Drittes Lager – wohin?

Von der national­liberalen ­Honoratiorenpartei zur ­außerparlamentarischen
Corona-Opposition

In diesen Tagen spielen Österreichs Freiheitliche unter der Führung ihres neuen Obmanns Herbert Kickl so etwas wie die Rolle einer außerparlamentarischen Opposition. Die APO der 70er Jahre unseligen Angedenkens war bekanntlich eine linksextremistische Protestbewegung, fußend auf den Ideen der Frankfurter Schule in der Folge der 68er-Studentenrevolte. Die heutige außerparlamentarische Opposition, die sich in Monaten der Corona-Epidemie in Form von zahlreichen und überaus stark frequentierten Demos quer durch die Republik manifestiert, versammelt zwar überaus heterogene Bereiche der Bevölkerung der Republik, wird aber zunehmend von den Freiheitlichen orchestriert. Der FPÖ-Chef bekommt nach eigenem Bekunden zunehmend Glücksgefühle bei Auftritten vor den Menschenmassen auf dem Wiener Heldenplatz und gefällt sich zunehmend in der Rolle des Coronamaßnahmen-kritischen Volkstribuns. Eine Rolle, die seine Vorgänger Heinz-Christian Strache und Jörg Haider kaum jemals vor Massenversammlungen auf der Straße einnehmen konnten und die sie eher über mediale Wirksamkeit angelegt hatten.
Die damit verbundene Radikalisierung der Sprache und des politischen Stils könnte zwar bei künftigen Wahlen zu einer Stimmenmaximierung führen, gleichzeitig aber vermindert sie die Paktfähigkeit der parlamentarischen Oppositionspartei FPÖ für künftige politische Koalitionen in dramatischem Ausmaß. Auch wenn für die Kickl-FPÖ dadurch zumindest theoretisch das Erreichen der Spitzenwahlergebnisse vergangener Zeiten – 27 Prozent unter Haider 1999 und knapp 26 Prozent 2017 unter Strache – möglich ist, sind damit die Aussichten auf eine Regierungsbeteiligung oder gar eine bürgerliche Koalition mit der ÖVP, wie sie sowohl in der Folge der Wahlen 1999 und jener von 2017 möglich waren, in weite Ferne gerückt.
Und wie sich die FPÖ als „single issue“-Partei im Hinblick auf die Pandemie inhaltlich und ideologisch weiterentwickelt, ist auch ungewiss. Zwar mag das Eintreten gegen die Einschränkungen der Bürgerrechte in Coronazeiten der liberalen Tradition des Dritten Lagers entsprechen, so wie das Eintreten gegen die Massenmigration und der Kampf um die Erhaltung der kulturellen Identität des Landes der nationalen Tradition entspricht, wirklich im Vordergrund der politischen Arbeit und deren ideeller Fundierung stehen diese Traditionen des Dritten Lager in der Kickl-FPÖ aber kaum.
Unter Heinz-Christian Strache wollte die FPÖ in den Jahren zwischen 2005 und 2019 die Funktion einer „sozialen Heimatpartei“ erfüllen. Diese Wortschöpfung des langjährigen Parteivizes und nachmaligen Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer, der unter Strache mit der Ausformulierung des aktuellen Parteiprogramms betraut war, wollte deklariert in den genannten Traditionen des Dritten Lagers stehen. Einerseits betonte man die Zugehörigkeit zur „deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft“, andererseits sehr wohl das Streben nach individueller und kollektiver Freiheit.
De facto war die Strache-FPÖ aber die Fortsetzung jener rechtspopulistischen Partei, wie sie Haider in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts geschaffen hatte, mit dem Anspruch, eine staatstragende Opposition und auch ein potenzieller Regierungspartner zu sein. Ein Anspruch, der auch tatsächlich in die politische Realität umgesetzt werden konnte und nachdem diese FPÖ unter Heinz-Christian Strache in der Folge der Massenmigration des Jahres 2015 über längere Zeiten in den Umfragen sogar stimmenstärkste Partei des Landes sein konnte, war die Regierungsbeteiligung von 2017 bis 2019 nur logisch. Das Erfolgsthema der Strache-FPÖ war die Kritik an der Migration und der mangelnden Integration der Zuwanderer. Ein Erfolgsthema übrigens, das ihr die türkise Kurz-ÖVP teilweise abzunehmen vermochte und die damit auch den politischen Erfolg der Wahlen 2017 erlangen konnte. In den kaum zwei Jahren der Regierung mit der türkisen ÖVP vermochte die Strache-FPÖ jedenfalls trotz allen Gegenwinds seitens der linksliberalen Mainstream-Medien und der politischen Opposition gute Figur zu machen. Gute Figur, die dann allerdings von den Zerrbildern des Ibiza-Videos zerstört wurde.
Vor den eineinhalb Jahrzehnten, die Heinz-Christian Strache die FPÖ prägte, war es Jörg Haider, der ähnlich lange die Geschicke der FPÖ bestimmte. Vom Innsbrucker Parteitag des Jahres 1986 bis zur Regierungsbeteiligung des Jahres 2000 transformierte der Bärentaler die vormals nationalliberale Honoratiorenpartei in eine „Arbeiterpartei neuen Typs“ – so Professor Plasser – und kann somit für sich in Anspruch nehmen, so etwas wie der Gründervater des europäischen Rechtpopulismus zu sein. Haider vermochte das Wählerpotenzial der Steger-FPÖ zu verfünffachen und konnte tatsächlich zu Jahresbeginn 2000 als knapp stärkerer Partner einer bürgerlichen Koalition gewissermaßen als Pate an der Wiege der Regierung Schüssel/Riess-Passer stehen. Haider war es aber auch, der im Zuge seines Aufstiegs die Entideologisierung der Partei und damit die Marginalisierung des traditionell freiheitlichen Lagers betrieb. Seine Absage an die „Deutschtümelei“, aber auch die durch die Gründung des Liberalen Forums von Heide Schmidt erfolgte Abspaltung des liberalen Bereichs machen dies deutlich. Stattdessen setzte Haider auf eine Wahlbewegung, die ihn als Volkstribun, als Robin Hood der österreichischen Innenpolitik zum Erfolg tragen sollte. In dieser freiheitlichen Bewegung waren dogmengeschichtliche Traditionen und programmatische Positionen nebensächlich, es galt das gesprochene Wort des Vorsitzenden.
Die nach dem Wahlerfolg des Jahres 1999 möglich gewordene Regierungsbeteiligung in einer Koalition mit der Schüssel-ÖVP machte aber bald auch die Grenzen der freiheitlichen Regierungsfähigkeit deutlich. Die Regierungs-Profis der ÖVP führten die freiheitlichen Spitzenexponenten, allen voran Susanne Riess-Passer als Vizekanzlerin und Peter Westenthaler als Klubobmann, bald am Nasenring durch die politische Arena. Und die Neuauflage der bürgerlichen Koalition nach der Wahl des Jahres 2002 zeitigte letztlich so etwas wie eine ÖVP-Alleinregierung „mit freiheitlicher Behinderung“. Herbert Haupt und Ursula Haubner, Haiders Schwester, konnten da in der Bundesregierung nur mehr eine politische Statistenrolle einnehmen. Und Haiders Abspaltung des „Bündnis Zukunft Österreich“ sollte sich als nicht mehr als der verzweifelte Versuch, sich aus diesem Dilemma herauszukommen, erweisen. Ein politischer Fehlschlag, der auch Haiders politische Karriere unrühmlich abschloss.
Jörg Haiders putschartige Übernahme der Partei auf dem Innsbrucker Parteitag des Jahres 1986 beendete bekanntlich auch die freiheitliche Regierungsbeteiligung in der Koalition mit den Sozialdemokraten. Der Wiener Norbert Steger hatte versucht, die FPÖ in eine „lupenreine liberale Partei“ nach dem Muster der bundesdeutschen FDP umzuwandeln, um solcherart auf längere Dauer Koalitionspartner der SPÖ in der Ära nach Bruno Kreisky sein zu können. Diese Koalition mit der Sozialdemokratie währte allerdings kaum drei Jahre und scheiterte letztlich am Widerstand des nationalen Lagers, durch den dann eben Jörg Haider zum Zug kam.
Norbert Stegers politische Linie war die Fortsetzung jener Strategien und jenes Kurses, den die junge Garde ab Beginn der 70er Jahre ab der Ära Kreisky im sogenannten Atterseekreis entwickelte. Die Idee von Steger, Firschenschlager, Holger Bauer und anderen war es, die alte nationalfreiheitliche Honoratiorenpartei, wie sie seit ihrer Gründung existierte, eben im Sinne eines zeitgemäßen Liberalismus zu modernisieren. Nachdem der Langzeitparteiobmann Friedrich Peter längst beste Beziehungen zu den Sozialdemokraten, insbesondere zu Bruno Kreisky aufgebaut hatte, war die logische Konsequenz dieser neuen politischen Linie, nach dem Ende der Ära Kreisky eben eine Koalition mit der SPÖ unter Fred Sinowatz. Während sie im Jahre 1983 mit kaum fünf Prozent in die Regierung gegangen waren, standen sie am Ende der rot–blauen Koalition in den Umfragen mit kaum mehr zwei Prozent im Kurs.
Davor wurde die Freiheitliche Partei über zwei Jahrzehnte von der Persönlichkeit Friedrich Peters geprägt. Der ehemalige Offizier der Waffen-SS wurde zwei Jahre nach der Gründung im Jahre 1958 der Nachfolger des an Lungenkrebs verstorbenen Parteiobmanns Anton Reinthaller. Unter ihm war die FPÖ eine zwar kleine, aber feine nationalliberale Honoratiorenpartei mit politischen Persönlichkeiten, wie Wilfried Gredler, Gustav Zeillinger, Otto Scrinzi und Tassilo Broesigke. Für Friedrich Peter als Sohn eines sozialdemokratischen Eisenbahners und mutmaßlich Mitglied einer Freimaurerloge war die Affinität zur Kreisky-SPÖ naheliegend. Durch die Unterstützung der sozialistischen Minderheitsregierung im Jahr 1970 gelang es ihm, ein Kleinparteien-freundliches Wahlrecht zu erlangen, welches das Überleben der FPÖ über Jahrzehnte sichern sollte.
Die Gründung der Freiheitlichen Partei in der Nachfolge des Verbands der Unabhängigen mit dem Gründungsobmann Anton Reinthaller, ehemaliger Minister im Anschlusskabinett Seyß-Inquart und Bergbauern-Staatsekretär in Dritten Reich, war klar als Vertretung des alten Dritten Lagers konzipiert, wobei der Schwerpunkt auf einer verstärkten nationalen Ausrichtung liegen sollte. Im Gegensatz zum Verband der Unabhängigen, der 1948 unter den beiden deklarierten Liberalen Herbert Alois Kraus und Viktor Reimann ins Leben getreten war, wobei damals die Emanzipation der minderbelasteten, aber entrechteten Nationalsozialisten als liberale Aufgabe im Mittelpunkt stand, glaubte die junge FPÖ, als deklariert deutschbewusste Kraft politisch reüssieren zu können.
Dies gelang ihr nur in sehr beschränktem Maße, allerdings stand sie damit von Anbeginn in Opposition zu den staatstragenden politischen Kräften der Zweiten Republik. Diese fundamentaloppositionelle Rolle sollte den politischen Weg der FPÖ über alle Epochen ihres Bestehens bis herauf zur Ära Kickl prägen. Bereits damals waren die Freiheitlichen die genuinen Gegner des rot–schwarzen Proporzsystems und damit so etwas wie Außenseiter der Zweiten Republik. Eine Rolle, die der Partei bis zum heutigen Tag immer wieder zuwachsen sollte.

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