Österreichs gespaltene Zivilgesellschaft

Die Zivilgesellschaft, das ist ein Faktor in den westlichen Demokratien, der immer bedeutsamer wird. Ein Faktor, der neben den gewählten Volksvertretungen, neben den Parlamenten also, mitentscheiden und mitbestimmen will in den gesellschaftlichen Abläufen und Prozessen. Ein Faktor, der für das Alltagsleben der Menschen häufi g ebenso wichtig ist wie die Familie, der Beruf und wie die ganz reale offi zielle Politik.
In Österreich ist diese Zivilgesellschaft, wenn wir bei diesem Terminus bleiben wollen, eine höchst zwiespältige: Da gibt es einerseits die zeitgeistgemäßen und politisch korrekten „NGOs“, in denen sich die Kulturschickeria, Meinungsmacher und antifaschistische Bedenkenträger tummeln, jene Kräfte, die sich auf der Höhe des Zeitgeists natürlich als die eigentliche und alleinige Zivilgesellschaft  betrachten. Und dann gibt es da die vielen Vereine und Vereinigungen, wo Freiwilligenarbeit geleistet wird, die Feuerwehren, die Vereinigungen des Zivilschutzes sowie schließlich die Vereine, die Volkskultur und Brauchtum pfl egen, Blaskapellen, Chöre, Trachtenvereine usw.
Die zeitgeistig schicke Zivilgesellschaft belächelt natürlich die andere Facette der österreichischen Zivilgesellschaft, die Brauchtumsvereine, die Freiwilligen-Organisationen. Oder sie verachtet sie sogar und hält sie insgeheim für einen Hort reaktionären Denkens und tendenziell faschistoider Blut- und Bodenideologie. Und doch sind Millionen Österreicher in dieser wertkonservativen Zivilgesellschaft, in den Brauchtumsvereinen und in den Freiwilligen-Organisationen tätig und sie leisten in letzteren eine wichtige soziale Aufgabe und in den ersteren eine kulturelle Arbeit, die nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Die linke „Civil Society“ – Betrachten wir zuerst einmal die zeitgeistige, eher links gepolte Zivilgesellschaft. Am lautstärksten ist sie dort, wo es gilt, den gesellschaftspolitischen ach so wichtigen „Kampf gegen Rechts“ gegen faschistoide Tendenzen, gegen Rechtspopulismus und all das zu führen. Wer entsinnt sich nicht des indessen sanft entschlafenen „Republikanischen Klubs“, der seinerzeit das Holzpferd gegen Bundespräsident Kurt Waldheim präsentierte?
Oder wer kennt ihn nicht, den einigermaßen obsessiven Herrn Alexander Pollak, der seinen Verein „SOS-Mitmensch“ ganz im Stil einer religiösen Sekte führt und als unermüdlicher Warner – wenn es sein muss auch ganz allein, mit selbst gezimmerten Warntafeln – gegen das Wiedererstarken des rot-weiß-roten Faschismus kämpft. Und wer kennt sie nicht, all die Schriftsteller, die sich politisch korrekt bei jeder Unterschriftenaktion gegen den Rechtspopulismus rund um den Vorarlberger Literaten Michael Köhlmeier gruppieren? Oder die linken Kabarettisten, die sich in Österreich nahezu als Hochadel der Kulturschickeriafühlen.
Sie bilden die Crème de la Crème der linken politisch korrekten Zeitgeist-Zivilgesellschaft und sie sind es, die die Unterstützungskomitees für Grüne oder sozialdemokratische Politiker zieren. Und sie sind es – was noch viel wichtiger ist –, die bislang die Listen der staatlichen Subventionen und Förderungen mit ihren Namen anführten.
Insbesondere die Antifa-Szene, die sich beispielsweise in der Organisation diverser Großdemonstrationen etwa gegen den Ball der Wiener Studentenverbindungen oder ähnlicher Anlässe hervortut, gestützt früher vom grünen Parlamentsklub oder der österreichischen Hochschülerschaft, sie gehört auch zu diesem Bereich der zeitgeistigen Zivilgesellschaft.
Dann sind da Organisationen wie das „Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands“ oder das „Mauthausen Komitee“, die beinahe schon den offiziösen Charakter staatlicher Tugendwächter-Vereine haben, die in dieser Zivilgesellschaft eine große Rolle spielen.
Und natürlich jene Vereine, die die Willkommenskultur des Landes zelebrieren und sich die Betreuung von echten oder auch nur Scheinasylanten aufs Panier geschrieben haben. „SOS-Asyl“, die Caritas und viele nachgeordnete Vereine bilden diesen Teil der Zivilgesellschaft, der im Übrigen zumeist in den vergangenen Jahren auch hochsubventioniert war. Wie viele Österreicher in diesem Bereich der Zivilgesellschaft engagiert sind, ist eine andere Frage. Es ist wohl eher jene Minderheit, die sich als linke Intelligenzija versteht und den spätlinken Zeitgeist, angeführt von den in die Jahre gekommen Alt-68ern, repräsentiert.
Die Freiwilligen – Stützen der Gesellschaft – Ganz anders verhält es sich mit jenem Bereich der österreichischen Zivilgesellschaft, der in der Freiwilligenarbeit Leistungen für Land und Leute erbringt.
Wenn man sich allein das österreichische System der Freiwilligen Feuerwehren vergegenwärtigt, das flächendeckend quer übers Land zehntausende von Bürgern vereint, die in Notfällen bestens ausgebildet und technisch gut ausgerüstet bei Unfällen, Bränden und anderen Katastrophen stets bereitstehen, weiß man, wie wichtig diese Freiwilligenarbeit ist. Natürlich ist damit auch ein sozialer Faktor gegeben, da in diesen Freiwilligen-Verbänden, eben beispielsweise bei der Freiwilligen Feuerwehr, auch Gemeinschaft und Geselligkeit praktiziert werden. Gerade in kleineren Kommunen ist die Feuerwehr häufig auch der gesellschaftliche Mittelpunkt des dörflichen Lebens und mit der Mitgliedschaft beziehungsweise der Leistung in dieser Feuerwehr ist auch ein gewisses Sozialprestige verbunden.
Ähnlich ist es natürlich bei anderen Zivilschutzorganisationen, bei der Wasserrettung, beim Roten Kreuz, bei der Bergrettung und in vielen anderen Bereichen. Weitestgehend ehrenamtlich investieren zahlreiche Österreicher Zeit, Mühe und Idealismus in diese Freiwilligen-Tätigkeiten, ohne die viele Bereiche der Gesellschaft auch nicht funktionieren würden.
Außerdem ist es mit bezahlten Hilfsdiensten, in denen sogenannte „Profis“ dieselben Leistungen erbringen sollen wie die Freiwilligen, häufig unmöglich, die Quantität der Freiwilligendienste zu ersetzen. Gewiss, in den großen Städten Österreichs gibt es auch wie in den anderen europäischen Ländern Berufsfeuerwehren, die sich natürlich aus gutbezahlten professionellen Kräften zusammensetzen. Die gleiche flächendeckende Effizienz, wie sie die Freiwilligen Feuerwehren bieten, könnte man landesweit aber gar nicht finanzieren.
Nicht zu unterschätzen ist der altruistische und idealistische Ansatz dieser Freiwilligenarbeit: Zumeist handelt es sich ja um Hilfestellungen im Katastrophenfall, bei Unfällen oder, was Rettungsdienste betrifft, im Krankheitsfalle. Und im dörflichen Bereich ist beispielsweise der Dienst in der Feuerwehr auch eine Form der Nachbarschaftshilfe, nach dem Motto: „Wenn es bei uns im Dorf brennt, helfen wir alle zusammen“. Das besagt nicht mehr und nicht weniger, als dass diese Freiwilligen-Dienste, die in Österreich in großer Masse quer durch das Land geleistet werden, ein Ausdruck von humanistischer Gesinnung im besten Sinne des Wortes sind. Die Volkskultur-Vereine – Ein weiterer und überaus bedeutsamer Bereich dieser – nennen wir es wertkonservativen – Vereinigungen der österreichischen Zivilgesellschaft sind die vielen Volkstums-, Brauchtums- und traditionellen Kulturvereinigungen: Von den Tiroler Schützen bis zu den zahllosen Musikkapellen, die es quer durch Österreich gibt, von den vielen Chören über Volkstanzgruppen bis zu Kirchtagsvereinigungen und Faschingsgilden reicht das Spektrum im österreichischen Vereinswesen, das traditionelles Brauchtum, historisch gewachsene Volkskultur, Sitten und Bräuche des Landes und seiner Leute pflegt und in die Zukunft trägt. Hunderttausende Österreicher sind in diesem Bereich der Zivilgesellschaft engagiert und tätig, ihre kulturelle Identität wird dadurc wesentlich geprägt.
Traditionsbewusstsein wird dort gemeinsam mit geselligem Beisammensein, eben mit traditioneller Gemeinschaft, gepflegt. Die „Oberlandler“ in der Steiermark, die Villacher „Bauerngman“, der Arnoldsteiner Grenzland-Chor, die diversen Bürgergarden, die eine oder andere Jugendblaskapelle, sie alle sind Teil einer spezifisch österreichischen Zivilgesellschaft, die das Land prägt. Außerdem sind die Chöre, die Kapellen und Orchester der Humus für künstlerische Leistungen von Weltformat. Ein Land, in dem zehntausende Menschen Musik machen, bringt mit einer gewissen Zwangsläufigkeit eben auch das eine oder andere Musikgenie hervor und so sind wahrscheinlich ein Mozart, ein Schubert, so sind die Gebrüder Strauß nicht denkbar ohne die vielen Menschen, die musizieren, Instrumente lernen und in Chören singen.
In vermeintlich ach so progressiven Zeiten, die von kultureller Globalisierung geprägt sind, mag diese Pflege von traditioneller Volkskultur für viele reaktionär, ja gestrig anmuten. Sie ist aber identitätsstiftend für Österreich. Natürlich wird sie auch in einem Fremdenverkehrsland touristisch benützt, bisweilen sogar missbraucht, der eine oder andere „Tiroler Abend“ in der alpinen Gastronomie und Hotellerie mag für den kritischen Zeitgenossen unerträglich sein.
Und zwischen Volksmusik und volkstümlicher Musik, bisweilen auch „volksdümmlicher Musik“, ist zweifellos ein Riesenunterschied. Dennoch sind auch jene Österreicher, die der trivialen volkstümlichen Musik und Kultur anhängen, Menschen, die eine gewisse Wertehaltung und auf jeden Fall Heimatbindung aufweisen. Dass damit eine nicht zu unterschätzende Unterhaltungsindustrie auch ihr Geschäft macht, ist eine andere Sache. Einen besonderer Bereich der konservativen, traditionellen und historisch gewachsenen Zivilgesellschaft stellen die heftig angefeindeten studentischakademischen Korporationen, die Burschenschaften, Corps, Landsmannschaften und Sängerschaften dar. Sie, die wie auch alle anderen Bereiche des traditionellen Vereinswesens auf das 19. Jahrhundert und die Zeit nach dem Erkämpfen der Vereins- und Versammlungsfreiheit zurückgehen, sind durch ihre vaterländisch-patriotische, auf den alten Deutschnationalismus zurückgehende Haltung sowie durch die studentische Mensur und ein altes vaterländisches Liedgut für viele Zeitgenossen heute unverständlich.
Durch ihre Verknüpfung über lange Jahre mit einer fundamental-oppositionellen politischen Partei sind sie überdies in die tagespolitische Auseinandersetzung gezerrt worden. Ebenso aber wie der klerikale Cartellverband es für den Bereich der Volkspartei darstellt, sind eben diese nationalfreiheitlichen Korporationen für die Freiheitliche Partei Elite-Reservoirs und akademisches Potential und deshalb ein gesellschaftspolitisch nicht zu unterschätzender Faktor.
Aufgeführt müssen in diesem Zusammenhang auch noch die vielen Turn- und Sportvereine werden, die es quer durchs Land gibt. Ursprünglich war es das auf den Turnvater Friedrich Ludwig Jahn zurückgehende Turnen, das seit Mitte des 19. Jahrhunderts auch in Österreich Verbreitung fand. Heute stehen dem österreichischen Turnerbund, der Nachfolge-Organisation der deutschen Turnvereine, längst ein eher ÖVP-naher Verband und eine SPÖ-naher Verband, die beide ebenfalls Turnvereine zusammenfassen, gegenüber. Abgesehen aber von solchen Parteipräferenzen ist die idealistische Arbeit im Sinne der Volksgesundheit, die von diesen Vereinigungen geleistet wird, nicht zu unterschätzen.
Ein weiterer Bereich einer wirklich gemeinnützigen und allgemein beliebten Zivilgesellschaft sind die zahlreichen Sportvereine: Keine österreichischen Gemeinde, die nicht einen Fußballklub hätte, wobei Österreich natürlich kein Fußballland mehr im althergebrachten – oder heute im lateinamerikanischen – Sinne ist, wo die Buben auf der Straße ständig Fußball spielen. Es ist aber nach wie vor ein Land des Vereinsfußballs. Dass dabei die Liebe zum runden Leder oft den internationalen Erfolg überragt, ist eine ganz andere Sache. Dennoch sind die Sport- und Fußballvereine – wobei auch jede Menge anderer Sportarten betrieben werden – ein wichtiger Faktor des zivilen österreichischen Alltagslebens. Junge Österreicher lernen dort Teamgeist, Zusammenarbeit und Leistungsbereitschaft.
Vielleicht ist diese Vielfalt der traditionellen, aber auch der zeitgeistigen Zivilgesellschaft mit ihren zahllosen Vereinen, Vereinigungen, Klubs und Zirkeln ein typischer Ausdruck deutscher und auch österreichischer Vereinsmeierei.
Tatsächlich spielt sich aber das gesellschaftliche Leben der Österreicher neben der Familie und dem beruflichen Umfeld, fernab der hohen Politik und auch der Hochkultur, fernab von gesellschaftlichen Events wie den Salzburger Festspielen oder den Wiener Festwochen, im Kleinen und im Alltag in diesen zivilgesellschaftlichen Vereinigungen ab.
Sie sind ein wesentlicher Faktor, in dem die Menschen  sozialisiert werden. Sie sind ein Faktor eines gesellschaftlichen geselligen Zusammenlebens, sie schaffen ihnen Identität und Identifikation, sie fordern Idealismus und auch Altruismus gegenüber den Mitbürgern, gegenüber den Nachbarn und allgemein gegenüber den Mitbürgern. Wir Österreicher sind Vereinsmeier – und das ist gut so.

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