Von Seuchen und Globalisierung

Viren, Gerüchte und Gier

Es ist schon kurios, wie sich die Bilder über den Lauf der Menschheitsgeschichte hinweg gleichen: Wenn tödliche Seuchen die Menschheit bedrohen, wenn Völker, Sippen, Familien und Einzelmenschen grassierenden Krankheiten, Epidemien, Pandemien ausgeliefert sind, scheinen sie immer ähnlich zu reagieren. Wenn es in unseren Tagen Corona-Partys waren, waren es zur Zeit der großen Pest im 14. Jahrhundert rauschende Feste in abgeriegelten Schlössern. Man denke an Boccaccios „Decamerone“! Und die bedrückend hässlichen Schnabelmasken der Pestärzte erinnern an unsere heutigen Corona-Masken, die der Wiener Volksmund längst „Basti-Maulkorb“ nennt, nachdem Kanzler Sebastian Kurz sie uns zur Verpflichtung macht.
Eines ist allerdings auch bei derlei Seuchen immer gleich gewesen: Sie verbreiten sich schier unaufhaltsam weltweit. Sogar die große Pest im Spätmittelalter, dem Vernehmen nach aus Zentralasien, wo sie über die Handelsrouten, konkret auch über die Seidenstraße, nach Europa vordrang und dann nach Venedig kam und sich über die Ratten und deren Flöhe in ganz Europa verbreitete. Allein zwischen 1346 und 1353 forderte die Pest in Europa geschätzte 25 Millionen Todesopfer. Ein Drittel der Bevölkerung. Und Ursache war das winzige Bakterium Yersinia Pestis. Heute ist es ein nicht minder winziges Virus, das uns zu schaffen macht, und es zeitigt längst nicht so schreckliche Folgen wie die Pest. Die von ihm verursachte Krankheit ist wesentlich weniger dramatisch und tödlich nur zu einem höchst geringen Promillesatz. Weltweite Kommunikation und medial geschürte Hysterie allerdings verursachen offenbar ähnliche Wirkungen wie sie der Schwarze Tod im Mittelalter nach sich zog.
Aber auch das Coronavirus ist ein Kind der Globalisierung.
Entstanden – wie auch immer – in der chinesischen Millionenstadt Wuhan, kam es zweifellos über chinesische Arbeitskräfte nach Oberitalien, wo es am stärksten wütete und ganz Europa zum „Hotspot“ der Pandemie machte. Weltweite Wanderungsbewegungen und intensiver ökonomischer Austausch, wie er im Zuge der Globalisierung gang und gäbe ist, sind natürlich die Voraussetzungen für die rasche und offenbar unaufhaltsame Verbreitung einer solchen Viruskrankheit. Und weltweit agierende Medien, insbesondere das Internet, sorgen dafür, dass sich die begleitende Hysterie ebenso globalisiert ausbreitet. Das Herunterfahren des Gesellschaftslebens und der gesamten Wirtschaft hat ja nicht nur in einzelnen europäischen Ländern stattgefunden, sondern ist indessen ein globales Phänomen. Dies lässt Verschwörungstheorien aufblühen. Wahrscheinlich ist es aber eben nur diese global medial geschürte Hysterie, die für diesen globalisierten Wirtschaftszusammenbruch sorgt.
Nun ist die Pest natürlich längst besiegt und die Übertragung über Flöhe, die von Ratten auf Menschen wechseln, beziehungsweise möglicherweise auch durch Kleiderläuse, findet gottlob nicht mehr statt. Wenn aber in unseren Tagen das Coronavirus über Schmierinfektion oder zumeist wohl über Tröpfcheninfektion verbreitet wird, ist die Infektionsgeschwindigkeit eine noch wesentlich höhere als die der Pest im Mittelalter. Die Geschwindigkeit der Mobilität in unserer Gesellschaft ist eben über Flugreisen und Massentourismus in der Welt höher als seinerzeit. Schneller als das Virus verbreiten sich nur Gerüchte und auch dies ist es ein Faktor, der sich durch die ganze Menschheitsgeschichte zieht.
Die Panik, die Menschen in der mittelalterlichen Gesellschaft durch die Gerüchte vom Wüten des Schwarzen Todes erfasste, war sicher beispiellos. Die Medienberichterstattung unserer Tage, die gezielte Angstmache, auf die manche Regierungen als Verhütungs- und Vorbereitungsstrategie setzen, ähnelt sicher den Seuchen-Gerüchten frühere Zeiten. Und diese Gerüchte verbreiten sich noch weit schneller als die Krankheitserreger – vor allem seit es Internet und Social Media gibt. Und das Gerücht von der Seuche wird auch im Bericht über die Seuche weitergetragen. Beispielsweise die sogenannte „attische Seuche“, die während des Peloponnesischen Kriegs im Jahre 430 v. Chr. wütete. Manche meinten, die Spartaner hätten die Brunnen vergiftet, andere behaupteten, Seeleutehätten die Krankheit aus dem Orient eingeschleppt oder gar die Götter hätten Athen bestrafen wollen. Schließlich einigte man sich darauf, den führenden Staatsmann der Stadt, Perikles, zum Schuldigen abzustempeln, der allerdings selbst ein Opfer der Pest wurde.
Ähnlich sind heute die vielfältigen Verschwörungstheorien im Hinblick auf das zeitgenössische Coronavirus. Ist es aus einem chinesischen Militärlabor entsprungen oder waren es schlicht und einfach die bösen Fledermäuse, die die noch böseren Chinesen zu verzehren pflegten?
Neben Pest und Cholera waren es aber auch andere Erkrankungen wie die Pocken oder die Masern, die insbesondere nach der Entdeckung Amerikas die indigenen Völker dezimierten. Sie hatten schlicht und einfach nicht die entsprechende Immunität, um dagegen zu gewappnet zu sein. Im Gegenzug schleppten die Entdecker die Syphilis nach Europa ein, die am Ende des 15. Jahrhunderts ein gesamtes französisches Ritterheer, das Italien erobern wollte, auslöschte, und wenige Jahre später erreichte dieselbe Syphilis auch China. Also auch damals war die Seuche bereits globalisiert. Die Cholera schließlich war die Geißel des 19. Jahrhunderts. Ihr wurde im Wesentlichen durch den Bau der Kanalisationsanlagen der Nährboden entzogen. Und die Grande Armee Napoleons wurde im Jahre 1812 in Russland nicht nur von den Kosaken, sondern auch von Fleckfieber besiegt.
Die möglicherweise meisten Opfer forderte jedenfalls die Spanische Grippe, die am Ende des Ersten Weltkriegs einem US-amerikanischen Militärlager entsprang und mit den Soldaten nach Europa kam. Wobei sie zwischen 1918 und 1920 weltweit geschätzt bereits nahezu 50 Millionen Opfer forderte. Die heimkehrenden Soldaten aus aller Welt, die in den Kolonialarmeen der Entente-Mächte gedient hatten, sorgten für die weltweite Verbreitung des Virus, welches die Spanische Grippe auslöste.
Kurioserweise allerdings verursachte diese Spanische Grippe in kaum annäherndem Maße diejenige Hysterie wie heute das Coronavirus. Das mag daran liegen, dass man unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg das Massensterben gewissermaßen gewöhnt war und dadurch abgestumpft war.
Heute ist jedenfalls klar: Seuchen finden globalisiert statt und werden die Menschheit immer wieder bedrohen. Wenn es eine Impfung und entsprechende Medikamente gegen das Coronavirus gibt, wird ein anderer Erreger oder ein mutiertes Coronavirus auftreten. Seuchenangst, das Gerücht von der Seuche, wird es ebenfalls immer geben, und gewappnet kann man nur sein durch intakte Gesundheitssysteme, durch eine innovative Forschung und durch die hygienische Disziplin der Menschen. Die Angst und die Hysterie, das Gerücht von der Seuche sind jedenfalls schlechte Ratgeber, wenn es um das Leben in „Zeiten der Corona“ geht.

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