Pandemie, Paternalismus und Protest

Unsere Gesellschaft zwischen Angst und Internet-Anarchie

Angst war es, die die Menschen zur Willfährigkeit gegenüber den neuen restriktiven Maßnahmen der Regierung bewegte. Angst war es wohl auch, die die Regierung selbst antrieb. Angst davor, für Corona-Tote verantwortlich zu sein. Eine Verantwortung, die in unserer westlichen Gesellschaft kaum ein Politiker noch auf sich nehmen will. Und jene, die es taten, wie der US-Amerikaner Donald Trump oder der Brite Boris Johnson, revidierten ihre Haltung relativ rasch.
Die Aussagen des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz, wonach ohne die Maßnahmen mit Hunderttausenden Toten im Lande zu rechnen wäre, sie steigerten diese Angst. Ebenso wie die Rede davon, dass bald jeder Österreicher einen Corona-Toten kennen würde. Und diese Angst trieb die Menschen zum Gehorsam. Zum Gehorsam, sich von ihren Alten zu verabschieden, sich von ihren Freunden und Geschäftspartnern fern zu halten, Eheschließungen aufzuschieben und die Beerdigung der engsten Verwandten zu meiden. Und die Angst war es auch, die die Menschen motivierte, sich als gefügige Lämmer hinter den Leitwölfen der etablierten Politik zu scharen. Die Umfragewerte, die Sebastian Kurz und seine türkise Truppe momentan aufzuweisen haben, machen dies deutlich.
Im viel höherem Maße als das Virus selbst verbreitet sich also die Angst epidemisch und weltweit pandemisch. Unsere Seuche heißt also Angst. Sie bewegt uns, das soziale Wesen Mensch, dazu, den Mitmenschen zu meiden, körperliche Nähe zu fürchten und jegliche Empathie und das Bedürfnis nach Sozialität zu unterdrücken. Das Tragen von Gesichtsmasken und das krampfhafte Einhalten von physischem Abstand sind die Symptome dieser Seuche, die da Angst heißt.
In den ersten Märztagen dieses Jahres war es zweifellos „Gefahr im Verzug“, was die Regierung nötigte, rasche und entschiedene Maßnahmen zu treffen.
Und die Verabschiedung des ersten Covid-19 Gesetzespakets, im Nationalrat einstimmig beschlossen, durch alle Parlamentsparteien, auch durch die der Opposition, bezeugt die Einsicht in die Notwendigkeit, rasch und auch unter Missachtung parlamentarischer Usancen zu handeln. Und vielleicht war es neben der Disziplin der Bevölkerung auch diese schnelle Vorgangsweise der Regierung, die es in Österreich ermöglichte, die Seuche relativ erfolgreich zu bekämpfen.
Dann aber schlich sich gewissermaßen über die Inszenierung der Regierungsmaßnahmen – durch die täglichen Pressekonferenzen mit dem Einmarsch im Gleichschritt der agierenden Minister – so etwas wie ein paternalistisches Gehabe ein. Ganz nach dem Motto: Es gilt das gesprochene Wort des Kanzlers, des Gesundheitsministers, des Innenministers etc. Und dabei wurde mittels höchst unscharfer, bisweilen auch widersprüchlicher Erlässe ein Reglemtierungs-Tsunami auf die Gesellschaft losgelassen, der seinesgleichen in der Geschichte des Landes sucht. Erlässe, Rechtsakte also, die rein inneradministrativ wirken, bestimmen unser Leben. Den Terminus „Notverordnungen“ hat man vermieden, da waren die geschichtskundigen unter den Regierenden sensibel genug, um sich an die 1930er-Jahre erinnern.
Und die Menschen, die Bürger des Landes, sind verängstigt genug, um in echter Untertanenmentalität ständig zu fragen: Dürfe man dies, dürfe man jenes? Das urdemokratische Bewusstsein, dass man in einem freien Land und in einer freien Gesellschaft alles darf, was nicht durch ordentlich und regelrecht zustande gekommene Gesetze verboten ist, haben wir allzu rasch verloren.
Und wenn die Exekutivorgane des Landes, angefangen vom Regierungschef bis zum kleinsten Dorfpolizisten, einmal vom allzu süßen Apfel der autoritären Versuchung gekostet haben, ist der Willkür offenbar Tür und Tor geöffnet. Das Bewusstsein etwa, dass das Betreten des öffentlichen Raumes unter Einhaltung der gesetzlich gegebenen Einschränkungen – Abstand halten, etc. – selbstverständlich überall dort erlaubt ist, wo es nicht ausdrücklich mittels korrekt zustande gekommener rechtsstaatlicher Grundlagen untersagt ist, sollte klar sein. Und willkürliche behördliche Einschränkungen dieses Rechts müssen entschieden bekämpft werden. Und was ich in meinen eigenen vier Wänden tue oder unterlasse, unterliegt meinem privaten Hausrecht und geht den Staat und die Behörde rein gar nichts an. Empfehlungen von auch noch so hohen Herren Ministern etc., das eine zu tun, das andere zu unterlassen, bleiben Empfehlungen und sind alles andere als Gesetze. Die Gefahr, dass solch paternalistisches Gehabe der Regierenden auch über das Ende der Pandemie hinaus erhalten bleibt, muss erkannt und schnellstens unterbunden werden. Wenn das Gerede von der „neuen Normalität“, das wir aus dem Regierungsumfeld immer wieder hören, bedeutet, dass wir uns an den Abbau der parlamentarischen Demokratie gewöhnen sollten, dann müssen wir uns als Bürger wehren. Auch wenn gegenwärtig die Zustimmung – so sagen es zumindest die Meinungsumfragen – zu den Regierungsmaßnahmen groß ist und beispielsweise die regierende türkise ÖVP auf die absolute Mehrheit hinzustreben scheint, gibt es einen Bereich, in dem sich Bürgerprotest, Unmut und Kritik gegenüber den Maßnahmen der Seuchenbekämpfung artikulieren: Das Internet und die sozialen Medien. Da kursieren einerseits die abstrusesten Verschwörungstheorien und andererseits können sich dort nonkonformistische Experten, Mediziner, Virologen, Soziologen und Psychologen zu Wort melden, die offenbar alternative Ansichten zu jenen Experten vertreten, die in den Krisenstäben der Regierung besprochen werden. Die Fülle der Informationen, die widersprüchliche Unübersichtlichkeit der Aussagen, die dem Zeitgenossen im Internet tagtäglich stündlich variierend dargeboten werden, schafft allerdings keine Klarheit.
Es ist das Netz, es sind die sozialen Medien vielmehr ein Ort der Freiheit, der Anarchie, ein Ventil für die Menschen, vielleicht ihre Ängste, ihr Unbehagen, ihren Unmut zu artikulieren beziehungsweise sich diesbezüglich dort in den Mitteilungen anderer wiederzufinden. Dieses Ventil allerdings ist regulierbar. Regulierbar durch Zensurmaßnahmen, regulierbar durch im extremsten Falle schlichte Abschaltung. Vorläufig aber sind diese sozialen Medien, ist das Internet der einzige Ort, an dem Bürgerprotest stattfinden kann. Die etablierten Medien sind insbesondere durch die Millionen-Finanzspritzen der Regierung auf Regierungskurs. Sie bieten kritischen Stimmen kaum Raum, behaupten, Solidarität in der Kreise sei oberste Bürgerpflicht, wo sie doch im Wesentlichen Servilität gegenüber den Regierenden praktizieren.
Bürgerprotest, wie er in freien Ländern und entwickelten Demokratien üblich ist, nämlich durch Protest auf der Straße, durch Demonstrationen, durch politische Tätigkeiten, ist gegenwärtig ja unmöglich. Und demokratiepolitische beziehungsweise parlamentarische Korrektur durch die Parteien der Opposition ist gegenwärtig auch nur in zaghaften Ansätzen vorhanden.
Wie es die Meinungsforscher so treffend ausdrükken: Im Moment schlägt noch nicht die Stunde der Opposition, es ist die Stunde der Regierung! Das aber wird sich ändern und spätestens nach dem Rückgang der Pandemie, wenn der Vorwand der Seuchenbekämpfung wegfällt, wird es die Aufgabe der parlamentarischen Opposition sein, die Freiheitsrechte der Bürger von den Regierenden einzufordern und die Fiktion einer „neuen Normalität“ als gefährliche Drohung eines neuen paternalistischen Systems in die Schranken zu weisen.

1 Responses to Pandemie, Paternalismus und Protest

  1. Matthias sagt:

    Sehr treffend analysiert.
    Ich rechne mich politisch eher dem linken Spektrum zu, aber ich mag Sie Herr Mölzer. Ihre Analysen und auch ihre Auftritte bei Fellner live. In noblem Stil, ohne Untergriffe und in weiser Sprache.

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