufiger Beibehaltung der Neutralität bis zur Schaffung eines gesamteuropäischen Sicherheits- und Verteidigungssystems wäre vielmehr einzige realistische, aber auch visionäre Möglichkeit, das Land sicherheitspolitisch stabil zu halten. Und diese Armee müsste dann eben in dieses europäische Sicherheitssystem eingegliedert werden und könnte dort als integrativer Bestandteil und als Beitrag Österreichs sinnvoll militärische Potenz entwickeln. Der pseudopazifistische Traum vom ewigen Frieden ist ausgeträumt, das sehen wir in diesen Tagen. Sicherheitspolitische Erfordernisse für unsere Republik, aber auch für das gemeinsame Europa, müssen nun raschest bewerkstelligt werden. Ansonsten laufen wir, nicht nur Österreich, sondern die Länder der Europäischen Union insgesamt, Gefahr, zu drittklassigen Trittbrettfahrern der Weltpolitik zu werden.


Eine Nation schafft sich ab

22. Oktober 2020

Gedanken zum österreichischen Nationalfeiertag

Wenn Österreich am 26. Oktober alljährlich seinen Nationalfeiertag begeht, ist dies der Tatsache geschuldet, dass gesamtgesellschaftlich weitgehend die Existenz einer eigenständig österreichischen Nation akzeptiert wird. Dies ist bekanntlich erst seit wenigen Jahrzehnten der Fall. Wenn es in der Habsburger Monarchie völlig unbestritten hieß, dass das Gebiet der heutigen Republik Österreich das Territorium der deutschen Erblande des Kaiserhauses sei, wenn es in der Ersten Republik noch ebenso unbestritten hieß, Österreich verstehe sich als der „bessere Deutsche Staat“, so entwickelte man nach der Niederlage Hitler-Deutschlands und der Wiederbegründung der Republik im Jahre 1945 zunehmend die Vorstellung, dass Österreich eine ethnisch und kulturell eigenständige Nation sein solle und müsse.
Da argumentiert man, dass man ethnisch in Folge der alten Monarchie so etwas wie ein Mischvolk sei und dass auch die Kultur unverwechselbare eigene Züge träge, die uns von der deutschen Kulturnation abtrennen würden. Ebenso hieß es sarkastisch: „Was uns von den Deutschen trennt, ist die gemeinsame Sprache“, wobei man tatsächlich versuchte, ein eigenständiges österreichisches Deutsch zu entwickeln. Insgesamt jedenfalls setzte man, von der alten Herder’schen Konzeption der Sprach- und Kulturnation abgehend, auf das Konzept einer eigenständigen Staatsnation. Und während der 26. Oktober ursprünglich als „Tag der Fahne“, dann als „Staatsfeiertag“ gefeiert wurde, ist er nunmehr – weitestgehend unbestritten – seit Jahrzehnten eben unser Nationalfeiertag.
Kaum begründet und allgemein akzeptiert, scheint sich diese Nation aber nunmehr auch schon wieder abzuschaffen. Und dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Einerseits natürlich die Europäisierung. Wer von den „Vereinigten Staaten von Europa“ träumt, überdies gar von einem europäischen Nationalbewusstsein, ist implizit bereit, ein eigenes separates Nationalbewusstsein preiszugeben. Das steht außer Frage. Die ökonomische Globalisierung und die weltweite Kommunikation und Mobilität führen zusätzlich dazu, dass sich regionales Sonderbewusstsein relativiert, wenn nicht gar wieder auflöst. Ein kleinstaatliches Nationalbewusstsein, wie es seit 1945 im Zuge der Konstituierung der österreichischen Nation propagiert wurde, hat dem gegenüber verständlicherweise eine zunehmend schwache Prägekraft.
Auch der bereits seit den Fünfzigerjahren stets steigende intensive ökonomische Austausch zuerst mit der Bundesrepublik Deutschland und dann, nach 1989/90, mit dem wiedervereinigten Deutschland führte dazu, dass die Konstituierung einer eigenen österreichischen Nation als Antagonismus zur alten deutschen Volks- und Kulturnation zunehmend schwierig wurde. Die menschlichen Querverbindungen durch Österreicher, die in Deutschland leben und arbeiten und umgekehrt, sowie der intensive mediale Kontakt führten dazu, dass eine ethnisch und insbesondere kulturell eigenständige österreichische Nation zunehmend unrealistisch und unrealisierbar wurde. Intensive gegenseitige Arbeitsmigration und ein nach ökonomischen Notwendigkeiten geformter Medien-Markt bedingen die weitgehende Kongruenz einer gerne zitierten Österreichischen Kulturnation mit der gesamten „German speaking world“.
Abgesehen von diesen Faktoren ist es aber die Massenmigration aus dem nichteuropäischen Bereich, welche die junge österreichische Nation in den letzten Jahrzehnten zunehmend infrage stellt. Erst jüngst wieder bei der Wiener Landtags- und Gemeinderatswahl wurde deutlich, dass tendenziell nahezu die Hälfte der Wohnbevölkerung der österreichischen Bundeshauptstadt mit nichtdeutscher Muttersprache sich keineswegs als Angehörige einer österreichischen Kulturnation empfinden kann. Dies ist sogar nach den Kriterien der viel beschworenen Integration für weite Bereiche der Zuwanderer-Population denkunmöglich.
Beispielsweise können sich auch noch so gut integrierte Türken – und auch solche mit guten Sprachkenntnissen und österreichischer Staatsbürgerschaft – wohl kaum als Angehörige der österreichischen Nation fühlen. Gerade sie empfinden sich weitestgehend nach wie vor als nationalstolze Osmanen.
Und ähnlich dürfte es sich bei den meisten anderen Zuwanderungspopulationen verhalten. Ausnahme davon sind allenfalls jene Migrantengruppen, die aus dem benachbarten Bereich Österreichs stammen, die ehemals zu Habsburger Monarchie gehörten: Serben, Kroaten, Slowenen, Ungarn, Tschechien und Slowaken dürften sich weit schneller integrieren, ja assimilieren und könnten sich somit sehr wohl als integrierte Teile einer österreichischen Staatsnation empfinden – trotz ihrer andersnationalen Wurzeln.
Wer nun argumentieren wollte, dass gerade die österreichische Nation als Frucht des alten kakanischen Völkergemischs eine Zuwanderungsnation durch Integration verschiedenster Völkerschaften aus aller Welt sein könnte, übersieht, dass die meisten Zuwendungspopulationen ihre National­sitten und Gebräuche, ihre Wurzeln und ihre Sprache keineswegs aufgeben wollen, sondern weit eher dazu neigen, Parallelgesellschaften zu bilden, um sich solcherart gewissermaßen als neue Volksgruppen innerhalb des österreichischen Staatsgefühles zu konstituieren.
Diese Zuwanderungs-Communities – und davon gibt es dutzende, mit jeweils mehr als etwa 10.000 Menschen – haben jedes andere Interesse, nur nicht jenes, sich in eine österreichische Volks- und Kulturnation zu integrieren. Österreichische Staatsbürger sein, das österreichische Sozialsystem zu nutzen, das natürlich ja! Aber einen Assimilationsprozess durchzumachen, um wirklich integrierter Bestandteil einer österreichischen Kulturnation zu sein – dieses Interesse besteht mit Gewissheit in nur höchst geringem Maße.
Wenn also die autochthonen Österreicher durch weitere Massenzuwanderung und weit größeren Kinderreichtum der Zuwanderungspolulationen in wenigen Generationen zur Minderheit im eigenen Lande zu werden drohen, könnte sich eine eigenständige österreichische Nation als eher kurzlebiges Konstrukt erweisen, das in einem multikulturellen, multiethnischen und multichaotischen Europa, in einer destabilisierten Konfliktgesellschaft obsolet wäre.
Staatsbürgerliche Loyalität beziehungsweise auch Respekt von Zuwanderern ohne Staatsbürgerschaft, könnte die Republik sehr wohl von der gesamten Wohnbevölkerung verlangen. Mögen sich die autochthonen Österreicher in ihrer großen Mehrheit einer österreichischen Nation zugehörig fühlen, ein kleiner Teil von ihr vielleicht noch der alten deutschen Kulturnation, so sollte diese Loyalität und dieser Respekt auch von den Menschen mit Migrationshintergrund eingefordert werden. Die Hoffnung, dass dieser früher oder später ein integrierter Bestandteil einer österreichischen Kulturnation wird, kann daneben bestehen bleiben, allerdings dürfte dies einen länger andauernden Zeithorizont erfordern. „Nation-Building“ ist nämlich ein Prozess, der nicht von heute auf morgen vonstatten geht. Und diese politische, aus Opportunität­ geborene Idee einer österreichischen Nation, als Abkopplung von der deutschen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Zusammenbruchs des Deutschen Reiches, ist wohl selbst noch so wenig gefestigt und historisch noch so wenig gesichert, dass die zusätzliche Integration von Menschen mit Migrationshintergrund aus dem außereuropäischen Bereich überaus schwierig sein dürfte.
Ob also eine österreichische Nation Mitte dieses Jahrhunderts noch existent sein wird, ist alles andere als gewiss.


Die Regierung als Wehrdienstverweigerer

30. Juli 2020

Es scheint unausgesprochene Regierungslinie – abgemacht zwischen Türkis und Grün – zu sein, unser Bundesheer auf ein technisches Hilfswerk, allenfalls auf eine Katastrophenschutz-Truppe und eine Hilfspolizei zu reduzieren. Die militärische Landesverteidigung, wie sie uns von der Verfassung und aufgrund der immerwährenden Neutralität vorgeschrieben ist, und damit eine klassische Armee, ist für unsere gegenwärtig Regierenden offenbar verzichtbar. Die einigermaßen skurril auftretende Verteidigungsministerin, Frau Tanner, scheint für diese Pläne nur das ziemlich untaugliche Sprachrohr darzustellen. Bereits in den Tagen von Corona haben wir gesehen, wohin das Ganze führen soll: Da werden Grundwehrdiener als Hilfspolizisten an den Grenzen eingesetzt und Milizsoldaten spielen „Packelschupfer“ in Postverteilungs-Zentren. Brauchbare moderne Panzer gibt es ohnedies längst nicht mehr, und unsere letzten Düsenflugzeuge sollen nach Indonesien (!) verhökert werden. Kasernen werden geschlossen und der ohnedies überaltete Fuhrpark rostet vor sich hin, weil das Geld für den Sprit nicht mehr vorhanden ist. Junge Männer, die noch im geradezu naiv anmutenden Glauben sind, eine patriotische Pflicht erfüllen zu müssen, indem sie ihren Wehrdienst ableisten, verlieren dadurch nur sechs Monate ihrer Lebenszeit – und das offenbar schon völlig sinnlos –, wenn es nach unserer Bundesregierung geht. Bezeichnend und sogar erfreulich ist da, dass sich gegen diese Pläne unkonventionelle politische Allianzen bilden. Da tun sich die beiden vormaligen Verteidigungsminister Doskozil und Kunasek, der eine ein in der Wolle gefärbter Roter, der andere ein Spitzen-Blauer, zusammen, um gemeinsam mit dem ehemaligen Generalstabschef Entacher, der als SPÖ-nahe gilt, gegen die Demontage des Bundesheeres zu demonstrieren. Und sie stehen damit natürlich absolut auf dem Boden der Verfassung und des Neutralitätsgesetzes, während die Bundesregierung offenbar glaubt, diese missachten zu können.
Entacher sprach es in diversen Zeitungsinterviews pointiert aus: „Bubis und Bobos sind gegen das Bundesheer.“ Mit Bubis meint er offenbar die Buberlpartie des türkisen Bundeskanzlers Kurz und dessen Beratertruppe. Diese scheint ja tatsächlich den traditionell bundesheerfeindlichen grünen „Bobos“ entgegenzukommen.
Letztere haben ja bereits als junge Linke, als sie noch „revolutionäre Marxisten“, „Maoisten“ oder „Trotzkisten“ waren, skandiert: „Bundesheer ist ungeheuer, erstens Scheiße, zweitens teuer.“ Und diese Haltung scheint sich nunmehr in der Bundesregierung durchgesetzt zu haben.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer ist es, dass der Bundespräsident als Oberbefehlshaber des Heeres bei der vorschnellen Bekanntgabe dieser Pläne durch die Verteidigungsministerin ablehnend reagierte.
Dies vielleicht zwar nur deshalb, da diese Pläne nicht mit ihm abgesprochen waren. Nachdem das Staatsoberhaupt ja auch aus diesen grünen Reihen kommt, könnte man annehmen, dass er mit der grünen Ablehnung der Wehrpflicht und der militärischen Landesverteidigung insgeheim sympathisiert. Andererseits hat gerade der vormalige Verteidigungsminister Starlinger, bekanntlich der militärische Adjutant des Bundespräsidenten, in seiner kurzen Amtszeit während der Beamten-Regierung am klarsten die Mängel des gegenwärtigen Bundesheers und dessen Unterfinanzierung aufgezeigt und auch deutlich signalisiert, was es für eine vernünftige Landesverteidigung bräuchte.
In früheren Zeiten wurde immer wieder die wehrhafte Neutralität der benachbarten Schweiz als Vorbild für Österreich zitiert. Und obwohl die Schweiz, so wie Österreich auch, von friedliebenden und befreundeten EU-Nachbarstaaten umgeben ist, leistet man sich bis zum heutigen Tag eine effiziente und gut ausgerüstete Armee und nimmt die allgemeine Wehrpflicht ernst. In Österreich hingegen hat man die Armee seit ihrer Aufstellung in den späten 50er-Jahren niemals wirklich ausreichend finanziert. Man hat sie vielmehr mit zahllosen Scheinreformen zu Tode umstrukturiert.
Und man hat damit jene jungen Österreicher, die ihre patriotische Pflicht, nämlich den Wehrdienst, geleistet haben, missbraucht. Und in einem – gegenwärtig zwar nicht sehr wahrscheinlichen – militärischen Ernstfall würde man sie auch kaltlächelnd verheizen, da sie kaum ausgebildet und nicht zeitgemäß bewaffnet wären.
Neu ist nun aber doch, dass sich eine Bundesregierung nunmehr ganz offiziell zum Wehrdienstverweigerer macht.


Statt Wehrpflicht: Ein allgemeines Österreich-Jahr und ein modernes Berufsheer

6. September 2012

Die vormalige Wehrpflicht nur für junge Männer ist Geschichte. Stattdessen brauchen wir ein allgemeines „Österreich-Jahr“, eine Dienstpflicht für alle jungen Staatsbürger, in deren Rahmen der bisherige Zivildienst, der Katastrophen- und Zivilschutz, die Altenpflege, Familien- und Erntehilfe, aber auch ein territoriales Milizsystem als Heimat- und Grenzschutz einbezogen werden könnte. Und wir brauchen ein zeitgemäßes, kleines aber effizientes Berufsheer im Rahmen einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik samt einer Neubewertung der traditionellen österreichischen Neutralität.

Österreich – gelebte Gemeinschaft
In einer Gesellschaft, in der Egomanen, Selbstdarsteller, Ich-AGs, Egozentriker und Selbstverwirklicher dominieren, in der der Singlehaushalt zum primären Lebensmodell zu werden droht, ist es hoch an der Zeit, wieder Gemeinschaft zu fördern und Gemeinsinn einzufordern. Österreich als historisch gewachsener Staat, die Republik als Institution, bieten ihren Bürgern und den übrigen darin lebenden Menschen Frieden, Freiheit und Wohlstand, Demokratie, Mitbestimmung, Bildung und soziale Sicherheit. Diese hohen Güter – keineswegs selbstverständlich in einer chaotischer werdenden Welt – haben ihren Preis und wollen verdient sein.

Nach dem Kennedy’schen Prinzip „frage nicht was dein Land für dich tut, sondern was du für dein Land tun kannst“ sollte man daher für jeden Österreicher die staatsbürgerliche Pflicht definieren, am Beginn des Erwachsenenalters ein Lebensjahr für die Res Publica, für die Gemeinschaft einzusetzen. Ein solches „Österreich-Jahr“ für junge Männer wie für junge Frauen mit einer Art von staatsbürgerlicher „Grundausbildung“ zu Beginn würde einerseits das Verständnis zwischen den verschiedenen sozialen Schichten, zwischen Arm und Reich, zwischen den Berufen mit körperlicher Arbeit und jenen mit geistiger Arbeit wiederherstellen. Andererseits wäre ein solches „Österreich-Jahr“ die Möglichkeit, die Probleme der Sozialarbeit, der Kranken- und Altenbetreuung, sowie des Zivilschutzes auf eine Art und Weise zu lösen, die dem ohnedies kaum zahlungsfähigen Staatswesen zusätzliche Kosten ersparen würde. Staatsbürgerlicher Gemeinsinn, gemeinschaftsbezogener Altruismus und soziales Empfinden sowie der Stolz auf die eigene soziale und staatsbürgerliche Leistung sollten das individuelle pädagogische Ziel dieses „Österreich-Jahrs“ sein.

Warum auch Frauen?
Während die Wehrpflicht bekanntlich bislang nur die junge Männer betraf, sollte eine solche allgemeine staatsbürgerliche Dienstpflicht alle Staatsbürger beiden Geschlechts betreffen. Das herkömmliche Argument, dass die Mädchen ihre Gemeinschaftsleistung durch das Gebären und Erziehen von Kindern erbrächten, ist längst hinfällig. Zum einen weil viele junge Frauen keine Kinder mehr kriegen oder maximal eines, zum anderen weil es dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht, allzumal die Männer in ihrer Väterrolle die gleiche Familien- und Erziehungsleistung erbringen sollen wie die Mütter.

Allerdings gilt es im Sinne einer pronatalistischen Familienpolitik auch im Zuge der Einführung einer solch allgemeinen Dienstpflicht im Zuge dieses Österreich-Jahrs den Mut zum eigenen Kind zu fördern. So könnte man jungen Staatsbürgerinnen einen Aufschub des „Österreich-Jahres“ bis zum 25. Geburtstag gestatten und im Falle der Geburt eines eigenen Kindes gänzlich erlassen. Oder man könnte Müttern, die ihre Kinder erst später bekommen, als Ausgleich für ihr zuvor geleistetes Dienstpflicht-Jahr ein bis drei Jahre gratis Kinderbetreuung durch eine oder einen Dienstpflicht-Leistenden gewähren.

„Österreich-Jahr“ für soziale Dienste
Bekanntlich hat der bisherige Zivildienst, der im Rahmen der allgemeinen Wehrpflicht als Ersatzdienst angepriesen wurde, bereits bisher einen großen Bereich der sozialen Aufgaben der öffentlichen Hand mitgeleistet und mitermöglicht. Im Zuge eines allgemeinen „Österreichs-Jahrs“ unter Miteinbeziehung der jungen Frauen könnten diese sozialen Dienste erheblich ausgeweitet werden. Nicht nur das Rote Kreuz und die Krankenanstalten, auch die zunehmend wichtiger werdende Altenpflege könnte man damit in den Griff bekommen. Bekanntlich ist insbesondere die Altenpflege gegenwärtig nur unter Einbeziehung illegaler oder halb legaler Zeitarbeiterinnen aus den östlichen Nachbarländern zu bewältigen. Dieser auf Dauer unhaltbare und auch moralisch und sozial fragwürdige Zustand wäre mit der Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht zu lösen.

Nicht nur das Verhältnis zwischen sozialen Schichten und verschiedenen Berufsständen und das Ungleichgewicht zwischen jungen Männern und jungen Frauen wäre mit so einer allgemeinen Dienstpflicht im positiven Sinne zu beeinflussen, sondern auch das Verhältnis zwischen den Generationen, zwischen Jung und Alt.

„Österreich-Jahr“ für Zivilschutz
Jene 12.000 Wehrpflichtigen, die gegenwärtig als minimale Anzahl für die Katastrophenhilfe in Österreich genannt werden, könnten durch die Dienstverpflichtung im Rahmen des „Österreich-Jahrs“ locker abgedeckt werden. Wenn durch den Klimawandel und andere Umwelteinflüsse die Häufigkeit und die Gefährlichkeit von Naturkatastrophen auch im Alpenraum zunehmen, erfordern die Notwendigkeiten des Zivilschutzes ohnedies wachsende Anstrengungen des Staates. Verheerende Stürme, Überflutungen und Vermurungen, Dürreperioden oder – im Winter – Lawinenkatastrophen und Ähnliches haben auch im Alpenraum eine neue und gefährliche Dimension angenommen. Der Zivilschutz ist somit eine der großen Hausforderungen der kommenden Jahrzehnte.

Das „Österreich-Jahr“ könnte für viele junge Staatsbürger den Einstieg in die entsprechenden Freiwilligen-Organisationen wie die Feuerwehr, die Bergwacht, die Wasserrettung und Ähnliches bedeuten. Das Gemeinschaftsdenken, zu dem die jungen Österreicher im Rahmen der einjährigen Dienstverpflichtung erzogen werden sollten, würde sich zweifellos in einem darüber hinausgehenden Engagement in den freiwilligen Hilfsorganisationen auch im Zuge des weiteren Lebensweges auswirken.

„Österreich-Jahr“ für ein Milizsystem
Neben den sozialen Diensten und neben dem Zivilschutz könnten sich die jungen Österreicher im Rahmen ihres Dienstleistungsjahres auch für den Einsatz im Rahmen eines milizartigen, militärischen Heimat- und Grenzschutzes entscheiden. In der Tradition der alten demokratischen Wehrhaftigkeit, wie sie die historische allgemeine Wehrpflicht beinhaltete, sollten hier die jungen Dienstpflichtigen – junge Männer wie junge Frauen – einen territorial-verorteten militärischen Heimatschutz vollziehen, der mit moderner aber nur leichter Bewaffnung die bisherigen Traditionen der Milizverbände des Bundesheers fortführt. Leichte Verbände ohne Kampfpanzer und schweres Gerät, luftgestützt nur durch Hubschraubereinheiten, sollten – ähnlich wie die US-amerikanische Nationalgarde – für rein defensive Aufgaben der Regionalverteidigung und des Grenzschutzes ausgebildet werden.

Diese Milizeinheiten im Rahmen des Österreich-Jahrs sollten den demokratischen Traditionen der wehrhaften Demokratie und der souveränen Republik verpflichtet sein.

„Österreich-Jahr“ als Basis für ein Berufsheer
Diese Milizverbände im Rahmen des „Österreich-Jahres“ könnten die Basis für ein kleines aber modern ausgerüstetes Berufsheer bilden. Nach der Absolvierung des Milizdienstes könnten sich die jungen Staatsbürger – ebenfalls wieder Männer wie Frauen – für einen maximal 12 bis 15-jährigen Dienst in einer Berufsarmee melden, der einerseits gut bezahlt sein müsste und andererseits mit der Zusicherung verbunden sein könnte, danach gesichert in den Exekutiveinheiten der Republik einen Arbeitsplatz zu erhalten, also bei Polizei, Zollwache oder dergleichen.

Ein solche Berufsheer eines europäischen Kleinstaates wie es Österreich ist hätte allerdings nur einen Sinn, wenn es in eine gemeinsame europäische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik eingebunden wäre und – militärisch arbeitsteilig – nicht alle militärischen Aufgaben, sondern eben nur jene übernehmen müsste, die aus der geografischen und geopolitischen Situation Österreichs heraus einen Sinn ergeben. Ein österreichisches Berufsheer müsste also im Wesentlichen aus hoch spezialisierten Gebirgs- und Pioniertruppen bestehen, die in der Lage wären gemeinsam mit den Territorial-Einheiten der dienstpflichtigen Milizen einerseits die unmittelbare Landesverteidigung und den Grenzschutz zu gewährleisten, andererseits aber integrierter Bestandteil einer Sicherheits- und Verteidigungsstrategie zu sein.

Die europäische Luftraumüberwachung etwa, sowie das Aufstellen schwerer gepanzerter Verbände oder gar das Unterhalten von Seekriegseinheiten könnte naturgemäß nicht in die Aufgaben eines solchen österreichischen Berufsheers fallen. Bereits der Beitrag des Landes zu einer europäischen Luftraumüberwachung mit kaum mehr als einem Duzend moderner Luftraumüberwachungsflugzeuge ist nur im europäischen Verbund sinnvoll. Ebenso verhält es sich mit schweren gepanzerte Einheiten zur großräumigen Verteidigung gegen etwaige außereuropäische Aggressoren oder zur Sicherung europäischer Interessen auf außereuropäischen Konflikt-Schauplätzen. Hier kann die Beteiligung eines österreichischen Berufsheers nur im europäischen Rahmen stattfinden.

Und auch die Beteiligung österreichischer Berufssoldaten im Rahmen von UN-Einsätzen zur Friedensstiftung oder zur Friedenserhaltung wäre sinnvollerweise nur in Form von leicht bewaffneten spezialisierten Verbänden im Bereich des Gebirgseinsatzes oder von Pionierkräften sinnvoll.

Berufsheer erfordert Neubewertung der Neutralität
Wenn sich Österreich zusätzlich zur einjährigen Dienstverpflichtung für seine jungen Staatsbürger auch zu einem Berufsheer entschließen sollte, erfordert dies zwangsläufig eine neue grundlegende Diskussion über die Neutralität des Landes: Die auf das Jahr 1955 zurückgehende immerwährende und bewaffnete Neutralität ist ohnedies spätestens seit dem EU-Beitritt Österreichs wenn schon nicht obsolet so zumindest relativiert worden. Nachdem eine spezifisch österreichische Berufsarmee nur im Rahmen einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungsstrategie einen Sinn ergibt, müsste man dem die lieb gewordene bewaffnete Neutralität naturgemäß anpassen. Dies kann nichts anderes bedeuten, als dass man innerhalb Europas Solidarität übt und die Neutralität nur mehr für außereuropäische Bereiche gilt.

Das heißt im Falle von Aggressionen gegen EU-Mitgliedsstaaten bzw. gegen im Rahmen der europäischen Integration verbündete Länder müssten zwangsläufig die österreichische Solidarität auch in militärischer Hinsicht erfordern. Eine Berufsarmee, arbeitsteilig organisiert im Rahmen einer gesamteuropäischen Verteidigungs- und Sicherheitsstrategie, würde allerdings auch erfordern, dass umgekehrt die anderen europäischen Bündnispartner ihrerseits solidarisch wären, wenn die Integrität des österreichischen Staatsgebiets gefährdet wäre. Die Verteidigung des europäischen und damit auch österreichischen Luftraums wäre demgemäß nur mit gemeinsamen europäischen Mittel einer gemeinsamen europäischen Luftflotte möglich, während andererseits österreichische Berufssoldaten durchaus in den Karpaten oder in der Zukunft im Kaukasus EU-Außengrenzen verteidigen könnten.

Solidarisch in Europa und neutral im außereuropäischen Bereich würde also die Neuinterpretation der österreichischen Neutralität lauten müssen. Dies würde natürlich voraussetzen, dass solche gesamteuropäischen militärischen Einheiten nicht bloß Erfüllungsgehilfe der NATO wären, sondern tatsächlich einer gemeinsamen europäischen Verteidigung dienen müssten. Eine Emanzipation der gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Außenpolitik vom US-dominierten Nordatlantik-Pakt wäre also die Voraussetzung für eine solche Neuinterpretation der Neutralität und des gesamteuropäischen Engagements einer österreichischen Berufsarmee.

Der gegenwärtige Zustand, nämlich die gewissermaßen rein verbal-erotische Betonung der immerwährenden Neutralität Österreichs bei gleichzeitiger Preisgabe derselben in nahezu allen internationalen Konflikten, ist jedenfalls auf Dauer nicht haltbar. Speziell dann nicht, wenn das Land mittels einer europäisch-eingebundenen Berufsarmee zunehmend Teil einer gesamteuropäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik wird.

Eine Berufsarmee ohne diese europäische Einbindung wäre zweifellos absolut sinnlos. Allumfassende Landesverteidigung für einen tatsächlichen neutralen Kleinstaat wie Österreich – vergessen wir einmal die europäische Integration – wäre nämlich für uns weder in finanzieller Hinsicht leistbar, noch in militärischer Hinsicht wirklich real machbar. Wenn also die angepeilte Berufsarmee für das Land nicht reine Scharade bleiben soll, wäre deren europäische Einbindung und die damit zwangsläufig notwendige Neubewertung der österreichischen Neutralität unabdingbar.


Die Sonderschule der Nation

17. Januar 2011

Es gab eine Zeit, da galt die Armee und der Wehrdienst als „Schule der Nation“ – zumindest in Preußen. Und tatsächlich war es ja so, dass der Wehrdienst einst für viele junge Männer – insbesondere aus einfacheren Bevölkerungskreisen – eine Zeit war, in der sie Disziplin, Ordnung und strukturiertes Arbeiten lernten, im guten Falle auch ein wenig Bildung mitbekamen. Und für die Söhne betuchterer Eltern war die Wehrpflicht insofern eine Schule, als sie zumindest einmal im Leben mit den Vertretern der breiten Bevölkerungsschichten, auch der ärmeren, zusammen waren und deren Los teilen mussten.

Die allgemeine Wehrpflicht hierzulande und der Dienst im österreichischen Bundesheer ist indessen längst keine Schule der Nation mehr. Wenn zumindest die Grundausbildung für viele noch eine interessante Erfahrung darstellt, so ist der Dienst danach zumeist nur durch Langeweile, Drückebergertum, eben „Obizarren“ und Zeit-totschlagen gekennzeichnet. Sogar relativ sinnvolle Einsätze wie der Grenzeinsatz im Burgenland sind durch formalistische Langeweile geprägt und Auslandseinsätze werden häufig nur wegen der relativ guten Bezahlung getätigt. Wenn eine Schule, dann ist das Bundesheer für unsere jungen Männer allenfalls die „Sonderschule der Nation“.

Auch aus dieser Perspektive ist also eine Reform des Wehrdienstes und der Wehrpflicht anzustreben. Nun hat HC Strache dieser Tage für die Freiheitlichen erklärt, dass man für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht sei und damit sicher die Meinung der meisten Menschen aus dem Dritten Lager getroffen. Die Frage aber, wie das Bundesheer insgesamt zu reformieren wäre, um aus dieser Rolle der Sonderschule heraus zu kommen, wird damit noch nicht behandelt. Und die Frage, ob es nicht sogar eine Erweiterung der Wehrpflicht geben müsse, ebenso nicht. Tatsächlich muss man heute ja die Frage stellen, warum nur die jungen Männer der Wehrpflicht unterworfen sind und nicht auch die Frauen. Das historische Argument, dass diese ja Kinder kriegen müssten und damit genug Dienst an der Gemeinschaft leisten würden, ist längst hinfällig.

Wenn also schon allgemeine Wehrpflicht, warum dann nicht eine allgemeine Dienstpflicht für alle jungen Staatsbürger, für Männer und Frauen? Eine Dienstpflicht, die man über den Wehrdienst hinaus ausdehnen sollte. Damit könnte man auch die Idee des Freiwilligenheers und im Kern jene des Berufsheers miteinbeziehen. Jene jungen Österreicher, die ein halbes oder maximal ein Jahr für die Gemeinschaft, für die „res publica“ zu opfern hätten, könnten sich dann aussuchen, in welchem Bereichen sie diesen Dienst leisten: im sozialen Bereich, im militärischen Bereich oder im Bereich des Zivilschutzes.

Man stelle sich vor, dass alljährlich einige Zigtausend junge Frauen zusätzlich bereit stünden, um im sozialen Bereich, im Bereich der Krankenpflege, der Altenpflege, der Familienhilfe und Heimhilfe tätig zu sein: Das Problem mit den illegalen Altenpflegerinnen aus der Slowakei und anderen Oststaaten wäre schlagartig gelöst. Den Zivilschutz und den Katastropheneinsatz könnte man natürlich mit einer Verstärkung der freiwilligen Feuerwehren durch solche dienstpflichtige jungen Leute in den Griff bekommen. Und zweifellos würden sich auch genug junge Österreicher melden, die in eine Miliz eintreten würden. Und die engagiertesten oder jene die sich auch durch eine gute Bezahlung – diese wäre nämlich nötig – locken lassen, könnten dann auch für eine gewisse Zeit Berufssoldaten werden. Im Kern ein kleines Berufsheer, rundherum ein Freiwilligen-Milizheer und all das eingebettet in eine obligatorische Dienstpflicht, das wäre eine Konzeption für ein neues Bundesheer und eine erweiterte Wehrpflicht.

Aber natürlich müssten im Zuge einer Reformdiskussion für das Bundesheer auch andere Fragen geklärt werden. Etwa jene der Aufgabenstellung für eine österreichische Armee: Es ist völlig klar, dass ein „Bundesheer-Neu“ auch im Hinblick auf eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspflicht konzipiert werden müsste. Nicht die militärischen Interessen der NATO, sondern jene des integrierten Europas sollten dabei im Mittelpunkt stehen. Und allfällige Auslandseinsätze müssten einerseits im Dienste der traditionellen österreichischen Neutralität andererseits im wohl verstandenen europäischen Sicherheitsinteresse getätigt werden.

Und natürlich müsste man auch jenen bürokratischen Wasserkopf abbauen, der heute das Bundesheer prägt. Rund 200 verbeamtete Generäle für eine nahezu gelähmte und handlungsunfähige Kleinarmee, das kann es ja wohl nicht sein. Soldaten statt Bürokraten, so müsste die Losung lauten. Und Soldaten, die für das Land vernünftige Aufgaben erfüllen, jene der Grenzsicherung nämlich und jene der europäischen Solidarität. Und das auf jenen Ebenen, die wir Österreicher beherrschen: als Gebirgsjäger etwa, wobei sich dann die Frage stellt, ob wir wirklich Panzerarmeen brauchen und Luftflotten, oder ob das nicht andere europäische Staaten besser abdecken könnten?

Tatsache ist jedenfalls, dass eine umfassende Reformdiskussion geführt werden muss und dass insbesondere eine Oppositions- und Reformpartei wie die FPÖ hier neue revolutionäre Ideen wird anbieten müssen.