Wozu es die Freiheitlichen in einer Regierungsverantwortung braucht
Es war der Stehsatz des vergangen Wahlkampfs – zumindest auf der türkisen und auf der blauen Seite: „Das Land braucht Veränderung“. Wie diese „Veränderung“ konkret aussehen soll, ist noch nicht so wirklich klar. Auf der freiheitliche Seiten allerdings noch eher als auf der christlichkonservativen. Die politischen Forderungen und die Programmatik der Strache-FPÖ, wie sie sich in den letzten 12 Jahren darstellte, lassen nämlich klar drei Themenschwerpunkte erkennen, bei denen sie vom herrschenden politischen Establishment abweicht.
An erster Stelle stehen da der Schutz und die Stärkung der soziokulturellen Substanz der autochthonen Österreicher. Dabei sind wir natürlich bei der Massenzuwanderung der vergangenen Jahre. Die Erhaltung der national-kulturellen, historisch gewachsenen Identität des Landes, damit zusammenhängend die einer österreichischen „Leitkultur“, und parallel dazu die Erhaltung und Stärkung der seit 1945 im Lande aufgebauten Sozialsysteme und der in der Zweiten Republik historisch gewachsenen Solidargemeinschaft, stehen dabei im Mittelpunkt. Und das ist wohl auch der Wählerauftrag von nahezu 60 Prozent jener Österreicher, die ÖVP und FPÖ gewählt haben, für die das Hauptmotiv die Zuwanderungsproblematik war.
Das zweite große Thema ist Europa, wobei es für die Freiheitlichen selbstverständlich so etwas wie ein klares Bekenntnis zur europäischen Integration insgesamt gibt. Gepaart allerdings mit dem Bemühen, die Irrwege der real existierenden europäischen Union zu korrigieren, beziehungsweise diesbezüglich Reformen durchzusetzen.
Der vom Wahlsieger Sebastian Kurz in jüngster Zeit bemühte „Subsidiaritätspakt“, den er für Europa durchsetzen wolle, könnte da auch für die FPÖ ein klarer Ansatzpunkt sein, das Ziel wäre ein dezentrales Europa, in dem die kleinen Einheiten, von den Kommunen über die Regionen bis hin zu den Mitgliedstaaten eben all jene Agenden bestimmen, die ihnen obliegen, und die EU ausschließlich für jene großen Themen zuständig ist, die Gesamteuropa betreffen. Und das könnte durchaus mit den Bemühungen Merkels und Marcrons nach Vertiefung der Union einhergehen, wenn diese Vertiefung eben ausschließlich jene Bereiche betrifft, die Europa angehen, nämlich eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik mit rigidem Schutz der Außengrenzen, einen gemeinsamen Markt und den gemeinsamen Schutz der kulturellen Vielfalt Europas.
Und als Drittes wäre da schließlich die direkte Demokratie nach Schweizer Muster, wie es die Freiheitlichen immer wieder fordern, aber in einer spezifisch österreichischen Variante, die im Wesentlichen ein Korrektiv zur Allmacht des Parteienstaates und ein Hebel zum Aufbrechen des rot-schwarzen Proporzsystems darstellen müsste, samt dem Rückbau der ständestaatlichen Reste, wie sie sich im Kammerstaat manifestieren.
In all diesen Bereichen gibt es eine gewisse Nähe zu dem vom Wahlsieger Sebastian Kurz in den letzten Monaten entwickelten ÖVP-Programm. Ob es zu einer Regierungspartnerschaft zwischen Türkis und Blau auf Augenhöhe kommen kann, um – zweifellos mittels zahlreicher Kompromisse – einen Teil dieser Forderungen durchzusetzen, werden die Verhandlungen der nächsten Wochen zeigen.