Von Schlachtfeldern und Friedensregionen (Teil II)
Die „Bloodlands“ zwischen Baltikum und Schwarzen Meer – die Ukraine: Der amerikanische Historiker Timothy Snyder schilderte in seinem heftig diskutierten Buch „Bloodlands“ drei miteinander verknüpfte Geschichten, nämlich Stalins Terrorkampagnen, Hitlers Holocaust und den Hungerkrieg gegen die Kriegsgefangenen und die Zivilbevölkerung. Blutige Tragödien, die sich zur gleichen Zeit und am gleichen Ort, nämlich im Raum rund um die Ukraine zugetragen haben. Damit wirft er einen Blick auf diesen tragischen Teil der Geschichte des 20. Jahrhunderts, der zeigt, dass es dieses dritte zentrale Schlachtfeld zwischen Bug und Don, zwischen Baltikum und Karpaten war, in dem sich unsägliche Tragödien abspielten.
Natürlich gab es in diesem Raum auch im Laufe der Jahrhunderte vor den zwei Weltkriegen und vor unseren Tagen blutiges Völkerringen. Die Gründung des Reichs der Rus-Wikinger in Kiew und dann die Expansion des zaristischen Russlands seit Iwan dem Schrecklichen war mit gewaltigem Blutvergießen verbunden. Davor die Herrschaft der Mongolen, der Goldenen Horde, stellte ebenso eine blutrünstige Despotie dar. Auch die Kriegszüge des schwedischen Königs Karl XII. forderten zahlreiche Opfer.
Einen ersten Höhepunkt des kriegerischen Schlachtens stellt zweifellos der Napoleonische Russlandfeldzug aus dem Jahr 1812 dar. Die zaristische Strategie der verbrannten Erde, der Untergang der französischen Grande Armée und die Opfer der russischen Zivilbevölkerung und der Streitkräfte Kutusows deuteten bereits an, was ein Jahrhundert später in dieser Region stattfinden sollte: Im Ersten Weltkrieg war die Ostfront zwischen dem Ostseestrand und den Karpaten gekennzeichnet von beispiellosen Menschenmorden.
Allein die k. u. k. Armee verlor in Galizien, das heute bekanntlich zur Ukraine gehört, in den ersten Kriegsmonaten im Herbst des Jahres 1914 mehr als eine Million Soldaten. Und die Russen trieben die zum Teil schlecht ausgebildeten und schlecht bewaffneten Muschiks in den Schlachten gegen die preußisch-deutschen Armeen im Norden und im Karpatenbereich gegen die habsburgischen Truppen gnadenlos an die Front. Menschenopfer zählten nur wenig. Bis zum Ende des Zarenreichs und bis zum Frieden von Brest-Litowsk Anfang März 1918 fielen Millionen Soldaten, Russen, Österreicher und Deutsche auf dem Territorium dieser „Bloodlands“. Und der darauffolgende Bürgerkrieg zwischen roten und weißen Einheiten in den frühen Jahren der Sowjetunion forderte weitere zahllose Opfer.
Doch damit nicht genug, forderte Stalins „Holodomor“ insbesondere in der ukrainischen Sowjetrepublik Millionen Todesopfer. Die vom sowjetischen Diktator mutmaßlich willentlich verursachte Hungernot und die politischen Säuberungen und die Maßnahmen gegen die Kulaken verursachten insgesamt wohl an die 30 Millionen Tote.
Das solcherart geschundene Land, vergrößert durch Ostpolen, das durch den Hitler-Stalin-Pakt in den Machtbereich der Sowjets fiel, sollte in der Folge zum Hauptkriegsschauplatz des deutschen Russlandfeldzuges werden. Keineswegs nur die gefallenen Soldaten, sondern Millionen sowjetischer Kriegsgefangener wurden zum Opfer des Vernichtungskriegs der Nationalsozialisten.
Vice versa kamen in der Folge Millionen deutscher Kriegsgefangener in sowjetischen Lagern um. Und auf dem gleichen Territorium fanden die von den sogenannten Einsatzgruppen verursachten Massenmorde an der jüdischen Bevölkerung statt, wobei diese bereits vor dem Einmarsch der Deutschen im hohen Maße als „Klassenfeinde“ Opfer der sowjetischen Geheimdiensteinheiten geworden waren. Blutgetränkte Erde also in dieser europäischen Großregion zwischen Baltikum und Schwarzem Meer, zwischen Bug und Don, „Bloodlands“, wie es Timothy Snyder, der amerikanische Historiker formuliert.
Wenn man gehofft hatte, dass nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts und mit der Gründung demokratischer Staaten, beziehungsweise Systeme, den ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts die Chance für die Entwicklung einer dauerhaften Friedensregion gegeben wäre, sollte letztlich in unseren Tagen dann auch eines Besseren belehrt werden.
Nach der vorübergehenden Schwäche Russlands unter Boris Jelzin war es das Bestreben des Kremls unter dem neuen „Zaren“ Wladimir Putin, die Großmachtstellung Russlands wiederherzustellen. „Make Russia great again“, mochte sich der Kremlherr in Anlehnung an die Devise Donald Trumps gedacht haben, als er erst im Kaukasus, dann auf der Krim und in der Ostukraine militärische Gewalt obwalten ließ. Die Hoffnung des Westens, insbesondere der EU-Europäer, dass die Demokratisierung der Staaten Mittel- und Osteuropas auch Russland erfassen könnte, blieb Illusion.
Die EU-Ostererweiterung festigte allerdings den Staatengürtel zwischen Baltikum und Balkan. Der NATO-Beitritt der meisten dieser Länder allerdings musste im Kreml das Bedrohungsszenario einer militärischen Einkreisung hervorrufen. Wladimir Putins aktueller Einmarsch in der Ukraine darf zwar als Reaktion auf diese Entwicklung definiert werden, dies stellt aber keinesfalls auch nur irgendeine Form von Rechtfertigung dafür dar.
Und wieder ist die Ukraine Schlachtfeld. Und so erweist sich, dass die Balkankriege der 90er Jahre keineswegs die letzte militärische Auseinandersetzung in Europa darstellten. Die „Bloodlands“ im Osten Europas werden neuerlich zur Stätte großflächiger militärischer Gewalt. Die Zerstörung von Städten und Dörfern, Flucht und Vertreibung von Millionen Menschen, zehntausende gefallene Soldaten und traumatisierte Zivilisten sind die Folge dieses Angriffskriegs. Von der Möglichkeit, in diesem Bereich Osteuropas auch nur langfristig so etwas wie eine Friedensregion, vergleichbar etwa mit der Alpen-Adria-Region oder dem deutsch-französischen Bereich westlich des Rheins herzustellen, wagt man nicht einmal mehr zu träumen.
Auf den europäischen Schlachtfeldern rund um Verdun und auch im Tal der Soca, wie der Isonzo heute heißt, künden nur mehr Soldatenfriedhöfe und Gedenkstädten vom einstigen großen Morden. Dort hat man sich längst auf gemeinsame Geschichtsbilder geeinigt und ist nicht mehr auf gegenseitige Schuldzuweisungen an den einstigen Gräueln angewiesen.
Friedensregionen zeichnen sich durch gemeinsames und grenzüberschreitendes Opfergedenken aus. Ein gemeinsames Opfergedenken, wie es etwa durch die Aktivitäten der Kärntner Konsensgruppe im südlichsten Bundesland Österreichs im Hinblick auf die Opfer des Nationalsozialismus und auf jene der Partisanenverbrechen längst üblich ist. Im Herzen des Balkans rund um die Schädelstätte von Srebrenica ist man allerdings noch nicht so weit. Vorläufig schweigen dort aber wenigstens die Waffen. Im Donbass tobt der Kriegsfuror weiter, wird das alte Schlachtfeld neuerlich mit frischem Blut gedüngt.
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„Rus-Wikinger in Kiew und dann die Expansion des zaristischen Russlands seit Iwan dem Schrecklichen war mit gewaltigem Blutvergießen verbunden.“
Egal wie oft ihr es im Netz wiederholt, es wird dadurch nicht wahr. Das Kiewer Rus Großreich wurden von den ethnischen slawischen Russen gegründet , und nicht von den Wikingern. DIe Wikinger begingen immer wieder blutige Raubüberfälle auf das Kiewer Rus, erhielten Tributzahlungen und betrieben Handel.
Die Wikinger stammen von den nordischen Völkern ab, nicht von den Slawen!
Kiewer Rus wurde sowohl kulturell als auch religiös sehr stark von dem orthodox christlichem Byzantginer Reich beeinflusst. Die russisch-orthodoxe Kirche ist sozusagen ein Zweig der
griechisch-orthodoxen Kirche aus dem früheren Byzantiner Reich.