Nun hat sich also in der Vorwoche der neue Nationalrat konstituiert, wobei viele neue Gesichter in der Volksvertretung vorzufinden sind. Neben gut 60 türkis-schwarzen Abgeordneten finden sich 52 Sozialdemokraten und immerhin 51 Freiheitliche, daneben noch zwei Handvoll Abgeordnete der beiden Splittergruppen, der unsäglichen Pilz-Truppe und der nicht mehr sonderlich interessanten NEOS. Mit einer satten Mehrheit von mehr als 110 Abgeordneten könnte also eine künftige Mitte-Rechts-Regierung zwischen ÖVP und FPÖ rechnen. Eine Mehrheit, die nicht nur die Möglichkeit zu umfassenden Reformen gibt, sondern geradezu die Verpflichtung dafür mit sich bringt. Für verfassungsändernde Gesetze würde diese Mehrheit allerdings noch die Stimmen der NEOS benötigen, um zwei Drittel der Abgeordneten hinter sich zu versammeln. Auch wenn nun die neue Regierung deklariertermaßen stärkere direkt-demokratische Elemente einführen will, wie etwa verpflichtende Volksabstimmungen, bleibt der Nationalrat dennoch die erstrangige Volksvertretung der Republik. Die Verantwortung, welche die Abgeordneten somit haben, sollte ihnen dementsprechend auch wirklich bewusst sein. Das Wohl und Wehe der Republik und damit von Land und Leuten lastet auf ihren Schultern.
Apropos Republik: 100 Jahre nach der Gründung derselben in den Herbsttagen des Jahres 1918 haben die Freiheitlichen dabei wieder eine besondere Rolle inne. Damals war es die große Mehrheit der nationalliberalen deutsch-freiheitlichen Abgeordneten, die in der Provisorischen Nationalversammlung das Sagen hatten. Das war auch der Grund, warum ihr Vertreter, der Präsident der Provisorischen Nationalversammlung, der Burschenschafter Franz Dinghofer, am 12. November 1918 von der Rampe des Parlaments die Ausrufung der Republik vornahm. Politische Größe bewiesen diese deutsch-freiheitlichen Abgeordneten auch, weil sie nicht einen der ihren, sondern den Sozialdemokraten Karl Renner zum Staatskanzler machten, dies wohl auch deshalb, um auf diesem Weg die Sozialdemokratie zur Disziplinierung der Straße zu bewegen, zur Verhinderung einer drohenden kommunistischen Räterepublik.
Heute sind die Freiheitlichen zwar nicht wie damals eine Mehrheit in der Volksvertretung, sie sind aber durch ihren jüngsten Wahlerfolg die Königsmacher für eine neue Regierung und der Reformmotor für eine solch neuzubildende Regierungskoalition. Deutsch-freiheitliche Abgeordnete standen also an der Wiege der Republik, sie stehen heute wieder am Beginn eines neuen Reformzeitalters.
Wichtig in der neuen Volksvertretung ist aber auch die Rolle der Opposition. Nachdem die Freiheitlichen im letzten Jahrzehnt so etwas wie eine staatstragende, wenn auch bisweilen eine fundamentalistische, Oppositionsrolle gespielt haben, lastet diese Verantwortung nun auf der linken Reichshälfte der Volksvertretung. Nun sind die Grünen aus dem Parlament geflogen, die Liste Pilz ist durch ihren Skandal geschwächt, und die geschlagene Sozialdemokratie ist schwer desorientiert. Dennoch wird es an den Abgeordneten der Linken liegen, sich neu zu erfinden und ihrerseits eine für das Land und die heimische Demokratie notwendige konstruktive Opposition zu formieren. Diese ist als Kontrollinstanz und als Korrektiv gegenüber der neuen Mitte-rechts-Regierung zweifellos demokratiepolitisch notwendig.
Insgesamt aber bringt die Ablösung der alten rot-schwarzen Proporzregierung und die Zurückdrängung der Sozialpartnerschaft als Proporz-Nebenregierung die Möglichkeit zu einer Belebung der österreichischen Demokratie. Anstatt alles im schwarz-roten Proporz auszumauscheln, kann es nun lebhaften demokratischen Diskurs und demokratische Kontroverse zwischen einer Mitte-Rechts-Regierung und einer Mitte-Links-Opposition geben. Etwas, was dem Land und der Republik durchaus gut tun kann.