Ohnmächtiges Europa

28. Februar 2011

Die nordafrikanische Mittelmeerküste, das ist unmittelbare europäische Nachbarschaft und dort brennt es gegenwärtig. Die Explosionen, die da hochgegangen sind, zuerst in Tunesien, dann in Ägypten, nunmehr in Libyen, haben ihre Hitzewellen längst nach Europa geschickt. Zehntausende Flüchtlinge sind bereits gekommen, Hunderttausende stehen Gewehr bei Fuß. Der Brand droht also überzugreifen. Und in Europa diskutiert man, ob man die Feuerwehr einberufen soll, ob es nicht viel zu früh wäre, den Befehl „Wasser marsch“ zu geben und ob es überhaupt legitim wäre, die Löschfahrzeuge ausrücken zu lassen.

Solche Vergleiche mögen hinken, Tatsache ist jedenfalls, dass sich Europa angesichts der krisenhaften Entwicklung in Nordafrika und der schweren Kämpfe in Libyen wieder einmal als ohnmächtig erweist. Allzu zaghaft hat man zuerst einmal zugewartet, was passiert, um schließlich halbherzig abtretende Diktatoren zu verurteilen, mit denen man sich allzu lange arrangiert hat. Alle Welt, insbesondere auch die Europäer, waren mit Herrn Mubarak verhabert, der ja als absolut akzeptabler politischer Partner galt – nicht zuletzt im Hinblick auf den Nahost-Friedensprozess. Die Franzosen haben sich mit dem tunesischen Diktator vielfach ins Bett gelegt und insbesondere Italiener, aber auch wir Österreicher, waren mit den Libyern gut Freund. Gaddafis Konten dürften quer durch Europa und natürlich auch in den USA unter den diversen Namen gestreut sein und er selbst war mehrfach schlagzeilenträchtiger Gast in den europäischen Hauptstädten. Zuletzt erst schlug er sein Zelt in der ewigen Stadt Rom auf, um vor Berlusconi-affinen jungen Damen über den Islam zu plaudern.

Angesichts so intensiver Kameraderie ist es ja gerade verständlich, dass man sich nur langsam und bislang auch halbherzig dazu durchringen konnte, die Stimme gegen Gaddafi zu erheben. Nun da er Tausende in den Tod schickt, sein Land in Blut und Chaos versinken lässt, fällt den Europäern auch nicht mehr ein als die Drohung, seine Konten einfrieren zu lassen. Sanktionen gegen den Diktator oder gar militärisches Eingreifen, dazu sind die Europäer viel zu ängstlich.

Und für die Zukunft weiß man noch immer nicht, wie man sich gegenüber derlei Diktatoren verhalten soll. Und in Libyen heißt es, die US-Amerikaner – und da wird Brüssel dann nicht weit sein – erwägen die arabischen Könige in den Golfstaaten und insbesondere in Saudi-Arabien massiv zu stützen. Ganz so, als wären dieselben nicht ebenso antidemokratische und hoch korrupte Diktatoren. Man hat also offenbar nichts dazugelernt. Man legt sich mit den Autokraten ins politische Bett, um dann, wenn das Volk aufsteht, schwer überrascht zu sein und hilflos den revolutionären Ereignissen zuzusehen.

Insgesamt zeigt dies einmal mehr, wie ohnmächtig Europa nach außen hin ist. Allenfalls ist man bereit und fähig, als Zahler für alle Welt nunmehr auch für die nordafrikanischen Revolutionsstaaten einzuspringen, viel zu spät und viel zu halbherzig versucht man mit Milliardenzahlungen kommende Flüchtlingsströme abzuwenden, eine wirklich entschiedene Politik zur Durchsetzung europäischer Interessen und zur Unterstützung der betroffenen Völker bringt man jedoch nicht zustande.

Und einmal mehr erweist sich also, dass die Europäische Union ein merkwürdiges Gebilde ist, das zwar nach innen hin, gegenüber den Mitgliedsstaaten und den eigenen Bürgern, zunehmend paternalistisch, zentralistisch und intolerant agiert, das nach außen hin aber ein kraftloser Eunuch ist, unfähig zu entschlossenem Handeln, ignoriert von den wirklich starken Mächten und verachtet von den außereuropäischen Völkern. Ein wirklich trauriger Befund.


…die im Dunkeln sieht man nicht

14. Februar 2011

Revolutionen und wer – mutmaßlich – dahinter steht

Die Französische Revolution, die Urmutter aller europäischen Revolutionen, ist ein Ereignis über das es bis heute kein einheitliches Geschichtsbild gibt. Den einen ist sie der Quell von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, den anderen der große Startschuss einer masonischen Weltverschwörung, die Gleichmacherei und das Ende des Göttlichen eingeleitet hat. Wer dahinter steht, ob es wirklich eine großangelegte Konspiration der Freimaurerlogen war, welche diese Revolution auslöste und steuerte, oder ob es eben bloß die in den Massenmord abgleitende Revolte des Dritten Stands gegen das alte französische Feudalsystem war? Was weiß man. Man kennt die Akteure, Danton, Maret etwa oder Robespierre. Wir wissen vom Treiben der Jakobiner und vom Terror des Wohlfahrtsausschusses. Wir kennen die Berichte über die Mordlust des Mobs und dessen Begeisterung über die Effizienz der Tötungsmaschine des Doktor Guillotine. In welchen Zirkeln aber diese Revolution im Geheimen konzipiert wurde, das können wir uns nur aus der Lektüre der Romane von Alexandre Dumas ausmalen. Aber nehmen wir einmal getrost an, es wären die Freimaurerlogen gewesen. Dann haben wir zumindest eine greifbare Kraft als Motor der revolutionären Veränderung, als Triebfeder für die Abschaffung des Christentums, des Feudalsystems, des Adels und der Monarchie und für die Ausrottung der gesamten aristokratischen Oberschicht und aller kritischen Geister.

Schreiten wir voran in der europäischen Geschichte: Sechs Jahrzehnte später bringt das Sturmjahr 1848 Revolutionen quer durch Europa. Ausgehend von Frankreich, übergreifend auf Italien, auch auf Deutschland zwischen Berlin und Wien. Eine Revolution zwar, der die mörderische Energie der Pariser Ereignisse ein Menschenalter zuvor fehlt, die aber dafür klar an einem Stand, am Bürgertum eben, festzumachen ist. Eine Revolution, die geradezu bieder Verfassungsstaat, Republik und Rechtsstaat zum Ziel erkoren hat. Wir können in Hinblick auf 1848 den einmaligen Vorzug genießen, den politischen Umsturz am Beispiel des eigenen Landes analysieren zu können: Also fragen wir uns: Wer stand hinter den Wiener Ereignissen des Frühjahrs 1848? Gewiss, auch in unserem Fall kennen wir die Akteure, wir kennen die Köpfe der akademischen Legion, wir wissen um das Wirken Erzherzog Johanns als Reichsverweser in der Frankfurter Paulskirche und das der verschiedenen Paulskirchen-Abgeordneten. Wir wissen, was Adolf Fischhof bewirkte und Wenzel Messerhauser. Wir kennen die Geschichte um die Füsilierung Robert Blums und viele andere Details.

Wer aber stand hinter den Ereignissen, wer war die treibende Kraft. Waren es wirklich jene aus Deutschland nach und nach eingesickerten Krypto-Burschenschaftler die sich dann – idealistische Jünglinge – in der Wiener Akademischen Legion sammelten? War es insgesamt jene politische Bewegung, die aus der Ur-Burschenschaft hervor wuchs, kenntlich gemacht beim Hambacher Fest und dem Frankfurter Wachensturm, die hinter der deutschen bürgerlichen Revolution standen? Waren es die sogenannten Demagogen, jene romantischen und idealistischen Professoren, die an den deutschen Hochschulen über Freiheit und Einheit philosophierten, inspiriert von Herder, Fichte und Arndt, die die Väter der 48-er Revolution waren? Wir können es nur vermuten, bzw. im geistesgeschichtlichen Bereich Kausalitäten herausarbeiten. Eine Verschwörung im eigentlichen organisatorischen Sinne wird man dabei wohl kaum nachweisen können.

Doch schreiten wir weiter in der europäischen Geschichte voran: In die Jahre 1917 bis 1919, also rund um das Ende des Ersten Weltkrieges, als nach dem Zusammenbruch der europäischen Kaiserreiche die roten Revolutionen ausbrachen. Nach den Theorien von Marx und Engels hätte die kommunistische Revolution bekanntlich in Deutschland stattfinden müssen oder in einem anderen hochindustrialisierten europäischen Land, in dem der Kapitalismus sich durch das zwangsläufige Anwachsen des Proletariats selbst auszuhebeln gehabt hätte. Stattgefunden hat die kommunistische Revolution im eigentlichen Sinne allerdings dann im zaristischen Russland, das ein unterentwickelter, feudaler Agrarstaat war. Die relativ gemäßigten Menschewiki wurden nach der ersten Phase der Revolution von den radikalen Bolschewiki des Wladimir Uljanow / Lenin hinweggefegt. Und es war zweifelsfrei die deutsche Heeresleitung unter Ludendorff und Hindenburg, welche Lenin mittels Reichsbahn im plombierten Wagon von der Schweiz quer durch Deutschland nach St. Petersburg schaffte.

Deswegen ist allerdings noch niemand auf die Idee gekommen, die russische Oktoberrevolution auf eine Verschwörung des preußisch-deutschen Generalstabs zurückzuführen. Dafür aber wurde und wird im einschlägigen Kreise der Verschwörungstheoretiker viel von den Weisen von Zion gemunkelt und vom zweifellos vorhandenen starken jüdischen Anteil an der Oktoberrevolution. Man denke nur an Trotzky, der zuvor unter seinem bürgerlichen Namen Bronstein sein Exil in den Wiener Kaffeehäusern verbrachte. Es mag nun NS-Argumentation sein, wonach die bolschewistische Revolution eine jüdische gewesen sei und daher die sogenannte nationale Revolution in Deutschland sich zentral auch gegen das Judentum zu richten habe, bis hin zum industriell organisierten Genozid am europäischen Judentum. Realität ist jedenfalls, dass rote Revolutionsherde, die dem Vorbild der russischen Oktoberrevolution nacheiferten, sei es nun jener in Budapest des Béla Kun oder jener in München der Räte-Republikaner um Kurt Eisler, auch in einem gewissen Maße jüdische Mitstreiter zu verzeichnen hatten. Was wiederum die Obsessionen der nationalen Revolutionäre, genährt durch den quer durch Europa zur psychischen Massenseuche gewordenen Antisemitismus, stärkte. Obskure Machwerke wie die legendären „Protokolle der Weisen von Zion“ schufen jedenfalls vermeintliche Realitäten, welche in den Köpfen der Veränderungsverlierer nach dem Ende des Ersten Weltkriegs das manichäische Weltbild der durch eine jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung bedrohten europäische Völker schuf.

Doch auch die nationale Revolution, im Wesentlichen der Aufstand der geschlagenen Offiziere und der absteigenden Eliten des alten Regimes, verkörpert in den Freicorps und anderen Heimkehrer-Verbänden, hat angeblich Hintergründe, über die man nur mutmaßen kann. Wer oder was war denn jene Thule-Gesellschaft, die angeblich hinter der Gründung der Hitler-Partei stand? Waren die altösterreichischen Kirchenväter des Hitler‘schen Antisemitismus, etwa ein Lanz von Liebenfels wirklich nur Narren und Obskuranten, oder gab es ein konspiratives Netzwerk, welches später den Aufstieg des Nationalsozialismus und den sektoiden Hintergrund von Himmlers Schutzstaffel bestimmte? Auch in diesem Falle gibt es ebenso viele Verschwörungstheorien wie mehr oder minder stichhaltige Mutmaßungen.

Doch weiter im Verlauf der europäischen Geschichte. Ein Menschenalter nach den Ereignissen von 1917 fegt eine Revolution den Kommunismus quer durch Osteuropa hinweg. Der osteuropäische Völkerfrühling des Jahres 1989 lässt den real existierenden Sozialismus des Sowjetregimes zusammenbrechen. „Wir sind das Volk“ skandieren die demonstrierenden DDR-Bürger zuerst, um schließlich in den Ruf „wir sind ein Volk“ überzugehen. Und die Völker sind es zwischen Baltikum und Balkan, die innerhalb weniger Monate den Warschauer Pakt zerbrechen lassen, aber auch die Sowjetunion. Polen, Esten, Letten und Litauer, Ukrainer, Tschechen und Slowaken, Ungarn, Rumänen, Bulgaren, sie alle demonstrieren für ihre nationale Identität und für ihre nationalstaatliche Souveränität. Doch wer stand dahinter?

Es heißt Ronald Reagans Strategie des Totrüstens der Sowjetunion durch einen gnadenlosen Rüstungswettlauf und Carol Woytilas moralische Unterstützung für die katholischen Polen seien der Ausgangspunkt für den Zusammenbruch des Sowjet-Kommunismus gewesen. Dennoch wäre es natürlich ein Unsinn davon zu sprechen, dass die osteuropäische Revolution von 1989 aufgrund einer US-kapitalistischen-katholischen Verschwörung zustande gekommen wäre. Es mag zwar sein, dass die polnische Solidarnosc-Bewegung von Papst Johannes Paul II inspiriert war. Und zweifelsohne dürften westliche Geheimdienste, allen voran der CIA, hinter den Kulissen der aufständischen osteuropäischen Metropolen manchen Faden gezogen haben. Insgesamt aber waren es zweifellos die Völker Osteuropas, deren spontane Erhebung durch den gleichzeitigen sozioökonomischen Zusammenbruch des Sowjetkommunismus Erfolg haben konnte. Wieweit Glasnost und Perestroika durch die konspirative Tätigkeit westlicher Geheimdienste, oder gar des sowjetischen KGB selbst möglich wurden, kann man nur vermuten. Einer, der heute nahezu ein Viertel-Jahrhundert danach vielleicht darüber Auskunft geben könnte, ist der gegenwärtige starke Mann Russlands Wladimir Putin als ehemaliger hochrangiger KGB-Offizier.

Doch nun zur aktuellen Revolution in der arabischen Welt – wenn es denn überhaupt zu einer solchen wird. Längst ist nämlich nicht gesagt, dass der tunesische Umsturz und die Dauer-Demonstrationen in Ägypten gegen Mubarak wirklich zu einem Flächenbrand in der arabischen Welt führen. Möglicherweise bleibt es bei einem revolutionären Aufflackern zwischen Riad und Damaskus, zwischen Algerien und dem Jemen. Ob die korrupten, zweifellos unfähigen, dafür aber klar westlich orientierten Monarchien auf der arabischen Halbinsel, in Jordanien oder in Marokko überleben, ist ungewiss. Vorläufig deutet nichts wirklich darauf hin, dass ihr Sturz unmittelbar bevorstünde. Und die sich selbst als revolutionär definierenden Regime in Syrien, in Libyen oder gar im Iran scheinen durchaus in der Lage zu sein, oppositionelle Bestrebungen bereits im Keim zu ersticken.

Doch widmen wir uns den Hintergründen dieser arabischen Revolten: Wer hat sie konzipiert, wer zieht die Fäden? Diesmal kann man weder irgendwelche Freimaurer, noch die Weisen von Zion, geschweige denn die Jesuiten oder westliche Geheimdienste verdächtigen. Den israelischen Mossad schon gar nicht, da speziell die ägyptischen Ereignisse diametral gegen die Interessen Israels laufen. Wenn es so etwas wie Drahtzieher hinter den arabischen Revolten gibt, dann ist es das Internet, Twitter und Facebook. Ironisch könnte man anmerken, dass es die Revolution des jüdischen US-Amerikaners Zuckerberg ist, der bekanntlich Facebook gegründet hat.

Bereits die oppositionellen Regungen der vergangenen Jahre im Iran konnten sich nur durch die neuen elektronischen Kommunikationswege entwickeln. Vollends scheint dies nunmehr in der arabischen Welt der Fall zu sein, wo trotz autoritärer Regime, trotz mangelnder Demokratie und des Fehlens einer freien Medienlandschaft die neuen Kommunikationstechniken über das Internet schlicht und einfach nicht verbietbar sind. Das könnte aber auch so etwas wie die Schwäche dieser arabischen Revolte sein: Das Internet mit Facebook und Twitter sind eben nur Medien ohne Inhalt und ohne Ideologie, ohne gesellschaftliches Substrat. Über sie kann man einen Aufstand vielleicht organisieren, sie bieten einem solchen aber weder ein politisches Ziel, noch eine inhaltlich-ideologische Ausrichtung.

Man wird sehen, ob Kräfte im Hintergrund, wie etwa die Moslembruderschaft in der Lage sein werden, sich der über das Internet organisierten Revolte für eigene revolutionäre Zwecke, zu bedienen. In Ägypten war es bisher ja nicht mehr als eine lang anhaltende Massendemonstration, die in erster Linie das alte Regime beseitigt wissen will und zum Abgang des Langzeit-Diktators führten. Und überaus vage von Demokratie, Freiheit und Wohlstand spricht. Dass dies weder so etwas wie eine bürgerliche Revolution, noch eine proletarische Revolution ist, nach der sich die entsprechende Klasse dann in den Besitz der Macht bringen könnte, weiß man. Ob es so etwas wie ein arabischer Völkerfrühling sein wird, der hier begonnen hat, eine Freiheitsbewegung für die arabische und dann vielleicht für die gesamte islamische Welt, bleibt abzuwarten. Möglich wäre es!