Keine Zukunft ohne Herkunft

28. Oktober 2017

Gedanken zu Ahnenkult und nationalen Mythen

Nationen, die ihre Geschichte nicht kennen, seien dazu verdammt, sie erneut zu durchleiden, meinte der amerikanische Philosoph George Santayana.
Das, was für Völker und Kulturen stimmt, trifft auch auf das Individuum, auf den Einzelmenschen, zu: Wer Leben und Erfahrung seiner Vorfahren – zumindest der unmittelbaren – nicht kennt, läuft Gefahr, deren Tragödien selbst auch zu erleiden. Aber so ist es eben, wie der Satiriker formuliert: Die Geschichte lehrt ständig. Kaum jemand ist allerdings bereit, aus ihr zu lernen.
Völkerschicksale werden häufig durch historische Erfahrungen und daraus destillierte nationale Mythen bestimmt. Dass etwa Frankreich in seinem Selbstverständnis als „Grande Nation“ eine gewisse prestigebehaftete Position im heutigen EUEuropa verlangt, resultiert aus dem nationalen Mythos einer europäischen Hegemonie, wie sie eben der Sonnenkönig Ludwig XIV. anstrebte oder Napoleon tatsächlich für seine Epoche zu erlangen vermochte. Und der verinnerlichte deutsche Mythos, das „Volk der Dichter und Denker“ zu sein, bringt es mit sich, bloß als Kulturnation Größe zu zeigen, während man als Macht-Staat versagt.
Derlei identitätsstiftende Mythen setzen ein kollektives nationales Geschichtsbewusstsein voraus, welches neben Faktenwissen auch das Bewusstsein verlangt, selbst Teil eines großen historischen Kontinuums zu sein, eines nationalen Schicksals gewissermaßen.
Auch Familienbewusstsein als Basis einer individuellen Identität erfordert das Wissen, das man neben dem genetischen Erbe Kenntnis über das Schicksal, den Lebensweg und den Charakter seiner Vorfahren haben muss. In Kreisen des europäischen Adels, insbesondere im Bereich vom regierenden oder ehemals herrschenden Dynastien ist solches Bewußtsein idealtypisch vorzufinden. Genealogien und Ahnengalerien, Bindungen, Familien und Familiensitze und Stammschlösser ermöglichen hier Kontinuität über viele Generation, und zwar über Jahrhunderte.
Im bäuerlichen Urgrund der europäischen Völker gibt es solches generationenüberdauerndes Bewußtsein naturbedingt – aufgrund geringerer Bildung in historischer Zeit – im wesentlich schwächerem Ausmaß. Hier ersetzt die geradezu ethisch motivierte Verpflichtung, den ererbten Hof in einer Generationenkette jeweils an den Sohn weiterzugeben. Das weiter zurückgreifende Wissen über die eigenen Vorfahren, familiäre Kontinuität und damit soziokulturelle Prägung sind dennoch – allerdings bei wesentlich geringerem Bewußstseinsstand wie beim Adel – gegeben.
Das Bürgertum, insbesondere das Großbürgertum ist im Hinblick auf Familienmythen und Wissen um die eigenen Altforderen stets so etwas wie ein Nachahmer des Adels. Familiäre Traditionen können hier jedoch zumeist nur über wenige Traditionen real zurückverfolgt werden. In der vorindustriellen Gesellschaft Alteuropas ergibt allerdings die ständische Bindung, insbesondere im Bereich des Bürgertums, die Einbindung in Gilden und Zünfte einen zusätzlichen identitätsstiftenden Faktor.
Erst die Industrialisierung mit der Entstehung eines massenhaft entwurzelten Proletariats bricht jene familiären Kontinuitäten, wie sie etwa in bäuerlichen und ländlichen Gesellschaften zuvor vorhandne waren. Vollends geht generationsübergreifender Familiensinn, gehen familiäre Traditionen und das Wissen um die eigenen Ahnen in der Gesellschaft des entorteten Menschen der Moderne verloren. Der Massenmensch, der in urbaner Anonymität in großen Metropolen lebt, als sogenannter „Single“ oder bestenfalls als Teil einer Kleinst- und Restfamilie reduziert sein familiäres Bewußtsein gerade noch auf die eigenen Eltern und die eigenen Sprösslinge. Alles was davor und danach kommt, spielt für ihn kaum eine Rolle. Da gibt es dann keine familiären Mythen, keine Prägung durch die eigene Ahnen, keine ethische Bindung als Glied einer Generationenkette.
Das solcherart entwurzelte Individuum ist nicht mehr in einen Stand hineingeboren, trägt keine nationalkulturelle Identität, hat keine Bindung an Zünfte, Gilden oder andere berufsständische Gruppierungen, verfügt über keine familiäre Prägung und kann demgemäß eine solche auch nicht weitergeben.
Die Identität eines solchen postmodernen Massenmenschen ist allenfalls jene einer Ameise in einem Ameisenstaat. Willfährige Manövriermasse für die Formung eines „neuen Menschen“, wer aus immer aus welcher ideologischen Ecke auch immer, derlei unmenschliche Monstrositäten anstrebt. Der Mensch als soziales Wesen ist zuallererst in seine Familie hineingeboren. Parallel zu seinem individuell genetischen Erbe bedarf er der kulturellen Prägung durch diese Familie, und das heißt nicht nur der Eltern, sondern auch der Generationen davor. Überspitzt könnte man sagen: Wer nicht um seinen Ahnen weiß, kennt seine eigene Identität nicht.


Keine Ahnen – keine Mythen

2. November 2015

Metapolitische Überlegungen zu unserer Gedenkkultur

Gerade noch geduldete Pflichtübungen sind es, die rund um Allerheiligen und den vormaligen „Volkstrauertag“ in Deutschland, aber auch um den 10. Oktober in Kärnten, um das Jubiläum von Volksabstimmung und Kärntner Abwehrkampf, stattfinden.

Ein „Heldengedenken“, wie es jahrzehntelang zum Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai von den waffenstudentischen Kooperationen in Wien durchgeführt wurde, ist bereits undenkbar geworden, stattdessen feiern „die Besiegten von 1945“ begeistert die Jubiläen der Sieger.

Frau Merkel begeht mit den Vertretern der ehemaligen alliierten Mächte den Jahrestag des „D-Days“, der Landung der Invasionsflotte vor der Küste der Normandie, Putins pompöse Siegesfeiern in Moskau im vergangenen Mai wären gewiss mit hochrangigsten heimischen Vertretern beschickt worden, wenn nicht aus ganz anderen Gründen von amerikanischer Seite die Order gekommen wäre, den russischen Autokraten zu schneiden. Insgesamt aber feiert man die eigene Niederlage, gedenkt pflichtschuldigst aller Missetaten, die im Namen des eigenen Volkes wirklich oder vorgeblich begangen wurden und vergisst die eigenen Opfer tunlichst.

Es sind nur mehr Randgruppen wie etwa in den Vertriebenen-Verbänden, die der volksdeutschen Opfer, der größten Vertreibungsaktion der Geschichte, gedenken. Und wenn, wie im vergangenen Februar der Jahrestag des Bombardements auf Dresden ansteht, dann überschlagen sich die offiziellen Vertreter Deutschlands darin, die Opferzahlen herunter zu dividieren und darauf hinzuweisen, dass der Krieg schließlich von deutschem Boden ausgegangen und dann eben wieder „zurückgekehrt“ sei. So nach dem Motto, wir sind ja selbst schuld.

Aber damit ist ein Verzicht auf ein Gedenken an unsere Altvordern, an Leben und Leiden unserer Eltern, Großeltern und unserer Urgroßeltern verbunden. Die kollektive Erinnerung, etwa an die geradezu ungeheuerlichen Leiden, die – ob verschuldet oder nicht, bleibe dahingestellt – was deutsche Volk in zwei Weltkriegen zu erdulden hatte, gerät in Vergessenheit. Unsere Väter in der deutschen Wehrmacht, unsere Mütter in den ausgebombten Städten und danach als Trümmerfrauen beim Wiederaufbau, unsere Großeltern im Ersten Weltkrieg, die Großväter und Urgroßväter in der k. u. k. Armee in Galizien, an der Isonzofront, in den menschmordenden Grabenkämpfen vor Verdun, die deutschen Studenten, die massenweise vor Langemarck vom Maschinengewehrfeuer hingemäht wurden, die Landser in russischer Kriegsgefangenschaft in der Hölle von Sibirien, die U-Boot-Leute in ihren schwimmenden Särgen, alles verachtet und verlacht und letztlich vergessen. Das Schicksal unserer Ahnen interessiert uns nicht mehr, ihr Leid und ihr Leben lassen uns kalt.

Gewiss, der Armenkult, wie er bei den alten Völkern zelebriert wurde oder wie er von den Römern und bis heute in Japan in der Shinto-Religion existiert, ein solcher Ahnenkult mutet archaisch an. Authentische Völker und ihre selbst vergewisserte Kulturen, aber auch selbstsichere einzelne Individuen haben sich stets als Summe einer historischen Entwicklung und in ihrer Existenz als Resultat des Lebens und Wirkens ihrer Väter und Vorväter definiert.

Dies gilt natürlich auch für Mütter und Vormütter. Der Adel mit seinen bis heute nachwirkenden Traditionen tut dies bis in unsere Tage, und das rechtliche Prinzip des vererbbaren Eigentums geht auch davon aus, dass man auf die Leistungen seiner Vorfahren zurückgreifen kann. Auch die Zugehörigkeit zu einer Kultur, zu einer Sprachgemeinschaft, zu einem Werte-Verbund, ergibt sich für den einzelnen Menschen durch die Bezugnahme auf seine Eltern, Großeltern und Vorfahren. Solch geistig-kulturelle Einbindung korreliert naturgemäß mit genetischer Zugehörigkeit, also mit Abstammung – und das zwangsläufig.

In unseren politisch korrekten Tagen, da der Begriff der Rasse tabuisiert und strafrechtlich verfolgbar ist, da man die Existenz und Wirkmächtigkeit von Völkern und der durch sie konstituierten nationalen Gemeinschaften tunlichst leugnen will, in diesen Tagen können naturgemäß die eigenen Ahnen auch nichts zählen.

Gleichermaßen geht es den mit dem Bewusstsein um die Existenz der Ahnen verbundenen Mythen. Jede Kultur hat solche Mythen, die höchst bedeutend sind für die Gemeinschaft und das sie verbindende Gefühl, die aber auch einen Einzelmenschen in seinen seelischen Tiefen prägen.

Mythen von Göttern und Helden, von historischen oder auch fiktional aufgeblasenen Herrschergeschlechtern, Mythen und Sagen, die mit Natur- und Kulturlandschaft verbunden sind, sich etwa um die Gefahren des Hochgebirges oder der hohen See ranken, oder auch liebliche bukolische Landschaften heroisieren, solche Mythen gibt es in allen Kulturen und allen Völkern. Die Europäer und insbesondere die „Besiegten von 1945“, also die Deutschen, laufen Gefahr, diese ihre Mythen zu vergessen und zu verdrängen. Verdrängungsprozesse sind bekanntlich immer mit gewissen seelischen Defiziten und Defekten verbunden. Die eigenen Mythen- Vergessenheit ist ein Charakteristikum neurotisierter Gesellschaften.

Stattdessen eignen wir uns künstliche oder fremde Mythen an. Hollywood produziert den „Herrn der Ringe“ und sicher nicht das Nibelungenlied, es schafft Kunstwelten wie in „Games of Thrones“ und thematisiert sicher nicht die Kaisergeschichten des alten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Und für das heimische Durchschnittspublikum sind „Gandalf der Graue“ realer als Odin und Thor und die Figuren von „Games of Thrones“ realer als Friedrich Barbarossa und Kaiser Maximilian.

Die Gleichgültigkeit gegenüber unseren Ahnen und der Verlust der eigenen Mythen charakterisieren uns als entwurzeltes Volk und entortete Gesellschaft. Kollektive Neurosen und individuelle Sinnentehrung sind die Folgen.