Böse Menschen haben keine Lieder

Über das Musikland Österreich, Mozart, Falco und Musikkapellen

Wolfgang Amadeus Mozart hat man leichterdings zum Österreicher gemacht. Und das, obwohl er bekanntlich im reichsunmittelbaren und unabhängigen Fürsterzbistum Salzburg als Untertan des Primas Germaniae, des Erzbischofs von Salzburg, das Licht der Welt erblickte. Und Ludwig van Beethoven gilt ebenso als österreichisches Musikgenie, obwohl er aus dem Rheinland stammt. Dafür hat man ebenso leichterdings den Braunauer zum ultimativ bösen Deutschen ausgebürgert. Typisch österreichische Chuzpe, könnte man meinen, eben ein „Wiener Schmäh“. Die Einbürgerung Mozarts und Beethovens allerdings ist für das österreichische Selbstverständnis tatsächlich von eminenter Bedeutung, denn was wäre das Musikland Österreich ohne diese beiden ultimativen Genies? Wenn Bach und später Wagner zweifelsfrei als Deutsche firmieren, müssen Mozart und Beethoven schon Österreicher bleiben dürfen (auch wenn sie damit natürlich zu ihren Lebzeiten auch ebenso zweifelsfrei Deutsche waren).
So bleibt es jedenfalls eine Tatsache, dass sich das kleine Österreich als Musikland von Weltrang betrachten darf. Mozart, Haydn, Beethoven, Liszt, Schubert, Brahms (auch so ein zugereister Deutscher) Bruckner, Richard Strauss – das ist schon die Creme de la Creme der klassischen Musik, die Spitzenleistung eben eines wesentlichen Bereichs der Menschheitskultur.
Die Werke dieser österreichischen Meister stellen bis zum heutigen Tag einen Großteil des Repertoires der Konzert- und Opernhäuser dieses Planeten dar, und verglichen mit der musikalischen Potenz, die sie repräsentieren, ist das übrige europäische Musikschaffen von Vivaldi bis Tschaikowsky, von Edvard Grieg bis Claude Debussy nur – wenn auch besonders beeindruckende – Begleitmusik. Und auf dem entsprechenden Niveau befindet sich auch die Pflege dieser klassischen Musik, die Wiener Staatsoper ist nach wie vor eines der bedeutendsten Opernhäuser der Welt. Die Wiener Philharmoniker sind im langfristigen Vergleich wahrscheinlich das beste Orchester des Planeten. Da erweist sich das kleine Österreich als Weltmacht in Sachen klassischer Musik.
Daneben waren die Alpen- und Donauländer aber auch immer ein Hort der leichten Muse. Operettenmelodien und Walzerklänge von den Gebrüdern Strauß bis zu Franz Lehár sind Zeugen eines scheinbar verspielten Lebensstils und eines beschwingten Musikgeschmacks, der musikalische Leichtigkeit mit tonschöpferischem Tiefgang zu verbinden wusste. Dazu kommt Schrammel- und Heurigenmusik, die über Generationen das Wiener Lebensgefühl bestimmten.
Der liebe Augustin, jener österreichische Nationalheld, der aus der Pestgrube der frühen Neuzeit in unsere Zeit herüber grüßt, war nicht zufällig ein Spielmann, er blies auf dem Dudelsack, und der kleine Wolfgang Amadeus Mozart war auch so etwas wie ein kindlicher Spielmann, der als junges Genie der Kaiserin Maria Theresia am Piano Forte vorspielen durfte. Spielleute waren auch die Gebrüder Strauß, die in ihren Wiener Walzer-Etablissements der tanzwütigen besseren Gesellschaft der k. u. k. Haupt- und Residenzstadt aufspielen durften. Aber auch typisch österreichische Liedermacher der jüngeren Generation, von Hansi Hölzel vulgo Falco bis zu Wolfgang Ambros, Georg Danzer und den anderen Austropopern, auch sie sind Spielleute, die so etwas wie eine typisch österreichische Klangwelt vertreten. Gewiss, zwischen den Schubertliedern wie „Am Brunnen vor dem Tore“ oder oder „Skifoan“ von Wolfgang Ambros liegen Welten, beides ist aber Teil eines spezifisch österreichischen Liedguts, das im Zeitraum von zwei Jahrhunderten die Menschen des Landes auf ihre ganz verschiedene und irgendwie doch ähnliche Weise er fasste und bewegte.
Was ist nun der Humus, auf dem diese Musikalität des Landes und seiner Menschen wächst? Zuerst war da wohl einmal ein sangesfreudiges Völkchen, das da auf seinem keltoromanischen, alpenslawischen Urgrund die bajuwarischfränkische Landbevölkerung ausmachte. Gesang und Musik auf einfachen rustikalen Instrumenten, die zuerst im ländlichen Gemeinschaftsleben gepflegt wurden, darüber natürlich die Musikpflege auf Adelssitzen und Fürstenhöfen bis hin zum kaiserlichen Hof in Wien. Zum einen zog der Kaiserhof große musikalische Genies an, die dort auch Aufträge und entsprechende Honorierung erhielten, zum anderen war diese aristokratische und höfische Musikpflege in der Folge dann auch Vorbild für die Musikpflege in bürgerlichen Häusern.
Im Biedermeier und dann später der Gründerzeit wurde in den großbürgerlichen Salons ebenso wie im biederen Familienkreis Musik gemacht und Musik konsumiert. Und natürlich war es immer auch Unterhaltungsmusik, Tanzmusik sowohl für den höfischen Adel, als auch dann für die bürgerlichen Schichten und auch für die einfache Landbevölkerung, welche die musikalische Grundstimmung des Landes und seiner Menschen prägte. Von der Walzerseligkeit des 19. Jahrhunderts bis zum Austropop des ausgehenden 20. Jahrhundert hat mehr oder weniger hochstehende oder mehr oder weniger triviale Unterhaltungsmusik in das Musikland Österreich mitgeprägt.
Quer übers Land gab und gibt es außerdem Chöre und Musikkapellen, jede bessere Gemeinde verfügt über eine Blaskapelle und jede Schule über einen Chor. In den Wirtshäusern, an Kirchtagen und anderen ländlichen Festen wurde gesungen, organisiert oder auch spontan in launiger Runde. Die Studenten sangen auf ihren Verbindungshäusern, die Zecher beim Heurigen, die Bauersleute bei schweißtreibender Erntearbeit und gewerkschaftlich organisierte Arbeiter am 1. Mai. Am Kirchtag marschierte die Blaskapelle durch die Ortschaft und am Abend spielte sie mit Landler und Polka zum Tanz auf, und mit der Erfindung des Radios im frühen 20. Jahrhundert kam die Musik auch noch massenhaft in die privaten Haushalte. Und überall im Lande gab und gibt es Musikschulen, die neben den Chören und Orchestern für Nachwuchs bei Gesang und Instrumentenspiel sorgen.
Dass die Musik Österreichs Image im europäischen, aber auch im überseeischen, Ausland prägt, ist völlig klar. Mozart und seine Zauberflöte, „The Sound of Music“ der Familie Trapp, die Wiener Sängerknaben mit ihren Konzertauftritten zwischen Kalifornien und Japan und das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker, das Jet-Set-Getriebe bei den Salzburger Festspielen, die Fledermaus auf der Seebühne von Mörbisch und der Videoclip von Falco als Amadeus, das sind die musikalischen Bilder, welche die Erwähnung des Musiklandes Österreich weltweit in den Köpfen der Menschen hervorruft. Dass die damit verbundenen Klischees im Zuge der Tourismuswerbung auch vermarktet werden und dass Orchester von Weltformat gewaltige Budgets verschlingen, steht allerdings auch außer Zweifel. Auch die Einrichtung und der Betrieb von Musikschulen kosten Geld, und zwar Steuergeld, und das nicht wenig, und Jahr für Jahr muss die Kulturpolitik viele Steuermillionen für Kulturförderung, sei es im Bereich der Hochkultur oder auch der volkstümlichen breiten Kultur, zur Verfügung stellen, um das Niveau, das Österreich in diesem Bereichen erreicht hat, zu halten. Letztlich aber sind dies Investitionen, die dem Land und seinen Menschen einen unglaublich großen Gewinn in kultureller und moralischer Hinsicht, aber auch ganz realer wirtschaftlicher – man denke an den Tourismus – bringen.
Wenn heute immer wieder die Binsenweisheit zu hören ist, dass das größte Kapital eines Landes und eines Volkes die Bildung und die Pflege der Wissenschaft und Erforschung sei, so ist hinzuzufügen, dass die Pflege unserer Musikkultur, das Fördern musikalischer Talente und die gezielte Ausbildung im musikalischen Bereich – sowohl was den Gesang als auch das Spielen von Instrumenten betrifft –ein wichtiger und insbesondere für Österreich zentraler Bestandteil einer solchen Bildungsförderung sein muss. Das weltweit anerkannte Musikland Österreich ist in weit höherem Maße von dieser Pflege der musikalischen Kultur abhängig als andere Länder. Das sollte uns bewusst sein.

One Response to Böse Menschen haben keine Lieder

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